Wer bestimmt die Regeln?

22. September 2023 – von Burkhard Sievert

“Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt!”

Die Situation in Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg war vergleichbar mit der jetzigen in Deutschland. Das Land der Industriellen Revolution war in den Sozialismus abgeglitten. Es war der „Kranke Mann Europas“. Der Umschwung dauerte seine Zeit und 1979 wurde Margaret Thatcher  (1925 – 2013) Premierminister. Ihre Antrittsrede nach ihrer Wahl zum Premierminister am 3. Mai 1979 ist von der Einsicht geprägt, dass Politik wie ein Mühlstein als Schwimmlehrer wirkt, wenn Politiker sich anmaßen, sich als Problemlöser im Leben der Bürger aufzuspielen. Die folgenden Worte daraus sind es wert, zitiert zu werden:

Das Einzige, was ich tun werde, ist, Sie freier zu machen, damit Sie Ihre Angelegenheiten selber erledigen können. Wenn es sich erweisen sollte, dass Sie das nicht können, tut es mir leid, dann werde ich Ihnen nichts weiter anzubieten haben.[1]

Wie konnte dieser Umschwung gelingen?

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Ein wirksames Mittel gegen den schleichenden Sozialismus ist die ökonomische Bildung durch Aufklärung. Aus den Universitäten wird diese Aufklärung nicht kommen, sie hängen am Tropf des Staates. Durch eine Veränderung des geistigen Klimas können in einem Land Maßnahmen politisch möglich werden, die vorher von Politikern als „politisch unmöglich“ abgetan wurden. Ein wichtiger Teil der Aufklärungsarbeit könnte darin bestehen, die Konsequenzen einer fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik aufzuzeigen, wobei jede Wirtschaftspolitik eine Anmaßung von Wissen ist, die der Politik das Primat gibt. Eine gute Wirtschaftspolitik gibt der Freiheit das Primat, also der Lehre der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Ein Baustein dieser Aufklärungsarbeit war in Großbritannien das Institute of Economic Affairs (IEA). Friedrich August von Hayek war 1932 an die London School of Economics (LSE) gewechselt. Sein 1944 erschienenes Buch The Road to Serfdom war einflussreich in der angelsächsischen Welt und beeindruckte auch den britischen Unternehmer Antony Fisher (1915 – 1988). Fisher wollte in die Politik wechseln. Hayek schlug ihm jedoch bei einem Treffen 1947 vor, stattdessen ein Wirtschaftsinstitut zu gründen. Antony Fischer gründet das IEA 1955, es war Großbritanniens erste marktwirtschaftliche Denkfabrik. Die Aufklärungsarbeit erklärte die Prinzipien des Kapitalismus, z. B. warum Import- und Exportbeschränkungen langfristig für alle schädlich sind, warum Inflation staatlich verursacht ist. Die Aufklärungsarbeit des IEA half in England, das sozialdemokratische Zeitalter zu überwinden.

Der Wahlsieg von Margaret Thatcher im Jahr 1979, die in der öffentlichen Wahrnehmung für Sparsamkeit, Wohlfahrtskürzungen, Haushaltsdisziplin und „Gewerkschaftsfeindlichkeit“ stand, stand im Gegensatz zu dem Ergebnis, das man von einer Wählerschaft erwarten würde, die anscheinend einer ständigen Ausweitung von Wohlfahrtsansprüchen und Umverteilung verfallen ist. Dieser Wahlsieg lässt sich analytisch durch eine Umkehrung der üblichen starken kollektiven Präferenz für die Gegenwart gegenüber der Zukunft erklären. Es war, als ob der kollektive politische Wille, anstatt einen Abschlag auf zukünftige Güter zu machen, sich umdrehte und einen Aufschlag darauf machte. Dies könnte die rationale Reaktion auf eine drastische Senkung des erwarteten Stroms zukünftiger Güter sein, was wiederum mit einem Gefühl der Panik vor einer aus den Fugen geratenen Ordnung einherging und mit der Erwartung einer düsteren und schlechten Zukunft als einer echten Bedrohung. Panik kann die Grenze sein, an die eine Regierung ungewollt stößt, wenn sie rücksichtslos expandiert, sich schnell „erpressen“ lässt und Schwäche vor partiellen Interessen zeigt. Panik kann sowohl auf der Seite der Regierung als auch auf Seiten der Wählerschaft auftreten. Panik auf beiden Seiten ist aktuell auch in Deutschland der Fall.

De domo deliratorum – das Haus, das Verrückte macht

Spätestens seit der Kanzlerschaft von Angela Merkel verwandelt sich dieses Land Zug um Zug in ein Haus, das Verrückte macht. Viele kennen diese Geschichte aus Asterix erobert Rom, bei der Asterix und Obelix von Julius Cäsar die Aufgabe bekommen, sich in einer Behörde den Passierschein A 38 aushändigen zu lassen. Für gewöhnliche Menschen aus der realen Welt stellt eine solche Aufgabe keine große Hürde dar, denn sie „ist ja nur eine verwaltungstechnische Formalität“. Aber eine Behörde ist eine andere Welt mit anderen Regeln, die nur Götter beherrschen. Götter brauchen keinen Zaubertrank.

Ein Passierschein berechtigt zum Grenzübertritt oder zum Zutritt in ein Sperrgebiet. Wie in unserer bekannten Geschichte wird er dem gewöhnlichen Menschen von einer Behörde gewährt. Die Regeln in einer Behörde erscheinen für gewöhnliche Menschen absurd, für die Menschen in der Behörde nicht. Woher kommt dieser systemische Unterschied? Ein Unternehmen produziert Waren oder Dienstleistungen, um sie an Kunden zu verkaufen. Nur mit Verkaufserlösen können die bei der Produktion entstandenen Auslagen gedeckt werden. Bleiben die Kunden aus, verschwindet ein Unternehmen vom Markt. Um die Überlebensfähigkeit des Unternehmens dauerhaft zu sichern, benötigt ein Unternehmen zufriedene Kunden, denn ein unzufriedener Kunde kommt nicht wieder. Eine Behörde bietet ihre Dienste nicht auf dem Markt an. Sie bekommt ihre Auslagen vom Staat bezahlt. Der Steuerzahler deckt ihre Auslagen. Sie ist ein Monopolist und benötigt keine zufriedenen Kunden. Die Absurdität in dieser Geschichte vom Passierschein basiert auf diesem systemischen Unterschied.

Asterix und Obelix werden von den Behördenmitarbeiter wie Bittsteller behandelt und von einem Schalter zum anderen geschickt. „Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode“, so Shakespeare in Hamlet. Obelix kommt zu der Erkenntnis, dass der Zaubertrank hier nicht weiterhelfen würde. Asterix stimmt dieser Erkenntnis zu und ergänzt: „Wir werden sie mit ihren eigenen Waffen schlagen!“ Er ist sich des Sieges gewiss und hat einen Plan gefasst, diese Absurdität für sich zu nutzen und ihr dadurch zu entkommen. Er sagt nicht „Wir wollen …“ oder „Wir können …“, nein, „Wir werden …“ drückt seine Siegesgewissheit aus. Welchen Plan hat er gefasst? Der Sieg soll durch den Wechsel von der Passivität in die Aktivität gelingen. Die Behördenmitarbeiter sollen reagieren. Was ist die „Waffe“ von Asterix? Er stellt mit Nachdruck eine Frage, widerspricht der Rückfrage der Obrigkeit und nimmt dadurch das Heft des Handelns in seine Hand: „Bin ich hier richtig für den Passierschein A 39? […] Nein, es handelt sich tatsächlich um den Passierschein A 39, wie er im neuen Rundschreiben B 65 festgelegt ist“. Die Suche nach dem Passierschein A 39 führt zum Zusammenbruch der Abläufe in der Behörde und Asterix bekommt am Ende der Geschichte den Passierschein A 38 vom Präfekten ausgehändigt.

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Was Sie für unser aller Freiheit tun können

HIER KLICKEN, um Thorsten Polleits Beitrag zu dieser Frage zu lesen.

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David gegen Goliath

Schauen wir uns eine andere Geschichte an, die von David gegen Goliath. Auch sie lehrt, dass der scheinbar Unterlegene gegen den übermächtigen Aggressor gewinnt, wenn der Kleine seine Stärke ausspielt und damit die schwache Stelle Goliaths trifft. Der Starke ist zwar kräftig, aber seine Schwäche ist die Unbeweglichkeit durch seine Rüstung. David dagegen ist klein und flink. Die Steinschleuder ist für ihn besser geeignet. David kann gewinnen, wenn er nicht nach der vermeintlich vorgegebenen Regel spielt und eine Rüstung anlegt, sondern diese in seinem Sinn ändern kann und keine Rüstung anlegt. Damit kann er seine Stärke ausspielen und Goliath besiegen.

Bei der Festlegung von Regeln im Basketball können große und kleine Personen nicht einstimmig bevorzugen, den Korb auf gleicher Höhe zu platzieren; ebenso sollten beim Poker vernünftige Spieler mit großen und kleinen Geldbeuteln gleiche Tischlimits nicht befürworten. Im Gegensatz dazu könnte allein die Vorsicht Sie dazu bringen, diejenigen Regeln abzulehnen, die ich Ihnen vorschlage, wenn wir im Leben verschieden unter Regeln gestellt sind, die sich auf unsere Position im Leben auswirken.[2]

Was ist in der Geschichte vom Passierschein und in der von David der entscheidende Faktor?

In beiden Geschichten schafft es der Kleine nach seiner Regel, nicht nach der Regel, die der Große dem Kleinen auferlegt, zu spielen. Der Kleine kann gewinnen, aber nur, wenn er es schafft, die Regel in seinem Sinne zu ändern. Menschen halten sich an Regeln. Entscheidend ist, wer die Regel aufstellt. In beiden Geschichten gibt es drei aufeinander folgende Stufen des Umgangs mit der Absurdität:

1. ihre Erkenntnis,

2. ihre Annahme,

3. die Regeländerung.

Erst durch die Erkenntnis der absurden Situation kann der Mensch sich der Absurdität annehmen. Er wird zum Handelnden, indem er sich das Absurde zu Nutzen macht und durch eine Regeländerung die Absurdität überwindet. Die Regeländerung ist die Reaktion auf das Annehmen der Absurdität, in ihr kann sich der „Kleine“ selbst verwirklichen und zur Freiheit finden. Die Freiheit muss der Kleine sich nehmen. Sie wird ihm nicht von der Obrigkeit gegeben.

Der Unterschied zwischen einer Freiheit und einem Recht

Freiheit (elethéria, Souveränität, nicht bloß autonomia, Selbstverwaltung) ist ein Axiom. Die liberalen Prinzipien oder „Werte“ sind Eigentum und Pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten). Mehr braucht es nicht.

An diesem Punkt ist es von entscheidender Wichtigkeit, den Unterschied zwischen einem Recht und einer Freiheit zu kennen. Der Ausdruck „Recht“ wird zum einen für Anrechte verwendet. Anrechte werden von der Obrigkeit gewährt, z. B. als Passierschein A 38 oder als Recht auf Wohlfahrtsleistungen. Sie werden wieder entzogen, wenn die Staatskasse durch ideologisch verblendete Wirtschaftspolitik leer ist. Je mehr Anrechte die Obrigkeit an ihre Günstlinge verteilt, desto mehr Behörden werden erforderlich und desto absurder wird das ganze System. Die Symptome zu behandeln, wirkt nicht heilend!

Ein echtes Recht benötigt die vorherige Zustimmung. Wenn A ein bestimmtes Recht hat, dann gibt es einen B, der eine entsprechende Verpflichtung hat, zugunsten des A bestimmte Handlungen auszuführen oder sie zu unterlassen. Die Beweislast liegt bei demjenigen, der behauptet, ein bestimmtes Recht zu haben. A kann das Recht beweisen, indem er einen entsprechenden Vertag mit B vorweist. Eine Freiheit dagegen legt niemandem eine derartige Verpflichtung auf, aber alle, also auch den Staat, die sich aus dem von der Freiheit geschützten Bereich nicht heraushalten, sind illegitime Aggressoren. Ein solcher freier Bereich ist zum Beispiel die körperliche Unversehrtheit. Legitime Handlungen sind entweder Freiheiten oder beruhen auf einer Konvention, z. B. einem Vertrag. Der Tausch – nichts weiter ist der Vertrag – ist ex definitione freiwillig: Jede der beiden Parteien erwartet, nach dem Tausch besser zu stehen als vorher – sonst wären ihre Handlungen sinnlos. Ein erzwungener „Tausch“ ist kein Tausch, sondern eine Art Raub. Eine Freiheit kann die Obrigkeit verletzen, aber sie kann die Freiheit genau so wenig abschaffen, wie ein Dieb durch einen erfolgreichen Diebstahl das Eigentum abschaffen kann.

Alles beginnt mit der Erkenntnis

Zu der Erkenntnis, dass wir die Kleinen sind und andere die Großen, muss jeder Mensch allein gelangen. Es ist nicht schlimm, ein Kleiner zu sein. Für uns Kleine ist es besser, nach unseren Regeln zu spielen, als nach den Regeln, die die Großen in ihrer unnachahmlichen Selbstlosigkeit uns gaben. Mit dieser Erkenntnis geht diejenige einher, warum Freiheit notwendig ist. Genau wie die anderen freiheitlichen Initiativen, wie das Ludwig von Mises Institut, die Hayek Clubs und viele mehr, kann die Atlas Initiative einen Rahmen bilden, einen regionalen Rückzugsraum zur Bildung einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Die Fackel der Freiheit brennt dezentral, denn sie soll in Deutschland nicht verlöschen. Dort, wo freiheitliches Wissen vermittelt wird, da ist Geist. Dort wo Geist ist, da ist Gemeinschaft. Dort wo Absurdität ist, da ist Ungeist. Dort wo Ungeist ist, da sind feindselige Ideologien. In je mehr Köpfe der Geist der Freiheit gepflanzt wird, desto besser. Wir Kleinen werden gewinnen. Denn wir werden die Obrigkeit dazu bringen, nach unseren Regeln zu spielen, die passend für uns sind. Es reicht eine Frage: Wo ist der Vertrag?

[1]    Aus: Roland Baader: (2005): Das Kapital am Pranger, S. 194.

[2]    Anthony de Jasay (2020): Der Gesellschaftsvertrag und die Trittbrettfahrer, S. 179.

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Burkhard Sievert engagiert sich als Sektionsleiter in der Atlas Initiative. Er hat von Anthony de Jasay die Bücher Der Gesellschaftsvertrag und die Trittbrettfahrer, Gegen Politik sowie Der Indische Seiltrick übersetzt und das Buch Liberalismus neu gefasst wiederaufgelegt. Kürzlich legte er das Buch Allmächtiger Staat als deutsche Übersetzung von Ludwig von Mises Omnipotent Government vor.

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