Freiheit beginnt beim Ich – Interview mit Anna Schneider
27. Januar 2023 – Interview mit Anna Schneider, Juristin und Journalistin und Autorin des Buches „Freiheit beginnt beim Ich: Liebeserklärung an den Liberalismus“
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Ludwig von Mises Institut Deutschland (LvMID): Liebe Frau Schneider, herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft zu einem Interview über Ihr neu erschienenes Buch! Was hat Sie motiviert, eine „Liebeserklärung an den Liberalismus“ zu schreiben, wie der Untertitel Ihres Buches lautet? Waren Sie „schon immer“ liberal oder gab es Schlüsselerlebnisse?
Anna Schneider (AS): Ganz grundsätzlich denke ich, dass es gar keinen ungünstigen Zeitpunkt geben kann, um dem Liberalismus eine Liebeserklärung zu widmen. Zumal in einem Land, das kurz vor der Anerkennung von Freiheitsskeptizismus als zivilreligiöser Geisteskampfsportart steht. Ludwig von Mises hatte schon sehr recht, als er meinte, dass der Hass gegen den Liberalismus das Einzige sei, in dem sich die Deutschen einig sind. Aber den konkreten Ausschlag, dieses Buch zu schreiben, gab wohl tatsächlich die Coronapandemie und all ihre unsäglichen Freiheitseinschränkungen, die ich auch im Zuge meiner Tätigkeit als Chefreporterin bei WELT oft kritisiert habe.
[Deutschland ist ein] … Land, das kurz vor der Anerkennung von Freiheitsskeptizismus als zivilreligiöser Geisteskampfsportart steht.
Mein eigenes liberales Bewusstsein ist mit den Jahren gewachsen – und wächst noch immer. Ein Schlüsselerlebnis lässt sich daher schwer bezeichnen, aber es gibt etwas, das mein liberales Denken sehr geprägt hat, und zwar die Entwicklung identitätspolitischer und politisch korrekter Sprache und Politik, die in ihrer Illiberalität nicht zu unterschätzen ist. Aus diesem Grund habe ich mich auch vor einigen Jahren entschlossen, im Selbstversuch ein Semester Gender Studies an der Universität Wien zu studieren, um mir diese Schneeflockenproduktionsstätte einmal aus nächster Nähe anzusehen – und ich wurde nicht enttäuscht. Es ist ein reines Opferstudium, bei dem nicht wissenschaftliche Erkenntnis, sondern subjektives Befinden im Vordergrund steht. Dazu möchte ich noch anmerken, dass es ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass diese zartbesaiteten Zeitgeistgetriebenen für einen neoliberalen Individualismus stünden. Ihr postmodernes Kastendenken steht viel mehr für einen Kollektivismus, da sie sich selbst nicht aufgrund ihres Kopfinhaltes, sondern anhand von unveräußerlichen Merkmalen wie Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Präferenz in Schubladen stecken.
[Es ist ein] … weit verbreiteter Irrglaube …, dass diese zartbesaiteten Zeitgeistgetriebenen für einen neoliberalen Individualismus stünden. Ihr postmodernes Kastendenken steht viel mehr für einen Kollektivismus, da sie sich selbst nicht aufgrund ihres Kopfinhaltes, sondern anhand von unveräußerlichen Merkmalen wie Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Präferenz in Schubladen stecken.
LvMID: In Ihrem Buch kommen viele populäre Liberale zu Wort, die heute bei einem Großteil der Bevölkerung entweder in Vergessenheit geraten sind oder von denen viele Leute überhaupt noch nicht gehört haben. Beispiele sind Namen wie Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek oder Ayn Rand. Wie sind Sie persönlich auf diese Autoren aufmerksam geworden und was meinen Sie, wieso diese heute so „unpopulär“ sind?
AS: Es gibt ja wenig, worauf man als Österreicher so stolz sein kann, wie die Österreichische Schule – aber freilich erschöpft sich meine geistige Zuneigung zu genannten beiden Herren nicht darin. Wer sich auch nur ein wenig für Liberalismus und die freie Marktwirtschaft, die damit einhergeht, interessiert, kommt um diese beiden Granden kaum herum. „Der Weg zur Knechtschaft“ von Hayek ist meiner Meinung nach eines der besten Bücher, die es gibt – jeder sollte es gelesen haben, um zu verstehen, weshalb Sozialismus jeglicher Art zu nichts nutz ist, abgesehen davon, Menschen ins Verderben zu führen. Liest man die eben durchaus schon älteren Werke dieser beiden Herren, erschließt sich ob ihrer Aktualität eigentlich kaum, weshalb sie nicht auch heute noch weitere Verbreitung finden. Ich erkläre mir das im Grunde mit dem schon benannten grundsätzlichen Skeptizismus, sobald es um Freiheit geht; Ideen von einem Staat, der immer fetter wird und sich um alles und jeden kümmert, lassen sich offensichtlich besser verkaufen als der Appell an die eigene Mündigkeit und Eigenverantwortung. Dabei sind es doch Letztere, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen.
Man müsste die Idee des Liberalen also neu und positiv erzählen. Es gibt keine Idee, die sexier ist. Was Ayn Rand angeht, liegen die Dinge noch ein wenig anders. Sie kommt im europäischen, und damit auch im deutschen Diskurs so gut wie gar nicht vor. Und das völlig zu Unrecht.
LvMID: In Ihrem Buch betonen Sie öfter: „Freiheit ist Freiheit.“ Können Sie unseren Lesern erklären, was es damit auf sich hat?
AS: Es ist schon erstaunlich, aber diese ganz banale Satz hat mir schon diverse Shitstorms in den sozialen Medien eingetragen. Dabei bezeichnet er bloß das Offensichtliche, wie es auch schon Isaiah Berlin trefflich formuliert hat: „Jedes Ding ist das, was es ist: Freiheit ist Freiheit – und nicht Gleichheit oder Fairness oder Gerechtigkeit oder Kultur oder menschliches Glück oder gutes Gewissen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen – Freiheit muss sich nicht verändern, weil sie unveränderlich ist, so sehr auch insbesondere in Coronazeiten versucht wurde, alles Mögliche in diesen Begriff zu pressen, um ihn nach eigenem Geschmack umzudeuten. Plötzlich tätigten sogenannte liberale Intellektuelle Äußerungen, die in meinem Kopf nur Fragezeichen hinterließen: Es gäbe so etwas wie eine kollektive Freiheit, hieß es da, vor der das Individuum kein Primat hätte – eine äußerst eigenartige Aussage, wenn man bedenkt, dass schon das Grundgesetz sich immer auf den Einzelnen, nie auf ein Kollektiv bezieht. Daher bedarf der Liberalismus auch keiner Adjektive oder Präfixe, die ihn immer weiter ausbuchstabieren sollen – und dabei doch nur darauf abzielen, ihn zu schmälern. Linksliberal ist nicht liberal, sozialliberal ist nicht liberal, nationalliberal ist nicht liberal. Über brutalliberal könnte man allerdings noch einmal nachdenken.
Linksliberal ist nicht liberal, sozialliberal ist nicht liberal, nationalliberal ist nicht liberal. Über brutalliberal könnte man allerdings noch einmal nachdenken.
LvMID: Im Zusammenhang mit Ayn Rand gehen Sie auch auf den Begriff des „Egoismus“ ein. Da nach Ludwig von Mises‘ Handlungslogik jeder denknotwendig seine eigenen Ziele verfolgt, und seien es altruistische, ist jedermann ja insofern „Egoist“. Wieso ist dieser Begriff heute so verpönt? Und wäre Egoismus nicht gerade ein Argument für den Liberalismus, der das Gewaltprinzip auf die Abwehr von Übergriffen beschränkt?
AS: Wenn Ayn Rand hierzulande erwähnt wird, dann zumeist im Negativen; sie wird in den allermeisten Fällen als marktradikale Egoistin beschrieben. Und tatsächlich lag ihr daran, den Begriff des Egoismus anders zu definieren. So wie sie ihn verstand, kann auch ich sehr viel damit anfangen. Im Grunde geht es dabei nicht um asoziale Selbstbezogenheit, sondern darum, dass sich ein Mensch erst dann (freiwillig) um andere kümmern kann, wenn er sich zunächst um sich selbst kümmert. Ohne starkes Ich gibt es keine starke Gesellschaft, denn letztere ist nun einmal kein eigenständiges Wesen, sondern setzt sich immer aus Individuen zusammen. Es ist immer das Individuum, das denkt, das handelt, das frei ist. Kollektives Denken und Handeln – und somit auch kollektive Freiheit – gibt es nicht.
Ohne starkes Ich gibt es keine starke Gesellschaft, denn letztere ist nun einmal kein eigenständiges Wesen, sondern setzt sich immer aus Individuen zusammen. Es ist immer das Individuum, das denkt, das handelt …
LvMID: In Ihrem Buch gehen Sie unter dem Kapitel „vom (Un-)Sinn einer liberalen Partei“ insbesondere auf die Geschichte der FDP in Deutschland ein. Macht eine liberale Partei Ihrer Meinung nach Sinn? Und „wie liberal“ ist die FDP heute noch?
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AS: Auch, wenn man freiheitliches Denken und Liberalismus nicht in erster Linie von einer Partei abhängig macht, kommt man natürlich dennoch nicht umhin, zu beobachten, wie eine Partei, die sich die Freiheit auf die Fahnen geheftet hat, im politischen System überhaupt funktionieren kann. Streng gesehen ist liberale Politik ein Widerspruch in sich: Wenn man als Liberaler davon ausgeht, dass die beste Politik darin besteht, so wenig staatliches Handeln zu haben wie möglich – also im besten Fall keines oder kein Erkennbares –, erklärt sich von selbst, dass es eine liberale Partei wie die FDP eigentlich gar nicht geben dürfte. Denn jede liberale Partei arbeitet im Grunde an ihrer Abschaffung. Da es aber staatliches Handeln im Übermaß gibt, gibt es auch die Freien Demokraten, und das ist gut so, sofern sie dafür eintreten, den Bürgern den weitestmöglichen Spielraum für die selbstbestimmte und mündige Gestaltung ihres Lebens zu gewährleisten. Insoweit sie als Partei allerdings ein Rad im Getriebe des Staates ist, ist sie im strengen Sinn ebenso wenig liberal wie andere Parteien. Wie schwierig sich das Ganze in der Realität gestaltet, lässt sich anhand der Ampelkoalition bestens beobachten: Die FDP muss neben den zwei großen Linken so viele Freiheitsfedern lassen, dass einem das liberale Herz blutet. Ich denke, dass Christian Lindners „Nein“ zur Jamaika-Koalition im Jahr 2017 der größte Dienst war, den er der Freiheit je erbracht hat.
LvMID: Mit Ihrem Buch versuchen Sie auch, für Freiheit zu begeistern. In den letzten Jahren scheint der Zeitgeist aber eher autoritärer geworden zu sein. Es ist unübersehbar, dass die politische Linke gegen die Freiheitsidee mobil macht und beispielsweise versucht, liberale oder libertäre Ideen als „rechts“ zu framen und zu verpönen. Wie gehen Sie damit um? Zumal ja die politische Linke meist nicht sachlich argumentiert, sondern eher persönlich angreift.
AS: Der Zeitgeist ist – insbesondere durch die Coronapandemie – autoritärer, insbesondere und unabhängig davon aber auch illiberaler geworden. Im Namen des Minderheitenschutzes und der Antidiskriminierung oder des sogenannten Antirassismus wird der Rahmen der freien Meinungsäußerung zunehmend eingeengt, diverse Umfragen belegen dies immer wieder. Und darin sehe ich ein nicht zu unterschätzendes Problem: eine liberale Demokratie lebt ganz grundlegend von Meinungsfreiheit, doch das scheint zusehends in Vergessenheit zu geraten. Diejenigen, die den lieben langen Tag Diversität und Pluralismus predigen – und dafür am liebsten für jeden und alles Quoten einführen wollen – sind beim selben Thema erstaunlich still beziehungsweise reagieren ablehnend, wenn es um die Verschiedenheit der Kopfhinhalte geht. So ist nicht selten zu beobachten, dass Menschen, denen alles rechts von Angela Merkel als Nazi gilt, nicht einmal mehr willens sind, andere Meinungen als die ihre gelten zu lassen. Die Bezeichnung als rechts – die im politischen Spektrum wertfrei betrachtet genauso legitim ist wie links – fungiert dabei als willkommenes Distinktionsmerkmal. Wer rechts ist, dem muss man „keine Bühne bieten“, mit dem muss man sich nicht abgeben, geschweige denn seine Argumente anhören. Das geht so weit, dass man schon als verdächtig gilt, wenn man sich als Liberaler mit allen Vertretern des politischen Spektrums unterhält oder sehen lässt. Kontaktschuld heißt das dann, dieses intellektuell absolut dürftigste aller Knock-Out-Kriterien. Es veranschaulicht letztlich nichts anderes als Diskursunwillig und -fähigkeit.
Kontaktschuld heißt das dann, dieses intellektuell absolut dürftigste aller Knock-Out-Kriterien.
LvMID: Mittlerweile gibt es zahlreiche junge Menschen, die ihre Haltung etwa als „libertär“ bezeichnen, insbesondere auch und gerade in der „Bitcoin-Szene“. Die FDP hat bei den jungen Wählern bei der Bundestagswahl vergleichsweise gut abgeschnitten. Sehen Sie die Chance für eine Änderung des Zeitgeistes, eine Renaissance des Liberalismus? Was ist Ihr Ausblick diesbezüglich für den deutschen Kulturraum (Deutschland, Österreich, Schweiz)?
AS: Da ich große Sympathien für den Libertarismus hege, freut mich das persönlich natürlich sehr, dass sich junge Menschen so bezeichnen, und also auf den Geschmack von Freiheit und Staatsabwesenheit gekommen sind. Dass die FDP bei Jungwählern so gut abgeschnitten hat, zeigt, dass es in Deutschland durchaus Potenzial für freiheitliches Leben und Denken gibt – die Frage ist nur, ob die Partei in der jetzigen Regierungskoalition nicht mehr dieser Wähler verschreckt als begeistert. Ich fürchte zwar, dass eine Abkehr vom illiberalen Zeitgeist in nächster Zukunft eher nicht zu erwarten ist, zumal es in Deutschland tatsächlich Bücher in die Bestsellerlisten schaffen, die absurde Titel wie „Libertärer Autoritarismus“ – ein Widerspruch in sich – tragen. Man sieht also, auch der Begriff oder die Selbstbezeichnung Libertarismus soll diskreditiert werden, und zwar von denselben Menschen, die ansonsten gerne mit „rechts“ oder „Nazi“-Vorwürfen um sich werfen. Offenbar ist ihnen ihre eigene Leier zu langweilig geworden, ein neues Schmähwort musste her. Der Punkt ist, dass man sich davon nicht beeindrucken lassen darf. Liberale oder Libertäre sollten diesen kruden Anwürfen mit einer gesunden Portion Humor entgegentreten – und standhaft bleiben. Wer für die Freiheit streitet, muss sich nicht vor denen fürchten, die nicht verstanden haben, wie fantastisch sie ist. Diese Feststellung gilt sowohl für Deutschland als auch für Österreich und die Schweiz – wobei ich, da ich inzwischen alle drei Länder kenne, sagen muss, dass Deutschland schon ein sehr spezieller Fall ist. Es ist nicht so, dass meine österreichischen Landsmänner große Freiheitshelden wären, aber die Debatten dort sind wesentlich unaufgeregter und insbesondere nicht dermaßen moralisch aufgeladen wie in Deutschland. Die Schweiz wiederum hat den Liberalismus im Blut. Und Deutschland, ja Deutschland. Dazu hat – wie oben erwähnt – Ludwig von Mises eigentlich schon alles gesagt.
Die Schweiz wiederum hat den Liberalismus im Blut. Und Deutschland, ja Deutschland. Dazu hat – wie oben erwähnt – Ludwig von Mises eigentlich schon alles gesagt.
LvMID: Liebe Frau Schneider, ganz herzlichen Dank für diese Interview!
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Anna Schneider, geboren 1990, ist Juristin und Journalistin. Nach Stationen bei „Addendum“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“ arbeitet sie seit 2021 als Chefreporterin für die „WELT“. In TV und Print streitet sie regelmäßig für die liberale Perspektive. Ihre „WELT“-Kolumne „Anna Schneider ist so frei“ erscheint wöchentlich. Mit „Freiheit beginnt beim Ich“ erschien 2022 ihr erstes Buch.
Das Interview für das Ludwig von Mises Institut Deutschland führte Dr. Andreas Tiedtke.
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Titel-Foto: Adobe Stock
Foto Anna Schneider: Nicole Heiling