Heißes Thema Zinsniveau: „Der Boden ist noch nicht erreicht!“

11. Dezember 2019 – von Andreas Tögel

Andreas Tögel

Also sprach Christine Lagarde die neue Chefin der EZB, deren Unterschrift künftig die Geldscheine der europäischen Esperantowährung zieren wird: „Es gibt eine Grenze, wie weit und wie tief man in den negativen Bereich vordringen kann. Ja, es gibt bei allem einen Boden, aber den haben wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erreicht.“ Sie meinte das Zinsniveau, das nach ihrer leider schwerwiegenden Meinung noch nicht tief genug im Negativbereich liegt. Sie ist demnach wild entschlossen, den von ihrem Vorgänger Mario Draghi eingeschlagenen Kurs zur Enteignung der Sparer zügig fortzusetzen.

Das dürfte ihr auch problemlos gelingen, da die kleinen Sparer hierzulande und in Deutschland nach wie vor auf das Sparbuch setzen, um für schlechte Zeiten und für das Alter Reserven zu bilden. Diese Vorsorgestrategie unterscheidet sich deutlich von der, die in Ländern wie Italien oder in Frankreich vorherrscht. Dort setzt man nicht so sehr auf das Horten von Geld, sondern vielmehr auf den kreditfinanzierten Erwerb von Immobilien. Niedrige Zinsen bedeuten in diesem Fall geringere Rückzahlungsraten. Sie begünstigen klar die Schuldner zulasten der Sparer.

Mario Draghi ist Italiener, Christine Lagarde ist Französin. Beide betrieben und betreiben unübersehbar eine Politik, die einerseits im Interesse ihrer romanischen Landsleute liegt, und die andererseits die deutschen Sparer schädigt, sie de facto die ganze Rechnung zahlen lässt. Zynisch formuliert, könnte man sagen, es handelt sich somit um eine Art „Kraut-Funding“.

Was die Wirtschaftskompetenz Frau Lagardes angeht, sollte man übrigens keine allzu hohen Erwartungen hegen. Kürzlich meinte sie sinngemäß, dass es doch wichtiger wäre, über einen Arbeitsplatz zu verfügen, als über ein Sparguthaben. Das lässt schon recht tief blicken! Denn wodurch entsteht ein Arbeitsplatz? Als Folge einer Investition. Und was steht vor der Investition? Der Konsumverzicht – also das Sparen, das die Akkumulation von investiv einsetzbaren Mitteln ermöglicht. Die Kausalkette lautet also: Sparen – investieren – Arbeitsplätze schaffen. Dieser im Grunde triviale Zusammenhang erschließt sich Frau Lagarde ganz offensichtlich nicht, sonst hätte sie den Versuch unterlassen, Sparer gegen Arbeitsplatzinhaber auszuspielen. Sie glaubt aber möglicherweise auch, den frustrierenden Konsumverzicht durch eine Bereitstellung zusätzlicher, aus dem Nichts geschaffener Liquidität ersetzen zu können.

Doch das ist ein fataler Trugschluss. Prosperität und Wohlstand hängen nicht von unbegrenzten Geldmitteln ab, sondern allein vom verfügbaren Kapital. Und das ist, auch wenn diese Einsicht machttrunkene Politfunktionäre – und Frau Lagarde und Konsorten sind genau das – schmerzen mag, etwas völlig anderes als bunt bedruckte Zettel. Die demütige Beschäftigung mit der Geldtheorie (z. B. die Lektüre von „Die Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel“, der Habilitationsschrift Ludwig von Mises’) stünde den Gottspielern in Staatskanzleien und Zentralbanken gut an. Allerdings sollten sie dann, solcherart erleuchtet, auch die Nerven haben, daraus den richtigen Schluss zu ziehen und ihre verheerende, inflationistische Zins- und Geldpolitik beenden.

Noch eine Sorge verbindet sich mit der Ernennung Frau Lagardes zur Hüterin des Euro: sie scheint nämlich der Meinung zu sein, das Mandat der EZB noch weiter überschreiten zu müssen als ihr Vorgänger das getan hat, als er durch den Ankauf von Staatsanleihen mit der Staatsfinanzierung durch die Zentralbank begann. Sie hat, wie sie kürzlich zu wissen kundtat, zu allem Überfluss auch noch die Absicht, ihr Institut künftig in den Dienst des Klimaschutzes (!) zu stellen. Wie auch immer das funktionieren soll – etwa durch den Kauf der Firmenanleihen von Windparkbetreibern? – mit dem Mandat der EZB – der Bewahrung der Stabilität des Euro – hat das nichts zu tun!

Zeiten schlechten Geldes sind Zeiten guter Theorie, meinte Friedrich August von Hayek – und irrte damit, wie das aktuelle Aufkommen der „Modern Monetary Theory“ (MMT) beweist, die – stark vereinfacht – auf die unbegrenzte Vermehrung der Geldmange setzt, um damit eine Dauerkonjunktur zu schaffen. Wer indes allen Ernstes meint, die Geldmenge würde den Wohlstand bestimmen – je mehr, desto höher – sollte sich schon fragen, weshalb in Simbabwe und Venezuela nicht die reichsten Menschen der Welt leben.

Schon jetzt ist es – der über viele Jahre betriebenen „lockeren“ Geldpolitik sei Dank – nur dann möglich, von „unter zwei Prozent Inflation in der Eurozone“ zu schwafeln, wenn man die Preisentwicklungen bei Immobilien und Aktien ausblendet. Würden in den amtlichen Teuerungsstatistiken nämlich auch die Preisentwicklungen bei diesen beiden Anlageklassen berücksichtigt, wäre jedermann sofort klar, wie schlecht unser Geld in Wahrheit ist. Die angeblich unter zwei Prozent liegende Teuerungsrate würde schlagartig in Richtung zehn Prozent hochschnellen.

Wer Prosperität wünscht, sollte nicht die Geldmenge manipulieren, sondern vielmehr alles tun, um den Unternehmen freie Bahn zu schaffen – damit sie Kapital akkumulieren und investieren können. Besser: er sollte alles unterlassen, was der Steigerung der Produktivität im Wege steht. Beispielsweise sollten Zentralbanken und Regierungen auf jede Strukturkonservierung verzichten, die mit aggressiver Geldpolitik vonstattengeht, und die den für eine Marktwirtschaft maßgeblichen Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ (Josef Schumpeter) unterbindet.

Wer marode Unternehmen mittels niedriger Zinsen künstlich am Leben erhält, tut der Volkswirtschaft nicht Gutes. Denn er verringert die tatsächlich realisierbare Gesamtproduktion, indem er Unternehmenszombies erschafft und den innovativen Betrieben Mittel entzieht, die diese investieren und in Wachstum umsetzen könnten.

Wenn eine so mächtige Organisation wie die EZB von einer Person geführt wird, deren Urteil durch keinerlei erkennbare Kenntnisse der Funktionsweise einer Marktwirtschaft getrübt wird, sollten sich die EU-Bürger besser schon einmal vorsorglich warm anziehen.

Dass die Wirtschaftstheorie auch in den USA, Japan und China nicht intelligenter ist als in Euroland, ist in einer wirtschaftlich eng verflochtenen Welt kein Trost. Das globale Wachstum der letzten Jahre war Großteils durch einen Boom im Reich der Mitte bedingt. Einen Boom, der von Schulden und Krediten getrieben war und ist, und der in naher Zukunft sein Ende finden könnte. Was dann? Da in Euroland die konventionellen Mittel der Geldpolitik erschöpft sind (weniger als gar keine Zinsen geht schließlich nicht ohne weiteres), werden uns noch wesentlich originellere Formen der Konjunkturbelebung ins Haus stehen. Vielleicht werden wir – zur Freude schlichter Gemüter – schon demnächst namhafte Gutschriften der Zentralbank auf den Girokonten der Bürger erleben – Stichwort „Helikopter-Geld“. In Zeiten schlechten Geldes und schlechter Theorien ist schließlich alles möglich.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist gelernter Maschinenbauer, ausübender kaufmännischer Unternehmer und überzeugter “Austrian”.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: Adobe Stock

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