Kennen sie den Präsidenten der Schweiz?

23.1.2017 – von Bill Wirtz.

Bill Wirtz

Doris Leuthard. Sie ist die schweizerische Präsidentin seit dem 1. Januar 2017, falls sie das demnächst im Kreuzworträtsel brauchen. Wie kommt es, dass ein Regierungsoberhaupt eines Landes, das international so bekannt ist, selbst so unbekannt ist?

Die Schweiz hat sich von Anfang an gegen Zentralisierung gewehrt

Zu Beginn der Schweizer Eidgenossenschaft ging es nicht um Macht.

Während Europa sich in Territorial- und Religionskonflikten wie dem Dreißigjährigen Krieg zerfleischte, war die Schweiz mit ihren (damals) 8 Kantonen bereits ab dem 14. Jahrhundert ein Mikrokosmos für Frieden und Wohlstand. Auch in dieser alten Eidgenossenschaft waren diese Kantone im permanenten Streit, auch aus religiösen Gründen, einigten sich jedoch darauf, sich gegenseitig militärische Hilfe zu leisten, um den Frieden der Region beizubehalten. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hatte den Eidgenossen imperiale Immunität versprochen, was so viel bedeutete, dass sie Teil des Reiches waren, ohne von letzterem regiert zu werden. Während die europäischen Königshäuser die Steuern erhöhten, um ihre endlosen Kriege zu finanzieren, war „Schweizer zu sein“ vergleichbar mit „Einwohner eines Steuerparadieses zu sein“: Die Zerstörung des Kontinents ließ die Konflikte zwischen den Kantonen unwichtig aussehen.

Später kam es dann in der Schweiz zu größeren Konflikten zwischen katholischen und protestantischen Kantonen, die auch die Kämpfe führten. Diese Kämpfe hatten zwar Sieger, doch keiner der Kantone konnte sich landesweit durchsetzen, da die Unterschiede der Regionen die Schweiz unregierbar machten. Die Kantonalregierungen konnten sich lediglich auf eine gemeinsame, neutrale Außenpolitik einigen, die letztendlich die Bevölkerung vor Kriegen bewahrte.

Im Jahre 1798 fiel die französische Revolutionsarmee in der Schweiz ein und gründet die Helvetische Republik, ein zentralisierter Staat, der die Kantone auf administrative Distrikte reduzierte, ganz im Sinne der kaiserlichen Staatsvorstellung von Napoléon. Dieses nation building-Projekt Frankreichs scheiterte fünf Jahre nach seiner Gründung, da die Bevölkerung sich jeder Zentralisierungsinitiative entgegenstellte. Die Helvetische Republik war mit der Schweizer Mentalität inkompatibel: Entscheidungen wurden weiterhin auf kantonaler, nicht auf Bundesebene getroffen.

Zentralisierung und der Schweizer Bürgerkrieg

Nach jahrzehntelangen Konflikten hinsichtlich der Zentralisierung der Macht war es ein Bürgerkrieg, der die Frage der Legitimität der föderalen Regierung löste. Der Sonderbundskrieg begann 1847 als Konflikt zwischen sieben katholischen Kantonen, die sich gegen die Machtzentralisierung Berns stellten und gegen die 1814 gegründete Eidgenossenschaft rebellierten. Was folgte, war der vielleicht unspektakulärste Krieg der europäischen Geschichte: Die Armee Berns hatte nur 78 Gefallene und 260 Verwundete zu beklagen. Der Sonderbund löste sich auf und die Schweizer Eidgenosseschaft, wie wir sie heute kennen, wurde im darauf folgenden Jahr gegründet.

Man muss sich dies genau vor Augen führen: Der Grund für diese schweizerischen Auseinandersetzungen (die von ihrer vergleichsweise gewaltlosen Natur geprägt waren), war die Ablehnung der Zentralisierung und die Skepsis gegenüber einem starken Staat, und alles das auf einer Fläche von nur 41.000 Quadratkilometer. Das Resultat? Ein relativ neutraler Staat, der mehr Freiheit und Wohlstand aufzubieten hat als die meisten Länder in Europa.

Der Schweizer Bundesrat ist gewollt machtlos

Die Exekutive der föderalen Republik besteht aus einem Bundesrat, der nach dem Direktorialsystem funktioniert. Der Rat hat sieben Mitglieder (jeder verantwortlich für eines der sieben Ministerien), die von beiden Kammern gewählt wurden. Die Präsidentschaft und Vize-Präsidentschaft rotieren jährlich, die Mandate der Direktoren dauern vier Jahre. Momentan setzt sich der Bundesrat aus zwei Sozialdemokraten, zwei Liberalen, zwei Rechtskonservativen, und einer Christ-Demokratin (Doris Leuthard, die Präsidentin) zusammen.

Obwohl die Eidgenossenschaft dem verfassungsrechtlichen Beispiel der USA folgen wollte, wenn es um Föderalismus und regionale Autonomie geht, so vermied es die Schweiz doch, die Macht in einer einzigen Person zu konzentrieren. Es ist bemerkenswert, wie die meisten europäischen Länder bis heute kontinuierlich ihre Regierungssysteme ändern, doch dieser Bundesrat sich seit 1848 in seiner Form nicht geändert hat. Die einzig große Veränderung war das Abändern der sogenannten Zauberformel der Regierung, auch bekannt als der Schweizer Konsens. Dieser politische Landesbrauch teilt die sieben Sitze des Bundesrates zwischen den stärksten Parteien auf. Mit dem Karrierestart des milliardenschweren EU-Gegners Christoph Blocher und seiner Schweizer Volkspartei in die Schweizer Politik musste die Zauberformel reformiert, und der Traum eines EU-Beitritts in weite Ferne gerückt werden.

Außerhalb der eigenen Sitzungen zeigt der Bundesrat Einigkeit. Die meisten Entscheidungen im Rat fallen via Konsens. Das liegt größtenteils daran, dass die Kantone weiterhin den meisten politischen Einfluss behalten, wie zum Beispiel Bildungspolitik oder sogar das Aufheben der Steuern, was den Rat zum purem Dekor macht. Der Bundesrat kann keine exekutiven Entscheidungen treffen oder sein Veto einlegen.

Der Schweizer Präsident tritt im öffentlichen, politischen Debatten selten auf. Wenn sie also nicht wussten, wer die Schweizer Exekutive leitet, machen Sie sich nichts daraus, die meisten Schweizer wissen es wahrscheinlich auch nicht.

Regionalismus funktioniert in der Schweiz

Die Kantone in der Schweiz halten das politische Gleichgewicht: Besonders konservativ sind die Kantone außerhalb der großen Städte wie Zürich, Genf oder Bern. Die Einwohner der ländlichen Gegenden stellen sich der Zentralisierung entgegen. Die Schweizer Bevölkerung hat sich beispielsweise mehrmals gegen Entwürfe gewehrt, die auf nationaler Ebene einen Atomausstieg forderten.
Dieser Regionalismus wäre schwerer zu erreichen, wenn es das System der direkten Demokratie nicht gäbe.

Alle föderalen Gesetze müssen die folgenden fünf Schritte durchlaufen:

  1. Ein erster Entwurf wird von Experten in der föderalen Verwaltung vorbereitet.
  2. Dieser Entwurf wird großen Personengruppen vorgelegt, um Kommentare zu sammeln. Unter diesen Beratern befinden sich kantonale Regierungen, politische Parteien und NGOs.
  3. Das Resultat dieser Konsultation wird beiden Kammern vorgelegt, hinter verschlossen Türen diskutiert und schlussendlich öffentlich debattiert.
  4. Die Wahlbevölkerung hat ein Vetorecht: Falls eine Person oder eine Gruppe es schafft 50.000, Unterschriften für die Durchführung einer Volksabstimmung innerhalb von drei Monaten zu sammeln, so muss ein Referendum organisiert werden. Die Mehrheit ist bei einer solchen Abstimmung die Mehrheit der Bevölkerung, nicht die der Kantone. Es ist nicht unüblich für die Schweiz, dass mehrere Referenden in einem Jahr organisiert werden.

Diese Volksabstimmungen sind der Grund, warum die politischen Mehrheiten sich immer dazu entschieden haben, die Opposition an der Regierung zu beteiligen: Wenn sie keinen Konsens finden wollte, dann könnte die Opposition sehr leicht eine Volksabstimmung organisieren.

Dieses System von aggressivem Regionalismus, gepaart mit direkter Demokratie, hat die Schweiz relativ immun gegen einen erstarkenden Staat gemacht und zu einer der wenigen Horte der Freiheit in Europa.

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Der Originalbeitrag mit dem Titel Do You Know Who the Swiss President Is? ist am 12.1.2017 auf der website der Foundation of Economic Education erschienen.

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Bill Wirtz ist ein luxemburgischer Blogger (www.wirtzbill.wordpress.com), der in vier Sprachen veröffentlicht. Seine Artikel erschienen bei der Foundation for Economic Education, dem Washington Examiner und in luxemburgischen Tageszeitungen. Er ist Local Coordinator und Blog-Verwalter bei European Students for Liberty.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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