Die falsche Priesterherrschaft der Intellektuellen und die Macht der Ideen

4. August 2023 – von Thorsten Polleit

Thorsten Polleit

Dieser Beitrag wurde am 8. Juli 2023 beim Mises Karma Event im Bitcoin Hotel Princess in Plochingen als Vortrag gehalten.

[HIER KLICKEN, um den Beitrag als PODCAST auf Misesde.org anzuhören.]

Einleitung

Um es vorab herauszustellen: Dieser Aufsatz ist keine Schmähung der Intellektuellen. Er ist eine theoretische Kritik an Intellektuellen auf Abwegen, also an Intellektuellen, die sich politisch einspannen lassen oder die auf der Welle falscher Wissenschaft mitschwimmen, und auch derjenigen, die im Gewand einer falschen Priesterschaft daherkommend, ihre eigenen Interessen auf Kosten der anderen verwirklichen wollen und dadurch großen Schaden anrichten. Und da ich meine zu erkennen, dass es dieses Problem mit einigen (nicht allen) Intellektuellen gibt, halte ich dieses Referat. Es gliedert sich in fünf Schritte.

In einem ersten Schritt zeige ich mit logischen Mitteln auf, dass das menschliche Handeln von Ideen bewirkt wird. In einem zweiten Schritt behaupte ich, dass einige Menschen Herrschaft über andere gewinnen und verfestigen wollen, und ich stelle Vermutungen an, welche Rolle die Intellektuellen dabei spielen.

In einem dritten Schritt greife ich auf die Arbeit von Helmut Schelsky zurück, der eine Theorie anbietet, wie die Intellektuellen sich quasi verselbstständigen, gegen die Interessen der breiten Bevölkerung agieren, selbst zur Priester- beziehungsweise Herrscherkaste aufsteigen wollen und der Unfreiheit den Weg ebnen.

Im vierten Schritt gebe ich ein Anwendungsbeispiel, und zwar anhand des „Great Reset“. Am Ende, im fünften Schritt, stelle ich Vorschläge zur Lösung der von mir ausgebreiteten Problemlage vor.

*****

Jetzt anmelden zur

Ludwig von Mises Institut Deutschland Konferenz 2023

Alle Informationen hier!

*****

Schritt 1

Menschliches Handeln bedeutet, im weitesten Sinne, einen Zustand durch einen anderen, einen als vergleichsweise besser empfundenen Zustand zu ersetzen.[1]

Was bestimmt das menschliche Handeln? Antwort: Es sind Ideen oder Theorien.

Du hast beispielsweise eine Idee darüber, wie Dinge zusammenhängen, oder ob das Resultat einer bestimmten Handlung für dich wünschenswert ist oder nicht.

Dass es Ideen sind, die dein und mein Handeln bestimmen, ist keine beliebige Aussage, sie lässt sich erkenntnistheoretisch begründen.

Die Aussage, dass Ideen (also etwas Geistiges) unser Handeln bestimmen, lässt sich zunächst einmal nicht sinnvoll bestreiten.

Bestreitet man sie, muss man eine andere Erklärung für die (Letzt-)Ursache des menschlichen Handelns anführen. Welche aber könnte das sein?

Nun, man müsste behaupten, dass das menschliche Handeln von objektiven, externen Faktoren (physikalischer, chemischer oder biologischer Art) bestimmt wird.[2] Doch das müsste man beweisen – etwa in der Form, dass der externe Faktor X immer und überall eine bestimmte menschliche Handlung Y erzeugt.

Ein solcher Beweis konnte bisher jedoch nicht erbracht werden. Und man kann ihn auch nicht erbringen.

Denn mit logischen Mitteln lässt sich zeigen, dass menschliches Handeln sich nicht mit externen Faktoren erklären und prognostizieren lässt. Der handelnde Mensch ist nämlich lernfähig – und das ist eine a priori gültige, eine nicht mit logischen Mitteln bestreitbare Aussage.[3]

Eine a priori Aussage ist eine nicht-empirische Aussage, die notwendigerweise wahr ist, und die Allgemeingültigkeit beansprucht, die also keine Ausnahme zulässt. Eine Aussage a priori lässt sich nicht widerspruchsfrei verneinen, denn dadurch würde man ihre Gültigkeit schon voraussetzen. Ein Beispiel für ein a priori ist der Satz vom ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur) in der Logik: Eine Aussage kann nicht zugleich wahr und falsch sein.

Kurz gesagt: Wenn man lernfähig ist, dann kann man nicht schon heute das künftige Wissen, dass das künftige Handeln bestimmt, kennen. Die Aussage, dass das menschliche Handeln durch Ideen bestimmt wird, ist keiner Letztbegründung mehr zugänglich, sie kann als ein ultimativ Gegebenes eingestuft werden.

Sie werden fragen: Woher stammen unsere, Ihre und meine Ideen?

Die meisten Ideen, die sich sprichwörtlich „in unseren Köpfen“ befinden, haben wir von anderen übernommen: von Freunden, Eltern, Lehrern. Nur ganz wenige von uns ersinnen neue Ideen, die meisten von uns folgen den Ideen anderer.

Die Bedeutung der Ideen für unser Handeln kann gar nicht stark genug betont werden. Wenn Menschen beispielsweise der Idee anhängen, den Sozialismus zu errichten, dann werden sie sich aufmachen, dieses Ziel zu erreichen.

Die Ideen, die Sie und ich, die die Menschen in sich tragen, sind von allergrößter Bedeutung für die Gestaltung unseres Miteinanders.

Schritt 2

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie du und ich miteinander in Beziehung treten können.

Entweder durch Freiwilligkeit oder durch Zwang und Gewalt. Freiwilligkeit bedeutet, dass ich dir etwas anbiete, das du aus freien Stücken annimmst oder ablehnst. Ich biete dir etwa einen Apfel im Tausch für 1 Euro an, und du kaufst oder kaufst nicht.

Oder durch Zwang und Gewalt: Ich zwinge dich, etwas zu tun, was du freiwillig nicht machen willst. Und wenn du dich meinem Willen widersetzt, bestrafe ich dich.

Die Menschheitsgeschichte zeigt leidvoll, dass es immer wieder Menschen gibt, die nicht auf Freiwilligkeit beim Zusammenleben mit ihren Mitmenschen setzen, sondern die Zwang und Gewalt auszuüben wünschen; die über ihre Mitmenschen herrschen wollen.

Das führt zur Frage: Wie ist es möglich, dass die nach Herrschaft Strebenden (in der Regel ist das eine vergleichsweise kleine Menschengruppe) Zwang und Gewalt über die vielen anderen bringen können?

Ein Weg dazu ist die Anwendung roher Gewalt, mit Schwert und Feuer sozusagen werden die anderen gegen ihren Willen unterworfen und niedergehalten.

Das aber ist für den nach Herrschaft Strebenden ein mitunter gefährliches Unterfangen: Schließlich kann er im Zuge eines solchen Gewaltprinzips nicht sicher sein, dass nicht ein noch Rücksichtsloserer daherkommt und ihn überwindet.

Ein anderer Weg ist es für den nach Herrschaft Strebenden, Unterstützer für seine Sache zu finden. Etwa indem er den einen etwas wegnimmt und die Beute dann mit anderen teilt, sie zu Komplizen macht.

Ein weiterer Weg besteht darin, dass die, die andere beherrschen wollen, diejenigen, die beherrscht werden sollen, dazu bringen, ihrer Beherrschung zuzustimmen, sie am besten sogar herbeizusehnen. Wie aber kann das erreicht werden?

Es kann dadurch erreicht werden, dass man die Beherrschten davon überzeugt, dass es gut und richtig ist, dass sie beherrscht werden; wenn man sie glauben macht, dass es ohne Beherrscher nicht geht, dass das Gemeinwesen sonst im Chaos versinkt.

Und wenn die Beherrschten gar nicht erkennen, dass sie beherrscht werden, dann bleibt der Widerstand gegen die Beherrschung aus.

Johann Wolfgang von Goethe wusste darum, als er schrieb:

Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein.

An dieser Stelle bringe ich den „Staat“ (wie wir ihn heute kennen) ins Spiel. Der Begriff Staat hat bei unterschiedlichen Personen in der Regel unterschiedliche Bedeutung. So denken viele bei Staat an „wir alle“, an die Gemeinschaft der Menschen, an die beschützende Hand von „Vater Staat“.

Ich verwende hier jedoch eine andere, eine positive Definition des Staates, eine Definition also, die sagt, was der Staat wirklich ist, was er tatsächlich tut. Danach lässt sich der Staat verstehen als ein territorialer Zwangsmonopolist mit der Letztentscheidungsmacht über alle Konflikte auf seinem Gebiet, und der sich das Recht nimmt, Steuern zu erheben.

Der Staat darf demnach etwas, was jeder anderen Person verboten ist: Er darf anderen Geldbeträge abknöpfen, denen keine direkte Gegenleistung gegenübersteht – Steuern erheben, nennt man das. (Da kann man nur staunen: Wenn ich Ihnen 100 Euro aus ihrer Geldbörse gegen ihren Willen und ohne direkte Gegenleistung entnehme, wie würden sie das nennen?)

Und der Staat ist der Schiedsrichter über alle Konflikte, die zwischen seinen Untertanen auftreten, und auch derjenigen, die zwischen ihm, dem Staat, und seinen Untertanen zwangsläufig entstehen.

Nun wird wohl kaum jemand behaupten, dass alle, die heute in (oder unter) einem solcherart definierten Staat leben, freiwillig ihre Zustimmung dazu gegeben hätten. Es gibt beispielsweise keinen entsprechenden Vertrag, den sie oder ich unterschrieben hätten.

Um es an dieser Stelle kurz zu halten: Der Staat (wie wir ihn heute kennen) ist nicht aus dem Prinzip der Freiwilligkeit, sondern aus dem Prinzip von Zwang und Gewalt entstanden, und seine Fortexistenz fußt ebenso auf Zwang und Gewalt.

Interessanterweise haben das sozialistisch-kommunistische Denker offen ausgesprochen. So schrieb Lenin:

(V)ergesst nicht, dass der Staat auch in der demokratischsten Republik, und nicht nur in einer Monarchie, nichts anderes ist als eine Maschine zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andere.[4]

Vermutlich werden jetzt einige im Publikum empört sagen: Der Staat als Beherrschungsapparat? Doch nicht bei uns! Schließlich regieren wir uns doch selber! Diese Antwort würde mich nicht überraschen.

Denn der Staat (ob als Feudalsystem, als Monarchie oder als moderne Demokratie) gab sich seit je her viel Mühe, die Erkenntnis über sein wahres Wesen zu verschleiern. Dazu bedient er sich der Hilfe der Intellektuellen. Dazu Gedanken von Murray Rothbard.

Er schreibt,

dass seit den frühesten Anfängen des Staates seine Herrschenden als notwendige Unterstützung ihrer Herrschaft ein Bündnis mit der gesellschaftlichen Klasse der Intellektuellen anstrebten. Die Massen erzeugen nicht ihre eigenen abstrakten Ideen oder denken über diese Ideen unabhängig nach; sie folgen passiv den Ideen, die von den Intellektuellenkreisen, den wirkungsvollen Meinungsmachern in der Gesellschaft, angenommen und verbreitet werden. Und weil es genau dieses Erzeugen von Meinungen im Sinne der Herrschenden ist, das der Staat dringend benötigt, formiert dies das uralte Bündnis zwischen den Intellektuellen und den herrschenden Klassen des Staates. Das Bündnis gründet auf einem quid pro quo. Auf der einen Seite verbreiten die Intellektuellen unter den Massen, dass der Staat und seine Herrschenden weise, gut, manchmal göttlich und vor allem unverzichtbar und besser als jede denkbare Alternative seien. Als Gegenleistung für die Verkündigung seiner Ideologie macht der Staat die Intellektuellen zu einem Teil der herrschenden Elite, er gibt ihnen Macht, sozialen Status, Ansehen und materielle Sicherheit.[5]

Wer aber sind diese Intellektuellen? Eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. In der Literatur hat es einige Versuche dazu gegeben, nicht alle sind überzeugend. Für unsere Zwecke mag es hier jedoch genügen, die Gruppe der Intellektuellen als Personen zu begreifen, die eine oder mehrere der folgenden Eigenschaften besitzen:

1.) Die Intellektuellen sind (oder halten sich für) relativ gut gebildet; 2.) sie üben eine Meinungsführerschaft aus, ihre Aussagen, ihre Ideen, werden von vielen anderen Menschen als richtungsweisend angesehen; 3.) sie beurteilen, welche Ideen Verbreitung finden und welche nicht, welche vorhandenen Ideen durch andere Ideen zu ersetzen sind.

Nicht immer sind die Intellektuellen Schöpfer von neuen Ideen, oftmals sind sie nur so etwas wie „Second Hand Dealer of Ideas“, wie Friedrich August von Hayek es nannte.

Zur Gruppe der Intellektuellen sind beispielsweise zu zählen Lehrer, Gelehrte wie Professoren – Natur-, Medizin und Wirtschaftswissenschaftler –, Literaten, Journalisten, TV- und Radio-Moderatoren, Musiker, Schauspieler, aber heutzutage auch so mancher Unternehmensführer und „Influencer“ in den Social Media.

Dass Politiker, Regierungen und Staaten wie auch Sonderinteressengruppen eine ganz besondere Vorliebe für die Intellektuellen entwickeln, liegt auf der Hand. Denn, wie Rothbard es bereits ausgesprochen hat, wer die Ideen maßgeblich beeinflusst, sie vorgibt, der beeinflusst auch das Handeln der Menschen.

In Politik, Regierungskreisen und bei Sonderinteressengruppen sind diejenigen Intellektuellen daher besonders beliebt, deren Ideen helfen, Herrschaftsmacht zu legitimieren beziehungsweise zu scheinlegitimieren.

Das gilt vor allem dann, wenn die Intellektuellen aus der Wissenschaft von der Öffentlichkeit als unabhängig, als neutral, als vertrauenswürdig, als makellose, selbstlose Instanzen angesehen werden, denen man kritiklos Glauben schenken darf und sollte.

Und da viele Intellektuelle – vor allem die in der Wissenschaft tätigen – auf der staatlichen Lohnliste stehen, ist es nicht verwunderlich, dass diejenigen von ihnen auf großzügige Förderung hoffen dürfen (in Form von Einkommen, Forschungsgeldern, Reputation und Status), die Brauchbares aus Sicht von Politik und Sonderinteressengruppen in die Öffentlichkeit tragen.

Doch man greift zu kurz, wenn man meint, die Intellektuellen könnten – im ungünstigen Fall – lediglich (oder ausschließlich) ein Spielball der Mächtigen und Sonderinteressengruppen sein.

Und damit meine ich nun nicht, dass es so etwas gibt wie die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre, die die Wissenschaftler unter den Intellektuellen davor schützt, sich durch externe Interessengruppen von ihrer Wahrheitssuche ablenken zu lassen.

Was ich vielmehr meine, ist, dass die Intellektuellen selbst eine aktive Rolle anstreben und einnehmen können, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschicke nach ihren eigenen Interessen zu beeinflussen.

Genau das ist eine Überlegung, die der deutsche Soziologe Helmut Schelsky (1912–1984) in seinem 1975 erschienen Buch Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen ausgebreitet hat.

Doch bevor ich Schelskys Überlegungen vorstelle, soll noch die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Intellektuellen, die es in der ökonomischen Literatur gibt, kurz zur Sprache kommen.

Die Intellektuellen werden hier als so etwas wie „Wegbereiter des Sozialismus“ eingestuft. So etwa bei Joseph Alois Schumpeter (1883 – 1950).

In seinem Buch „Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie“[6] (1944) skizziert Schumpeter das Problem mit den Intellektuellen wie folgt: Der Kapitalismus bringt Wohlstand. Der wiederum bewirkt eine verstärkte öffentliche Bereitstellung von Bildung. Dadurch werden jedoch zu viele Intellektuelle herangebildet. Viele von ihnen finden keine Anstellung in ihrem Expertenbereich, sie müssen mit einem anderen, fachfremden Broterwerb vorliebnehmen. Das macht sie unzufrieden, sie wenden sich gegen das kapitalistische System, trachten danach, es abzuschaffen.

Friedrich August von Hayek (1899–1992) argumentierte, dass Intellektuelle zu großartigen, hochfahrenden, phantastischen Gesellschaftsentwürfen neigen, und dass sie sich daher insbesondere mit sozialistischen Heilsversprechen anfreunden können.[7] Viele Intellektuelle, so Hayek, sind daher im sozialistischen Ideenlager zuhause.

Ludwig von Mises (1881–1973) sprach von einer „antikapitalistischen Mentalität“, die sich vor allem auch der Intellektuellen bemächtigt.[8] Die Intellektuellen empfinden eine Abneigung gegen den Kapitalismus, weil sie meinen, dass sie nicht gebührend, nach ihrem eigentlichen Wert (den sie sich selbst zusprechen) entlohnt und gewürdigt werden. Sie empfinden Neid und Missgunst im kapitalistischen System, in dem der fleißige und betriebsame Kaufmann finanziell viel besser fährt als sie selber. Sie wollen daher den Kapitalismus abschaffen.

Diese Erklärungen über die Rolle der Intellektuellen lassen sich nicht nur in die Überlegungen von Helmut Schelsky integrieren, sie lassen sich durch Schelskys Theorie auch dramatisieren, von jedweder verbliebenen Harmlosigkeit entkleiden.

*****

Was Sie für unser aller Freiheit tun können

HIER KLICKEN, um Thorsten Polleits Beitrag zu dieser Frage zu lesen.

*****

Schritt 3

In seinem 1975 erschienenen Buch „Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen“ wartet Schelsky mit folgender These auf: In den modernen, technisch-wissenschaftsorientierten Gesellschaften bildet sich ein Klassenkampf eigener Art heraus. Die Frontlinie verläuft dabei zwischen den Intellektuellen und der arbeitenden Bevölkerung. Es handelt sich um den Kampf um Herrschaft, der nicht mit physischem, sondern mit psychischem Zwang geführt wird, in dem es um „Machtausübung durch Sinngebung“[9] geht. In Anlehnung an die Religionssoziologie Max Webers (1864–1920) ist Schelskys Ausgangspunkt, dass die Menschen grundsätzlich in ihrem weltlichen Dasein nach einer Sinnstiftung suchen, nach einem Heilsversprechen. Das gilt vor allem in den hoch entwickelten säkularisierten Gesellschaften, in denen eine Nachfrage nach einer sozialen Religion entsteht.[10]

Sie bildet das Fundament für die Berufsgruppe der „Sinnvermittler“, der „Reflexionselite“, zu denen auch die Intellektuellen (im weitesten Sinne) zählen. Sie betätigen sich in den wachsenden Funktionsbereichen der Vermittlung von Informationen, Wissenschaftserkenntnissen und „Orientierungswissen“, sie entwickeln sich, so Schelsky, zu einer „Priesterkaste“. Ihr selbsteigennütziges Ziel ist es, ein (in den Worten von Friedrich Schleiermacher [1768–1834]) „Bewusstsein schlechthinniger Abhängigkeit“ in der breiten Bevölkerung zu erzeugen, das wiederum „Schutz- und Vormundschaftsbedürfnisse“ der „Sozialheilsgläubigen“ hervorbringt und sie auf diese Weise empfänglich macht für die Verheißungen einer besseren Welt, nach einem Leben in Harmonie und Ordnung und Gerechtigkeit, eines „himmlischen Sozialismus“ auf Erden.

Die Verkünder des Heils haben zur Durchsetzung ihrer Herrschaftsmacht ein Interesse daran,

daß die Gegenwart, der Alltag, als ‚Elend‘, als Notsituation und als unerträglich empfunden wird, denn davon hängt ihre Einflussmöglichkeit ab. Sie verkünden daher niemals nur das Heil, sondern sie predigen und fördern zugleich das Bewußtsein des Elends; sie sind nicht nur der Nothelfer, sondern zugleich Notpropagandisten. Denn wie ihr ‚Heil‘ ein Gut in der Vorstellung von Menschen ist, so besteht auch die Bedürfnisgrundlage dieser ‚Heilsherrschaft‘ in der Aufrechterhaltung eines Not- und Elendsbewusstseins unabhängig von den realen Bedingungen und Umständen.[11]

Das Mittel, das die Sinnvermittler sich zu Eigen machen, ist nicht – wie gesagt – die physische Gewaltanwendung, sondern die entlastende und erlösende Sinngebung, es handelt sich um eine „Machtausübung durch Sinngebung“[12].

Die Sinnvermittler und Sozialheilsspender stellen sich gegen die produktive Bevölkerung, leben aber sprichwörtlich von ihr, also von den Menschen, so Schelsky, „die sich der Bewältigung der praktischen Aufgaben in einer Gesellschaft annehmen.“[13] Sie betreiben so etwas wie „Priesterbetrug“: Sie halten das Bild vom „alten Klassenkampf“ aufrecht, tun also etwas, was den Interessen der arbeitenden Schichten in keiner Weise (mehr) entspricht:

Das Image des Linksextremismus oder ‚konsequenten‘ Marxismus bietet einen Vorhang, hinter dem ein ‚autonomer‘ Herrschaftsanspruch aufgebaut und ein neues Klasseninteresse zum Zuge kommen kann, das sich wenigstens vorläufig Beifall und Zulauf der Arbeiterseite der alten Klassenfront sichern zu können glaubt.[14]

In Schelskys Worten:

Die außerordentlich gewachsene Bedeutung der Vermittlung von Information, von Nachrichten, wissenschaftlichen Erkenntnissen, Ausbildungs- und Orientierungswissen in einer komplexen und großorganisatorischen Gesellschaft ermöglicht es dieser Gruppe, sofern sie diese neuen Formen des Produktionswissens und der Herrschaftsmittel mit einer eigenen sozialen und politischen Zielsetzung verbindet, einen neuen Herrschaftsanspruch durchzusetzen und sich in der Monopolisierung dieser Produktions- und Herrschaftsmittel neuer Art als Klasse zu begründen. Auf der Grundlage der Beherrschung und Monopolisierung dieser polit-ökonomischen Wirkungsmöglichkeiten und in Verbindung mit einer neuen ‚Heilslehre‘ bildet sich eine neue Klasse der politisch und ökonomisch sich durchsetzenden ‚Sinn-Vermittler‘ und ‚Heilslehrer‘ heraus, die sich im interessenhaften Klassengegensatz zu allen denen befinden, die der Produktion von Gütern im Sinne der Lebensbefriedigung, des Wohlstandes und des Funktionierens eines gesellschaftlichen Systems dienen. Es ist ein Klassengegensatz, den wir vorläufig auf die Formel der Auseinandersetzung zwischen der Klasse der ‚Sinn- und Heilsvermittler‘ mit den ‚Produzenten von lebenswichtigen Gütern‘ bringen wollen.[15]

Schelsky hebt nun etwas ganz Wichtiges hervor:

Es geht darum, ob die ‚Sinn-Vermittler‘ ihre eigenen Herrschaftsziele durchzusetzen vermögen oder ob sie sich mit der dienenden Stellung einer Sinnausdeutung der gesellschaftlich Arbeitenden begnügen. Es geht also um das herrschaftliche oder das dienende Selbstverständnis der ‚Sinnvermittler‘.[16]

Wie passen die Ökonomen – die ich hier beispielhaft als Vertreter der sinnvermittelnden Intellektuellenklasse herausgreifen möchte – in dieses Gedankenbild, welche Rolle nehmen sie ein, wie lautet ihr Eigeninteresse?

Die Rolle des Ökonomen in einem freien Marktsystem wäre ziemlich unbedeutend – denn die Prognosefähigkeit der ökonomischen Theorie, angewandt in der Praxis, ist gering.[17] Die Verdienstmöglichkeiten des Ökonomen sind vergleichsweise gering – im Vergleich zu einer Situation, in der der Staat (genauer: der Nettosteuerzahler erzwungenermaßen) die ökonomische Lehre und Forschung finanziert.

Um in den Genuß staatlicher Zuwendungen zu kommen, ist es für die Ökonomen erforderlich, eine grundsätzlich staatszugewandte und –befürwortende (Lehr-)Haltung einzunehmen, also vor allem eine mit wissenschaftlichen Mitteln (scheinbare) Legitimation des Staates (wie wir ihn heute kennen) bereitzustellen. Zudem bedarf es auch einer ökonomischen Legitimierung, die dem Staat Aufgaben zuweist und die nur er angeblich zufriedenstellend erfüllen kann. Dazu zählt zum Beispiel, dass der Staat das Geldmonopol innehaben soll; dass nicht ein Warengeld, sondern staatliches ungedecktes Geld zu verwenden ist; dass Geschäftsbanken privilegiert sein sollen, mit einer Teilreserve zu operieren; dass der Staat Straßen und Schulen und Universitäten bereitzustellen hat; dass er die Altersvorsorge regeln soll; und so weiter und so fort. Und je mehr Aufgaben der Staat übernehmen kann, desto größer wird der Einflussbereich der Ökonomen.

Die Ökonomen müssen dabei vor allem eines überzeugend erklären: Dass das System der freien Märkte nicht alles leisten kann, dass es vielmehr Dinge gibt, für deren Regelung der Staat unverzichtbar ist, die er regeln muss, wenn ein friedvolles und produktives Zusammenleben der Menschen in der Gemeinschaft möglich sein soll. Dazu führen sie zum Beispiel „Marktversagen“, „Monopole“, „externe Effekte“, „Marktmacht“, „öffentliche Güter“ und anderes mehr ins Feld, die die Existenz beziehungsweise die Staatstätigkeit angeblich unausweichlich machen.

Damit ist es so gut wie ausgeschlossen, dass die – staatlichen finanzierten – Ökonomen unerschrockene Befürworter des Systems der freien Märkte sein können, sie müssen sich zumindest als Interventionisten positionieren: also befürworten, dass der Staat zumindest fallweise in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben eingreift, um bestimmte Ziele zu erreichen. Diese Grundposition wird die Lehrtätigkeit dieser Ökonomen in Schule und Hochschule und auch ihr Sendungsbewusstsein auf ihren Berufswegen (in Verwaltung, Stabsabteilungen, Medien etc.) prägen.

Es ist sicherlich nicht allzu weit hergeholt zu vermuten, dass (auch) die Ökonomen der Versuchung unterliegen, nicht nur lehrende und forschende Intelligenz zu sein, sondern auch zur heilsverkündenden Intelligenz aufzusteigen. Gerade das zusehends wissenschaftshörige Diskursklima bietet dazu ja auch mannigfaltige Gelegenheiten. Denn hier gehört es quasi schon zum guten Ton, jedwede Streitfrage – ob in Wirtschaft, Gesellschaft, Gesundheit oder Umwelt – unter Berufung auf wissenschaftlich begründete Erkenntnisse lösen zu wollen. Oftmals handelt es sich jedoch nur um persönliche Mutmaßungen, die zu Wissenschaftsfragen hochstilisiert werden. Das wiederum führt dazu, dass derjenige, dessen Argumente am engsten mit den etablierten Wissenschaftserkenntnissen, dem Konsens, verbunden sind, auch die überlegene Lösung zu haben scheint. Doch überzeugen kann das so ohne weiteres nicht.

Schließlich wird dadurch die Streitfrage, wer hier Recht hat und wer nicht, auf eine erkenntnistheoretische Ebene verschoben (bleibt weiter ungeklärt, die Sache wird verkompliziert, der Diskurs erschwert). Und nur weil es in einer Streitfrage eine „herrschende Meinung“ gibt, heißt das nicht, dass diese die richtige ist (die Wahrheit hängt nicht von der Mehrheitsmeinung ab).

Auf zwei Wegen kann es dem Ökonomen gelingen, zur heilsverkündenden Intelligenz aufzusteigen.

Erstens: Die Ökonomen problematisieren die vorherrschenden Verhältnisse, ob nun gerechtfertigt oder nicht, engagieren sich als Elendspropagandisten. Sie sagen beispielsweise, die Wirtschaft sei zu krisenanfällig, die Einkommen der Arbeitnehmer wären zu gering, die Unterschiede zwischen Arm und Reich seien zu groß, die Gesundheitsversorgung sei unzureichend, die Umwelt werde zu stark belastet etc. Das macht selbstverständlich diejenigen, die diese Botschaften vernehmen und ihnen Glauben schenken, empfänglich für Lösungsvorschläge der heilsversprechenden Ökonomen –die dann sagen, dass mit diesen oder jenen Politikmaßnahmen des Staates künftig alles besser werde. Die Ökonomen müssen also per se interventionistisch gesinnt sein.

Zweitens: Die Ökonomen missinterpretieren gezielt die Ursachen der beklagten Missstände. Beispielsweise werden Finanz- und Wirtschaftskrisen erklärt als Folge der ungezügelten freien Märkte, des Kapitalismus, der Gier der Finanzinvestoren, der ungeregelten Globalisierung etc. Verschwiegen wird geflissentlich, dass für die unbestreitbar bestehenden Übelstände der Staat, der staatliche Interventionismus verantwortlich ist und nicht das System der freien Märkte.

Gerade die antikapitalistische Kritik, die heutzutage auf fruchtbaren Boden fällt, muss verwundern: Denn in der westlichen Welt gibt es schlichtweg kein System der freien Märkte, keinen Kapitalismus. Es herrscht vielmehr Interventionismus vor. Und folglich können auch alle zu beobachtenden Missstände nicht dem Kapitalismus angelastet werden, sondern die Ursache der Probleme ist im staatlichen Intervenieren zu suchen (und zu finden). Wenn die Ökonomen mit ihrer Missinterpretation in der Öffentlichkeit jedoch durchdringen, dann ist ihnen der Zuspruch des Staates (wie wir ihn heute kennen), seiner Repräsentanten und der Sonderinteressengruppen, die den Staat für ihre Zwecke einspannen (wollen), so gut wie sicher.

Nicht nur Lob und Belohnung wird solcherart orientierten Ökonomen zuteil (wie Sitze in Beratungsgremien der Regierung, neue Forschungsaufträge etc.). Sie steigen auch zu Heilsverkündern auf: Man spricht ihnen aufgrund ihrer (vermeintlichen) Kompetenz als Ursachenerklärer der Probleme nun auch die Um- und Weitsichtigkeit zu, die richtigen Problemlösungen vorzuschlagen. Diejenigen, die Positionen im Staat bekleiden (sei es als Regierungs- oder Oppositionspolitiker, Bürokraten), die vom Staat leben (wie öffentliche Angestellte, Betriebe, die staatliche Aufträge erhalten) oder die ihn für ihre Zwecke einspannen wollen (Stichworte: Lobbygruppen oder Big Business, Big Banking, Big Tech, Big Pharma), werden Beifall klatschen. Alle diese Sondergruppen profitieren davon, wenn die Heilsverkündung der Ökonomenzunft lautet: Der Staat muss beauftragt und befähigt werden, für Gutes zu sorgen, die Missstände im Wirtschafts- und Gesellschaftsleben aus der Welt zu schaffen – denn das System der freien Märkte sei das Problem, und der Staat und seine Tatkraft seien die Lösung.

Wohin das führt, hat Ludwig von Mises unmissverständlich mit seiner „Kritik des Interventionismus“ im Jahr 1929 formuliert: Wenn der Staat eingreift, um Probleme zu lösen, um bestimmte wünschenswerte Ziele zu erreichen, wird er diese Ziele entweder nicht erreichen; oder er wird sie erreichen, aber nur indem er Probleme schafft, die vorher nicht da waren, oder die da waren, aber durch nun den staatlichen Eingriff vergrößert und verschlimmert werden. Das wiederum löst weitere Interventionen aus. Eine Interventionsspirale kommt in Gang. Wenn man sie nicht zum Stillstand bringt, sie zurückschraubt, dann wird das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem früher oder später vollumfänglich durch den Staat gelenkt und gesteuert sein, werden die Reste des freien Marktsystems, die heute noch vorhanden sind, auch noch zerstört werden; eine staatliche Lenkungswirtschaft tritt an ihre Stelle.

Zum Status des Heilverkünders steigen die Ökonomen allerdings nicht auf, wenn sie die Volkswirtschaftslehre rein logisch, also als sogenannte apriorische Handlungswissenschaft konzeptualisieren.

Der Schlüssel zum Erfolg ist vielmehr, die Volkswirtschaftslehre als Erfahrungswissenschaft einzuordnen und zu betreiben. Dann nämlich können im Grunde alle Arten von staatsdienlichen Maßnahmen, wenn sie gut und verheißungsvoll klingen, zur Umsetzung empfohlen werden, wie zum Beispiel: Die Zentralbank muss den Zins in den Negativbereich drücken, das unterstützt Produktion und Beschäftigung; oder: Die Ausweitung der ungedeckten Geldmenge macht die Volkswirtschaft reicher; oder: Steuererhöhungen schwächen nicht etwa das Wirtschaftswachstum, vielmehr helfen sie, es zu befördern.

Zudem lassen sich Erfahrungstatbestände nach politischem Gusto recht einfach uminterpretieren: Nicht die staatliche Zentralbank sorgt für Inflation, sondern steigende Energiepreise; oder: Der Kapitalismus verursacht Finanz- und Wirtschaftskrisen, nicht der Interventionismus; und so weiter.

Als Teil der Reflexionselite, der heilsverkündenden Intelligenz haben die interventionistisch gesinnten Ökonomen kein dienendes Selbstverständnis, sondern ein herrschaftliches. Und in ihren Händen wird die Volkswirtschaftslehre zu einem scharfen Instrument, um bestehende Herrschaftsverhältnisse zu begründen oder neue zu legitimieren. Helmut Schelsky benannte die Problematik der Intellektuellen in der Rolle der Heilsverkünder:

Die Wirkungsmacht dieser Träger einer neuen sozialen Heilsverkündung beruht darauf, daß sie zugleich sozial unaufgebbare gesellschaftliche Leistungen erfüllen und diese ihren subjektiven meinungs- oder glaubenshaften Letztwerten unterordnen und von daher gesellschaftsgegnerisch praktizieren können. Die ‚Intellektuellen‘ sind von den Selbstbehauptungsinteressen der Gesellschaft her gesehen funktional ebenso unentbehrlich wie gefährlich.[18]

Die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Intellektuellen, die zur Klasse der Herrschenden gehören wollen, einen Anreiz haben, den Staat in ihrem Sinne zu gestalten, indem in Bürokratie, Parteien, Schulen, Universitäten, Forschungsanstalten ihre Jünger platziert werden. Die falsche Priesterschaft übernimmt quasi den Staat nach und nach von innen heraus. Dabei wird die Wissenschaft, solange sie noch als Autorität gilt, für Herrschaftszwecke instrumentalisiert. Der Herrschaftsanspruch, dem sich alle unterwerfen sollen, lautet: „Follow the science“.

Schritt 4

Sie suchen nach einem konkreten Anwendungsbeispiel für die Instrumentalisierung der Intellektuellen beziehungsweise ihren Herrschaftsanspruch? Kein Problem: Denken wir nur einmal an den „Great Reset“.

Bei ihm handelt es sich um die Idee, die Weltwirtschaft und Weltgesellschaft umzubauen. Oder, wie ich es begreiflich zu machen suche: Hinter dem Begriff „Great Reset“ verbirgt sich ein Macht- und Herrschaftsanspruch. Ihm zufolge sollen die Menschen auf dem Planeten ihre Geschicke nicht in einem freien Marktsystem gestalten, sondern ihr Handeln, ihre Handlungsmöglichkeiten sollen von zentraler Stelle – einer zentralistischen-korporatistischen-technokratischen Gruppierung oder Elite, die sich der staatlichen Macht bedient – gelenkt werden.

Der Great Reset setzt sich aus einer Reihe von Bausteinen zusammen.[19] Hier die wichtigsten:

„Stakeholder capitalism“. Darunter ist zu verstehen, dass die Eigentümer der Unternehmen nicht mehr nur ihre eigenen Interessen, sondern vor allem auch die Interessen Dritter bedienen sollen. Stakeholder Capitalism ist im Grunde ein Euphemismus für eine Einschränkung (wenn nicht gar Teilenteignung) der Eigentumsrechte der Unternehmenseigner.

„Environmental, Social, and Corporate Governance“ („ESG“): Kapitalanleger werden gedrängt, in Unternehmen zu investieren, die das ESG-Siegel tragen – und ein gutes ESG-Siegel wird nur verliehen an die Unternehmen, die sich an politisch vorgegebene Kriterien halten. ESG läuft also auf politische Lenkung der Kapitalinvestitionen hinaus.

„Wokeismus“: Dahinter verbirgt sich die psychologische Idee, Konflikte zwischen den Menschen herbeizureden, den friedvollen Zusammenhalt der Menschen zu zersetzen, den Menschen Schuld- und Minderwertigkeitskomplexe einzureden, etwa dass es ihnen nur gut geht, weil es dafür anderen schlecht geht; dass es gut und richtig ist, weniger zu wollen. Wokeismus sorgt unter anderem dafür, dass die Menschen sich innerlich vom Kapitalismus, vom Leistungsprinzip, vom Streben nach einem besseren materiellen Leben verabschieden.

„Klima-Katastrophismus“: Er ist in ganz besonderer Weise eine Art Neuauflage der marxistischen Verelendungstheorie, der zufolge die Erde und ihre Bewohner sterben, wenn nicht die Staaten das Ruder übernehmen und umsteuern, und zwar indem sie das System der freien Märkte, die individuelle Freiheit einhegen, zurückdrängen, aussetzen.

„Transhumanismus“: Die Idee, die Möglichkeiten des Menschen durch den Einsatz moderner Technologien zu erweitern, genauer: Das, was das Menschsein ausmacht, zu „Hacken“, sein geistiges Wesen zu Computerisieren.

„Vierte Industrielle Revolution“ („4-IR“): Das ist die Umwälzung der herrschenden Produktions- und Gesellschaftsverhältnisse durch neue Technologien (Künstliche Intelligenz, Robotik, Genetik), Machine-to-machine-Communication, Smart Contracts, Internet of Things, Internet-of-Bodies, Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und Mixed Reality (MR), das Metaverse etc.

Nun könnte man die Bausteine des Great Reset durchaus als so etwas wie Zukunftsvisionen einstufen, als übersteigerte techno-futuristische Luftschlösser, die nur vorübergehend unsere Aufmerksamkeit erheischen und sich bald in nichts auflösen.

Ja, wäre da nicht das immer stärkere Ineinandergreifen von Staat und Großunternehmen, das unverfänglich klingende Public-Private-Partnership, das die Eingriffsmöglichkeiten des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft gewaltig ausweitet; und das auch Großunternehmen erlaubt, sich der Staatsmacht für die eigenen Zwecke zu bedienen.

Und das ist es, was den Great Reset bedrohlich macht: Der Staat, eine Großunternehmen-Staats-Vermischung gelangt an alle Daten der Menschen, erhält ungeahnte Überwachungs-, Kontroll- und Lenkungsmacht. Der Great Reset, in die Praxis umgesetzt, so wie es sich die Vertreter des World Economic Forum erträumen, führt zu einer Dystopie, die George Orwells „1984“ harmlos aussehen lässt.

Doch der Great Reset ist „nur“ eine Idee, die den Menschen als gut und richtig, als wegweisend, wünschenswert und unumgänglich serviert wird – und zwar maßgeblich auch (nicht nur, aber vor allem auch) von wissenschaftlichen Intellektuellen, die den Great-Reset-Plan mitentwerfen, ihn zu verbreiten helfen, seine Kritiker in die Schranken weisen, diffamieren und diskreditieren.

Der Great-Reset-Plan wird angepriesen von (nicht nur, aber auch) intellektuellen Elendspropagandisten und Heilsversprechern mit Hinweis auf Wissenschaftlichkeit, insbesondere im Bereich von Klima und Gesundheit, aber vor allem auch mit Blick auf wirtschaftspolitische Weichenstellungen.

Die Befürworter und Antreiber des Great Reset-Plans setzen unverkennbar auf die für viele Menschen immer noch beeindruckende, nicht in Zweifel zu ziehende Überzeugungskraft der Wissenschaft. Ohne die Rückendeckung der Intellektuellen wäre das Vordringen des Great-Reset-Plans in dieser Weise kaum denkbar; und wohl auch nicht ohne die Annahme, dass zumindest einige Intellektuelle einem Herrschaftsanspruch nachjagen, zur Priesterkaste aufsteigen wollen.

Sie, liebe Leser, sind an dieser Stelle vielleicht interessiert, meine persönliche ökonomische Deutung des Great-Reset zu hören? Nun, mit Blick auf die gesellschaftstheoretischen Grundpositionen meine ich, deutliche Fingerabdrücke erkennen zu können, die darauf verweisen, dass es sich beim Great Reset in letzter Konsequenz um so etwas wie einen Neomarxistischen Umsturzentwurf der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse handelt.

Der Idee der marxistischen Verelendungstheorie folgend, wird den Menschen Furcht und Schrecken eingejagt (der Planet überhitzt, alle werden sterben, wenn der Staat nicht handelt; Viren werden unsere Gesundheit zerstören, wenn wir uns nicht isolieren und impfen), um sie gefügig, steuerbar zu machen.

Und gleichzeitig werden die negativen Folgen, die enormen Missbrauchsmöglichkeiten, die beispielsweise mit der Digitalisierung des Menschseins verbunden sind, kleingeredet, Kritik wird verächtlich gemacht, aus dem Diskurs gedrängt.

Doch nicht nur Furcht und Schrecken sowie Zensur der Kritik setzen die Staaten (und die Sonderinteressengruppen, die sich des Staates bedienen) ein, sie verweisen vor allem auch auf Wissenschaftsergebnisse – denn die sind in den Augen der Menschen (zumindest bisher) immer noch von großer Überzeugungskraft.

Doch sind die Wissenschaftsergebnisse, die der Staat und die Sonderinteressengruppen finanzieren, vertrauenswürdig? Ist auf den Rat der gekauften Intellektuellen Verlass? Skepsis ist angeraten. Denn das, was der Great-Reset verklausuliert errichten will, ist ein Sozialismus-Feudalismus, die Enteignung der Eigentümer, der Umsturz der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die Herrschaft der einen über die anderen. Und als Ökonom kann man sagen, was das Ergebnis sein wird: Mangel, Chaos, Gewalt, Terror und für viele Menschen ein vorzeitiges Ende.

Schritt 5

Sie werden jetzt vermutlich fragen: Was soll und kann man dagegen machen? Wie kann man verhindern, dass – nimmt man Schelskys Analyse als zutreffend an – die Volkswirtschaften durch die Priesterherrschaft der Intellektuellen in die Unfreiheit, in wirtschaftliche und zivilisatorische Degeneration abgleiten?

Wenn der Staat (beziehungsweise die Nettosteuerzahler gezwungenermaßen) die Heerscharen von Intellektuellen nicht mehr finanzieren, dann ist das Problem der Priesterherrschaft der Intellektuellen vermutlich bereits weitestgehend gelöst.

Es läuft also darauf hinaus, den Markt für Bildung zu privatisieren. Schulen und Universitäten müssten sich fortan im freien Markt bewähren.

Und kann man mit dem Intellektuellendasein seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten, weil es keine freiwillige Zahlungsbereitschaft für das gibt, was der Intellektuelle anzubieten hat, werden auch entsprechend wenige ein Dasein als Intellektueller fristen wollen und können – und sich Tätigkeiten zuwenden, die von anderen freiwillig nachgefragt werden.

Und vor allem muss der Staat auf das Stärkste schrumpfen. Schwindet seine Macht, schwinden auch die Möglichkeiten, dass Sonderinteressengruppen die Macht des Staates für eigene Zwecke einnehmen können. Die Dienste der Intellektuellen zur Beeinflussung der Öffentlichkeit werden entsprechend weniger nachgefragt. Der Möglichkeit, dass die Priesterherrschaft der Intellektuellen in die Ränge der Staatsmacht aufsteigt, den Staat nach eigener Interessenlage von innen heraus umformt, wird ein Riegel vorgeschoben.

Ein nicht minder wichtiger Schritt ist ein erkenntnistheoretischer: Die Menschen müssen wieder darüber aufgeklärt werden, dass es Grenzen der Wissenschaftlichkeit gibt, dass es Dinge und Phänomene gibt, die wir zwar gern mit wissenschaftlichen Mitteln in Erfahrung bringen wollen, es aber leider nicht können.

Ein wichtiger Ansatzpunkt dabei ist, die Überschätzung des Erfahrungswissens zu korrigieren. In vielen wissenschaftlichen Anwendungen kann man sich nicht auf Erfahrungswissen verlassen.

Der Grund ist der Folgende: Nur weil man in der Vergangenheit eine bestimmte Beobachtung gemacht hat (wie: Wenn A, dann B), dann heißt das nicht, dass dieser Zusammenhang auch künftig gelten wird; und wenn man in der Vergangenheit niemals „Wenn A, dann B“ beobachtet hat, dann heißt das nicht, dass man künftig nicht vielleicht doch „Wenn A, dann B“ beobachten wird.

In der Klimawissenschaft bedient man sich in nicht unerheblichem Maße – und ich darf sagen: fehlerhafterweise – des Erfahrungswissens. Man verwendet etwa historische Daten, um Zusammenhänge zu erkunden – und Rückschlüsse für künftige Folgen zu ergründen. Ein solches Vorgehen kann – aus erkenntnistheoretischen Gründen – keine wissenschaftlich exakten Erkenntnisse in der Art bereitstellen, wie sie der breiten Öffentlichkeit weisgemacht werden sollen.

Vor allem ist auch verständlich zu machen, dass die Wirtschaftswissenschaft keine Erfahrungswissenschaft ist, dass sie sich widerspruchsfrei nur als apriorische Handlungswissenschaft konzeptualisieren lässt.

In der Ökonomik lassen sich mit logischem Denken Gesetzmäßigkeiten aufspüren. Wir können beispielsweise mit Gewissheit sagen: Der Sozialismus lässt sich nicht durchführen; die Erhöhung der Geldmenge verringert die Kaufkraft der Geldeinheit; das Heruntermanipulieren des Marktzinses durch die Zentralbank löst einen Boom aus, der in einem Bust enden muss; der staatliche Interventionismus endet, wenn man sich nicht von ihm abkehrt, im Sozialismus. Um das zu wissen, muss man keine Tests durchführen, man kann es durch reines Nachdenken ergründen.

Wenn die Ökonomik als apriorische Handlungswissenschaft akzeptiert wird, dann können falsche Hoffnungen und Versprechungen durch strenges Nachdenken entzaubert werden. Für eine falsche Priesterherrschaft der Intellektuellen – der instrumentalisierten und instrumentalisierenden Ökonomen – bleibt in wirtschaftstheoretischen und wirtschaftspolitischen Fragestellungen dann kein Raum mehr.

Damit, sehr verehrte Leser, bin ich am Ende meiner Ausführungen angelangt.

Begonnen haben wir mit der Einsicht, dass es Ideen sind, die unser Handeln leiten.

Dass die Intellektuellen in besonderem Maße die Ideen der Menschen und damit auch deren Handlungen beeinflussen.

Und dass sich der Staat und andere Interessengruppen der Intellektuellen bedienen, um die Ideen der Menschen gemäß ihren Zwecken zu beeinflussen.

Doch die Intellektuellen sind nicht nur Instrumentalisierte, sie sind auch Instrumentalisierende: Sie können die Ideen der Menschen für ihre Zwecke formen, sich über den Staat selbst ermächtigen, an Herrschaftsmacht gelangen, helfen, den Staat allmächtig werden zu lassen.

Die Lösung dieses Problems ist, (1.) den Intellektuellen die staatliche Finanzierung zu versagen, ihnen aufzugeben, sich im freien Markt mit ihren Erzeugnissen zu bewähren. (2.) Den Staat auf das Stärkste zu verkleinern, denn dann gibt es keine Macht mehr, mit denen die einen die anderen beherrschen können.

Es geht letztlich um eine Wiederbelebung der Aufklärung, wie sie der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) schon einmal mit seinem Wahlspruch der Aufklärung „sapere aude!“ eingefordert hat: Habe den Mut, selbst zu denken, und überwinde deine Feigheit und deine Faulheit! Kants Aufklärung ist eine Absage an obrigkeitshörige Unterwürfigkeit, an blindgläubigen Obrigkeitsgehorsam, ist eine Aufforderung an jeden, mit eigenem Denken sein eigenes Leben zu führen. Und wenn wir uns unseres Verstandes bedienen, dann erkennen wir: Es gibt keine Begründung, dass die einen die anderen beherrschen sollten oder dürften. Und dass die falsche Priesterherrschaft der Intellektuellen – auf der die Herrschaft der einen über die anderen heutzutage aufgebaut ist – nichts anderes ist als fauler Zauber. Zugegeben: meist sehr schlauer, intelligenter fauler Zauber, aber eben doch: fauler Zauber.

*****

[1] Siehe hierzu Mises (1940), Nationalökonomie, S. 11 ff. Wer sich etwas auskennt mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Ökonomik, wie sie Ludwig von Mises maßgeblich ausgearbeitet hat, der kennt den Satz „Der Mensch handelt“. Er klingt trivial. Aber er ist alles andere als das. Man kann den Satz „Der Mensch handelt“ nicht widerspruchsfrei verneinen. Wenn Sie sagen „Herr Polleit, ich bitte sie, der Mensch kann auch nicht handeln“, dann handeln sie und widersprechen dem Gesagten. Der Satz „Der Mensch handelt“ ist ein Apriori: Das heißt, er lässt sich nicht verneinen, ohne seine Gültigkeit dadurch bereits als wahr anzuerkennen. Wer den Satz „Der Mensch handelt“ verneint, der verursacht einen logischen Widerspruch und sagt damit etwas Falsches. Dies mag Ihnen bereits verdeutlicht haben, dass die Logik des menschlichen Handelns – eine a priori wahre Aussage – einen Ausgangspunkt bietet, um weitere wahre Sätze ableiten zu können.

[2] Siehe Mises (1957), Theory & History, S. 3–4.

[3] Siehe Hoppe (1983), Kritik der kausalwissenschaftlichen Sozialforschung.

[4] https://sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/lenin/1918/wladimir-i-lenin-ueber-demokratie-und-diktatur

[5] Rothbard (2006), For A New Liberty, S.67, eigene Übersetzung.

[6] Siehe Schumpeter (1942), Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie, S. 145 ff.

[7] Siehe Hayek (1949), The Intellectuals and Socialism.

[8] Siehe Mises (1956), The Anti-Capitalist Mentality, S. 15 ff.

[9] Schelsky (1975), Die Arbeit tun die anderen, S. 52.

[10] Ibid, S. 116: „Die sich ständig erhöhende Kompliziertheit, Verflochtenheit und Abstraktion der Sozialbeziehungen in modernen großräumigen Gesellschaften mit ihrer Informationsüberflutung, ihrer unbeschränkten Kritikfreiheit und dem Vordrängen jeglicher Subjektivität ohne Verantwortungszurechnung für die realen Folgen bereiten den Boden für die Sozialreligiösität.“

[11] Ibid, S. 56–57.

[12] Ibid, S. 52.

[13] Ibid, S. 143.

[14] Ibid, S. 16.

[15] Ibid, S. 15–16.

[16] Ibid, S. 143–144.

[17] Siehe hierzu Mises (1998), Human Action, S. 866–868.

[18] Ibid, S. 142.

[19] Siehe Rectenwald (2023), The Great Reset.

*****

Professor Dr. Thorsten Polleit ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa, Europas größtem Edelmetallhandelshaus. Davor war er als Ökonom 15 Jahre im internationalen Investment-Banking tätig. Thorsten Polleit ist zudem Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institut, Auburn, Alabama, Mitglied im Forschungsnetzwerk „ROME“ und Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Im Jahr 2012 erhielt er den The O.P. Alford III Prize In Political Economy. Thorsten Polleit ist Autor zahlreicher Aufsätze und Bücher: „Vom Intelligenten Investieren“ (2018), „Mit Geld zur Weltherrschaft“ (2020), „Der Antikapitalist“ (2020), „Ludwig von Mises. Der kompromisslose Liberale“ (2022) und „Der Weg zur Wahrheit. Eine Kritik der ökonomischen Vernunft“ (2022). Die Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.comHier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.

*****

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Das Ludwig von Mises Institut Deutschland e.V. setzt sich seit Jahren für die Verbreitung der Lehre der Österreichischen Schule der Nationalökonomie ein. Freiheit gibt es nicht geschenkt, sie muss stets neu errungen und erhalten werden. Bitte unterstützen Sie daher das Ludwig von Mises Institut Deutschland mit einer Spende, damit wir uns weiterhin für unser aller Freiheit einsetzen können!

Spendenkonto:

Ludwig von Mises Institut Deutschland e. V.

IBAN: DE68 7003 0400 0000 1061 78

BIC: MEFIDEMM

Merck Finck A Quintet Private Bank (Europe) S.A. branch

Verwendungszweck: Spende

Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

Soziale Medien:
Kontaktieren Sie uns

We're not around right now. But you can send us an email and we'll get back to you, asap.

Nicht lesbar? Text ändern. captcha txt

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen