Kein Kapitalismus: Mises erklärt die Ökonomie der Nazis

8. April 2022 – von David Gordon

[Dieser Beitrag ist ursprünglich in englischer Sprache am 4. Februar 2022 auf der Homepage des Mises Institute, Auburn, Alabama (USA) erschienen. Sie können das Original HIER aufrufen.]

Titelfoto (Adobe Stock): Ehemaliges I.G.-Farben-Haus (Poelzig-Bau), Frankfurt am Main

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David Gordon

Viele Leser werden bereits wissen, dass Ludwig von Mises das Wirtschaftssystem der Nazis als eine Form des Sozialismus betrachtete. In diesem System existierte das Privateigentum an Produktionsgütern nur dem Namen nach. Die vermeintlichen Eigentümer waren lediglich Manager, die den Weisungen der Regierung zu folgen hatten. Rainer Zitelmann, die führende Autorität auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik Adolf Hitlers, hat Mises’ Analyse in Hitler’s National Socialism, das im nächsten Monat veröffentlicht wird, voll und ganz bestätigt. (Das Buch ist eine Überarbeitung und Erweiterung von Zitelmanns früherem Buch Hitler: The Policies of Seduction). Zitelmann weist auch darauf hin, dass Hitler Josef Stalins Wirtschaftsplanung bewunderte und ihm bewusst war, dass beide Verfechter der zentralisierten Planwirtschaft waren.

In der Kolumne dieser Woche möchte ich einen Brief besprechen, den Mises im Juni 1942 an die New York Times schrieb. In dem Brief erörterte er die Wirtschaft der Nazis während des Krieges sehr detailliert und spricht dabei Punkte an, die er an anderer Stelle nicht erwähnt.

Mises erklärt zunächst sein Verständnis des Wirtschaftssystems der Nazis:

Das deutsche Modell des Sozialismus (Zwangswirtschaft) zeichnet sich dadurch aus, dass es, wenn auch nur nominell, einige Einrichtungen des Kapitalismus beibehält. Die Arbeit ist natürlich keine “marktgängige Ware” mehr; der Arbeitsmarkt ist feierlich abgeschafft worden; die Regierung legt die Lohnsätze fest und weist jedem Arbeiter den Ort zu, an dem er arbeiten muss. Das Privateigentum ist nominell unangetastet geblieben. Tatsächlich aber sind die ehemaligen Unternehmer auf den Status von Betriebsführern reduziert worden. Die Regierung schreibt ihnen vor, was und wie sie zu produzieren haben, zu welchen Preisen und von wem sie einkaufen und zu welchen Preisen und an wen sie verkaufen sollen. Die Unternehmen können gegen unbequeme Anordnungen protestieren, aber die endgültige Entscheidung liegt bei den Behörden.

Mises schlägt mit seiner Analyse nun eine Richtung ein, die für die meisten seiner Leser neu sein wird. Das nationalsozialistische System, wie bisher erläutert, beseitigt nicht die Konflikte zwischen Wirtschaft und Staat. Die Unternehmer sind auch unter den Befehlen der Nationalsozialisten weiterhin bestrebt, Gewinne zu erzielen, und möchten so viele Gelegenheiten wie möglich haben, um ihr unternehmerisches Urteilsvermögen einzusetzen. Dieser Konflikt veranlasst die Regierung, mehr Unternehmen unter ihre direkte Kontrolle zu bringen. Es wird Druck ausgeübt, um das System zu ändern und die Produktionsmittel in staatliches Eigentum zu überführen – das ist das, was Mises das “russische Muster” des Sozialismus nennt.

Wenn Mises recht hat, wirft dies eine weitere Frage auf. Selbst wenn der Druck besteht, das deutsche Muster in das russische Muster zu ändern, warum haben Deutschland und Russland mit diesen unterschiedlichen Mustern begonnen? Mises’ Antwort lautet, dass Deutschland viel stärker vom Außenhandel abhängig ist als Russland und dass es schwierig ist, den Außenhandel vollständig unter der direkten Leitung der Regierung abzuwickeln.

Es ist kein Zufall, dass Russland das bürokratische Muster und Deutschland das Muster der Zwangswirtschaft übernommen hat. Russland, das größte Land der Welt, ist dünn besiedelt. Es verfügt über die reichsten Ressourcen und ist von der Natur besser ausgestattet als jedes andere Land. Es kann ohne allzu großen Schaden für sein Volk auf den Außenhandel verzichten und in fast völliger wirtschaftlicher Autarkie leben.

Im Gegensatz dazu:

Bei Deutschland ist dies anders. Deutschland kann seine Bevölkerung weder aus einheimischen Produkten ernähren noch kleiden. Es muss Nahrungsmittel und Rohstoffe einführen und diese dringend benötigten Importe durch die Ausfuhr von Waren bezahlen, die zum größten Teil aus importierten Rohstoffen hergestellt werden müssen. Im Jahr 1937 waren etwa 92 Prozent der Importe Nahrungsmittel und Rohstoffe und etwa 80 Prozent der Exporte Industrieerzeugnisse.

Wie erklärt dieser Unterschied zwischen der Abhängigkeit Deutschlands und Russlands vom Außenhandel, warum Deutschland ein eigenes System entwickelt hat? Mises’ Antwort lautet, dass ein staatlich betriebenes System den Außenhandel nicht steuern kann.

Eine Nachahmung des russischen Beispiels hätte den Apparat der deutschen Exportwirtschaft sofort in Stücke gerissen und eine Nation, deren Lebensstandard durch den Kapitalismus sehr erfolgreich angehoben wurde, plötzlich ins Elend gestürzt. Bürokraten können auf ausländischen Märkten nicht erfolgreich konkurrieren. Sie wissen nicht, wie sie die Verbraucher am besten bedienen können. Ihre Untertanen haben keine Wahl; sie müssen nehmen, was die Bürokratie ihnen gibt. Den Bürgern fremder Länder aber steht es frei, die besseren und billigeren Waren ausländischer Händler zu bevorzugen. Daher wurde die Mitarbeit der ehemaligen Unternehmer als Geschäftsleiter in Deutschland für unverzichtbar gehalten.

Es ist wichtig, ein Missverständnis zu vermeiden. Mises sagt nicht, dass die Nazi-Regierung Unternehmen, die im Außenhandel tätig sind, vom deutschen Sozialismus ausnehmen musste, weil Bürokraten keinen Außenhandel betreiben können. Sie hat in diesem Bereich keinen freien Markt zugelassen. Mises’ Argument ist, dass die “Betriebsleiter”, weil sie ehemalige Unternehmer sind, das deutsche System besser verwalten können als Bürokraten. Selbst die Fesseln, die durch die Vorschriften der Regierung auferlegt werden, lassen einen gewissen Spielraum für unternehmerisches Urteilsvermögen.

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Warum glaubt Mises angesichts der Inkompetenz der Bürokratie dennoch, dass es einen Druck gibt, sich dem russischen Muster anzunähern? Mises’ Antwort hängt von einer Prämisse ab, die in Frage gestellt werden kann, aber sie wird durch Mises’ eigene Einschätzung der ihm zugänglichen Quellen über die deutsche Wirtschaft gestützt. Er behauptet, dass die Manager der Geschäfte glauben, dass Deutschland den Krieg verlieren wird – man bedenke, dass Mises seinen Brief im Juni 1942 schrieb – und dass sie deshalb versuchen, eine Kollaboration mit der Regierung zu vermeiden.

Die Betriebsleiter sind sich jetzt voll bewusst, dass der Krieg in einer Niederlage und im Sturz der gegenwärtigen Machthaber enden wird, und sie wettern gegen die Anmaßungen der inkompetenten Nazi-Beamtenschaft. Sie verlassen sich auf ihre Unentbehrlichkeit und sind nicht mehr so unterwürfig und zuvorkommend, wie sie es früher waren. Ihr Verhalten ist ein Ärgernis für die gottgleiche Partei-Elite.

Die Regierung versuchte, diesen Widerstand mit Gewalt zu unterdrücken.

Die Nazis haben ihr Allheilmittel, die Brutalität, angewandt. Vor kurzem wurde die Erschießung von zwei bedeutenden Geschäftsführern gemeldet.

Dies reichte nicht aus, um das System wieder auf den von der Regierung gewünschten Stand zu bringen, und die Regierung reagierte darauf, indem sie den Geschäftsführern den begrenzten Ermessensspielraum nahm, den sie noch hatten. Auf diese Weise näherte sie sich dem russischen System der bürokratischen Kontrolle an, obwohl man nicht sagen kann, dass das deutsche System aufgegeben wurde, da das Privateigentum formell größtenteils bestehen blieb. Die Art und Weise, wie die Regierung dies tat, ist insofern von Interesse, als manchmal behauptet wird, Mises habe gesagt, der Test, ob eine Wirtschaft als sozialistisch gelte, sei das Vorhandensein eines Aktienmarktes. Tatsächlich hatte die deutsche Wirtschaft jedoch einen Aktienmarkt, und entgegen der Mises zugeschriebenen Aussage hält er sie für sozialistisch. In dem Bestreben, mehr Kontrolle auszuüben, verschärfte die Regierung jedoch die Vorschriften und stärkte die Rolle der Bürokratie. Die Berichte über ein neues Dekret der Nazi-Regierung im Jahr 1942, so Mises, “sind zweideutig”.

Nach einer Version sind alle Inhaber von Aktien und Unternehmensanleihen verpflichtet, ihre Bestände an die Reichsbank abzuliefern. Nach einer zweiten Version ist nur der Verkauf solcher Wertpapiere an einen anderen Käufer als den Reichsfiskus verboten … Darüber hinaus werden in Zukunft alle Führungskräfte von Unternehmen direkt den Beamten der Reichsbank untergeben sein. Da Deutschland keine Waren mehr in Länder exportiert, die frei sind, andere Anbieter zu bevorzugen, werden die Fähigkeiten und Erfahrungen der ehemaligen Unternehmer nicht mehr benötigt. Das Reich vertraut darauf, dass es den gesamten Produktionsapparat bürokratisch verwalten kann. Damit hat es einen ersten Schritt zum bürokratischen Sozialismus nach russischem Vorbild gewagt.

Mises’ Brief ist eine unverzichtbare Ergänzung seiner Vorstellung vom Wirtschaftssystem der Nazis. Wie die Forschungen von Rainer Zitelmann und anderen gezeigt haben, stützen die Erkenntnisse, die wir seit Mises’ Schreiben über das Wirtschaftssystem der Nazi gewonnen haben, seine zeitgenössische Analyse.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in englischer Sprache am 4. Februar 2022 auf der Homepage des Mises Institute, Auburn, Alabama (USA) erschienen. Sie können das Original HIER aufrufen. Übersetzt von Florian Senne.

David Gordon ist Senior Fellow des Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama. Er ist Autor von Resurrecting Marx und An Introduction to Economic Reasoning, sowie Herausgeber zahlreicher Bücher, unter anderem The Essential Rothbard.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Titelfoto: Adobe Stock (Ehemaliges I.G.-Farben-Haus (Poelzig-Bau), Frankfurt am Main)

 

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