„Allmächtiger Staat“ ist eine Mahnung und passt in die Zeit

7. Juli 2023 – von Burkhard Sievert

Rezension des Übersetzers über Ludwig von Mises Buch: “Allämchtiger Staat: Der Aufstieg des totalen Staates und der totale Krieg”.

Das Jahr 1944 war ein Jahr für herausragende Bücher von großer zeitgeschichtlicher Bedeutung, die auch heute nichts von ihrer Relevanz verloren haben. Im englischen Original erschienen Friedrich August von Hayeks The Road to Serfdom, John T. Flynns As We Go Marching By und Ludwig von Mises Omnipotent Government. Die jetzt erschienene deutschsprachige Übersetzung des Werkes von Ludwig von Mises trägt den Titel Allmächtiger Staat – Der Aufstieg des totalen Staates und der totale Krieg. Es beruht auf dem Manuskript von Im Namen des Staates. Anders als im Manuskript ist in der englischen Ausgabe der Rolle des Antisemitismus in Europa – nicht nur in Deutschland – ein eigenes Kapitel gewidmet. Das Buch Allmächtiger Staat ist gekennzeichnet von klarer Sprache und klarem Geist. Mises spricht sich aus gegen jegliche Form von Totalitarismus und für Liberalismus. Das Buch ist thematisch und chronologisch in vier Teile gegliedert. Ausführlich schildert Mises im ersten Teil den Aufstieg und den Zusammenbruch des deutschen Liberalismus. Darauf aufbauend widmet er sich im zweiten Teil der Idee des Etatismus. Im dritten Teil geht er den Quellen des Nationalsozialismus nach. Im vierten Teil entwirft Mises eine liberale Friedensordnung für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

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Der Mensch ist frei geboren …

Die liberalen Ideen kamen zum Ende des 18. Jahrhunderts aus Frankreich und England nach Deutschland. Liberté war eines der Schlagworte der französischen Revolution. Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller führten ihren Lesern in ihren Schriften die freiheitlichen Gedanken zu. Es waren diese Ideen, die die alten monarchischen Ordnungen in ganz Europa stürzten und die zur Demokratie, zum Kapitalismus, zu technologischem Fortschritt und damit zu beispiellosem Anstieg des Lebensstandards führten.

Der „Nachtwächterstaat“, wie Ferdinand Lassalle den liberalen Staat verächtlich nannte, ist ein Produzent von Sicherheit und Frieden. Der Schutz des Eigentums ist die einzige legitime Aufgabe des Staates, denn keiner im Staat kann über mehr verfügen als das, über das er Verfügungsgewalt hat.

Die wesentliche Lehre des Liberalismus ist, dass die gesellschaftliche Kooperation und die Arbeitsteilung nur in einem auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln, d. h. in einer Marktwirtschaft, dem Kapitalismus, beruhenden Wirtschaftsverfassung verwirklicht werden können. Alle anderen Prinzipien des Liberalismus – Demokratie, persönliche Freiheit des Einzelnen, Rede- und Pressefreiheit, religiöse Toleranz, Frieden zwischen den Völkern – sind Folgen dieses Grundpostulats. Sie können nur in einer Gesellschaft verwirklicht werden, die auf Sondereigentum basiert. (Allmächtiger Staat, S. 96)

… und überall liegt er in Ketten

Der Etatismus – ob sozialistisch oder interventionistisch – führte zur Errichtung des Totalitarismus, so Ludwig von Mises. Zeitgleich kam Friedrich August von Hayek in seinem Weg zur Knechtschaft zur selben Erkenntnis. Die Idee des Etatismus kam aus Frankreich nach Deutschland. Wie schon Alexis de Tocqueville in seinem Buch Der alte Staat und die Revolution feststellte, überdauerten die Institutionen des alten Staates die Französische Revolution. Der Thron des Königs konnte von den Liberalen nicht umgestoßen werden, die Etatisten saßen nun statt des Königs drauf. Im Liberalismus hält sich die Regierung aus der Wirtschaft heraus, im Etatismus lenkt sie die Wirtschaft. Die Idee des Etatismus vertrieb die Idee des Liberalismus aus Deutschland. Mit dem Zusammenbruch des alten Staates wurde aus dem absolutistischem „Der Staat bin ich“ das etatistische „Der Staat ist Gott“.

In unserer Welt des Etatismus, in der jede Nation bestrebt ist, sich abzuschotten und nach Autarkie zu streben, ist es völlig falsch zu behaupten, dass kein Mensch aus Eroberungen einen Vorteil ziehen kann. Im Zeitalter von Handelsmauern und Migrationsschranken, von Devisenkontrolle und Enteignung ausländischen Kapitals gibt es reichlich Anreize für Krieg und Eroberung. (Allmächtiger Staat, S. 30)

Der einzige Weg zu dauerhaftem Frieden besteht laut Mises darin, die Kriegsursachen zu beseitigen und die diese liegen im Etatismus, dem Trend zur staatlichen Lenkung der Wirtschaft. Mises legt dar, dass der Interventionismus sinn- und zweckwidrig ist, denn die staatlichen Eingriffe erzielen stets das Gegenteil des vorgeblichen Zwecks. Im Ergebnis steht ein Zustand, der aus der Sicht ihrer Befürworter noch unerwünschter sein müsste, als der vorherige, den sie verändern sollten, außer sie beabsichtigten mit dem Interventionismus gerade den Weg in den vollumfänglichen Etatismus. Denn der Interventionismus führt über die Interventionsspirale in die allumfassende Staatslenkung der Wirtschaft, es sei denn, die Regierung lässt von ihren Eingriffen ab. Die dauernden Interventionen der Regierung ersetzen die Marktwirtschaft durch das deutsche Modell der sozialistischen Planung. Schon Keynes hatte bei seinem Besuch in Berlin 1935 lobend darauf hingewiesen, dass Länder mit kollektivem Totalitarismus besonders geeignet für die Verwirklichung seiner ökonomischen Theorien seien.[1] Entweder Kapitalismus oder Sozialismus, ein Mittelding gibt es nicht, so Ludwig von Mises. Der Sozialismus ist undurchführbar, weil sich in einem System, bei dem es weder Angebot noch Nachfrage gibt, keine Preise bilden können und deshalb eine Wirtschaftsrechnung unmöglich ist. Auch dieses legt Ludwig von Mises in seinem Buch ausführlich dar.

Der Sozialismus wäre völlig undurchführbar, wenn er als weltweites Produktionssystem eingeführt und damit der Möglichkeit beraubt würde, Wirtschaftsrechnungen aufzustellen. Wenn er sich auf ein oder wenige Länder inmitten einer kapitalistischen Weltwirtschaft beschränkt, ist er nur ein ineffizientes System. Und von den beiden Modellen zu seiner Verwirklichung ist das deutsche weniger ineffizient als das russische. (Allmächtiger Staat, S. 110)

Im Gegensatz zum sowjetischen Sozialismus lässt der deutsche Sozialismus die Fassade des Kapitalismus stehen, er ist ein als Kapitalismus getarnter Sozialismus. Die Unternehmer blieben zwar formal Eigentümer, die Regierung aber befiehlt, was und zu welchem Preis sie ihre Produkte zu verkaufen haben. Der Nationalsozialismus setzte acht der zehn Forderungen aus dem Kommunistischen Manifest um.

Die beiden verbleibenden Forderungen (nämlich die Expropriation des Sondereigentums an Grund und Boden und die Verwendung der Bodenrenten für Staatsausgaben sowie die Abschaffung des Erbrechts) haben die Nationalsozialisten noch nicht durchgeführt. (Allmächtiger Staat, S. 244)

Der deutsche Nationalsozialismus war nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland die einzige Gegenmacht gegen den internationalen Sozialismus, den Kommunismus. Die Machtübernahme durch die Kommunisten scheiterte Anfang 1919. Nationale Kräfte verhinderten schon im Jahr 1919,

dass die Kommunisten alle Nichtproletarier, die sich ihnen entgegenstellen, ausrotten, wie der Bolschewismus es in Russland getan hatte. (Allmächtiger Staat, S. 304)

Den Liberalismus gab es in Deutschland nicht mehr. Es gab zwar verhasste und verrufene Grundsätze, verächtlich war aber allein der Liberalismus.[2] Mises stellte fest, dass die Weimarer Republik von Anfang an ihrem Untergang geweiht war. Die Deutschen wollten Demokratie, doch im Jahr 1933 hatten sie nur noch die Wahl zwischen zwei kollektivistischen Totalitarismen, dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus.

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„Wissenschaft“ im Dienst der Politik hat einen Konkurrenten: die Realität

Die deutsche Kultur war an dem Tag dem Untergang geweiht, als einer der bedeutendsten deutschen Wissenschaftler – Emil du Bois-Reymond – sich am 3. August 1870 öffentlich und unwidersprochen rühmen konnte, die Universität Berlin sei ‘die geistige Leibgarde des Hauses Hohenzollern’. Wo die Universitäten zur Leibgarde werden und die Gelehrten sich eifrig in einer “wissenschaftlichen Front” aufreihen, sind die Tore für den Einzug der Barbarei geöffnet. (Allmächtiger Staat, S. 41)

Ein Reiz dieses Buches, Geschichte aus der Sicht eines Zeitzeugen besser zu verstehen, liegt darin, dass das „Deutschland, in dem wir gut und gerne leben,“ heute ein Land ist, in dem die herrschende Meinung geschichtliche Aussagen nicht danach beurteilt, ob sie wahr oder falsch sind, sondern danach, ob ihre zu erwartende Wirkung gesellschaftspädagogisch erwünscht ist oder nicht, das heißt, ob die Aussagen politisch korrekt sind. Für den epistemischen Status einer Aussage als wahr oder falsch sind ihre Entstehungs- und Wirkungsgeschichte irrelevant, ebenso wie deren Akzeptanz oder Ablehnung. Der Status einer falschen Aussage ändert sich nicht, wenn viele oder sogar alle sie für eine wahre Aussage halten. Da sich Mises als Nationalökonom der Wahrheit, dem Streben nach Erkenntnis verpflichtet fühlt, hat dieses Buch in dieser Hinsicht dem Leser einiges zu bieten. Natürlich bezieht sich das o. g. Zitat von Ludwig von Mises auf dessen Wissenschaftskollegen von den „wirtschaftlichen Staatswissenschaften“, doch lässt es sich auch „gut und gerne“ auf die heutige Zeit übertragen.

Die Säkularisierung trennte die weltliche und die geistige Macht. In einem Land, dessen geistige Macht (die Wissenschaft) sich der weltlichen Macht (der Politik) andient, wird die Säkularisierung rückgängig gemacht. Eine solche politisierte „Wissenschaft“ verleugnet ihren Auftrag, denn Wissenschaft, die ihren Namen verdient, eliminiert unzutreffende Annahmen, um einen Erkenntnisgewinn zu erzielen. Damals wie heute wird derjenige, der die Wahrheitsansprüche dieser politisierten „Wissenschaft“ nicht anerkennt, als Ketzer gebrandmarkt. Schon Marx schlug seinen Anhängern in seiner Kritik der hegelschen Rechtsphilosophie die Methode des argumentum ad personam vor, also den Kritiker als Feind anzusehen und ihn zu vernichten, vgl. Karl Marx (1843): Kritik der hegelschen Rechtsphilosophie, S. 380, Hervorhebung im Original.

Der Ketzer wird lächerlich gemacht, beschimpft, ignoriert. Es gilt inzwischen als unverschämt oder empörend, die Ansichten mächtiger Interessengruppen oder politischer Parteien zu kritisieren oder die segensreiche Wirkung staatlicher Allmacht anzuzweifeln. Die öffentliche Meinung hat sich eine Reihe von Dogmen zu eigen gemacht, die man immer weniger angreifen kann. Im Namen des Fortschritts und der Freiheit werden sowohl der Fortschritt als auch die Freiheit geächtet. (Allmächtiger Staat, S. 38)

Noch einmal zur Erinnerung: Diese Sätze wurden 1944 formuliert, nicht im Jahr 2023. Sie haben heute nichts an Aktualität verloren, weil dieses Verhalten typisch für eine totalitäre Gesellschaftsordnung ist. Da in einer totalitären Gesellschaftsordnung die „uneingeschränkte Freiheit des Denkens und der Rede“ nicht mehr gegeben ist, kann es in ihr auch keine Freiheit der Wissenschaft geben. In einem Land, in dem die Wahrheit einer Aussage – im Sinne der zutreffenden Darstellung – geächtet und durch obrigkeitsstaatliche Erwünschtheit ersetzt wird, geht folglich auch die Freiheit verloren.

Die Welt braucht mehr Ludwig von Mises, weniger Karl Marx

Es tut gut, die Begriffe „liberal“ und „Liberalismus“ in ihrer ursprünglichen Bedeutung zu lesen, denn im Laufe der Jahrzehnte wurden diese Begriffe oft missbraucht und ihre Bedeutung in ihr Gegenteil verdreht. „Freiheit ist Sklaverei“ heißt diese Bedeutungsverdrehung bei George Orwell. Der Liberale ist kein Etatist, denn dann könnte die Freiheit des Einzelnen nicht mehr das höchste Ziel sein. Freiheit oder Gleichheit, das sind die Alternativen, zwischen denen der Mensch zu wählen hat. Entweder Freiheit oder Gleichheit, etwas anderes gibt es nicht. Als kompromissloser Liberaler wählt Ludwig von Mises die Freiheit. Es ist höchste Zeit für die Libertären – so nennen sich die Liberalen von einst heute – sich den Begriff „liberal“ von den Pseudoliberalen zurückzuholen. Das Buch Allmächtiger Staat von Ludwig von Mises ist ein guter Anfang dafür. Es wäre sicherlich noch einiges zu sagen über dieses Buch. Über Ernest Renan und die nationale Selbstbestimmung, über Antisemitismus, über die Wahnvorstellung einer Weltregierung, über den Einsatz von staatlich bezahlten Schlägertrupps gegen Regierungskritiker und vieles mehr. In einem Staat, in dem die Freiheit des Denkens, der Rede und die des eigenen Körpers von denen verletzt werden, die sie eigentlich schützen sollen, feiert der Totalitarismus fröhliche Urstände. Echte Liberale bedarf es heute dringender denn je. Europas Erfolgsrezept ist der Liberalismus, der Respekt vor dem Eigentum, der durch den Wettbewerb kleiner, politisch autonomer Einheiten um die Leistungsträger zustande kam. Es braucht mehr Ludwig von Mises, weniger Karl Marx und vor allen Dingen braucht es die Erkenntnis, dass die Freiheit gegen den Staat errungen werden muss. Sie wird dem Menschen nicht von der Obrigkeit gegeben, der Mensch muss sie sich nehmen.

Die Freiheit kann nur von Menschen errungen werden, die sich bedingungslos zu den Prinzipien der Freiheit bekennen. Die erste Voraussetzung für eine bessere Gesellschaftsordnung ist die Rückkehr zur uneingeschränkten Freiheit des Denkens und der Rede. (Allmächtiger Staat, S. 41)

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[1] Vgl. Gerard Radnitzky (2006): Das verdammte 20. Jahrhundert, S. 161.

[2] Vgl. Oswald Spengler (1924): Preußentum und Sozialismus, S. 33. Vom selben Autor stammt auch, dass Krieg die ewige Form höheren menschlichen Daseins sei, und Staaten um des Krieges willen da seien, vgl. ebenda S. 55.

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Burkhard Sievert engagiert sich als Sektionsleiter in der Atlas Initiative. Er hat von Anthony de Jasay die Bücher Der Gesellschaftsvertrag und die Trittbrettfahrer, Gegen Politik sowie Der Indische Seiltrick übersetzt und das Buch Liberalismus neu gefasst wiederaufgelegt. Kürzlich legte er das Buch Allmächtiger Staat als deutsche Übersetzung von Ludwig von Mises Omnipotent Government vor.

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