„Explosive Geldpolitik: Wie Zentralbanken wiederkehrende Krisen verursachen“

4. November 2019 – Interview mit Olivier Kessler, Vizedirektor des Liberalen Instituts in Zürich, zum jüngst erschienenen Buch „Explosive Geldpolitik: Wie Zentralbanken wiederkehrende Krisen verursachen“, das er gemeinsam mit Pierre Bessard herausgegeben hat.

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In großen Volkswirtschaften der Welt haben die Aktienmärkte Rekordhochs erreicht. Die Risikoaufschläge in den Kreditmärkten sind extrem gering. Die Arbeitslosigkeit ist in den meisten Volkswirtschaften sehr niedrig, und die Wirtschaften wachsen. Und dennoch sprechen viele unentwegt von „Krise“. Auch Sie scheinen warnen zu wollen mit dem Buch „Explosive Geldpolitik: Wie Zentralbanken wiederkehrende Krisen verursachen“, das Sie zusammen mit Pierre Bessard herausgegeben haben. Sehen Sie etwas, was andere nicht sehen oder was sie übersehen?

Olivier Kessler

Im Gegensatz zu einigen Krisenpropheten, die ständig vor dem Untergang warnen, sind wir keine notorischen Schwarzseher. Das Wachstum der Weltwirtschaft ist bis zu einem gewissen Grad durchaus real. Die Globalisierung und der Abbau von Handelsschranken haben zu einer Vertiefung der weltweiten Arbeitsteilung und zu einer Anhebung der Lebensstandards geführt. Die Liberalisierung der internationalen Märkte hat laut Angaben der Weltbank seit 1990 mehr als einer Milliarde Menschen geholfen, der Armut zu entfliehen. Mussten im Jahr 1990 noch 37,1 Prozent der Weltbevölkerung mit weniger als 1.90 Dollar pro Tag auskommen, ist dieser Anteil heute auf unter 10 Prozent gesunken. Auch die Menschen in Industrieländern sind wohlhabender geworden: Gemäss dem Globalisierungsreport der Bertelsmann Stiftung sind die durchschnittlichen Einkommensgewinne pro Einwohner aufgrund der zunehmenden Globalisierung zwischen 1990 und 2014 stark angestiegen: in Frankreich um 650 Euro, in Italien um 780 Euro und in Deutschland um 1’130 Euro pro Jahr. Diese Entwicklungen sind sehr positiv zu bewerten.

Auf der anderen Seite deutet aktuell jedoch vieles auf eine Korrektur hin: Der aktuelle Aufschwung an den Börsen fällt hinsichtlich seiner Dauer historisch gesehen einmalig lange aus. Technische Analysen deuten auf eine mögliche Trendumkehr auf wichtigen Märkten hin. Zudem kann man das Auftreten einiger in der Vergangenheit zuverlässiger Krisenindikatoren beobachten, denen jeweils innerhalb von ein bis eineinhalb Jahren eine Rezession folgte: Beispielsweise die Invertierung der Zinskurve und Zinssenkungen durch die Federal Reserve, nachdem diese zuvor die Zinsen angehoben hatte. Dazu kommen die problematischen geldpolitischen Experimente der Zentralbanken mit Null- oder Negativzinsen und einer unheimlichen Ausweitung ihrer Bilanzen. Auch wenn niemand genau wissen kann, wie es in den nächsten Monaten weitergeht, stehen die Zeichen aktuell wohl eher auf Sturm.

Nun könnte man sagen: Marktkorrekturen gibt es ja immer mal wieder. Sie gehören gewissermaßen zum Wirtschaften dazu. Allerdings meine ich aus Ihren Worten herauszuhören, dass die nächste Erschütterung schlimmere Folgen haben könnte, dass sie mehr als nur eine Marktkorrektur sein könnte. Interpretiere ich Sie da richtig?

In der Tat. Korrekturen auf einzelnen Märkten sind unter normalen Umständen gesund, weil sie vorhergehende Übertreibungen wieder ins richtige Licht rücken. Solche Übertreibungen sind oftmals psychologischer Art, weil immer mehr Anleger auf im Preis steigende Assets aufspringen, um den Zug nicht zu verpassen. Dieses Phänomen ist auch bekannt als «fear of missing out» – oder kurz: FOMO. Zu gierige Investoren werden beim Platzen der Blase bestraft und bezahlen anschliessend ihr Lehrgeld.

Das Besondere an der aktuellen Situation ist allerdings, dass wir nicht nur auf einem oder einigen wenigen Märkten Blasenbildungen beobachten können, sondern auf sehr vielen gleichzeitig. Ein solches Phänomen ist völlig unnatürlich und Folge der ultraexpansiven Geldpolitik. Das massenhaft neue Geld, das die Zentralbanken zur «Ankurbelung der Konjunktur» auf die Märkte werfen, will irgendwo angelegt werden. Mit ihrer Geldschwemme treiben die Zentralbanken vor allem die Preise der Vermögensgüter wie Aktien, Obligationen und Immobilien künstlich nach oben und behaupten gleichzeitig, es gäbe keine Inflation, weil sie Inflation nur mit Blick auf die relativ stabilen Konsumgüterpreise messen.

Durch diesen eingeschränkten Blickwinkel entgeht den Zentralbanken auch, dass die relative Preisstruktur verzerrt wird und damit das gesamte wirtschaftliche Gefüge langsam aber sicher aus den Angeln gehoben wird. Investoren werden aufgrund der heruntermanipulierten Tiefstzinsen dazu verleitet, in Projekte zu investieren, die aus heutiger Sicht rentabel erscheinen, es unter normalen Umständen jedoch gar nicht wären. Diese Zusammenhänge beschrieb ja bereits Ludwig von Mises in seinem Werk «Theorie des Geldes und der Umlaufmittel». Es findet zunehmend eine Entkoppelung der Produktion von den echten Bedürfnissen der Konsumenten statt, was sich an der steigenden Anzahl Zombie-Unternehmen widerspiegelt, die lediglich noch aufgrund staatlicher Unterstützung weiterexistieren und dabei immer mehr wertvolle Ressourcen verschwenden. Da baut sich ein enormes Korrekturpotenzial auf.

Die Frage, die sich nun stellt ist: Wird diese Korrektur mit Ach und Krach in Form eines Crashs eintreten, worauf sich die Produktion anschliessend wieder an den echten Bedürfnissen der Konsumenten ausrichten kann? Oder erfolgt aufgrund der immer weitergehenden staatlichen Interventionen in die Märkte – die bei jedem Anzeichen einer Korrektur noch vehementer werden – ein schleichender Niedergang, wie das in Japan seit einigen Jahrzehnten der Fall ist?

Lassen Sie uns auf Ihr Buch „Explosive Geldpolitik“ zu sprechen kommen. Es vereint eine ganze Reihe von Autoren, die sich zu ganz unterschiedlichen Fragestellungen des Geldwesens äußern. Vielleicht könnten Sie unseren Lesern hier eine ganz kurze Zusammenfassung geben; was können sie aus Ihrem Buch lernen?

Das Buch präsentiert die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse ausgewiesener Experten. Es zeigt unter anderem, dass die Hauptschuldigen wiederkehrender Finanz- und Wirtschaftskrisen der aktuelle Geldsozialismus der Zentralbanken und die Fehl- und Überregulierung der Finanzmärkte sind. Den oft gehörten Vorwurf «ungezähmter Märkte» in Bezug auf den Finanzbereich grenzt an Satire. Der Finanzsektor ist nicht erst seit heute der meistregulierteste Sektor überhaupt. In Anbetracht der zentralistischen Steuerung der Geldmenge und des Zinses muss klipp und klar von einer «Geldplanwirtschaft» gesprochen werden, die wie alle anderen staatssozialistischen Systeme wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Verwerfungen verursachen.

Ziel des Buchs ist es, eine entsprechende Debatte anzustossen und die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Gegebenheiten aufzuklären, damit beim nächsten Crash nicht schon wieder fälschlicherweise ein angeblicher «Casino-Kapitalismus» und «ungezügelte Finanzmärkte» als Schuldige ausgemacht werden. Es soll verhindert werden, dass dann nicht erneut die falschen Schlüsse in Form von noch mehr Regulierungen und Staatsinterventionen gezogen werden. Denn diese sind das Problem, nicht die Lösung.

Das Buch präsentiert nebst einer fundierten Problemanalyse auch Alternativen zum heutigen Geld-Etatismus und zeigt, welche Vorteile ein auf Wettbewerb, Wahlfreiheit und Privateigentum basierendes Geldsystem hätte. Zudem analysiert es das Potenzial bereits existierender Ausweichmöglichkeiten zum staatlichen Papiergeld wie etwa Gold und Kryptowährungen. Es legt auch einen konkreten Reformvorschlag vor, wie das «Too-big-to-fail»-Problem gelöst werden könnte. Den Leser erwartet also ein vielseitiges und dennoch tiefgründiges Werk.

An dieser Stelle darf ich einwerfen, dass ich das Buch mit sehr großem Interesse gelesen habe. Es ist in der Tat ein augenöffnendes Buch, das sowohl dem Einsteiger gerecht wird, dass aber auch dem Fortgeschrittenen viele neue Perspektiven eröffnet. Großartiges Format, absolut lesenswert! – Interessant ist auch, dass Sie beide als Herausgeber des Buches Schweizer sind. Viele Menschen hierzulande sehen im Schweizer Franken nach wie vor eine Art „sicheren Hafen“. Zu Recht? Wie sehen Sie das?

Es freut uns natürlich, dass Ihnen das Buch gefällt. Sie haben dankenswerterweise ja ebenfalls einen äusserst lesenswerten und wichtigen Beitrag zur österreichischen Konjunkturtheorie beigesteuert. Vielen Dank dafür!

Was die Bewertung des Schweizer Frankens angeht gibt es mehrere Perspektiven: Die eine ist diejenige, welche die Währung mit anderen staatlichen Währungen vergleicht. So gesehen ist der Schweizer Franken eine Erfolgsgeschichte. Die Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) fiel historisch gesehen – verglichen mit den Geldpolitiken anderer Staaten – meist moderat und zurückhaltend aus. Der Schweizer Franken wurde offiziell seit seinem Beginn im Jahr 1850 nur ein einziges Mal abgewertet: 1936. Die Offenheit und die Attraktivität des Finanzplatzes Schweiz, die relativ liberale Gesetzgebung, das verhältnismässig gut geschützte Privateigentum und die politische Stabilität machen die Eidgenossenschaft bis zum heutigen Tag zu einem beliebten Hort für Vermögen, die durch die fiskalische Gier und aggressive Umverteilungswirren in anderen Ländern bedroht sind – auch wenn diese Form der Vermögenssicherung zunehmend durch ein internationales Hochsteuer-Staaten-Kartell bekämpft wird. Das verhalf dem Schweizerfranken stets zu einer hohen Nachfrage und einer Stärke, die einige auch als Bedrohung für ihre Exportgeschäfte sehen.

Wohl auch aus Rücksicht auf diese Interessen betreibt die SNB seit einiger Zeit eine Geldpolitik, die verzweifelt versucht, den Schweizer Franken in einem stabilen Verhältnis zum Euro zu halten, was in Anbetracht der ultraexpansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank kein leichtes Unterfangen darstellt. Die SNB flutet dabei die Märkte regelrecht mit neuem Geld und diktiert nun schon über einige Jahre Negativzinsen in der Höhe von ­-0.75%. Seit der Krise im Jahr 2008 stieg die Bilanzsumme der SNB um rund 700 Milliarden Franken auf mehr als 800 Milliarden Franken. Damit hat keine andere Notenbank gemessen am Volkseinkommen eine so grosse Bilanzsumme wie die SNB. Der Anteil der Staatsanleihen an der Bilanzsumme beträgt knapp 70 Prozent, womit die SNB zu einem der grössten Gläubiger der Euroländer geworden ist. Eine solche Politik ist natürlich mit Risiken verbunden, auch wenn die Nachfrage nach Schweizerfranken – insbesondere in unsicheren Zeiten – trotzdem fortbestehen und damit zu einer verhältnismässig höheren Stabilität sorgen dürfte als andere Staatswährungen.

Nichtsdestotrotz darf nicht vergessen werden, dass auch der Schweizer Franken zentralistisch gesteuert und nach politischen Kriterien verwaltet wird. Im Gegensatz etwa zu Gold oder zum Bitcoin kann er nach Lust und Laune von einer planwirtschaftlichen Behörde produziert und manipuliert werden. So erstaunt es nicht, dass auch der Franken seit der Gründung der SNB mehr als 90% seines Werts eingebüsst hat.

Die SNB will ganz offensichtlich verhindern, dass der Franken gegenüber dem Euro aufwertet. Dazu kauft sie Euro, die sie mit neu geschaffenen Franken bezahlt. Die Euro verwendet sie, um damit Aktien auf den internationalen Märkten einzukaufen. Die SNB mutiert so zum inflationär finanzierten Equity-Fund: Auf ihrer Aktivseite der SNB-Bilanz steigen die Aktienbestände, auf ihrer Passivseite schwillt die Zentralbankgeldmenge an. Kann das im Sinne der Schweizer sein?

Das darf durchaus bezweifelt werden. Nebst den bereits erwähnten Risiken haben diese Aktivitäten noch eine andere Wirkung: Mit dem Erwerb riesiger Aktienportfolios sind Notenbanken in eine unvorhergesehene Eigentümerrolle geschlüpft. Weder ist es geregelt, wie diese Rolle wahrgenommen werden soll, noch ist es sicher, ob eine Notenbank dafür qualifiziert ist. Wenn die Notenbanken dank ihres Geldschöpfungsmonopols zu den bedeutend­sten Eigentümern von Unternehmen werden, hat dies mit einer freien Marktwirtschaft nichts mehr zu tun. Bereits heute kontrollieren die Notenbanken zusammen mit den Staatsfonds und den drei grössten Vermögensverwaltungsgesellschaften über 40 Prozent der Aktien der börsenkotierten Unternehmen. Da diese Institutionen ihre Eigentümerrolle nicht aktiv wahrnehmen, überrascht es nicht, dass viele Manager das Vakuum bei den Eigentümern zur persönlichen Bereicherung ohne entsprechende Gegenleistung ausnutzen. Die damit einhergehenden Exzesse werden dann wiederum fälschlicherweise der «bösen Marktwirtschaft» angekreidet, wodurch dasjenige System immer weiter diskreditiert wird, dem die Menschen ihre Freiheit und Prosperität zu verdanken haben.

Gegen diese Missverständnisse gilt es anzukämpfen. Wir hoffen, dass wir mit unserem Buch einen Beitrag zur Aufklärung leisten können und die freiheitlichen Kräfte sich dank besseren Ideen letztlich durchzusetzen vermögen.

Vielen Dank, Herr Kessler.

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Das Interview wurde per Email geführt. Die Fragen stellte Thorsten Polleit.

Sie können das Buch über folgende links bestellen:

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Olivier Kessler ist Vizedirektor des Liberalen Instituts in Zürich.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: Buchcover

 

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