„Der Vertrauensverlust in das Geldsystem wird zunehmen“

29.2.2016 – Wer Augen hat zu sehen erkennt: Das internationale Finanz- und Währungssystem nähert sich der Endphase einer kumulativen Krise. Wer Ohren hat zu hören horche auf: Das System ist nicht alternativlos

von Antony P. Mueller.

Antony P. Mueller

Vielen Bürgern und auch den meisten Politikern ist noch gar nicht recht bewusst, welche großen Herausforderungen dem internationalen Finanz- und Währungssystem bevorstehen. Zwar erfährt die Krise des Euros wegen der anhaltenden und erneut aufflammenden Schwierigkeiten mit Griechenland wieder mehr Aufmerksamkeit, und viel wird auch über einen möglichen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union diskutiert, aber dass das Weltfinanzsystem nicht länger unter der Vorherrschaft des Dollars bestehen bleiben kann, ist noch nicht ausreichend ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen. Von einem möglichen Kollaps des internationalen Währungssystems würden fundamentale Veränderungen auf Wirtschaft und Gesellschaft und auf die internationalen Beziehungen ausgehen.

Die Brisanz des Problems ergibt sich daraus, dass die Vormachtstellung der USA in der Welt ganz erheblich von der Rolle des US-Dollars als internationale Reservewährung abhängt. Als der US-Dollar gegen Ende des Zweiten Weltkrieges auf der Konferenz von Bretton Woods zur internationalen Leitwährung gekürt wurde, betrug der Anteil der amerikanischen Volkswirtschaft am Weltsozialprodukt etwa 35 Prozent; heute macht der Anteil der amerikanischen Volkswirtschaft weniger als die Hälfte davon aus. In Kaufkraft gerechnet ist das Bruttoinlandsprodukt sowohl von China als auch das der Europäischen Union größer als das der Vereinigten Staaten, während das der Eurozone etwa drei Viertel der amerikanischen Volkswirtschaft beträgt. Von den gesamten globalen Währungsreserven von 11,5 Billionen US-Dollar werden jedoch etwa 65 Prozent in US-Dollar gehalten, während der Euro es auf nicht mehr als knapp über 20 Prozent bringt.

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind die größte Militärmacht der Welt. Sie geben pro Jahr mehr für Rüstung aus als die nächsten zehn Länder in der Rangliste zusammengenommen. Ein Blick auf die Statistiken zeigt dabei, dass die Summe von rund 550 Milliarden US-Dollar, die Amerika pro Jahr für Rüstung ausgibt, größtenteils vom Ausland finanziert wird. Die USA haben derzeit ein Defizit in der Leistungsbilanz von fast 450 Milliarden US-Dollar, das maßgeblich dadurch zustande kommt, dass die amerikanischen Einfuhren die Ausfuhren übersteigen.

Wie jedes Defizit, muss auch ein Handels- oder Leistungsbilanzdefizit finanziert werden. Dies geschieht im Falle der USA durch den Import von Kapital, hauptsächlich durch den Verkauf von amerikanischen Staatsanleihen an das Ausland. Der Import von Kapital deckt fast ganz die Militärausgaben der USA. Die Problematik dieser Situation besteht darüber hinaus darin, dass diese Konstellation seit Jahren schon anhält. In der Folge sind die USA von einem internationalen Nettogläubiger zum größten Nettoschuldner der Welt geworden.

Bei einem Inlandsprodukt von gegenwärtig 17,4 Billionen US-Dollar beträgt die gesamte Verschuldung der Vereinigten Staaten gegenüber dem Ausland derzeit brutto 18,8 Billionen US-Dollar und netto, als so genannte „Net International Investment Position“, 7,3 Billionen US-Dollar. Über 6 Billionen US-Dollar davon werden in Form von US-amerikanischen Staatstiteln im Ausland gehalten, davon wiederum 1,5 Billionen in China (einschließlich Hongkong) und 1,2 Billionen US-Dollar in Japan. China hält derzeit insgesamt Währungsreserven in Höhe von rund 3,2 Billionen US-Dollar. Hiervon entfallen etwa 70 Prozent auf Anlagen in US-amerikanischer Währung.

Gleichzeitig produziert die US-amerikanische Notenbank immer mehr Dollars. Im Zuge ihrer „geldpolitischen Lockerung“ hat die amerikanische Notenbank in den vergangen sechs Jahren die Basisgeldmenge von rund 800 Milliarden auf über 4,5 Billionen US-Dollar Ende 2015 erhöht. Das ist mehr als nur eine Geldschwemme. Zusammen mit der Niedrigzinspolitik, die den Basiszinssatz nahe bei Null brachte, hat diese Geldlawine zu einer globalen Inflation der Vermögenspreise (Aktien, Immobilien) geführt und stellt einen der wesentlichen Gründe für die zunehmende Ungleichverteilung des Reichtums in der Welt dar, weil nur Aktien- und Immobilienbesitzer von dieser Inflation „leistungslos“ profitieren, alle anderen aber nicht.

Wenn der Zufluss neuen Geldes aufhört und die Zinssätze wieder steigen, muss es notwendigerweise zu einer einschneidenden Korrektur kommen, wie es sich jetzt schon an den Aktienmärkten zeigt. Die Börsenturbulenzen Anfang des Jahres 2016 haben einen Vorgeschmack auf die kommenden Unruhen gegeben.

Neben der Währungskrise betrifft ein zweiter Krisenherd die Staatsfinanzen. Die Regierungen betreiben, so lange es eben geht, eine Politik der Schuldenfinanzierung. Allein während der bisherigen Amtszeit von Präsident Barack Obama hat die amerikanische Staatsverschuldung um rund 8 Billionen US-Dollar zugenommen. Derzeit beträgt die so genannte Schuldenquote (die staatliche Verschuldung in Prozent des Bruttoinlandsproduktes) für die USA 103 Prozent, für die Eurozone 92 Prozent, für Deutschland 75 Prozent und für Japan sogar 230 Prozent. Bei diesen Zahlen sind sämtliche Verbindlichkeiten des Staates noch gar nicht einbezogen. Wenn man dies täte und die Renten- und Pensionsverpflichtungen einbeziehen würde, käme man auf ein Vielfaches der amtlichen Quoten.

Die Summe von anerkannten und ausgeblendeten Verbindlichkeiten lässt erkennen, dass der herkömmliche Wohlfahrtsstaat tendenziell nicht mehr finanzierbar ist. Dieser wurde für eine Gesellschaft errichtet, in der es noch Familienhilfe vor Staatshilfe gab und Sozialhilfe mit einem Stigma versehen war. Die Grundidee der Sozialversicherung, den Industriearbeiter zu schützen, ging davon aus, dass dieser Arbeiter und Angestellte ein Leben lang im selben Bereich bis zum gesetzlichen Rentenalter beschäftigt sein würde und der Zeitraum des Beziehens von Altersruhegeld nur wenige Jahre betrüge. Krankheit und Arbeitslosigkeit galten als temporär begrenzte Notfälle. Solidargemeinschaft zu Zeiten der Industriegesellschaft hieß, Arbeiter und Angestellte vor den finanziellen Folgen von Krankheit, Invalidität, Arbeitslosigkeit und Alter zu schützen. Inzwischen haben sich die traditionellen Familienverbände aufgelöst und staatliche Unterstützungen werden als selbstverständlich angesehen.

In der modernen Technologiegesellschaft gibt es weniger feste, lebenslange Beschäftigungsverhältnisse. Wie sehr die digitalen Technologien die Steueraufbringung unterminieren werden, wird bisher bei der staatlichen Finanzplanung nicht berücksichtigt. Ebenso wenig die Alterung der Gesellschaft. Der Kern des Problems dieses Wandels besteht darin, dass die Staatsausgaben zunehmen, während das Steueraufkommen erodiert. Nichtberücksichtigung des Problems heißt nicht, dass es unerkannt wäre. Das Bundesfinanzministerium hat im Februar 2016 seinen turnusmäßigen Tragfähigkeitsbericht vorgelegt, in dem die Finanzbeamten zu der Annahme gelangen, der Schuldenstand würde im ungünstigsten Fall bis zum Jahr 2060 „kontinuierlich auf rund 220 Prozent“ des Bruttoinlandsproduktes (BIP) steigen, wie Die Welt am 12. Februar 2016 berichtet. Die Maastricht-Grenze für Staatsverschuldung liegt bei 60 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Wenn aber der Staat als größter aller Schuldner nicht mehr aus eigenen Einnahmen die Schulden bedienen kann, sondern neue Schulden machen muss, um die alten Schulden zu bedienen, löst sich das Vertrauen in den Geldwert notwendigerweise immer mehr auf. Der Vertrauensverlust in das bestehende Geldsystem wird zunehmen. Je nachdem, inwieweit Währungskrise, Geldkrise und Kreditkrise (Staatsschuldenkrise) eher isoliert und nacheinander oder geballt auftreten, bestimmt sich das Ausmaß der nächsten globalen Krise des internationalen Finanz- und Währungssystems.

In Reaktion auf die Finanzkrise 2008 haben viele Notenbanken die Leitzinsen auf ein historisch niedriges Niveau gesenkt. Was wird geschehen, wenn die Zinsen wieder steigen? Von Seiten des Wachstums ist keine Hilfe zu erwarten. Angesichts steigender Ausgaben und stagnierender Einnahmen in Verbindung mit höheren Zinsen und verlangsamtem Wachstum werden die staatlichen Haushaltsdefizite sich ausdehnen und die Staatsschulden weiter wachsen.

Gerade in Deutschland ist derzeit die Illusion verbreitet, es könne immer so weitergehen, und eine gute Konjunktur sei gleichsam selbstverständlich. Tatsache aber ist, dass Deutschland in den vergangenen Jahren eher durch die Umstände als durch die richtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen eine erfreuliche Konjunkturentwicklung erleben konnte. Ohne den Euro hätte die deutsche Exportwirtschaft mit einem starken Wechselkurs ringen müssen und wäre so viel weniger imstande gewesen, von der Nachfrage in den aufstrebenden Volkswirtschaften zu profitieren.

Der Boom in China geht aber zu Ende, und der Nahe Osten wird wohl noch lange Zeit von kriegerischen Konflikten heimgesucht werden. Die Zuwanderung der letzten Jahre aus den Krisenländern der Eurozone kann die Überalterung der deutschen Gesellschaft nicht spürbar aufhalten, ebenso wenig die Zuwanderung aus den gescheiterten Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas. Für eine lange Zeit werden die Integrationskosten höher sein als der produktive Beitrag, den Immigranten leisten könnten. Die Tendenz zum Anstieg der Staatsausgaben ist auch in Deutschland ungebrochen.

Die Diskrepanz zwischen steigenden Ausgaben und stagnierenden oder gar schrumpfenden Einnahmen wird sich bald wieder erneut in aller Schärfe zeigen. Die Schuldenkrise, die schon seit Jahren Griechenland und anderen Euroländern zu schaffen macht, wird auch Deutschland wieder erreichen. Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis verkündete im deutschen Fernsehen: Griechenland war 2010 pleite, ist 2016 pleite und wird auch 2017 pleite sein – erlasst uns unsere Schulden, und wir werden neue machen, um die Wirtschaft anzukurbeln. (So, sinngemäß, am 11. Februar 2016 in der ARD-Sendung „Maischberger“.)

Die herkömmlichen Mittel, eine Wirtschaftskrise zu bekämpfen, auf die der griechische Finanzpolitiker empfiehlt zurückzugreifen, nämlich mehr Staatsausgaben und niedrige Zinsen, sind aber jetzt schon, weltweit, an ihre Grenzen gestoßen – falls sie je funktioniert haben. Von der nationalen Politik ist also keine Rettung zu erwarten und noch weniger von der internationalen Politik – sei es nun die Eurozone oder die Europäische Union oder der Internationale Währungsfonds.

Lösungen könnten allerdings von privatwirtschaftlicher Seite ausgehen. Die Chance der kommenden Krise bestünde somit darin, dass ganz neue Ideen Fuß fassen und verwirklicht werden, die jenseits von staatlicher Organisation liegen. Das gilt auch für den Währungsbereich. Ungeahnte Möglichkeiten eröffnen sich mit dem Ausblick, dass die Periode des staatlichen Geldes zu Ende geht. Der Wechsel braucht keineswegs abrupt zu erfolgen. Es ist durchaus denkbar, dass privates elektronisches Geld langsam, aber stetig Verwendung findet, wie es derzeit schon im experimentellen Rahmen bei Bitcoin der Fall ist.

Wer bisher dachte, Bitcoin sei ein Steckenpferd digitaler Spinner, den belehrt ein Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Februar 2016 eines Besseren: 42 Großbanken aus aller Welt erforschen in einem Konsortium namens R3 CEV gemeinsam die neue Technologie Blockchain, die hinter Bitcoin steht. Auch bei der Deutschen Börse, bei der Bank von England und bei der Nasdaq gibt es Arbeitsgruppen, die die Chancen der neuen Technik ausloten: „Denn im Grunde lässt sich über die Blockchain alles austauschen, was sich als Datensatz ausdrücken lässt, also auch Wertpapiere.“ (FAZ)

Ein verlässliches digitales Zahlungsmittel löste das Geld von der Nationalstaatlichkeit. Privatgeld machte Schluss damit, dass das Land, das die internationale Reservewährung emittiert, sich fast unbeschränkt außenwirtschaftliche Defizite leisten kann. Wenn das Privileg des staatlichen Geldes fällt, schwindet auch die Möglichkeit zu nahezu unbegrenzter Staatsverschuldung, wie das heute eine nationale Währung der jeweiligen Regierung oder eine Währungsunion den beteiligten Regierungen einräumt. Mag man im Bundesfinanzministerium auch der Möglichkeit von 220 Prozent Staatsverschuldung gelassen ins Auge schauen – die kommende globale Finanz- und Währungskrise bietet eine bessere Aussicht: auf einen „Regime Change“ des Geldes.

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Dieser Beitrag ist unter der Überschrift „Vor uns die Sintflut. Oder ist es ein Morgenrot?“ zuerst erschienen in “DER HAUPTSTADTBRIEF” – Ausgabe 134.

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Dr. Antony P. Mueller (antonymueller@gmail.com) ist habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und derzeit Professor der Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomie, an der brasilianischen Bundesuniversität UFS (www.ufs.br), wo er am Zentrum für angewandte Wirtschaftsforschung und an deren Konjunkturbericht mitarbeitet und im Doktoratsprogramm für Wirtschaftssoziologie mitwirkt. Dr. Müller ist außerdem Mitglied des Ludwig von Mises Institut USA und des Mises Institut Brasilien und leitet das Webportal Continental Economics (www.continentaleconomics.com).

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