„Dann wird das Brüsseler Regime von den Deutschen wahrgenommen als das, was es ist: eine Diktatur.“

3. Mai 2021 – Interview mit Markus C. Kerber zu seinem neuen Buch „Der Deutsche Selbstmord. Wie unser Land in der Corona-Krise für Europa geopfert wird“. Die Fragen stellte Thorsten Polleit.

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Sehr geehrter Herr Kerber, im April 2021 ist Ihr neues Buch “Der Deutsche Selbstmord. Wie unser Land in der Corona-Krise für Europa geopfert wird” erschienen. Der Titel hat bei mir sogleich die Frage ausgelöst: Denken Sie, es ist ein bewusst herbeigeführter Selbstmord, oder handelt es sich gewissermaßen um ein Versehen – dass also die Wahlbürger in etwas hineinstolpern, vielleicht auch hineinstoßen werden, dessen Konsequenzen sie gar nicht übersehen?

Markus C. Kerber

Sie haben mit Ihrer versteckten, semantischen Kritik am Titel des Buches gewiss einen zentralen Punkt getroffen. Wer Hand an sich legt, muss mutig sein. So liegen die Dinge bei der Zustimmung Deutschlands zum „Corona-Aufbaufonds“ gewiss nicht. Vielmehr handelt es sich um ein gigantisches Täuschungsmanöver von EU-Kommission und Frankreich mit seinem Club Med, um endlich etwas zu schaffen, was die EU-Verträge verbieten: Anleihenfinanzierung und EU-Steuern. Das Ergebnis ist in fiskalischer Hinsicht selbstmörderisch für die deutsche Demokratie. Ein Kernsegment derselben wird nach Brüssel verlagert, obwohl die EU-Machthaber nie demokratisch legitimiert wurden. Erschreckend ist der Tiefschlaf des Bundestags. Die Damen und Herren Abgeordneten meinten, hierüber nur 38 Minuten debattieren zu müssen. Dabei haben sie den Löffel abgegeben und ein Ermächtigungsgesetz für die Fiskalunion verabschiedet. Manche wussten, was sie taten. Die meisten folgten einfach ihren Fraktionsführungen und Parteiinstanzen. Insofern auch ein Abgesang des Bundestages. Glücklicherweise gibt es 7 MdBs der CDU, die gegen den Strom schwimmen und sich in Karlsruhe über diesen Anschlag auf die Demokratie, initiiert von Macron und durchgeführt von Merkel und von der Leyen, beschwert haben. Wir werden sehen, ob neben dem Bundestag, der eine Filiale der Parteien geworden ist, auch das Bundesverfassungsgericht vom Institutionenverfall erfasst wurde.

Ihr Worte aufnehmend, fällt mir der Soziologe Robert Michels ein. Er veröffentlichte 1911 sein Buch „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens“. Darin kommt Michels zum Schluss, dass Demokratien die Tendenz haben, Partei- und Machteliten hervorzubringen, die letztlich machen, was sie wollen, die sich nicht mehr um den Wählerwillen scheren. Allerdings scheint mir Michels Schlussfolgerung nur dann plausibel zu sein, wenn auch die Richter mitspielen. Wenn man vor diesem Hintergrund auf die politischen Geschehnisse in Deutschland – Sie selbst sprechen vom „Anschlag auf die Demokratie“ – blickt, dann drängt sich doch der Eindruck auf: Entweder sind die Verfassungsregeln nicht ausreichend, den nach Machtausweitung strebenden Staat und seine Parteien wirksam einzuhegen, und/oder die Richter sind nicht unabhängig genug. Oder übersimplifiziere ich hier als juristischer Laie?

Offengestanden habe ich Robert Michels nicht gelesen. Seine Thesen, so wie Sie wiedergegeben haben, sind aber ein Gemeinplatz im besten Sinne. Sie knüpfen an Max Webers Staatssoziologie an. Oligarchisierungstendenzen sind allen politischen System zu eigen. Demokratien nehmen für sich in Anspruch, diese im Wahlrhythmus zu korrigieren und auch innerhalb von Wahlperioden Rücktritte bei Fehlleistungen zu erzwingen. Dies kann nicht immer mit Regeln erzwungen werden, sondern hängt auch vom Selbstverständnis der „ Eliten“ ab. Je weniger die „Elite“ aber meritokratisch ist, um so weniger respektiert sie diese Anstandsregeln. Ein Versager wie Spahn, der seit Beginn der Pandemie krasse Fehleinschätzungen traf, tritt immer noch dreist vors Mikrofon, als ob nichts wäre. Herr Scholz, in dessen Geschäftsbereich die Wirecard-Pleite zu verantworten ist, spricht sich von aller Verantwortung frei. Frau Merkel liefert im Untersuchungsausschuss eine Portion Anschauung zu Geschäftemachern wie Baron von und zu Guttenberg, ohne auch nur zu bedauern, dass sie ihm beim Geldverdienen im Vorzimmer ihrer Macht geholfen hat. Gerichte müssten daher in solchen Fällen Grenzen ziehen. Das können sie nur, wenn sie frei sind von parteipolitischem Einfluss. Die gilt besonders für das Bundesverfassungsgericht. Die Wahl des ehemaligen CDU/CSU Vize-Fraktionsvorsitzenden zum Gerichtspräsidenten ist ein böses Omen.

In diesem Zusammenhang seien die Anleihekäufe der EZB angesprochen. Aus meiner Sicht als Ökonom ist es unübersehbar, dass die EZB gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstößt (Art. 123 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)). Nicht nur kauft sie Staatsanleihen in großem Stil vor aller Augen. Sie beeinflusst auch noch die Zinsen im Sekundär- und Primärmarkt, so dass die Staaten sich nicht mehr mit marktkonformen Zinsen, sondern mit politisch manipulierten Zinsen refinanzieren können. Sie hatten 2016 Verfassungsbeschwerde gegen diese Geldpolitik eingereicht. Die Richter gaben der EZB recht. Sehen Sie noch eine Chance, aus der vollständigen Monetisierung der Euro-Staatsschulden – und daraus läuft es wohl hinaus, wenn nichts passiert – irgendwie zu entkommen?

Wie Sie wissen, hat eine Gruppe von Professoren und Kapitalmarktexperten am 4. März 2021 gegen das „Pandemic Emergency Purchase Programme“, kurz „PEPP“, und die damit zusammenhängende Kollateralpolitik eine Verfassungsbeschwerde erhoben. Das zentrale Argument ist die Verletzung des Verbots der monetären Staatsfinanzierung gemäß Artikel 123 AEUV. Dummerweise hatte die EZB ihr PEPP bereits am 18. März 2021 verkündet, ohne zu wissen, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 5. Mai 2020 („PSPP“) monetäre Staatsfinanzierung definieren würde. Zwar ist die Definition dieses Verbotstatbestandes nicht abschließend vorgenommen worden. Doch spricht nach unserer Einschätzung alles für einen Verstoß gegen dieses Verbot. Immerhin sind bald mehr als ein Drittel aller Staatstitel des Euroblocks in den Bilanzen der Zentralbanken eingesargt und damit vom Markt abgeschirmt. Daran dürfte sich nichts ändern. Was will das Verfassungsgericht noch zusätzlich fordern, um den Verbotstatbestand als erfüllt anzusehen? Wenn Karlsruhe diese seit Jahren andauernde Anleihenkauforgie durchgehen lässt, wird es für die Monetisierung der Staatsschuld kein Halten mehr geben.

Sie kämpfen seit Jahren unermüdlich und mutig in Wort und Schrift für das Einhalten des Rechts durch die Regierungen vor den obersten Gerichten. Ihre und andere Klagen haben jedoch den Weg in die Regellosigkeit ganz offensichtlich nicht verhindern können. Was ich mich frage: Wäre es nicht an der Zeit, die Unbefangenheit der Gerichte in Frage zu stellen? Denn wenn Ihre und andere Klagen immer wieder abgewiesen werden, dann stärkt – ich erlaube mir hier zu sagen: scheinlegitimiert – das doch das Vorgehen der Regierungen in den Augen der Öffentlichkeit; und wird dann aus dem erhofften Widerstand so etwas unfreiwillige Beihilfe?

Mut ist – wie Ernst Jünger formulierte – der Wind, der uns zu neuen Ufern treibt. Die mutige Aktion nimmt Anstoß und wird vom mainstream als anstössig qualifiziert. Wer Anstösse geben will, muss das auf sich nehmen. Die gerichtliche Aktion noch dazu vor dem Bundesverfassungsgericht ist eine elegante Form, den Parteienstaat jenseits aller Verfassungsfragen zu delegitimeren. Das ist ein Prozess, der andauert.

Im übrigen wurde seit dem Lissabon-Urteil eine Rechtsprechung des BVerFG erstritten, die sich sehen lassen kann. Bei der letzten Beschwerde gegen den Eigenmittelbeschluss der EU konnte ich zahllose Zitate aus BVerfG-Urteilen bringen, um mein Petitum zu begründen. Bitte lesen Sie die Urteile nach. Die Lektüre wird Ihnen die Augen öffnen. Die Dinge sind nicht schwarz/weiss sondern changieren zwischen hellgrau und dunkelgrau.

Wenn ich Sie in Ihrem Buch recht verstehe, ist eine Ihrer zentralen Befürchtungen, dass eine zusehends französisch angeführte EU, die im Wesentlichen von den Deutschen finanziert wird, und die sich immer weniger um nationales und EU-Recht schert, nicht funktionieren wird. Korrigieren Sie mich bitte, wenn Sie meinen, ich liege hier falsch: Derzeit ist von einer Abkehr von eben dieser Entwicklungsdynamik weit und breit nichts zu sehen. Ist eine Korrektur der Fehlentwicklungen, die Sie sehen, überhaupt noch möglich? Und sollte Ihre Antwort nein sein, auf was müssen die Bürger, die Unternehmer sich hierzulande und in Europa einstellen in den kommenden Jahren?

Da die Brüsseler Dinge in Deutschland schon fast wie das Schicksal hingenommen werden, bedarf es eines Aufwachens. Da die Deutschen unter Berufung auf die Europa-Religion getrimmt wurden, Befehle aus Brüssel zu schlucken, brauchen wir – salopp formuliert- ein Erweckungserlebnis. Dies wird spätesten kommen, wenn die EU zum Steuereintreiber wird. Dann wird das Brüsseler Regime von den Deutschen wahrgenommen als das, was es ist: eine Diktatur.

Vielen Dank für das Interview, Herr Kerber!

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Dr. iur. Markus C. Kerber ist Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin und Gründer von WWW.europolis-online.org

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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