„Nachhaltiger“ Fisch: Nur ein Marketing-Gag?

5. Februar 2020 – von Jeffrey Tucker

Jeffrey Tucker

Kürzlich war ich auf der Suche nach neuen Badehosen für einen Urlaub. Da ich sonst nirgendwo welche finden konnte, trieb es mich in ein „nachhaltiges“ Kleidungsgeschäft. Zweifelsohne ein Laden mit einer Philosophie. Ich kaufte die Badehosen, die ich dort fand, ohne mir überhaupt im Klaren über ihre Vorzüge zu sein.

Soweit ich weiß, war das alles nichts weiter als eine Verkaufstaktik (Hinweis: ich befand mich in Nordkalifornien). Doch solange der Verkäufer Gewinn macht und ich im Gegenzug coole Dinge bekomme, habe ich absolut nichts dagegen. Es ist doch einfach nur herrlich, wie im Kapitalismus sogar aus albernen linken Bewegungen Profit geschlagen wird und natürlich missgönne ich keinem Unternehmen einen Marketingvorteil.

Am nächsten Tag war es an der Zeit, das Essen im Hafenviertel Fisherman’s Wharf zu probieren. Jedes Restaurant bewarb seinen Fisch als regional und nachhaltig. Den regionalen Gedanken verstand ich. Es war eine schöne Vorstellung, dass der Fisch, den ich aß, dort draußen auf dem Meer gefangen und mit Booten genau hierhergebracht wurde, während es mir bei Kartoffeln beispielsweise völlig egal ist, wo sie angebaut wurden.

Aber was ist ‚nachhaltiger‘ Fisch? Ich sah mir das leckere Stück Kabeljau auf meinem Teller genauer an. Tot sah es aus, aber nachhaltig? Nein. Wir leben nun mal in sehr politischen Zeiten, deswegen kann die Betitelung von etwas als „nachhaltig“ auch bei eher unpolitischen Leuten viel auslösen. Reflexartig verdrehte ich die Augen in Anbetracht der vermeidlichen Albernheit dieses politischen Labels.

Nichts weiter als ein Modewort.

Doch wie sich herausstellte, lag ich damit mehr als falsch!

Das Wort „nachhaltig“ bedeutet etwas. Es handelt sich um ein privates Zertifikat, das ohne den Zwang einer Regierung entstanden ist und reale Probleme adressiert. Es ist aus dem Bedürfnis der Verbraucher entstanden, sich über die Herkunft ihrer Lebensmittel zu informieren.

Wenn Ozeane und andere Gewässer in Privatbesitz wären, gäbe es jeden Anreiz, die Fischbestände regelmäßig aufzufüllen und Beifang zu vermeiden, so wie das in jedem privaten Unternehmen der Fall ist. Die Forstwirtschaft, sowie andere Arten von Landwirtschaft, sind – was das anbelangt – gute Fallstudien. Alles in einer Saison auszubeuten hätte katastrophale Folgen, es würde sich also alles um Effizienz drehen.

Das bedeutet: Nachhaltigkeit ist fest im Wesen des freien Marktes verankert.

Doch Privatisierung ist in der Fischerei-Branche nicht die Regel. Es herrscht die Tragik der Allmende und somit ein allgemeiner Anreiz zur Verschwendung, also möglichst viel an sich zu reißen, bevor der andere es tut.

Schon seit Jahrzehnten ist mangelnde Nachhaltigkeit in der Fischerei ein ernsthaftes Problem. Der World Wildlife Fund schreibt:

Das Fischereiwesen ist maßgeblich verantwortlich für den Populationsrückgang bei vielen Meerestieren. Fischfang ist aber nicht von Natur aus böse. Das Problem ist Überfischung, dass Schiffe schneller Fische fangen, als sich die Bestände erneuern können.

Innerhalb eines halben Jahrhunderts hat sich die Anzahl der überfischten Bestände verdreifacht. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen wurde ein Drittel der weltweit geschätzten Fischbestände bis an ihre biologischen Grenzen und darüber hinaus gedrängt.

Überfischung ist eng mit Beifang verbunden, also dem Fang unerwünschter Meerestiere beim Fischen einer anderen Art. Auch das ist eine ernsthafte Bedrohung für die Meere, durch die Milliarden von Fischen und hunderttausende Meeresschildkröten und Wale völlig unnötig verloren gehen.

Die Folgen der Überfischung reichen weit über die Grenzen der Ozeane heraus. Milliarden von Menschen sind auf Fisch als Eiweißquelle angewiesen, Millionen von Menschen auf Fischerei als Lebensgrundlage.

Schon jetzt arbeiten viele Menschen, die als Fischer, Verkäufer oder Konsumenten auf Fisch angewiesen sind, daran, die Meeresressourcen zu bewahren.

Was ist also die Lösung, in Anbetracht dessen, dass eine Privatisierung der Ozeane ein eher unwahrscheinliches Szenario ist? Die Antwort ist eine private Kontrolle, die auf den Ruf eines Unternehmens abzielt. Doch wie würde das in der Praxis aussehen?

Schauen wir uns den vorliegenden Fall an.

In den 90er Jahren gründete sich eine neue Organisation mit dem Namen Marine Stewardship Council. Es handelt sich dabei um eine völlig private Organisation, die mit wissenschaftlichen Standards feststellt, ob eine bestimmte Fischerei Fischpopulationen schont und Beifang vermeidet, sowie Respekt gegenüber der ökologischen Integrität des von ihnen genutzten Gewässers aufweist. Sie verfügen über ein Gütesiegel, das Nachhaltigkeit attestiert und von Fischereien, Restaurants und Geschäften verwendet werden kann. So ist es möglich, eine klare Verbindung der Lieferkette zurück zur Fischerei nachzuweisen.

Die Organisation finanziert sich über Gebühren und Zahlungen für Prüfungen, die je nach Größe zwischen 15.000 und 100.000 US-Dollar betragen können. Das Gütesiegel muss alle fünf Jahre erneuert werden. Die Fischereien, denen das Siegel verliehen wurde, können es dann zur Vermarktung ihrer Produkte nutzen. Nun kommt die Kaufentscheidung der Konsumenten ins Spiel: Es möchte niemand Produkte kaufen, die auf Kosten der Zukunft von Umwelt und Industrie gehen.

Der Rat, der aus einer Zusammenarbeit von Umweltschützern und Unternehmern entstanden ist, hat mittlerweile Büros auf der ganzen Welt und ist ständig damit beschäftigt, das Fischereiwesen zu überwachen.

Vom Ozean bis auf den Teller: MSC-zertifizierte Meeresfrüchte werden verfolgt, klar von nicht zertifizierten Produkten getrennt und gekennzeichnet, so dass sie bis zu einer nachhaltigen Quelle zurückverfolgt werden können. Jedes Unternehmen der Lieferkette muss zertifiziert und jährlich überprüft werden, um die Einhaltung der strengen Regeln sicherzustellen.

Was passiert, wenn eine Fischerei ihr Siegel verliert? Lebensmittelgeschäfte wie Whole Foods werden einfach aufhören, ihre Waren zu kaufen. Das schadet dem Geschäft. Es ist also keine ideologische Hetze von Nöten: Nachhaltigkeit liegt im ökonomischen Interesse aller. Durch diese Einflussnahme kann die Tragik der Allmende überwunden werden. Es ist ein brillantes Beispiel dafür, wie Umweltprobleme ganz ohne Gesetzgebung, zentrale Planung und Zwang bewältigt werden können: Durch private Maßnahmen!

Doch wie verhindert man Korruption und Schmiergeldzahlung? Wie können wir sicher sein, dass die Organisation ehrliche Entscheidungen trifft? Sie gewährleistet eine Überprüfung der Fischereien durch Dritte und wird zudem selber durch andere Umweltorganisationen kontrolliert. Greenpeace zum Beispiel hat schon einige Urteile des Marine Stewardship Council angefochten. Sie haben ihre Meinungsverschiedenheiten vor einem öffentlichen Gericht verhandelt und Kompromisse gefunden – und das auf eine Art und Weise, die weder eine Regierung noch Zwang benötigt.

Das Ganze ist ein weiterer Fall von „Private Governance“ nach Edward Stringham. Die Ergebnisse werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, damit die Welt sie sehen kann:

Über 15% des weltweiten Wildfangs findet im Rahmen eines MSC-Programms statt.

Fast 900 Zertifizierungsbedingungen, die von Fischereien seit 2000 erfüllt werden, verbessern sich stetig in ihrer Ausführung.

Über 1.600 Verbesserungen zur Stärkung und Überwachung der Nachhaltigkeit in der Fischerei wurden erzielt.

92% der zertifizierten Fischereien wurden dazu gebracht, wenigsten eine Sache in ihrem Betrieb zu verbessern.

Über 36.000 Produkte mit dem MSC-Siegel wurden verkauft.

Mehr als 38.000 Unternehmen weltweit verkaufen zertifizierten, nachhaltigen Fisch.

Das ist nur ein einziger Fall, aber er verdeutlicht, wie gesellschaftliche Probleme auf privatem Wege und ganz ohne eine Regierung gelöst werden können. Man muss den Markt Lösungen finden lassen. Wie sich zeigt, sind die Menschen verdammt kreativ und die Konsumenten recht reaktionsstark, solange ihnen die Bürokratie nicht in die Quere kommt. Außerdem ist das eine Lösung, die den meisten Intellektuellen nicht im Traum eingefallen wäre.

Mittlerweile verdrehe ich nicht mehr die Augen, wenn mir das Label „nachhaltig“ über den Weg läuft. Es ist etwas sehr Reales und Wichtiges. Es zeigt, wie Märkte arbeiten, auch wenn die Situation aussichtslos scheint.

Können andere Probleme mit Hilfe der Kreativität der Menschen gelöst werden? Ganz egal ob Umweltverschmutzung, Klimawandel, Rassen- und Geschlechterungleichheiten, Armut oder schlechter Zugang zu Gesundheitsversorgung – die Lösung dieser Probleme einer Regierung aufzutragen, ist die mit Abstand schlechteste Idee. Nur Lösungsansätze, die kreativ, marktbasiert und aus der Matrix des Austausches und der Wahlfreiheit heraus generiert sind, sind erfolgsversprechend.

Über meine neuen Badehosen bin ich mir allerdings weiterhin im Unklaren. Die erste Wäsche haben sie überlebt, was wohl ein gutes Zeichen ist. Angesichts meiner neuen Erkenntnisse über Fisch werde ich auf jeden Fall an der Sache dranbleiben.

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Aus dem Englischen übersetzt von Pia Lehrbach. Der Originalbeitrag mit dem Titel Is “Sustainable Fish” Real or a Marketing Ploy? ist am 24.1.2020 auf der website des American Institute for Economic Research erschienen.

Jeffrey A. Tucker ist Redaktionsleiter des American Institute for Economic Research. Er ist Autor von vielen tausend Artikeln und von acht Büchern in 5 Sprachen. Er hält Vorträge zu den Themen Wirtschaft, Technik, Sozialphilosophie und Kultur.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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