Der neue Antikapitalismus von Rechts

20. April 2022 – von Rainer Zitelmann

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Rainer Zitelmann

Kapitalismuskritik verbinden die meisten Menschen vor allem mit linker Gesinnung. Doch zunehmend gibt es auch einen Antikapitalismus von rechts. Die AfD hat bekanntlich vor allem in Ostdeutschland Wahlerfolge, wo der Antikapitalismus – dies bestätigen zahlreiche Umfragen – sehr viel stärker verbreitet ist als in Westdeutschland. Sie setzt dabei bewusst auf das Thema des „sozialen Patriotismus“ und gewinnt damit viele Wähler, die früher die LINKE gewählt haben. Der rechte Antikapitalismus findet eine theoretische Fundierung durch Autoren wie etwa Benedikt Kaiser oder Götz Kubitschek. Sie können dabei an eine lange historische Tradition des rechten Antikapitalismus in Deutschland anknüpfen – von der sogenannten „Konservativen Revolution“ bis zum Nationalsozialismus.

Die Kapitalismuskritik der antikapitalistischen Rechten und ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen unterscheiden sich dabei nur graduell von denen der Linken. In der programmatischen Schrift „Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts“ zitiert Kaiser, der bekannteste Vordenker dieser Richtung, zustimmend immer wieder linke Autoren – von Karl Marx und Friedrich Engels bis Sahra Wagenknecht. In der Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse stützt er sich auf die Bücher des französischen linken Ökonomen Thomas Piketty oder auf die Arbeiten von Christoph Butterwege, einem Politikwissenschaftler, der 2017 für die LINKE für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte. Und in seinen Schriften fehlen auch nicht die für das linke Schrifttum typischen Zitate aus den Werken von Erich Fromm und Theodor Adorno. Feindbilder sind dagegen „Marktradikale“, „Neoliberale“, „Libertäre“ – beispielsweise Ludwig von Mises, Milton Friedmann oder Friedrich August von Hayek.

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Stecken Linke und das Großkapital unter einer Decke?

Die zentrale These der rechten Antikapitalisten: Linke Multikultideologen und das Großkapital stecken unter einer Decke. Die eigentlichen Profiteure der Massenzuwanderung seien die Kapitalisten, die damit ein großes Reservoir an billigen Arbeitskräften bekämen. Die linken Ideologen, die „offene Grenzen“ forderten, betrieben damit in Wahrheit eine Politik im Interesse des Kapitals. „Nicht ‚die Linke’, schreibt Kaiser in seinem Büchlein „Blick nach Links“, „forciert Massenmigration, auch wenn sie es aus ideologischem Antrieb heraus goutiert und medienwirksam akklamiert. Forciert wird diese Entwicklung primär vom einst so bezeichneten ‚Großkapital’ in Form von Industrie- und Unternehmerverbänden.“ Ähnlich argumentiert übrigens Sahra Wagenknecht in ihren Schriften: die unkontrollierte Massenzuwanderung schwäche den Sozialstaat und liege in Wahrheit im Interesse des Kapitals, was nur die von ihr kritisierten „Lifestyle-Linken“ nicht erkennen wollten.

Hier bleiben indes Fragen: Warum eine Massenzuwanderung im Interesse „des Großkapitals“ sein soll, bleibt unerfindlich. Ja, „das Kapital“ will Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte nach Deutschland, und das ist nicht nur im Interesse der Unternehmen, sondern der gesamten Gesellschaft, weil nicht zu erkennen ist, wie realistischerweise die demografischen Probleme anders zu bewältigen sein sollen. Aber diese immer wieder geforderte Zuwanderung qualifizierter Kräfte findet ja in Deutschland kaum statt: Für Fachkräfte gibt es unzählige bürokratische Hürden, während eine Zuwanderung in die Sozialsysteme vergleichsweise viel leichter ist: Man muss nur an der Grenze das Wort „Asyl“ sagen. Daher findet seit Jahren eine Massenzuwanderung in die Sozialsysteme statt, die selbstverständlich weder im Interesse des „Kapitals“ noch von Arbeitnehmern ist – und von der Mehrheit der Menschen in Deutschland auch abgelehnt wird, wie alle Umfragen zeigen. Die massive Zuwanderung in die Sozialsysteme erschwert sogar die notwendige Zuwanderung von Fachkräften, weil durch die daraus entstehenden Probleme insgesamt die Akzeptanz für Zuwanderung in der Bevölkerung sinkt. Dieses Beispiel zeigt, dass die These, die Ziele von linken Multikulti-Ideologen und Kapitalismus seien identisch, abwegig ist, weil eben nicht zwischen der Art der Zuwanderung differenziert wird. Zweifelsohne passen sich Manager von Großkonzernen heute oft willfährig an den linksgrünen Zeitgeist an, aber das ist ein Zeichen von Opportunismus und kein Beleg dafür, dass sie die eigentlichen Treiber der Linksentwicklung sind.

Allenfalls Lippenbekenntnisse zum Privateigentum

So wie sich linke Antikapitalisten – wie etwa Sahra Wagenknecht – plakativ zur „sozialen Marktwirtschaft“ bekennen, so sagen auch die rechten Antikapitalisten, sie seien zwar gegen den Kapitalismus, aber nicht gegen die Marktwirtschaft. Doch dieses Bekenntnis zur Marktwirtschaft kann man nicht ernst nehmen, da deren zentrale Elemente, wie etwa das Privateigentum, abgelehnt werden. Formal bekennen sich freilich linke wie rechte Antikapitalisten heute oft zum Privateigentum, doch gemäß dem „Primat der Politik“ soll der Staat sehr enge Grenzen über die Verfügungsgewalt setzen und strikte Vorgaben machen. Kaiser zitiert zustimmend Axel Honneth, einen Theoretiker der „Frankfurter Schule“, der meint, man müsse hinterfragen, „warum das bloße Eigentum an Produktionsmitteln überhaupt einen Anspruch auf die damit erzielten Kapitalerträge rechtfertigen soll“. Und Kaiser kritisiert, „dass sich auch weite Teile des konservativen Spektrums auf die Apotheose des Privateigentums (an Produktionsmitteln) als eines der höchstzuschätzenden Prinzipien… fixierten“.

Teile der Wirtschaft sollen verstaatlicht werden. Götz Kubitschek, einer der Vordenker der antikapitalistischen Rechten, fordert, „dass der Staat die Grundversorgung in den Bereichen Verkehr, Bankwesen, Kommunikation, Bildung, Gesundheit, Energie, Wohnraum, Kultur und Sicherheit als Staat sicherzustellen hat, nicht nur als Ordnungsrahmen rund um private Anbieter, denen es vor allem um die Filetstücke geht“. Die Aufgabe laute daher „Verstaatlichung bei gleichzeitiger Verschlankung der Bürokratie“ – wobei er nicht zu erkennen scheint, dass die Bürokratie zwangsläufig umso mehr wuchert, je stärker sich der Staat in die Wirtschaft einmischt. Kaiser findet, man solle nachdenken über die Verstaatlichung aller Bereiche der Wirtschaft, die für die Entwicklung des Landes von entscheidender Bedeutung sind, z.B. Schwerindustrie, Chemie und Transportwesen. Auch Elektrizitätswerke, Wasserwerke und so weiter sollten nicht privat betrieben werden. Großzügig wird dagegen zugestanden, dass die Leicht- und Konsumgüterindustrie „Betätigungsfeld für die genossenschaftliche und privatkapitalistische Initiative“ bleiben könnten.

Marx, Engels und Lenin, auf die sich auch die rechten Antikapitalisten häufig beziehen, hätten die Ideologie der rechten Antikapitalisten als kleinbürgerlich-reaktionäre Kritik am Kapitalismus gebrandmarkt, da sie die gesellschaftliche Entwicklung zurückdrehen wollen. Suspekt sind alle Großunternehmen und „Konzerne“, idealisiert werden „Verbrauchergemeinschaften, genossenschaftlich organisierte Dorfgasthäuser, die in der Form eines gemeinsamen Festes eine Natural-Dividende ausgeben, sowie Bauernhöfe, die ihre Kleininvestoren kostenlos mit Lebensmitteln beliefern (Aktienrendite)“. Experimentierfeld für solche antikapitalistischen Träume solle Ostdeutschland sein. Immerhin, so argumentiert Kaiser, zeigten Umfragen, dass 75 Prozent der Ostdeutschen in einer sozialistischen Ordnung eine gute, aber falsch ausgeführte Idee sehen.

Eine andere Idee: In Anlehnung an Otto Strasser, den Anführer der „linken Nationalsozialisten“, stellt Kaiser die Idee eines „Erblehens“ zur Debatte, das an Stelle des Privateigentums treten könne. Der Staat bliebe demnach alleiniger Eigentümer an Grund und Boden und Produktionsmitteln, überließe die Bewirtschaftung dem einzelnen „je nach Fähigkeit und Würdigung als Erblehen“.

Ausdrücklich beziehen sich die Autoren dieser Szene auf Theoretiker der „Konservativen Revolution“ der Weimarer Republik wie etwa Ferdinand Fried, der ein Autarkie-Konzept propagierte – auch wenn sie einräumen, dass eine reine Autarkie heute nicht möglich sei.

Sozialpolitische Ideen gleichen denen der Linken

Ansonsten sind sozialpolitische Tagesforderungen deckungsgleich mit denen der Linken beziehungsweise des linken Flügels der SPD. Beide Parteien fordern eine sogenannte Bürgerversicherung und auch die Rechten fordern eine Einbeziehung aller in die Sozialversicherungssysteme, Abschaffung von Beitragsbemessungsgrenzen und Ausdehnung auf alle Einkunftsarten, um Besserverdiener sehr viel stärker zu belasten. Selbstverständlich soll auch die Einkommensteuer für Spitzenverdiener erhöht die Vermögensteuer wieder eingeführt werden. Unterschiede zu entsprechenden Forderungen von Linken, SPD und Grünen sind kaum erkennbar.

Auch die Terminologie ist identisch, so wenn Kaiser kritisiert:

Doch es zählt unter kapitalistischen Auspizien nicht gesellschaftlicher Wert, sondern sich selbst verwertender Wert – zumal in Zeiten des Triumphs der leistungslosen Spitzeneinkommen.

Das Bild einer „gehegten und gelenkten sozialen Marktwirtschaft“ beziehungsweise der „gesteuerten sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“ (Kaiser) hat tatsächlich sehr wenig mit Marktwirtschaft zu tun. Die Hoffnung der antikapitalistischen Rechten ist es, nationale und soziale Elemente in einer Bewegung zusammenzubringen, wobei beiden gemeinsam der Hass auf „die Reichen“ ist. Zustimmend zitiert Kaiser die Forderung des ehemaligen US-amerikanischen Arbeitsministers und Kapitalismuskritikers Robert B. Reich:

Wir müssen eine gemeinsame Bewegung schaffen, die Rechte und Linke zusammenbringt, um die reiche Elite zu bekämpfen.

Die kurzfristige Aufgabe sahen diese Kräfte zunächst darin, die wirtschaftsliberalen Elemente in der AfD zurückzudrängen beziehungsweise aus der Partei zu drängen, um Platz zu machen für die von Björn Höcke und anderen propagierte Linie des „Sozialpatriotismus“. Man sollte die rechten Antikapitalisten nicht unterschätzen, denn dieses Ziel haben sie schon fast vollständig erreicht. Und dass die Synthese nationaler und sozialer Motive eine hohe Mobilisierungskraft hat, beweisen nicht nur entsprechende Bewegungen in Frankreich (wie etwa der Rassemblement National von rechts oder die linksnationale Mélenchon-Bewegung), sondern auch aus der deutschen Geschichte wissen wir, wie explosiv die Mischung von Nationalismus und Sozialismus werden kann. Damit soll nicht gesagt werden, dass es sich bei den neurechten Antikapitalisten um Nationalsozialisten handelt, aber national orientierte Sozialisten sind es sicherlich. Wer die Bücher „Die Selbstgerechten“ von Sahra Wagenknecht (Vordenkerin der linken Antikapitalisten) und „Solidarischer Patriotismus“ von Benedikt Kaiser (Vordenker der rechten Antikapitalisten) vorurteilsfrei nebeneinanderlegt und vergleicht, wird sehr viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede erkennen.

Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist promovierter Historiker und Soziologe und Autor der Bücher „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ und „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

 

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