Die Heldenreise des Bürgers. Vom Untertan zum Souverän

Raymond Unger

13. Oktober 2023 – Interview mit Raymond Unger

Ludwig von Mises Institut Deutschland (LvMID): Lieber Herr Unger, mit „Die Heldenreise des Bürgers. Vom Untertan zum Souverän“ legen Sie nach Ihren Erfolgen „Die Wiedergutmacher“ und „Vom Verlust der Freiheit“ ein weiteres Buch vor, das dieses Mal das ganz große Thema betrifft, erwachsen zu werden, sozusagen als Voraussetzung für Souveränität. Was hat Sie zu diesem Buch bewogen?

Raymond Unger (RU): Meine vorangegangenen Bücher sind Teil einer kritischen Gesellschaftsanalyse, die sich mit der Sonderrolle Deutschlands in der Migrations-, Klima-, Gender- und Pandemie-Problematik auseinandersetzt. Ob Bankenkollaps, Fukushima, Flüchtlingskrise oder Coronapandemie – Deutschland gehörte stets zu den Musterknaben bei der Umsetzung moralisch geframter Agenden, ohne Rücksicht auf das eigene Wohl.

Ich wollte wissen, was den typischen „Wiedergutmacher“ Deutschlands ausmacht und warum er so handelt. Die ersten zwei Bücher meiner politischen Trilogie beließen es bei der Beschreibung gesinnungsethischer Politikansätze und der Charakteranalyse der Protagonisten in Medien und Politik. Das aktuelle und dritte Buch aus der Reihe im Europa Verlag beschäftigt sich nun erstmals mit dem Lösungsansatz, also mit der Frage, ob und wie infantile Charaktere nachreifen können.

LvMID: In Ihrem Buch schreiben Sie im ersten Kapitel von einer Politikkrise. Was ist nach Ihrer Auffassung die Ursache dieser Krise?

RU: Offenkundig haben wir eine multikausale und globale Krise, die nicht allein auf Deutschland beschränkt ist. Trotzdem spielt Deutschland eine Sonder- und Schlüsselrolle bei der Umsetzung einer neuen Weltordnung, die Viele das „Neue Normal“ oder den „Great Reset“ nennen.

Die neue Ordnung läuft letztendlich auf eine globale Zentralregierung hinaus, die nationale Souveränität, Demokratie und die Freiheit des Einzelnen auf bisher ungeahnte Weise herausfordern. Eine kleine Elite hat inzwischen großen Einfluss auf supranationale Organisationen, Medienkartelle und einseitige Wissenschaftsförderung nehmen können. Damit ist man in der Lage, die „Realität“, wie sie von einem Großteil der Massen wahrgenommen wird, in hohem Maße bestimmen zu können.

Über supranationale Organisationen wie die WHO oder das IPCC lassen sich „wissenschaftlich begründete“ Angstnarrative lancieren. Angesichts der postulierten Gefahrenpotentiale können demokratische Mehrheitsentscheidungen mit Notverordnungen überschrieben werden, freie Marktwirtschaft wird ad absurdum geführt. Zwangsweise verordnete pharmakologische Produkte oder Heiztechnik konsumieren zu müssen, um Strafen zu vermeiden, kommt einer planwirtschaftlichen Enteignung schon ziemlich nahe.

Profiteure sind jene, die die Insidergeschäfte von langer Hand vorbereiten konnten, sowie eine Handvoll „nützlicher Idioten“. Letztere haben ihren Lohn darin, ihr Ego aufzublasen, weil sie tatsächlich glauben, etwas „Gutes“ für die Welt zu tun.

Das neue Machtmodel mündet in eine Technokratie, bei der manipulierte Wissenschaft und KI die Richtung vorgeben. Bargeldabschaffung und engmaschige Überwachung der Bürger aus Hygienegründen werden am Ende ein Sozialkredit-System nach sich ziehen, bei dem Wohlverhalten belohnt und Missverhalten bestraft wird. Wer sich nicht impfen lässt oder ein klimaschädliches Verhalten an den Tag legt, kann als Sozialschädling der Gesellschaft in seine Schranken gewiesen werden.

Doch so viel kann man wenigstens sagen: Die neue Agenda wird keineswegs versteckt. Was sich wie ein dystopischer Roman anhört, lässt sich in vielen Grundsatz- und Strategiepapieren wirtschaftlicher und politischer Organisationen tatsächlich nachlesen. Die große Frage ist: Warum wird dieses Spiel nur von so wenigen Menschen durchschaut?

LvMID: In Ihrem Buch bringen Sie die Coronakrise und die Ukrainekrise in einen sachlichen Zusammenhang. Was verbindet diese Krisen?

RU: Vielen Dank für die Frage, so kann ich auf den zweiten Kern der Ursache kommen. Obiges Modell des „Philanthrokapitalismus“, bei dem es zu einer unguten Liaison von Kapital, Staat und einer neuen Erlösungsideologie gekommen ist, trifft ja auf eine mehr oder weniger widerständige Gesellschaft. Insbesondere in Deutschland scheinen nur wenige Menschen in der Lage zu sein, an den Blendgranaten der Angstnarrative vorbei zu schauen und die Attacke auf die Freiheit wahrzunehmen sowie die massiven Enteignungsprogramme. Mich hat schon immer interessiert, warum hierzulande nur so wenige Menschen resilient sind, um sich effektiv gegen totalitäre Tendenzen zur Wehr setzen zu können.

Die Coronakrise und die Ukrainekrise zeichnen sich ja durch komplexe Ursachen aus, die einen jahrelangen, wenn nicht jahrzehntelangen Vorlauf hatten. Die Akzeptanz infantiler Erzählungen – Putin als zweiter Hitler, der sich plötzlich Europa einverleiben will, oder eine hundertprozentig wirksame Impfung gegen ein Killervirus – stehen stellvertretend für einen Charakter- und Intelligenztest, den 80 Prozent der Bevölkerung nicht bestanden haben. Das ist in höchstem Maße besorgniserregend, da man mit dem Kauf derartiger Simplifizierungen einen Krieg mit Russland ebenso bejaht wie den Bau von Internierungslagern für Impfunwillige.

Die beiden Krisen vereint also die erschreckende Bereitschaft, offensichtlich gefährliche und manipulative Narrative nicht nur abzunicken, sondern darüber hinaus auch noch frei denkende Individuen in neuen Hexenjagden zu verfolgen. Die wenigen noch differenziert denkenden und mündigen Bürger werden dann als „Putinversteher“ oder „Schwurbler“ verfolgt. Eben diese gefährliche Entwicklung haben Autoren wie Hannah Ahrend, Gunnar Kaiser und Mattias Desmet als „Massenbildung“ beschrieben.

LvMID: Carl Gustav Jung (1875 – 1961), den Sie in ihrem Buch öfter zitieren, sagte, man müsse nur die Zeitung lesen oder sich mit Politik beschäftigen, das sei so unglaublich kindisch, dass es einem graut. In ihrem Buch behandeln Sie das Thema „Infantilität“ ausführlich. Können Sie unseren Lesern erklären, wieso Jungs Aussage heute noch relevant ist?

RU: C. G. Jung, aber auch Viktor E. Frankl und John Bradshaw, sind weltberühmte Therapeuten und Analytiker, die für meine Arbeit von zentraler Bedeutung sind. Sie beschreiben Mechanismen, warum Menschen in modernen westlichen Industriegesellschaften immer weniger zu souveränen Erwachsenen ausreifen können.

In meinen Büchern skizzierte ich unter anderem Pathomechanismen wie „misslungene Triangulierung“, „Parentifizierung“ und „Double-Bind-Kommunikation“ (wörtlich „Zwickmühlen-Kommunikation“) in dysfunktionalen Familiensystemen, die bei Kindern eine tiefe Selbstinfragestellung hervorrufen. Das Gefühl einer Verunsicherung geht irgendwann so weit, dass die Betroffenen von ihrem eigenen Unwert überzeugt sind. Da man mit dieser tief empfundenen Scham auf Dauer nicht leben kann, bleiben der Psyche im Erwachsenenalter nur die Kunstgriffe Übertagung und Projektion. Ungeliebte Anteile werden im Außen bekämpft, zugleich besteht die unbedingte Notwendigkeit konformistisch zu agieren, um nicht von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen zu werden.

Zu allem Elend besteht noch eine Übertagung auf Autoritäten in Medien, Politik und Wissenschaft als „Ersatzeltern“. Man will glauben, dass es Entscheider immer nur gut mit einem meinen. Machtmissbrauch von Autoritäten anzuerkennen, würde aufgrund der Übertagung zu einer sofortigen Re-Traumatisierung führen. Denn dann müsste man sich eingestehen, dass auch die eigenen Eltern nicht nur aus Liebe gehandelt haben. Für das so entstandene Psychogram gibt es viele Bezeichnungen, die bekanntesten sind faschistoider-, autoritärer- oder narzisstischer Charakter.

Jede Gesellschaft kann einen gewissen Anteil dieser infantilen Charaktere verkraften, ohne in eine Totalität abzugleiten. Sofern aber Faktoren greifen, die als Grundlagen der Massenbildung beschrieben wurden – Entwurzelung, diffuse Ängste, mangelnde Identität, Atomisierung, Rodung ehemaliger Sinngewissheiten und anderes – gleiten Gesellschaften grundsätzlich in die Totalität ab. Eben dieses Phänomen ließ sich in erschreckender Weise in den letzten drei Jahren beobachten. Was viele Leute heute vergessen oder verdrängt haben: Von rigorosem Freiheitsentzug und inhumanen Zwangsmaßnahmen gegen Ungeimpfte war diese ehemals freie Gesellschaft nur einen Steinwurf entfernt.

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LvMID: Wieso ist die Haltung, die ein Mensch zu sich und der Welt hat, sein Weltbild, so entscheidend für sein Handeln?

RU: Eine gute Anschlussfrage, die einen entscheidenden Punkt berührt: Zur Befriedung aller Ängste, die eine Massenbildung befördern, stehen spirituelle Sinngewissheiten an erster Stelle. Das heutige knallhart materialistische Weltmodell erklärt dem Menschen, er sei in eine sinnlose und gefährliche Welt gestellt worden, in der es, abgesehen von der technischen Entwicklung, keinerlei Trost gibt. Der Mensch als deterministischer Biocomputer sei weder frei noch sicher, sondern inneren und äußeren Gefahren hoffnungslos ausgeliefert. Hormonell gesteuerte Affekte, Viren und Umwelteinflüsse dominieren das verletzliche Wesen Mensch bis zu seinem Tod.

Archetypische Ängste vor Krankheit, Leid und Tod werden heutzutage nicht mehr seelsorgerisch begleitet, Hilfe sucht man stattdessen bei Wissenschaft und Technik. Künstliche Intelligenz, Totalüberwachung, Genoptimierung, mRNA-Impfung, digitales Interface zum Gehirn – oder kurz der Transhumanismus – versprechen heute jenen Trost, den die Menschen ansonsten nirgendwo mehr finden. Selbst die Kirchen sehen sich für das Seelenheil ihrer Gläubigen nicht mehr zuständig. Mit zentralen Themen wie Flüchtlingsrettung, Gender, Diversität und Klimaschutz erinnern die Kirchen eher an Parteibüros der Grünen.

Der systematische Abbau Jahrhunderte alter Institutionen wie Kirche, Familie und Nation hat die Menschen nachhaltig entwurzelt. Alles, was die Identität festigte, Rollenverständnisse, Geschlechterzugehörigkeit, Nationalität, Sinngewissheiten, wird vom „woken“ Zeitgeist abgeräumt und diskreditiert. Wer dies offen kritisiert, wird allgemein als „toxischer alter weißer Mann“ diffamiert.

Tatsächlich gehören spirituelle Grundbedürfnisse jedoch zum „Branding“ der menschlichen Psyche. Der Mensch kann sozusagen nicht nicht religiös sein. Aus diesem Grund haben Philosophen wie Gunnar Kaiser, Jochen Kirchhof und andere darauf verwiesen, dass der sogenannte „Klimakampf“ alle strukturellen Elemente einer neuen Religion zeigt – Ablasshandel und die Verfolgung von Ketzern eingeschlossen.

LvMID: In Ihrem Buch beschreiben Sie auch den „Ausgang aus der Unmündigkeit“, um es einmal mit Immanuel Kants (1724 – 1804) Worten zu beschreiben. Wie wird ein Mensch „mündig“ und wieso gelingt das heute scheinbar so wenigen?

RU: Um noch mal kurz auf Ihre Frage des Handelns zurück zu kommen: Natürlich dient unser Handeln auf den ersten Blick immer dem Bestreben der Leidvermeidung beziehungsweise der Glücksvermehrung. Sofern es sich bei den handelnden Personen um nicht neurotische Charaktere handelt, lässt sich nach logischen Prinzipien ziemlich exakt ableiten, warum diese oder jene Präferenzen gesetzt werden.

Kompliziert wird es dort, wo wir es mit einem neurotischen Charakter zu tun haben. In diesem Fall gibt es nämlich viele unbewusste Glaubenssätze und Prägungen, auf deren Basis der Handelnde gegen seine originären Interessen verstößt – er begeht also Handlungen, die im Endergebnis sein Leid vermehren und das Glück vermeiden.

Wer als Kind nur „konditionierte Liebe“ erfahren hat, wer sich also nur angenommen fühlte, wenn er seine eigenen Interessen verleugnete, wird auch im Erwachsenenalter nicht nur nach denselben Strukturen seiner Kindheit suchen, er wird sie sogar gut finden, sobald er sie gefunden hat. Gehorsam, Fremdbestimmung und Unterdrückung werden dann mit Liebe und Geborgenheit verwechselt.

Aus diesem Psychogramm auszusteigen und tatsächlich mündig zu werden, also fortan seine ureigenen Interessen zunächst einmal zu entdecken und später einzufordern, ist überaus schwer. Um diesen nachträglichen Prozess des Erwachsenwerdens abzubilden, habe ich mich mit dem Mythos der Heldenreise befasst. Diese archetypische Erzählung eines Abenteuers skizziert in Wahrheit den Prozess der Individuation. Aus gutem Grund muss der „Held“ in der Choreografie des Mythos Stationen wie „Krise“ oder „Drachenkampf“ durchlaufen, bevor er das „Goldene Fließ“ findet.

LvMID: Mit der deutschen Energiewende, dem jüngst beschlossenen „Heizhammer“ und den damit einhergehenden Verarmungsprozessen wird es für die Bürger immer enger. Denken Sie, dass die anflutende wirtschaftliche Not die Menschen eher davon abhalten wird, erwachsen zu werden, oder auch ein Katalysator sein könnte?

RU: Die Antwort habe ich indirekt schon gegeben: Wenn überhaupt, so wird der Held wider Willen nur durch eine existenzielle Krise veranlasst, seine unangenehme Reise zur Mündigkeit anzutreten.

Bereits mit Angela Merkel und jetzt noch verschärfter mit der neuen Ampelregierung gibt es eine Fülle von ideologischen Fehlentscheidungen in der Politik, welche die existenzielle Not vieler Bürger mehren. Geldentwertung, Enteignungen über Zwangsverordnungen, Überfremdung, Überlastung der Sozialsysteme, Untergang des Mittelstandes, Industrieabbau, exorbitante Energie- und Rohstoffpreise, mögliche Blackouts und reale Kriegsgefahren treiben die ehemals gesunde Gesellschaft an den Rand ihrer Kompensationsmöglichkeiten.

Auch wenn es viele Menschen nicht hören wollen: Die nächsten Jahre werden aller Voraussicht nach von großen Unruhen geprägt sein. Ob und wie viele Bürger im Zuge dieser Krisen ihre persönliche Heldenreise antreten und so zu souveränen, widerständigen und dennoch friedlichen Bürgern heranreifen, kann niemand vorhersagen.

LvMID: Lieber Herr Unger, herzlichen Dank für dieses Interview!

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Raymond Unger lebt als Autor und bildender Künstler in Berlin. Er ist als Kunstmaler in eigenem Atelier tätig, schreibt Essays und Bücher und hält Vorträge zu den Themen Kunst, Psychologie und Politik. Als ehemaliger Therapeut besitzt Unger eine langjährige medizinische Berufserfahrung. Bis Ende der 1990er-Jahre leitete er eine Naturheil- und Psychotherapiepraxis in Hamburg und bekleidete eine Dozentur für Naturmedizin an einer Hamburger Fachschule für Heilpraktiker.

Klicken Sie auf die folgende Überschrift, um sich den Impulsvortrag Raymond Ungers „Psychologie der Angst – Warum Schuld- und Angstnarrative wirken“ auf seinem YouTube-Kanal anzusehen.

Das Interview für das Ludwig von Mises Institut Deutschland führte Andreas Tiedtke.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock Fotos

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