“Michael Gartenschläger steht einfach für sich. Für den ewigen Kampf um die Freiheit”
2. August 2021 – Interview mit Stefan Griese, zweiter Vorsitzender des Michael Gartenschläger Instituts für freiheitlichen Aktivismus e.V. (MGI e.V.). Das Interview führte Andreas Tiedtke.
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Herr Griese, Sie sind 2. Vorsitzender des Michael Gartenschläger Instituts (MGI). Könnten Sie unseren Lesern kurz erklären, wer Michael Gartenschläger war und wie er sich für die Freiheit eingesetzt hat?
Die DDR, ein in Deutschland meist sträflich ignoriertes Unrechtsregime, hatte zu Michael Gartenschlägers Lebzeiten bereits ein sehr hohes Maß an Unterdrückung erreicht. Der damals jugendliche Gartenschläger wollte das nicht hinnehmen. Er rebellierte gegen die totalitäre Enge der Diktatur, sprühte Slogans wie „lieber tot als rot“ an Häuserwände und setzte mit anderen eine LPG-Scheune in Brand. Dafür wurde er dann zu lebenslangem Zuchthaus, also Gefängnis unter verschärften Bedingungen, verurteilt.
Von zehn Jahren Haft gezeichnet, wurde er dann vom Westen freigekauft und engagierte sich als Fluchthelfer. 1976 dann sein größter Coup: Er demontierte in einer Nacht- und Nebelaktion eine der Selbstschussanlagen an der Mauer und verkaufte sie an den Spiegel. Das war damals eine Riesengeschichte, die dem roten Regime schweren Imageschaden bereitet hat.
Beim Versuch weitere Anlagen zu erbeuten, wurde er dann an der Grenze von Stasi-Mitarbeitern erschossen, danach seine Leiche heimlich beerdigt. Für uns ist Gartenschläger damit ein herausragendes Beispiel für einen praktischen und konsequenten Liberalismus.
Hieran anknüpfend: Wissen Sie, wer die „geistigen Vorbilder“ Michael Gartenschlägers waren? Oder hatte er eher einen intuitiven Zugang zum Thema Freiheit?
Ich glaube, die Liebe zur Freiheit kam für Gartenschläger weniger durch abstrakte politische Theorie. Er war ein großer Bewunderer der kapitalistischen und amerikanisch geprägten Westberliner Kultur, des Rock‘n‘Roll. Eher ein normaler Jugendlicher mitten aus einem von der Freiheit abgeschnittenem Volk. Und in seiner Zeit ein Rebell.
Wie sind Sie persönlich auf Michael Gartenschläger aufmerksam geworden? Können Sie sagen, wann und in welchem Zusammenhang Sie zum ersten Mal von ihm gehört haben?
Bei der Gründung des Instituts haben wir sehr lange nach einer konsequent liberalen deutschen Persönlichkeit gesucht. Und zwar konsequent in dem Sinne, dass der unbändige Wunsch nach einem Mehr an Freiheit sich nicht nur theoretisch, sondern ganz unmittelbar im Handeln gezeigt hat. Einen Aktivisten der Tat. Michael Gartenschläger ist befreit von postmodernem Relativismus oder strategischen Abstrichen. Er steht einfach für sich. Für den ewigen, urmenschlichen Kampf um die Freiheit.
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Auf Ihrer Homepage schreiben Sie, das Michael Gartenschläger Institut „unterstützt freiheitliche Aktivisten in Medien und Kultur, bildet politisch und fördert die freiheitliche Bewegung durch Forschung und Vernetzung“. Wie sieht das konkret aus? Können Sie hier einige Beispiele nennen?
Wie Fridays for Future oder auch die zahlreichen linken und neurechten Kulturangebote zeigen, sind alle großen politischen Bewegungen mit einem umfassenden Vorfeld ausgestattet. Sie können auf kulturelle Institutionen, Veranstaltungen und Medien zurückgreifen. Der Liberalismus in Deutschland hat das kaum. Es gibt kein liberales Pendant zu Ende Gelände, Antifa-Aktivismus oder neurechten Musikfestivals.
Wir treten an, das zu ändern. Unser Ziel ist eine liberale Szene, die aus moralischer Grundüberzeugung für die Freiheit eintritt. Dafür veranstalten wir beispielsweise 2021 das freiheitliche Sommercamp Liberty Sunrise. Ein freiheitliches Plattenlabel ist gerade in Arbeit (auf Youtube unter Capitalist Squad zu finden) und vermutlich als Nächstes folgt ein Schülerwettbewerb über die Schrecken des Sozialismus.
Wenn ich mir Ihr Team ansehe, sind vor allem junge Menschen dabei. Würden Sie sagen, dass in den vergangenen Krisenjahren sich mehr junge Menschen für das Thema Freiheit interessieren?
Ja, definitiv! Wir sehen uns in der Speerspitze eines größeren Trends. Durch die immer größere linksgrüne Prägung in der Schule und im Privatleben wird vielen jungen Erwachsenen klar, wie wichtig die Freiheit ist. Viele junge Menschen sehen auf den Heften und Mappen ihrer Mitschüler vermehrt Antifa-Aufkleber, antikapitalistische grüne Propaganda und sogar Hammer und Sichel. Sie stellen fest, dass individuelle Freiheit und Eigenverantwortung keine Selbstverständlichkeiten sind. Dazu bemerken Sie eine Lust am Autoritären, manche würden sagen einen “Untertanen-Geist”, wenn sie in die Medien oder auch Kulturangebote schauen.
Die Gegenreaktion ist daher sehr lebhaft, wie man etwa an Influencern wie Benedikt Brechtken sieht. Auch der Aufschwung des ursprünglich 2020 als Satireprojekt gestarteten Forums Die Marktradikalen ist da ein Zeichen.
Wie Sie oben bereits sagten, veranstalten Sie diesen Sommer, beginnend am 10. August ein freiheitliches Sommercamp namens Liberty Sunrise 2021. Können Sie kurz skizzieren, wer die Zielgruppe ist, was dort geplant ist und ob das Projekt den von Ihnen erwarteten Zulauf hat, sofern Sie das jetzt bereits absehen können?
Bisher sind Klassisch-Liberale und Libertäre in Deutschland ziemlich vereinzelt, häufig sogar einsam. Besonders junge Menschen. Sie müssen sich jeden Tag Staatsgläubigkeit, Klimapanik und Berufsempörung anhören und können selten selber über ihre Visionen eines guten, freiheitlichen Lebens reden.
Das Liberty Sunrise ist ein Refugium genau für diese Menschen: Ein Ort, um Gleichgesinnte zu treffen und sich in über 30 Workshops zu bilden. Dort geht es um praktische Lebensverbesserungen (z.B. Rhetorik oder legale Bewaffnung), Wirtschaft und Politik (z.B. Österreichische Schule und Ayn Rand) oder liberalem Aktivismus (z.B. sprechen Hongkonger über ihren Straßenkampf). Das Camp hat einen sehr guten Zuspruch, wir blicken aktuell glücklich auf über 60 Anmeldungen und sind vielleicht noch 20 Personen von der Kapazitätsgrenze auf unserem großen Gelände entfernt.
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Informationen zum
Sommercamp Liberty Sunrise
vom 10.08.2021 bis 15.08.2021
finden Sie hier!
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Auf Ihrer Homepage beschreiben Sie als Ziel des MGI „eine gesellschaftliche Ordnung, die nicht auf staatlichem Zwang, sondern auf Eigenverantwortung und Freiwilligkeit aufbaut“. Betrachtet einer die von den Leitmedien unterstützten politischen Agenden in den letzten Jahren und die stete Ausweitung der Staatstätigkeit hinein bis in nahezu jeden privaten Bereich, könnte er zu dem Eindruck gelangen, die Reise ginge in die entgegengesetzte Richtung: Hin zu immer mehr Kollektivismus und ein ständiger Rückgang der persönlichen Freiheiten. Wie optimistisch sind Sie, ihrem Ziel näher zu kommen?
Die immer stärker werdende Tendenz zum Autoritarismus, aktuell katalysiert von der Angst vor dem Klimawandel oder dem Corona-Virus, ist für uns Freunde der Freiheit tatsächlich zweischneidig. Einerseits ist es natürlich grausam zu sehen, wie den Menschen die Möglichkeit genommen wird, ihr Leben zu kontrollieren oder wirtschaftlich selbstbestimmt zu Handeln.
Andererseits sehe ich als Sozialwissenschaftler die Masse der Menschen, die von ihren Werten und politischen Anschauungen eher diffus sind. Sie beschäftigen sich, aus einer gesunden Haltung heraus, nicht mehr als nötig mit Politik.
Zunehmend wird es jedoch nötig, über Politik nachzudenken. Das liegt daran, dass sie in immer mehr Lebensbereichen eindringt – ja, sogar in die eigenen vier Wände. Und plötzlich merken viele, dass Sie das gar nicht möchten und wie liberal sie eigentlich sind. Das zeigen auch Umfragen, wie jüngst die von der INSM: Nur 8 Prozent der Deutschen denken, der Staat kann ihre wirtschaftliche Situation irgendwie verbessern.
Wir sind daher optimistisch. Die Leute lassen sich Gängelei immer weniger gefallen. Wir möchten diese Energie nutzen.
Sie richten sich auch und mit dem Sommercamp wohl vorwiegend an jüngere Menschen. Könnten Sie jüngeren Menschen, die sich für Freiheit interessieren, Literatur empfehlen, die vielleicht auch Sie inspiriert und motiviert hat?
Ayn Rand und Ludwig von Mises sind eindeutig unsere größten Einflüsse. Beide Autoren stehen wie kaum jemand anders für die Ausschöpfung der Möglichkeiten eines jeden Einzelnen, das Wachstum über unsere wahrgenommenen Grenzen hinaus und natürliche die Energie eines freiheitlichen Lebens. Wir möchten insbesondere Atlas Shrugged jedem Leser ans Herzen legen. Einer der besten Romane aller Zeiten.
Vielen Dank für das Interview!
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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Stefan Griese ist zweiter Vorsitzender des Michael Gartenschläger Institut für freiheitlichen Aktivismus e.V. (MGI e.V.). Er ist Masterstudent der Soziologie und Politikwissenschaft in Göttingen. Nach mehrjähriger Parteiarbeit und Aktivismus sowie Erfahrungen in der Marktforschung führte ihn sein Studium an die Korea University in Seoul. Dort beschloss er mit seinen Kommilitonen Max Leonard Remke dem klassischen Liberalismus in Deutschland eine kulturelle Basis zu geben. Neben dem MGI leiten die beiden Liberty Rising, die größte deutsche klassisch-liberale Jugendorganisation.
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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.
Foto Gartenschläger (Titelfoto): Lothar Linicke