Carl Menger: Wert (Teil 3)

25.08.2021 – Dies ist der dritte Teil der Reihe über die 1871, vor 150 Jahren, erschienenen „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“ von Carl Menger.

von Antony P. Mueller

[Hier können Sie diesen Beitrag als Podcast hören.]

Allgemeiner Wertbegriff

Antony P. Mueller

Der Wert eines Gutes ergibt sich aus der Erkenntnis, dass jede Teilmenge dieses Gutes mit einer Bedürfnisbefriedigung verbunden ist. Ein Gut erfährt seine Wertschätzung über das Wissen, dass seine Verwendung dazu dient, ein Bedürfnis zu befriedigen.

Nichtwirtschaftliche Güter haben keinen Wert. Wenn genügend Angebot vorhanden ist, um alle Wünsche nach diesem Gut vollständig zu befriedigen, ist die Teilmenge dieses Gutes wertlos. Daher haben nichtwirtschaftliche Güter nicht nur keinen Tauschwert, sondern überhaupt keinen Wert und damit auch keinen Gebrauchswert.

Carl Menger macht das an einem Beispiel deutlich:

Wenn die Bewohner eines Dorfes täglich tausend Eimer Wasser benötigen, um ihren Bedarf an diesem Gute vollständig zu decken, und über einen Bach verfügen, der täglich hunderttausend Eimer Wasser führt, so hat für dieselben eine konkrete Teilquantität dieses Wassers, z. B. ein Eimer, keinen Wert, weil sie ihr Bedürfnis nach Wasser auch dann noch ebenso vollständig befriedigen können, wenn diese Teilquantität ihrer Verfugung entzogen, oder dieselbe überhaupt ihre Güterqualität einbüßen würde. Ja, sie werden täglich viele tausend Eimer dieses Gutes dem Meere zufließen lassen, ohne um dessentwillen in der Befriedigung ihres Bedürfnisses nach Wasser irgendwie geschädigt zu werden. (Grundsätze, S. 82 f.)

Tauschwert wie Gebrauchswert sind beide dem allgemeinen Wertbegriff untergeordnete, d. h. in ihrem Verhältnis aufeinander abgestimmte Begriffe. Dementsprechend gilt der allgemeine Wertbegriff sowohl für den Gebrauchswert als auch für den Tauschwert.

Nützlichkeit ist die Eignung einer Sache, der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu dienen. Auch nichtwirtschaftliche Güter sind nützlich, wenn sie unsere Bedürfnisse gleichermaßen wie wirtschaftliche Güter befriedigen. Nutzen und Wert fallen nicht zusammen. Die Verwechslung von Nützlichkeit mit Gebrauchswert hatte nie praktische Konsequenzen, behinderte aber den Fortschritt der Wirtschaftswissenschaft. Tatsächlich wurden praktische Menschen nie Opfer dieses Fehlers. Dass ein Gut für uns einen Wert hat, liegt darin, dass es zur Verfügung steht, ein Bedürfnis zu befriedigen. Der Wert von Gütern ist nicht willkürlich, sondern die notwendige Folge der Erkenntnis des Menschen, dass die Erhaltung seines Lebens und seines Wohlergehens von der Disposition über ein bestimmtes Gut oder über eine Gesamtheit bestimmter Güter abhängt.

Nützlichkeit ist die Tauglichkeit eines Dinges, der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu dienen, und demnach (und zwar die erkannte Nützlichkeit) eine allgemeine Voraussetzung der Güterqualität. Auch nicht ökonomische Güter sind nützlich, indem dieselben zur Befriedigung unserer Bedürfnisse ebenso wohl tauglich sind, als die ökonomischen, und diese Tauglichkeit muss auch bei ihnen eine von den Menschen erkannte sein, sonst könnten sie überhaupt nicht die Güterqualität erlangen. (S. 84)

Dass ein Gut für ein Individuum Wert hat, liegt daran, dass die Verfügung über dieses Gut die Bedeutung einer Bedürfnisbefriedigung hat.

Der Güterwert ist demnach nichts willkürliches, sondern überall die notwendige Folge der Erkenntnis des Menschen, dass von der Verfügung über ein Gut oder einer Güterquantität die Aufrechterhaltung seines Lebens, seiner Wohlfahrt, oder doch eines, wenn auch noch so geringfügigen Teiles derselben abhängig ist. (S. 85)

Der Warenwert richtet sich nach dem Verhältnis der Ware zu unserem Bedarf, und nicht nach der Ware selbst. Mit der Änderung dieser Beziehung wird der Wert folglich auftauchen oder verschwinden. Der Wert ist nichts, was den Gütern anhaftet. Wert besteht nicht in den objektiven Gütereigenschaften und existiert nicht als ein eigenständiger Faktor oder ein für sich bestehendes Ding.

Wert ist vielmehr ein von wirtschaftenden Menschen getroffenes Urteil, die diese

über die Bedeutung der in ihrer Verfügung befindlichen Güter für die Aufrechthaltung ihres Lebens und ihrer Wohlfahrt fällen, und (ist) demnach außerhalb des Bewusstseins derselben nicht vorhanden. (S. 86)

In der Volkswirtschaftslehre hat die Objektivierung des Wertes, wie es ausgehend von Adam Smith bis Karl Marx und darüber hinaus geschah, viel zur Verwirrung beigetragen. Karl Marx hat sein ganzes Theoriegebäude auf diesem Irrtum aufgebaut. Vom Wert wie von selbständigen realen Dingen zu sprechen und dadurch den Wert zu objektivieren, hat zu einer langen Reihe von weiteren Irrtümern geführt, die bis in die heutige Zeit anhalten. Obwohl inzwischen die moderne Mikroökonomie die subjektive Werttheorie voll übernommen hat, geistert die objektive Wertlehre weiter im Marxismus herum und prägt auch vielfach die Vorstellungen in der Politik. Die objektive Wertlehre ist nicht aufrechtzuerhalten.

Denn das, was objektiv besteht, sind doch immer nur die Dinge, beziehungsweise die Quantitäten derselben, und ihr Wert ist etwas von denselben wesentlich Verschiedenes, ein Urteil nämlich, welches sich die wirtschaftenden Individuen über die Bedeutung bilden, welche die Verfügung über dieselben für die Aufrechterhaltung ihres Lebens, beziehungsweise ihrer Wohlfahrt hat. (S. 86)

Wie der Wert eines Gutes aus Wünschen resultiert, so muss der Wert eines Gutes davon abhängen, in welchem ​​Maße unsere Wünsche befriedigt werden. Aus den Bestimmungen des Warenwertes ergeben sich die zeitlichen Schwankungen des Warenwertes sowie die Rangfolge der Güter.

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Rangfolge

Die Befriedigungsgrade der menschlichen Bedürfnisse sind unterschiedlich, angefangen bei der Dringlichkeit der Lebenserhaltung bis hin zu solchen, die nur ein kurzes Vergnügen bereiten. Dieselbe Variation zeigt sich nicht nur zwischen verschiedenen Zufriedenheitsbereichen im Allgemeinen, sondern auch bei der Befriedigung eines bestimmten Typus von Bedürfnissen. Das Beispiel der Nahrung zeigt, dass Essen einerseits der Lebenserhaltung dient, der Verzehr von Lebensmitteln aber auch der Luststeigerung dient, während der Konsum im Übermaß Unpässlichkeit hervorruft. Während Wohnen für die Erhaltung des Lebens unerlässlich ist und ein größeres Haus das Vergnügen steigert, bringt eine extreme Größe neben der Gleichgültigkeit gegenüber dem Luxus auch die Belastung mit sich, die der Unterhalt erfordert. Die Befriedigung desselben Wunsches variiert selbst bei wesentlichen Bedürfnissen. Auch hier reicht die Variation vom Bedürfnis über Genuss bis zu Ekel.

Das Handeln der Wirtschaftssubjekte besteht darin,

eine Wahl treffen zu müssen zwischen der Befriedigung eines Bedürfnisses, von welcher die Erhaltung ihres Lebens, und einer anderen, von welcher lediglich ihr größeres oder geringeres Wohlbefinden abhängt. (S. 89)

Der wirtschaftende Mensch verfolgt so seine Bedürfnisbefriedigung entsprechend einer Rangordnung, bei der die Erhaltung des Lebens an erster Stelle steht und die weiteren Bedürfnisse nach dem mit ihnen verbundenen Wohlbefinden.

Die Wertschätzung ist relativ einfach, wenn ein Gut nur einer Art der Befriedigung dienen soll. Im wirklichen Leben haben wir es jedoch mit Mehrzweckgütern zu tun. Es gibt eine Vielzahl von Wünschen, die der Gebrauch eines bestimmten Gutes in unterschiedlichem Maße befriedigen kann. Ein Bauer zum Beispiel kann seine Getreideernte für verschiedene Zwecke nutzen, angefangen bei der Erhaltung seines Lebens bis hin zur Verwendung für Spirituosen oder Tiernahrung. Es stellt sich somit die Frage, welchen Wert unter solchen Umständen eine bestimmte Teilmenge an Getreide für diesen Landwirt hat und wie die unterschiedlichen Nutzungen einzuordnen sind. Welche Zwecke haben einen größeren, welche einen geringeren Wert? Worauf Menger mit diesen Fragen hinarbeitet, ist zu zeigen, dass sich die Bedeutung der Zufriedenheit mit der Nutzung fundamental mit der verfügbaren Menge ändert, obwohl das Gut selbst dasselbe bleibt.

Die wirtschaftliche Anstrengung richtet sich auf eine möglichst vollständige Befriedigung der Bedürfnisse. Verfügt ein Wirtschaftssubjekt über mehr Waren als zur Befriedigung des höchstrangigen Bedürfnisses nötig sind, finden die nächstfolgenden Befriedigungen Berücksichtigung und so weiter abwärts in der Rangfolge der Bedürfnisbefriedigung.

Der wirtschaftende Mensch ordnet die Rangfolge nach der Bedeutung, welche der konkreten Verwendung einer Teilmenge eines Gutes beigemessen wird. Der Wert jedes Teils der Gesamtmenge des erreichbaren Gutes ist gleich der Bedeutung, die diese Teilmenge für die Befriedigung des untergeordneten Wunsches hat.

Der Wert eines bestimmten Gutes oder der Teilmenge eines Gutes ist gleich der Befriedigung, die noch durch die Befriedigung des unwichtigsten Bedürfnisses gewährleistet ist. Nicht nur der Wert des Gutes ist subjektiv, sondern auch die Bewertung seiner Teilmengen.

Die Größe der Bedeutung, welche die verschiedenen konkreten Bedürfnisbefriedigungen (die einzelnen Akte derselben, welche eben durch konkrete Güter herbeigeführt werden können) für uns haben, ist eine ungleiche und das Maß derselben liegt in dem Grade ihrer Wichtigkeit für die Aufrechterhaltung unseres Lebens und unserer Wohlfahrt. (S. 107)

Während ein Wirtschaftssubjekt eine bestimmte Menge eines Gutes gleich einer größeren Menge eines anderen Gutes schätzt, ist es bei einem anderen Wirtschaftssubjekt nicht selten möglich, genau das umgekehrte Verhältnis des Warenwertes zu beobachten. Dementsprechend ist der Wert nicht nur in seinem Wesen, sondern auch in seiner Dimension subjektiv.

Wert der Produktionsgüter

Der Wert eines Gutes wird nicht durch die zu seiner Produktion benötigte Menge einschließlich der dafür aufgewendeten Arbeit bestimmt, sondern durch die subjektive Einschätzung. Dieses Subjektivitätsprinzip gilt auch für Investitionsgüter. Nicht die Kosten von Produktionsgütern bestimmen den Wert von Konsumgütern, sondern im Gegenteil steht fest,

… dass der Wert der Güter höherer Ordnung auch nicht das maßgebende Moment des voraussichtlichen Wertes der entsprechenden Güter niederer Ordnung, oder aber der Wert der zur Hervorbringung eines Gutes bereits verwendeten Güter höherer Ordnung das maßgebende Moment seines effektiven Wertes sein kann, sondern umgekehrt unter allen Umständen der Wert der Güter höherer Ordnung sich nach dem voraussichtlichen Werte der Güter niederer Ordnung richtet, zu deren Hervorbringung dieselben von den wirtschaftenden Menschen bestimmt sind, oder voraussichtlich bestimmt werden. (S. 234)

Aus dieser Überlegung ergibt sich „das Wertprinzip höherwertiger Güter“, dass der Erwartungswert der Güter höherer Ordnung durch den Erwartungswert der Güter erster Ordnung bedingt ist. Folglich können Güter höherer Ordnung, also die Produktionsgüter, nur insoweit an Wert gewinnen und ihn erhalten, als sie der Erzeugung von Gütern erster Ordnung, also den Verbrauchsgütern, dienen.

Bei dieser Bewertung zählt die Schätzung zwischen dem zukünftigen Bedarf und der erwarteten zukünftig zu erreichenden Menge. Damit kommt das Prinzip der Zeitpräferenz ins Spiel, das besagt, dass die dringendsten menschlichen Anliegen auf die Erhaltung des Lebens und des Wohlbefindens in der Gegenwart oder nahen Zukunft gerichtet sind. Diese Sorge lässt nach, wenn der Zeitraum weiter in der Zukunft liegt. Dieses Phänomen ist kein Zufall, sondern wurzelt in der menschlichen Natur, weil die Sicherstellung der Befriedigung der Bedürfnisse der Gegenwart und der früheren Perioden notwendigerweise denen der späteren Perioden vorausgehen muss. (S. 127)

Waren, die erst in Zukunft greifbar sind, helfen bei einem aktuellen Mangel nicht zur Erhaltung unserer Existenz oder unserer Gesundheit. Somit stellen die unmittelbaren Bedürfnisse und Wünsche eine Grenze für die Anhäufung von Gütern höherer Ordnung dar. Die gegenwärtigen Umstände setzen dem Bemühen um die fortschreitende Nutzung von Investitionsgütern eine Grenze. Die Erzielung des wirtschaftlichen Nutzens aus Gütern höherer Ordnung hängt von der Bedingung ab, dass die unmittelbaren Bedürfnisse und die der nahen Zukunft befriedigt werden.

Es ist … nicht der Wert der Güter niederer Ordnung in der Gegenwart, wonach sich der Wert der entsprechenden Güter höherer Ordnung richtet, sondern vielmehr unter allen Umständen der voraussichtliche Wert des Produktes, welcher das maßgebende Prinzip des Wertes der bezüglichen Güter höherer Ordnung ist. (S. 126)

Mit dieser Beobachtung bringt Menger die Rolle des Unternehmers ins Spiel. Dieser sorgt für die Umwandlung von Gütern höherer Ordnung in Güter niedrigerer Ordnung und leitet diesen Prozess auf der Grundlage wirtschaftlicher und technischer Kenntnisse und Berechnungen. Neben dem Einsatz von Wissen und Kalkül ist die unternehmerische Funktion auch ein Akt der Willenskraft und Motivation des Unternehmers, den Produktionsprozess unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit zu überwachen und zu steuern. Zu den Gütern höherer Ordnung zählen nicht nur solche, die für die technische Produktion notwendig sind, sondern auch Kapital und unternehmerische Tätigkeit.

Abschluss

Der Güterwert ist subjektiv, individuell und situativ. Er bezeichnet die Bedeutung, die eine bestimmte Person einem bestimmten Gut zu einem bestimmten Zeitpunkt unter bestimmten Umständen beimisst. Ursprünglich haben nur die Güter einen Wert, die dem menschlichen Überleben dienen, und als Folge hiervon übertragen wir diese Bedeutung auf all jene Güter, von denen wir wissen, dass sie zur Befriedigung unserer Bedürfnisse dienen können. Daraus folgt, dass die Bedeutung, die die verschiedenen konkreten Bedürfnisbefriedigungen für uns haben, unterschiedlich groß ist, und zwar in dem Grad ihrer Bedeutung für die Erhaltung unseres Lebens und unseres Wohlergehens. Der Anker aller Wertschätzung ist die Nützlichkeit eines Gutes für das Wohl des einzelnen Menschen. Der Wirtschaftsakteur überträgt den Wert der Güter erster Ordnung auf die Güter höherer Ordnung. Auf diese Weise ist der Wert von Gütern höherer Ordnung eine besondere Manifestation der Bedeutung, die der Mensch seinem Leben und Wohlergehen beimisst. Mit dem Unternehmertum kommt ins Spiel, dass die Produktionsgüter nach dem zukünftigen Bedarf an Konsumgütern abgeschätzt werden und ihre Herstellung dementsprechend zu leiten ist.

Antony P. Mueller ist promovierter und habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und derzeit Professor für Volkswirtschaftslehre an der brasilianischen Bundesuniversität UFS. Er unterhält das Webportal Continental Economics und eine Autorenseite bei Facebook. Soeben ist sein jüngstes Buch unter dem Titel „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie: Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“ bei Amazon Deutschland als E-book erschienen. Eine Print Version ist voraussichtlich im September erhältlich.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

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