Venezuela ist ein Live-Experiment, das zeigt: Sozialismus produziert Armut. Dennoch huldigen westliche Intellektuelle dem Land

Wäre eine Welt ohne Egoismus und Privateigentum nicht eine gerechtere, also eine bessere Welt? So denken im Westen viele Intellektuelle. Sie kennen den Sozialismus zumeist nur vom Hörensagen. Wer jedoch wirklich in sozialistisch verwalteter Armut lebt, möchte vor allem eines: mehr Freiheit und Wohlstand, also mehr Kapitalismus.

3. August 2018 – von Martin Rhonheimer

Martin Rhonheimer

Schon mancher Politiker hat Armutsbekämpfung zum höchsten Ziel seiner Bestrebungen erklärt. Zu ihnen gehören auch Venezuelas ehemaliger Präsident Hugo Chávez und sein Nachfolger Nicolás Maduro. Ihr Rezept hieß: Sozialismus. Doch heute wissen wir: Durch die Totalverstaatlichung der Wirtschaft ist die Armut in Venezuela massiv gewachsen. Elend breitet sich aus, Hunderttausende fliehen ins Ausland, Menschen hungern, die Währung zerfällt, die Produktion sinkt dramatisch. Um an der Macht zu bleiben, hält die Regierung die Bevölkerung in Geiselhaft und unterdrückt jegliche Opposition.

Venezuela zeigt beispielhaft, warum Sozialismus ungeachtet der besten Absichten Armut nicht zu überwinden, sondern nur zu mehren vermag. Die Politik von Chávez und Maduro beruht auf dem Kampf gegen Eigentum und private Verfügungsmacht über die Produktionsmittel. Sie schaltet den Preismechanismus des Marktes aus, reguliert, kommandiert und lähmt den Produktionsprozess. Dem Arbeitsmarkt werden Fesseln angelegt, jegliche Eigeninitiative wird zerstört. Sozialistische Überwindung von Armut zielt nicht auf Steigerung der Produktivität durch freiwilliges Wirtschaften, sondern sucht das Ziel durch das zwangsweise Verteilen sozialer Wohltaten zu erreichen. Armut wird damit nur übertüncht, indem die Menschen in zunehmende Abhängigkeit vom Staat getrieben werden.

Das Versagen der Intellektuellen

So ging nicht nur die Wirtschaftsleistung dramatisch zurück, es entstand auch eine korrupte bürokratische Verteilungselite, die vom System profitiert und sich daran bereichert. Im real existierenden Sozialismus wird nicht, wie im Kapitalismus, reich, wer profitabel und innovativ wirtschaftet, sondern wer an den Schalthebeln der Macht sitzt und Ressourcen verteilt, die der Staat den produktiven Sektoren der Gesellschaft entzieht. Über eine Million hochqualifizierter Fachkräfte sind mittlerweile ausgewandert.

Die wirtschaftlichen Probleme Venezuelas bestanden bereits lange vor Chávez’ «Revolution». Der Kampf gegen Kapitalismus und Marktwirtschaft hatte schon seit den 1970er Jahren den wirtschaftlichen Niedergang des Landes eingeleitet. Chávez posierte als Retter – und der anfängliche «Erfolg» schien ihm recht zu geben. Das war nur möglich, weil das Öl sprudelte und in den Jahren des hohen Ölpreises auch die Staatseinnahmen. Linke Intellektuelle in Europa und den USA priesen Chávez’ Politik der Armutsbekämpfung als vorbildlich, ja als Modell für die ganze Welt.

Doch dann sank der Ölpreis. Anstatt in den fetten Jahren Reserven anzulegen, hatte der Chavismus immer nur mit vollen Händen verteilt. Das musste er nun weiter tun, die Staatsschuld wuchs, die Notenpresse lief auf Hochtouren. Heute herrscht galoppierende Inflation, und die Menschen können mit ihrem Geld kaum mehr etwas kaufen.

Was an der Entwicklung Venezuelas einmalig ist: Der Prozess der sozialistischen Wertvernichtung konnte sich gleichsam unter Laborbedingungen abspielen. Die hohen Öleinnahmen ermöglichten, dass das Werk der wirtschaftlichen Zerstörung lange unsichtbar blieb. Jetzt aber wird umso deutlicher, was Sozialismus eigentlich ist: eine Maschinerie der Wertvernichtung und Armutserzeugung, die zudem die Menschen in die politische Knechtschaft und ein demokratisches Land in die Diktatur führt.

Mehr Kapitalismus

Armut lässt sich nicht durch «gerechtere» Verteilung von Ressourcen bekämpfen, sondern nur durch wirtschaftliches Wachstum und Wertschöpfung. Das Wirtschaftssystem, das Arbeit, Produktivitätswachstum und damit Wohlstand schafft, heisst Kapitalismus – in Ludwig von Mises’ Worten: Privateigentum an Produktionsmitteln, unternehmerische Initiative und freiwilliger Tausch.

Erst wenn wir verstanden haben, wie Wertschöpfung geschieht und Wohlstand entsteht und dass es dazu nicht nur politischer, sondern auch wirtschaftlicher Freiheit bedarf – erst dann haben wir verstanden, warum Venezuela gescheitert ist. Dann begreifen wir auch, warum andere Länder Lateinamerikas wie Chile, Peru und Kolumbien, vielleicht bald auch Argentinien, sich auf dem Pfad des ansteigenden Wohlstands befinden: weil sie im Unterschied zu Venezuela kapitalistischer geworden sind.

Die Armen brauchen den Kapitalismus, derweil ihn ökonomisch unaufgeklärte westliche Wohlstandsbürger und Intellektuelle, die sich das leisten können, verteufeln. Doch auch im Westen verdanken wir den historisch beispiellosen Wohlstand dem Kapitalismus, genauer: dem, was davon übrig ist. Kaum einer wagt es, die Frage zu stellen: Was wäre, wenn wir nicht eine Staatsquote von 50, sondern von – sagen wir – 25 Prozent hätten, wenn es also auch bei uns mehr wirtschaftliche Freiheit, Eigeninitiative und unternehmerischen Spielraum gäbe? Dazu braucht es ein wenig Phantasie. Aber das wäre doch eine Frage, deren Beantwortung sich ein paar kluge Intellektuelle annehmen könnten.

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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung (15. Juni 2018).

Professor Dr. Martin Rhonheimer lehrt Ethik und politische Philosophie an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom und ist Präsident des Austrian Institute of Economics and Social Philosophy, Wien. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher in mehreren Sprachen – zuletzt auf Deutsch erschien 2012 im Herder Verlag „Christentum und säkularer Staat“. Eine Liste seiner Publikationen findet sich auf seiner Uni-Website: http://docenti.pusc.it/?u=rhonheimer.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: © Alexander Sánchez – Fotolia.com

 

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