Wirtschaftliche Freiheit: Vietnam ist auf einem sehr guten Weg

26. März 2021 – Seit dem Jahr 1995 erhebt die Heritage Foundation den „Index of Economic Freedom“, aktuell wird er für 178 Länder ermittelt. In keinem Land vergleichbarer Größe nahm die wirtschaftliche Freiheit – seit Beginn der Erhebung – so stark zu wie in Vietnam.

von Rainer Zitelmann 

Rainer Zitelmann

Der Index misst anhand von 12 Kriterien, wie wirtschaftlich frei ein Land ist. An der Spitze stehen Länder wie Singapur, Neuseeland, Australien und die Schweiz, am Ende des Index finden sich Kuba, Venezuela und Nordkorea. Die höchste Punktzahl, die ein Land erringt ist 89,7 (Singapur) und die niedrigste ist 5,2 (Nordkorea). In Vietnam beträgt der Index aktuell 61,7 – ein Zuwachs von 2,9 Punkten gegenüber dem Vorjahr. Damit gehört Vietnam erstmals in die Kategorie der „moderatly free“-Länder.

In sechs Jahren zehn Punkte gewonnen

Dass Vietnam auf Platz 90 in dem Ranking von 178 Ländern steht, mag nicht so sensationell erscheinen. Aber für die Beurteilung der wirtschaftlichen Aussichten eines Landes ist es nicht so wichtig, wo das Land derzeit in dem Ranking steht, sondern wie sich das Ranking im historischen Vergleich entwickelt hat, also ob die wirtschaftliche Freiheit zu- oder abgenommen hat. Und in dieser Beziehung ist Vietnam außergewöhnlich erfolgreich: Als die Heritage-Foundation erstmals im Jahr 1995 den Index veröffentlichte, hatte Vietnam einen Score von 41,7. Bis 2005 war der Wert auf 48,1 gestiegen, und im Jahr 2010 lag er bei 49,8.

Bemerkenswert ist der enorme Zuwachs an wirtschaftlicher Freiheit seit dem Jahr 2015, wo der Indexwert bei 51,7 lag. Seitdem ist er um 10 Punkte auf heute 61,7 gewachsen. Und dies bedeutet einen Zuwachs von 20 Punkten seit 1995!

Zum Vergleich: Die USA lagen 1995 bei 76,7 und haben sich bis 2021 leicht verschlechtert auf 74,8. Italien und Frankreich machten in 25 Jahren praktisch keine Fortschritte bei der wirtschaftlichen Freiheit: Sie lagen 1995 bei 61,2 bzw. 64,4 und liegen heute bei 64,9 bzw. 65,7.

Es gibt nur fünf – nicht vergleichbare und deutlich kleinere – Länder, die in den letzten 25 Jahren genauso stark oder noch etwas stärker an wirtschaftlicher Freiheit gewonnen haben wie Vietnam. Das sind Moldawien, Bulgarien, Belarus, Rumänien und Angola.

Rainer Zitelmann zum Thema dieses Beitrages im vietnamesischen Fernsehen.

Gegenbeispiel Venezuela

Während ein Zuwachs an wirtschaftlicher Freiheit ökonomisches Wachstum und einen höheren Lebensstandard für die Menschen bedeutet – wie das Beispiel Vietnam zeigt – bedeutet ein Rückgang der wirtschaftlichen Freiheit eine Einbuße an Lebensqualität.

Dies zeigt das Gegenbeispiel von Venezuela. Während sich Vietnam von einer Staatswirtschaft in Richtung Marktwirtschaft entwickelt, veränderte sich Venezuela von einer Marktwirtschaft in Richtung Staatswirtschaft. 1995 hatte Venezuela noch einen Indexwert von 59,8. Im Jahr 1999 kam dann Hugo Chavéz an die Macht und startete den „Sozialismus im 21. Jahrhundert“. Er begann mit Verstaatlichungen, Preiskontrollen usw. – die wirtschaftliche Freiheit wurde immer stärker eingeschnürt. Ergebnis: Im 2021 Ranking der Heritage-Foundation beträgt der Indexwert für Venezuela nur noch 24,7.

Das heißt: Im gleichen Zeitraum, wo der Wert für Vietnam um 20 Punkte stieg, fiel er für Venezuela um fast 36 Punkte! Und während sich der Lebensstandard für die Vietnamesen in diesen 25 Jahren dramatisch verbessert hat, ist er für die Menschen in Venezuela ebenso dramatisch gesunken: Die Inflationsrate dort ist so hoch wie nirgendwo in der Welt, viele Menschen leiden Hunger und mehr als zehn Prozent der Bevölkerung sind schon geflohen.

In Vietnam begann der Aufstieg 1986 mit den sogenannten „doi moi“-reforms: Die Rolle des Staates wurde zurückgedrängt und dem Markt wurde immer mehr Raum gegeben. Das Bruttosozialprodukt in Vietnam stieg in den Jahren 1995 bis 2020 durchschnittlich um 6,7 Prozent pro Jahr. Sehr positiv ist die Staatsquote, die geringer ist als in vielen Ländern. In Deutschland beispielsweise lag sie 2019 bei 45,3 Prozent und in Vietnam im gleichen Jahr nur bei 29,1 Prozent. 

Mehr Rechtsstaat notwendig

Der Index der wirtschaftlichen Freiheit wird nach insgesamt 12 Kriterien in vier Kategorien berechnet. Besonders gut steht Vietnam in den Bereichen „Government Spending“, „Fiscal Health“, „Tax Burden“, „Trade Freedom“ und „Monetary Freedom“ dar. Hier sind die Werte ausgezeichnet: Niedrige Steuern, gesunde Staatsfinanzen und geringe Staatsausgaben kennzeichnen heute Vietnam. Dagegen ist die Punktzahl niedrig bei Kriterien wie „Government Integrity“, „Judical Effectiveness“ und „Investment Freedom“. Besonders die Korruption ist nach wie vor ein Problem, was sich auch in einem anderen Index widerspiegelt, dem „Corruption Perceptions Index“ von Transparency International. Hier liegt Vietnam nur auf Platz 104 von 173.

Die Lehre für Vietnam ist: Es sollte den beschrittenen Weg in Richtung mehr Markt und weniger Staat weiter konsequent fortsetzen und gleichzeitig die Korruption bekämpfen und für mehr Rechtsstaatlichkeit sorgen. Ich habe in meinem Buch „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ gezeigt, dass es den Menschen immer dann in der Geschichte besser ging, wenn dem Markt mehr Freiraum gegeben wurde und der Staat zurückgedrängt wurde.

Ein Beispiel für diese Entwicklung ist China: Dort lebten noch im Jahr 1981 88 Prozent der Menschen in extremer Armut. Dann begann China – so wie einige Jahre später Vietnam – ökonomische Reformen: Das Privateigentum wurde eingeführt, die Rolle des Staates zurückgedrängt. Ergebnis: Der Prozentsatz der Chinesen, die in extremer Armut leben, liegt in China heute deutlich unter einem Prozent. Der chinesische Ökonom Weiying Zhang hat die Gründe für diesen Fortschritt Chinas analysiert: „It is the marketization and development of non-state sectors, rather than the strong power of government and the state sector, that have driven the Chinese economy to grow fast and to be increasingly innovative.“

Dies trifft ebenso für Vietnam zu. Der private Sektor ist vor allem für den großen wirtschaftlichen Fortschritt verantwortlich, und die Führung in Vietnam ist so klug, diesem Sektor einen großen Raum zu geben. Dies, die Zunahme der wirtschaftlichen Freiheit, ist die Basis für den Erfolg Vietnams. Leider ist dies weder mit der Etablierung eines funktionierenden Rechtsstaates noch mit Freiheit und Demokratie einhergegangen. In dieser Beziehung ähnelt die Entwicklung in Vietnam der in China.

Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist promovierter Historiker und Soziologe. Er war zunächst Wissenschaftlicher Assistent am Zentralinsitut für sozialwissenschaftliche Forschung der FU Berlin. Danach war er Cheflektor des Ullstein-Propyläen Verlages und Ressortleiter bei der Tageszeitung „Die Welt“. Im Jahr 2000 gründete er sein eigenes Unternehmen, das er zu führenden Kommunikationsagentur der Immobilienbranche machte. Vermögend wurde er als Immobilieninvestor. Heute lebt er als Autor in Berlin. Zitelmann hat 24 Bücher geschrieben und herausgegeben, u.a. „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“. Er schreibt regelmäßig für Medien wie Neue Zürcher Zeitung, Welt, Focus, Le Loint, Linkiesta, Washington Examiner und National Interest. Zitelmanns Bücher sind in zahlreichen Sprachen erschienen und er ist ein gefragter Vortragsredner in Asien, den USA und Europa. Mehr Informationen: www.rainer-zitelmann.de

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: Adobe Stock

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