Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten – Interview mit Rainer Zitelmann

Rainer Zitelmann

16. Mai 2022 – Interview mit Rainer Zitelmann, Historiker und Soziologe und Autor des Buches Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten.

LvMID: Sehr geehrter Herr Zitelmann, Ende Februar 2022 wurde Ihr Buch Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten veröffentlicht, in dem Sie mit vielen Vorurteilen über den Kapitalismus „aufräumen“. Sie zitieren in dem Buch auch Ihren chinesischen Freund und Kollegen Weiying Zhang, der schreibt, dass er die Aufgabe der Ökonomen vor allem darin sieht, die Marktwirtschaft zu verteidigen. In Ihrem Buch tun Sie dies, aber ist heute bei vielen Hauptstromökonomen nicht vielmehr das Gegenteil der Fall? Und wie erklären Sie sich das?

Zitelmann: Die vorherrschenden Strömungen in der Wirtschaftswissenschaft werden vielleicht stärker vom Zeitgeist geprägt als sie selbst den Zeitgeist prägen, obwohl es natürlich ein Wechselverhältnis ist. In den 1970er- und 1980er-Jahren war jemand wie Milton Friedman einflussreich. Hayek bekam den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 1974, Friedman zwei Jahre später. In den 1980er Jahren waren kapitalistische Reformer einflussreich: Deng Xiaoping in China, Margareth Thatcher in Großbritannien, Ronald Reagan in den USA. Später gab es dann noch Reformen in Schweden und Großbritannien – ich habe dies alles in meinem Buch Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung beschrieben.

Statt Friedman oder Hayek werden heute überall Joseph Stiglitz (Nobelpreis 2001), Paul Krugman (Nobelpreis 2008) oder Thomas Piketty zitiert, alle drei sind Kapitalismuskritiker.

Heute herrscht ein anderer Zeitgeist: Ob in China, den USA oder Europa: überall dominieren die Kräfte, die mehr Staat und weniger Markt wollen. Und das spiegelt sich auch in den Wirtschaftswissenschaften. Statt Friedman oder Hayek werden heute überall Joseph Stiglitz (Nobelpreis 2001), Paul Krugman (Nobelpreis 2008) oder Thomas Piketty zitiert, alle drei sind Kapitalismuskritiker. Es würde mich nicht wundern, wenn Piketty, obwohl er überall irrt, auch noch den Nobelpreis bekommt. Übrigens ist Weiying Zhang, der in meinem Buch einen Beitrag geschrieben hat, auch ein Beispiel: Er war früher in China sehr einflussreich; heute ist er zwar immer noch Professor an der Peking-Universität, aber heute dominieren in China eher etatistische als marktwirtschaftliche

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Ökonomen.

LvMID: Sie sprechen in Ihrem Buch auch über die deutsche Energiewirtschaft und dass diese in der Regierungszeit von Angela Merkel faktisch in eine Planwirtschaft umgewandelt wurde. Zudem hat Angela Merkel das Aus für die Atomkraft in Deutschland durchgesetzt. In der jetzigen Energiekrise wirkt sich die anti-kapitalistische Energiepolitik spürbar aus. Was würden Sie für Gegenmaßnahmen vorschlagen, um die deutsche Energiepolitik kapitalistisch zu reformieren?

Zitelmann: Ja, die Energiewende ist ein trauriges Beispiel, wie die deutsche Wirtschaft sukzessive in eine Planwirtschaft verwandelt wird. Diesen Prozess wieder umzukehren, wäre sehr schwierig, zumal alle Parteien dabei mitmachen. Merkel hat das eingeleitet und die Ampel setzt diese verhängnisvolle „Energiewende“ fort. Nicht umsonst hat das Wallstreet Journal die deutsche Energiepolitik als „The World’s Dumbest Energy Policy“ bezeichnet.

Ich fürchte, Deutschland wird an die Wand fahren mit dieser Energiepolitik. Und ich sehe nicht, wer den Mut hat, sich dagegenzustellen.

Da gibt es kein Rezept, wie man da schnell wieder rauskommt. Nehmen Sie die Kernkraft. Es war ein Riesenfehler, die Kernkraftwerke abzuschalten, so wie es auch ein Fehler ist, moderne Kohlekraftwerke abzuschalten. Aber selbst wenn man heute beschließen würde, dass Deutschland wieder auf Kernenergie setzen sollte (was ich befürworte), dann müsste man feststellen: Wir haben international den Anschluss verloren. Ich fürchte, Deutschland wird an die Wand fahren mit dieser Energiepolitik. Und ich sehe nicht, wer den Mut hat, sich dagegenzustellen. Innerhalb meiner eigenen Partei trete ich seit Jahren für Kernenergie ein, und ich weiß, dass viele in der FDP ähnlich denken. Aber keiner hatte den Mut, hier voranzugehen.

Inzwischen sehen wir jedoch in Umfragen, wie die Akzeptanz für Kernkraft wieder zunimmt. Eine liberale und technologiefreundliche Partei müsste aus meiner Sicht Vorreiter und programmatische Vorhut für solche Forderungen sein, stattdessen passt man sich dem Zeitgeist an.

LvMID: Früher waren die Versprechungen des Sozialismus mehr Wohlstand für die Massen. Heute gehen die Narrative eher in die gegenteilige Richtung: Die Bürger sollten den Gürtel enger schnallen, ihnen ginge es zu gut. Die Bürger scheinen auf einen niedrigeren Lebensstandard eingeschworen zu werden. Dabei erlauben sich viele anti-kapitalistische Politiker selbst einen sehr hohen Lebensstandard. Sie schreiben in Ihrem Buch über Maos Luxusleben. Das dürfte vielen unbekannt sein. Können Sie unseren Lesern etwas darüber sagen?

Zitelmann: In China lebten 1981 88 Prozent der Menschen in extremer Armut. Das war das Ergebnis von Maos Politik. Ende der 1950er Jahre starben 45 Millionen Chinesen als Folge des größten sozialistischen Experiments in der Menschheitsgeschichte, von Maos „Großem Sprung nach vorne“. Übrigens, auch der, der mein erstes Buch über den Kapitalismus nicht gelesen hat, kann dieses wichtige Kapitel über China, in dem ich u.a. über den „Großen Sprung“ schreibe, kostenlos als Hörbuch anhören.

Für Mao wurden in den 27 Jahren seiner Herrschaft 50 Anwesen gebaut, allein 5 in Peking. … Da Mao es liebte, zu schwimmen, wurden sie mit luxuriösen Schwimmbädern ausgestattet, die über Monate hinweg beheizt wurden …

Während der Kulturrevolution, über die ich im 11. Kapitel meines neuen Buches schreibe, wurden „kapitalistische Elemente“ verfolgt, weil sie angeblich im Luxus lebten. Doch was viele nicht wissen: Für Mao wurden in den 27 Jahren seiner Herrschaft 50 Anwesen gebaut, allein 5 in Peking. Die Anwesen wurden auf riesigen Grundstücken errichtet, oft in grandioser Lage. An besonders schönen Orten wurde zuweilen ein ganzer Bergzug oder ein langer Streifen am Seeufer exklusiv für ihn abgesperrt. Da Mao es liebte, zu schwimmen, wurden sie mit luxuriösen Schwimmbädern ausgestattet, die über Monate hinweg beheizt wurden, für den Fall, dass Mao auf einmal Lust bekommen sollte, hineinzusteigen. Für den Feinschmecker Mao wurden auserwählte Delikatessen oft aus 1.000 Kilometer Entfernung herangeschafft, zudem wurden dem Mann, der von seinen Landsleuten sexuellen Verzicht verlangte, permanent junge und schöne Frauen zugeführt, die ihm zu Willen sein mussten. Mao verdiente hervorragend am Verkauf seiner Bücher, die jeder besitzen sollte. Seine Biografen Jung Chang und Jon Halliday konstatieren:

Der Einzige, der in Maos China Millionär wurde, war Mao selbst.

Doch von all dem wussten die Chinesen nichts. Da Dinge wie gute Kleider, hohe Schuhe, Makeup, Porzellan und so weiter als kapitalistisch galten und ihre Besitzer Spott oder Schläge zu befürchten hatten, wurde bald die Produktion all dieser Dinge eingestellt. Stattdessen wurden in ganz China mehrere Milliarden (!) Mao-Anstecker produziert, die man sich ans Revers heftete.

LvMID: Viele Bürger der ehemaligen DDR rühmen die Haltbarkeit der Weißen Ware damals, also von Haushalts- und Küchengeräten. Heute reden Anti-Kapitalisten von „geplanter Obsoleszenz“, also dass die kapitalistischen Hersteller eine kurze Haltbarkeit ihrer Produkte schon bei der Entwicklung planen. In Ihrem Buch widersprechen Sie diesem bekannten anti-kapitalistischen Narrativ. Was sind Ihre Argumente?

Zitelmann: Ich denke, fast jeder glaubt zu wissen, dass Produkte absichtlich so produziert werden, dass sie nicht „ewig“ halten. Aber was für einen Sinn hätte es, alle Komponenten in einem Smartphone so zu produzieren, dass sie 10 oder 20 Jahre lang halten? Das wäre eine riesige Ressourcenverschwendung. Denn wir wissen, dass durch technische Neuerungen nach wenigen Jahren dieses Handy sowieso überholt sein wird. Ich habe mein altes Nokia-Handy geliebt, bei dem der Akku tagelang gehalten hat. Ich hatte sogar gleich mehrere auf Vorrat gekauft, für den Fall, dass es das Modell irgendwann nicht mehr geben könnte. Später bin ich auf das iPhone umgestiegen und habe die Nokias, die ich auf Vorrat gekauft habe, weggeworfen. Habe ich das getan, weil böse Werbestrategen von Apple mich manipuliert haben? Nein, der Grund war, dass es mir viele sinnvolle Funktionen bot, die meine alten Nokia-Handys nicht hatten.

Ich war früher stolzer Besitzer eines Videorekorders, aber ich ärgerte mich auch hier immer wieder über „Bandsalat“, der die Videokassetten zerstörte. Deshalb war ich froh, als die DVD erfunden wurde, denn damit hatte sich dieses Problem erledigt. Den Videorekorder warf ich weg, obwohl er technisch noch funktionsfähig war.

Übrigens: Bereits 1976 kam eine Studie des Ökonomen Burckhardt Röper zu dem Ergebnis, die angeblichen Belege dafür, dass die Industrie die Lebensdauer von Produkten absichtlich verkürze, ließen sich nicht halten. Viele weitere Studien, die in den letzten Jahrzehnten dazu verfasst wurden, kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Sogar das Freiburger Öko-Institut räumte 2015 ein, dass viele Kritikpunkte an der „geplanten Obsoleszenz“ einfach nicht stimmen. Sie finden all diese Fakten mit Quellennachweisen in meinem Buch.

Im Gegensatz zu solch differenzierten Analysen stehen plakative Medienberichte, die den Eindruck erwecken, es sei ein massenhaftes Phänomen, dass Geräte absichtlich so produziert würden, dass sie schneller kaputt gehen – ein Thema, das auch von manchen Politikern aufgegriffen wird. „Die Linke“ beantragte mehrfach im Deutschen Bundestag, die Bundesregierung solle zur Vorlage eines Gesetzesentwurfes aufgefordert werden, der Vorgaben über eine Mindestnutzungsdauer für technische Produkte vorsieht. Die AfD hat sogar die Forderung nach „langlebigen Produkten statt geplanter Obsoleszenz“ in ihrem Parteiprogramm.

LvMID: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Frieden stärker mit Kapitalismus korreliert als mit Demokratie. Ist Kapitalismus ein Friedensprojekt, und falls ja, wie erklären Sie das?

Zitelmann: In seinem Buch Aufklärung jetzt illustriert Steven Pinker mit einer Grafik den Prozentsatz der Jahre, in denen sich Großmächte im Krieg befanden. Im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts schwankte dieser Prozentsatz zwischen etwa 75 und fast 100 Prozent, zu Beginn des 19. Jahrhunderts lag die Prozentzahl noch deutlich über 50 Prozent, um dann im 20. und 21. Jahrhundert auf 25 Prozent und noch sehr viel niedriger zu sinken.

Gegen die These, Kriege hätten ihre Wurzeln im Kapitalismus oder der Kapitalismus sei besonders kriegslüstern, sprechen viele Argumente: Kriege waren in vorkapitalistischen Zeiten sehr viel häufiger als im Zeitalter des Kapitalismus, und jene Kriege, die immer wieder als Beleg für die These angeführt werden, hatten Ursachen, die nichts mit den wirtschaftlichen Interessen der Kapitalisten zu tun hatten. Ich habe das mit vielen historischen Fakten in meinem Buch am Beispiel des Ersten Weltkrieges und des Irakkrieges von 2003 belegt, zwei Beispiele, die besonders häufig als Beleg dafür angeführt werden, dass kapitalistische Interessen den Ausschlag gegeben hätten. Wenn wir den jetzigen Krieg Putins gegen die Ukraine nehmen: Glaubt jemand im Ernst, dieser Krieg würde im Interesse von russischen Kapitalisten oder „Oligarchen“ geführt? Kapitalisten verdienen im Frieden sehr viel besser als im Krieg.

LvMID: Sie schreiben und belegen mit aktuellen Umfragen, dass die Menschen zum Teil ein schiefes Bild vom Kapitalismus haben und viele den Kapitalismus ablehnen. Wie ist die Haltung der Deutschen zum Kapitalismus, gibt es Unterschiede zwischen Ost und West, und wenn die Haltung so negativ gegenüber dem Kapitalismus ist, sehen sie dann eine Chance, dass insbesondere die deutsche Gesellschaft sich vom gegenwärtigen anti-kapitalistischen Zeitgeist abwendet?

Zitelmann: Ja, ich habe eine Umfrage in 14 Ländern durchführen lassen. Derzeit wird sie übrigens fortgeführt, weil das Buch Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten in über 20 Sprachen übersetzt wird und ich in jedem Land, in dem es erscheint, die gleiche Umfrage zum Image des Kapitalismus durchführen lasse. In dem Buch belege ich, wie groß die Kluft zwischen den Fakten über den Kapitalismus einerseits und den Meinungen der Menschen andererseits ist. Alle Fakten zeigen, dass der Kapitalismus in der Geschichte in vielen Ländern die Lage der einfachen Menschen massiv verbessert hat – in Europa und den USA in den vergangenen 200 Jahren und in Asien in den vergangenen 50 Jahren. Der Aussage, der Kapitalismus habe in vielen Ländern die Lage der einfachen Menschen verbessert, stimmten jedoch in Deutschland nur 15 Prozent der Befragten zu – so wenig wie keiner anderen Aussage über den Kapitalismus! Dagegen sagten drei Mal so viele (45 Prozent), der Kapitalismus sei verantwortlich für Hunger und Armut in der Welt – eine These, die, wie ich in Kapitel 1 meines Buches belege, keiner Nachprüfung der Fakten standhält.

Das Gegenteil ist richtig: Bevor der Kapitalismus entstand, lebten die meisten Menschen auf der Welt in extremer Armut

Das Gegenteil ist richtig: Bevor der Kapitalismus entstand, lebten die meisten Menschen auf der Welt in extremer Armut – 1820 betrug die Quote noch 90 Prozent. Heute ist sie unter 10 Prozent gesunken. Das Bemerkenswerte: In den letzten Jahrzehnten, seit dem Ende der sozialistischen Planwirtschaft in China und anderen Ländern, hat sich der Rückgang der Armut so stark beschleunigt wie in keiner Phase der Menschheitsgeschichte zuvor. 1981 lag die Quote noch bei 42,7 Prozent, im Jahr 2000 war sie bereits auf 27,8 Prozent gesunken und 2021 lag sie unter 10 Prozent.

Änderungen im geistigen Bereich brauchen lange. Die linke Ideologie hat ja auch mehrere Jahrzehnte gebraucht, bis sie in Deutschland alles dominierte.

Was man gegen den grassierenden Antikapitalismus tun kann? Änderungen im geistigen Bereich brauchen lange. Die linke Ideologie hat ja auch mehrere Jahrzehnte gebraucht, bis sie in Deutschland alles dominierte. Angefangen hat jedoch alles mit Büchern, Seminaren, Artikeln und so weiter – also all das, was ich auch tue, um mich für den Kapitalismus einzusetzen.

LvMID: Sie schreiben, dass der Staat Ihrer Ansicht nach nicht überflüssig oder unwichtig sei. In welchen Bereichen ist der Staat für Sie wichtig, wo sehen Sie zentrale staatliche Aufgaben, für deren Erfüllung der Einsatz von Zwang Ihrer Meinung nach unabdingbar ist?

Zitelmann: Wir können doch beobachten, dass der Staat in westlichen Ländern in vielen seiner Kernfunktionen versagt: Wir haben das bei der oft dilettantischen Pandemiebekämpfung gesehen. Wir sehen das in vielen westlichen Ländern in der zerfallenden Infrastruktur und einem schlechten Bildungssystem oder bei gravierenden Defiziten im Bereich der inneren oder äußeren Sicherheit. Schauen Sie doch nur die Bundeswehr, in was für einem erbärmlichen Zustand die ist! Der Staat ist oft gerade dort schwach, wo er stark sein sollte, und dort viel zu stark, wo er schwach sein sollte, also vor allem im Bereich der Wirtschaft. Politiker verbringen einen Großteil ihrer Zeit damit, neue Ideen für Umverteilung und staatliche Regulierungen zu entwickeln und ignorieren dabei die Lösung dringlicher Probleme – so etwa einer geordneten Zuwanderungspolitik. Und wenn inzwischen in Deutschland eine Billion für Soziales ausgegeben wird, dann fehlt das Geld natürlich für alle anderen Aufgaben.

LvMID: Zum Schluss noch die Frage nach dem Ausblick. Ludwig von Mises wollte einst Reformer sein, sah sich später aber – er bedauerte das – als Chronist des Unterganges. Sehen Sie eine Chance, dass „sich der Wind dreht“ und die Gesellschaft wieder kapitalistischer wird? Welche Entwicklungen wären hierfür nötig?

Zitelmann: Ich glaube, ich bin ganz gut darin, künftige Entwicklungen zu prognostizieren. Ich hatte 1994 ein pessimistisches Buch geschrieben mit dem Titel: Wohin treibt unsere Republik, das ich kürzlich wieder unverändert aufgelegt habe.  Als Historiker weiß ich aber auch, dass die Geschichte offen ist und wir ständig mit Überraschungen konfrontiert werden, mit positiven wie negativen.

Vor zwei Jahren war ich in London zum Abendessen mit Madsen Pirie verabredet, dem Präsidenten des renommierten Adam Smith Institute. Wir sprachen auch über die Zukunft des Kapitalismus. Pirie war damals 80 Jahre alt – er kannte viele große Vordenker und Praktiker des Kapitalismus persönlich, von Friedrich August von Hayek bis Margaret Thatcher. Im Laufe des Gesprächs sagte er mir:

Vielleicht geht der Kapitalismus in manchen Ländern unter, aber es wird immer wieder Länder geben, die ihn neu entdecken und damit erfolgreich sind. Und die damit ein Signal setzen, das nicht zu übersehen sein wird.

Überall auf der Welt tobt heute der Kampf zweier Linien – der sozialistischen und der kapitalistischen Linie. Es ist der Kampf zwischen den Staatsgläubigen, die den Menschen immer neue Ketten der Regulierung anlegen, und den Kräften der Freiheit, die diese Ketten sprengen wollen. Vor vier Jahrzehnten errang die kapitalistische Linie einige wichtige Zwischenerfolge, in China, in den USA, in Großbritannien oder auch in Schweden. Doch mit dem historischen Abstand zum Zusammenbruch des Sozialismus gewinnt die sozialistische Linie wieder an Kraft und Zustimmung, überall auf der Welt. Die Feinde der Freiheit, die von der Vergesslichkeit der Menschen profitieren, sind auf dem Vormarsch, der Kapitalismus ist in die Defensive geraten.

… wenn der Kapitalismus zu einem Ende kommen sollte, dann nicht durch sich selbst, sondern … durch staatliche Eingriffe …

Dass der Kapitalismus bislang trotz aller Untergangsprognosen überlebt hat, ist keine Garantie dafür, dass er auch die nächsten Jahrzehnte oder Jahrhunderte überleben wird. Aber wenn der Kapitalismus zu einem Ende kommen sollte, dann nicht durch sich selbst, sondern weil durch staatliche Eingriffe immer größere Probleme aufgehäuft werden, die schließlich in eine große Krise münden. Diese Krise wird den Menschen, deren Denken durch antikapitalistisches Framing bestimmt ist, dann als Krise des Kapitalismus erscheinen, und die Antikapitalisten, die die Krise durch ihr Wirken eigentlich erst erzeugt haben, werden sich bestätigt fühlen, dass ihre Prophezeiungen endlich eingetreten sind. Die durch immer neue und immer heftigere Staatseingriffe heraufbeschworene Krise und das Versagen des Staates erscheint den Menschen dann als Versagen des Marktes und Scheitern des Kapitalismus. Gerade dann wird es wichtig sein, dass sich Stimmen erheben, die erklären: Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung.

LvMID: Sehr geehrter Herr Zitelmann, herzlichen Dank für das Gespräch!

Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist promovierter Historiker und Soziologe. Er war zunächst Wissenschaftlicher Assistent am Zentralinsitut für sozialwissenschaftliche Forschung der FU Berlin. Danach war er Cheflektor des Ullstein-Propyläen Verlages und Ressortleiter bei der Tageszeitung “Die Welt”. Im Jahr 2000 gründete er sein eigenes Unternehmen, das er zu führenden Kommunikationsagentur der Immobilienbranche machte. Vermögend wurde er als Immobilieninvestor. Heute lebt er als Autor in Berlin. Zitelmann hat 24 Bücher geschrieben und herausgegeben, u.a. „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“. Er schreibt regelmäßig für Medien wie Neue Zürcher Zeitung, Welt, Focus, Le Loint, Linkiesta, Washington Examiner und National Interest. Zitelmanns Bücher sind in zahlreichen Sprachen erschienen und er ist ein gefragter Vortragsredner in Asien, den USA und Europa. Mehr Informationen: www.rainer-zitelmann.de

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

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