Die Österreichische Schule und das generische Femininum

17. Februar 2021 – von Rainer Fassnacht

Rainer Fassnacht

Es überrascht, dass es der Referentenentwurf des deutschen Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz mit dem eher spröden Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG)“ in die Schlagzeilen geschafft hat.

Im Normalfall wäre das Thema nicht beachtet worden und würde allenfalls in Fachkreisen zu kontroversen Diskussionen führen. Dass es anders gekommen ist, liegt nicht am Inhalt des Referentenentwurfs, sondern an dessen Form. Der nachfolgende Textausschnitt zeigt welche Besonderheit vorliegt, und wie sich die außergewöhnliche Aufmerksamkeit begründet:

„Der Verzicht auf die Bestellung einer Insolvenzverwalterin ist gerechtfertigt, wenn und solange erwartet werden kann, dass die Schuldnerin bereit und in der Lage ist, ihre Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigerinnen auszurichten“.

Die beinahe durchgängige Verwendung des generischen Femininums in diesem Gesetzentwurf führt dazu, dass an mehreren hundert Stellen die weibliche statt der normalen (im bewährten Sprachgebrauch üblichen) männlichen Form zu finden ist.

Was ist der Hintergrund? Zwei Positionen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Einige halten das generische Maskulinum für ein Zeichen der Unterdrückung von Frauen. Der Widerstand gegen die Sprachveränderung wäre Angst vor dem Verlust männlicher Privilegien.

Andere weisen darauf hin, dass Genus und Sexus beziehungsweise die grammatische Form und das biologische Geschlecht nicht identisch sind. Auch aus praktischen Gründen habe sich eine der beiden Formen durchgesetzt.

Die Vertreter beider Gruppen sind sich (implizit) einig, dass Sprache wichtig ist und sich verändert. Aber die Vertreter beider Gruppen gehen von einer anderen Natur und Funktion der Sprache aus. Genau aus diesem Grund wird der Streit über die „Gendersprache“ – nicht erst seit dem oben zitierten Referentenentwurf – heftig und hitzig geführt.

Die Kontroverse ist aus der Perspektive der „Austrian Economics“ hochinteressant. Im Grunde findet hier die gleiche Diskussion statt, wie jene zwischen der Mainstreamökonomie und der Österreichischen Schule. Es geht um Freiheit und Macht in Sprache und Gesellschaft.

Beim Streit um die Gendersprache stehen sich – ebenso wie bei der ökonomischen Kontoverse – eine Bottom-up- und eine Top-down-Perspektive gegenüber. Eine Position gibt dem Menschen und seiner Handlungsfreiheit den Vorzug (Bottom-up), die andere der Macht und der zentralen Lenkung (Top-down).

In deutschsprachigen Ländern üblich ist die Verwendung des kürzeren und daher praktischeren generischen Maskulinums. Grob geschätzt wäre der Gesetzentwurf ohne das generische Femininum etwa zwei Seiten kürzer.

Vom alltäglichen Gebrauch abweichende Sprache zwanghaft durchsetzen zu wollen, ist also auch aus ökologischen Gesichtspunkten nicht zu empfehlen. Warum es trotzdem versucht wird, verdeutlicht ein Zitat des Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889-1951): „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“

Letztlich handelt es sich bei der Top-down-Sprachmanipulation um den Versuch, das Denken in politisch gewollte Bahnen zu lenken. Moderne Forschung bestätigt, dass Sprache, Wahrnehmung und Denken eng miteinander verknüpft sind.

Welche Sprache sich durchsetzt, entwickelt sich – aus einer der beiden Perspektiven – im Alltag durch den tagtäglichen Sprachgebrauch einzelner Menschen über die Zeit. Auch die Frage, ob beispielsweise der Mond grammatikalisch männlich oder weiblich ist, wurde so entschieden (übrigens fiel die Antwort in den deutschsprachigen Ländern und Frankreich unterschiedlich aus).

Diese Genese – also die Entstehung und Entwicklung – findet sich auch in der ÖS. Es sind die Handlungen einzelner Menschen über die Zeit, welche Ökonomie und Gesellschaft prägen. Diese dezentralen, individuellen (und subjektiven) Handlungen sind der Dreh- und Angelpunkt, sowohl für die Wirtschafts- als auch für die Sprachentwicklung.

Richtig interessant wird diese Parallele, wenn wir die Verbindung zum Thema individuelle Freiheit beleuchten. Ludwig von Mises schrieb:

Wo es keine Marktwirtschaft gibt, sind alle gesetzlichen Garantien und Freiheitsrechte wertlos. Was soll die Pressefreiheit in einem Lande, in dem alle Druckereien von der Regierung verwaltet werden? Oder Versammlungsfreiheit, wenn alle Versammlungshallen Regierungseigentum sind?

Wenn ein System vorherrscht, in welchem das Wirken dezentraler individueller Entscheidungen durch zentrale politische Entscheidungen „ersetzt“ wird, geht unweigerlich die Freiheit verloren.

Der mit der Planwirtschaft einhergehende Freiheitsverlust in der DDR ist ein bekanntes Beispiel. Wichtig ist die Erkenntnis, dass die SED-Diktatur und die DDR-Wirtschaftsmisere keine voneinander unabhängigen Phänomene waren.

Mises schreibt in diesem Zusammenhang:

Die Unterscheidung zwischen einer wirtschaftlichen Sphäre des menschlichen Lebens und Handelns und einer nichtwirtschaftlichen Sphäre ist der übelste ihrer [der Verfechter des Totalitarismus, A. d. V.] Irrtümer.

Der Verzicht auf Marktentscheidungen führt unvermeidlich und notwendig zu Einschränkungen der Freiheit in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen.

Bereits in der Vorstufe zu Planwirtschaft und Sozialismus – in der Phase von Interventionismus und Etatismus – ist der Freiheitsverlust spürbar. Der Ersatz von Eigenentscheidung und -verantwortung durch Fremdentscheidung und Verantwortungslosigkeit ist schleichend und vollzieht sich in auch in Bereichen, die mit dem auslösenden Thema auf den ersten Blick nichts zu tun haben.

Wenn Autoren unfreiwillig politische Sprache beziehungsweise Genderdeutsch verwenden, Unternehmer einen Mindestlohn zahlen und Wohnungseigentümer einen Rauchmelder installieren müssen, so sind dies nur Beispiele für die Ausprägung desgleichen Phänomens – Freiheitsverlust beim Ersatz individueller Wahlentscheidungen durch politische Vorgaben.

Aus der anderen Perspektive ist Sprache (und Wirtschaft) Ergebnis vorausschauender Planung und Lenkung. Da die „richtige“ (politisch gewollte) Lösung vermeintlich bekannt ist, gilt es, die zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um diese zu erreichen.

Sprachänderungen sind – insbesondere für das gesprochene Wort – nur schwierig von oben durchzusetzen. Doch die Politik ist nicht mittellos. Das deutsche Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) ist ein solches Mittel, Sprache zu lenken.

Eine andere Möglichkeit zur künstlichen (nicht in der zwischenmenschlichen Kommunikation über die Zeit entstandenen) Veränderung der Schriftsprache ist die „Neuschreibung“ zum Beispiel im Duden oder in offiziellen Dokumenten wie dem oben genannten Gesetzentwurf. Auch die Verwendung dieser „politischen Sprache“ in offiziellen Formularen und Dokumenten geht in die gleiche Richtung.

Während Martin Luther bei der Übersetzung der Bibel „dem Volk aufs Maul geschaut“ (sich also am gesprochenen Deutsch orientiert) hat, wird beim Genderdeutsch der umgekehrte Weg gewählt. Nicht das von Vielen verwendete im Alltag Übliche, sondern das von Wenigen Gewollte soll zum Einsatz kommen. Eine ohnehin relativ schwierige Sprache verliert so weiter an Akzeptanz.

Am Markt kann der Kunde solchen Bestrebungen (noch) ausweichen. Es gibt Zeitungen, Magazine, Bücher oder Online-Plattformen, die für eine „neue“ Sprache eintreten und mit Genderstern, Binnen-I oder Schrägstrich arbeitet und andere, die dies nicht tun.

Die Kunden entscheiden mit jedem einzelnen Kauf oder Click, welche Publikation und damit auch welche Sprache eine Zukunft hat und welche nicht. Auch und gerade die eigene mündliche oder schriftliche Kommunikation im privaten oder geschäftlichen Umfeld ist eine Entscheidung mit Einfluss auf die Zukunft der Sprache.

Aber genau diese Ausweichmöglichkeit – die Freiheit des Marktes – ist im politischen Umfeld nicht gegeben. Vielleicht erleben wir – noch stärker als bisher -, dass Medien, die sich an der künstlichen Sprachtransformation beteiligen, aus Steuergeldern finanziert (und andere möglicherweise verboten) werden.

Der rote Faden ist der Ersatz von dezentraler Eigenentscheidung durch zentrale Fremdentscheidung. Es ist nur ein kleiner Schritt von einem Gender-Referentenentwurf bis zu dem Punkt, wo die Kommunikation zwischen Bürger und staatlichen Institutionen nur noch in Genderdeutsch zulässig ist.

Ohne Aufmerksamkeit und Widerstand kann es zu einer Straftat werden, so zu sprechen und zu schreiben, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Austrians haben ein empfindliches Sensorium für diese Entwicklung.

Bei der Ablehnung staatlicher Einmischung geht es nicht um den Erhalt von Privilegien Einzelner (der Männer), sondern um den Erhalt einer natürlichen, dezentralen, nicht durch die Politik vorgegebenen Sprachentwicklung für alle (Frauen und Männer).

Wer die Sprache Top-down gestalten und deren Bottom-up-Entwicklung verhindern will, ersetzt Freiheit durch Zwang und beschreitet auch über diesen Pfad den Weg in die Knechtschaft.

Rainer Fassnacht ist gelernter Kaufmann, Diplom-Ökonom und Wirtschaftspraktiker. Er lebt in Berlin und ist familiengeschichtlich mit Österreich verbunden, genau wie als Vertreter der von Carl Menger begründeten Österreichischen Schule. Mit seinem Buch „Unglaubliche Welt: Etatismus und individuelle Freiheit im Dialog“ möchte er, auch Social-Media-geprägten Lesern, die Ideen der österreichischen Schule näherbringen. Auch in seinen sonstigen, unter anderem vom Austrian Economics Center in Wien veröffentlichten Texten, setzt er sich für die Bewahrung der individuellen Freiheit ein.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: Adobe Stock

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