Warum es noch nicht zum Bust gekommen ist

16.11.2015 – von Andreas Marquart.

Andreas Marquart

Die Anhänger der Österreichischen Geld- und Konjunkturtheorie durchleben eine scheinbar schwere Zeit. Die Notenbanken haben mit Beginn der Finanzkrise die Volkswirtschaften mit Liquidität geradezu überflutet und die Leitzinsen immer weiter reduziert. Die Bemühungen der Notenbanken, eine Preisinflation in Gang zu setzen, sind nicht zu übersehen; nur die amerikanische Notenbank stellt derzeit in Aussicht, bald eine Leitzinsanhebung vorzunehmen. Und dennoch: die große Preisinflation und der vielbeschworene Zusammenbruch, die dem Kreditboom doch unweigerlich zu folgen haben, ist bisher ausgeblieben.

Die Teuerungsrate ist – zumindest den offiziellen Zahlen zufolge – nahe Null. Der Ölpreis nähert sich den Tiefstständen von Ende 2008. Der Preis für Gold – das Krisenmetall schlechthin  – fällt bereits im vierten Jahr in Folge. Das Vertrauen der Menschen in das Papiergeldsystem scheint unerschütterlich zu sein: Unsummen an Euro, US-Dollar und Yen werden in Tagesgeldern, auf Sparbüchern und in praktisch zinslosen Anleihen gehalten. Die Kreditausfallsorgen, die noch nicht vor allzu langer Zeit das bestimmende Thema waren, sie sind verschwunden. Wo bleibt er also, der Crack-up-Boom? Wann flüchten denn nun die Geldhalter aus dem ungedeckten Papiergeld? Stimmt vielleicht etwas nicht an Ludwig von Mises’ Theorie, dass dem Kreditboom unweigerlich der Bust folgen muss?

Mises’ Geldtheorie hat Bestand

Mises’ großer Verdienst ist es, nicht irgendeine Theorie formuliert zu haben, wie es Ökonomen heute zu tun pflegen, wenn sie sich auf Erfahrungen, Annahmen oder Beobachtungen stützen. Mises’ Geldtheorie fußt auf der Logik des menschlichen Handelns, der Praxeologie. Kernelement dieser Theorie sind die Erkenntnisse, dass Geld eine nur eine Funktion hat, nämlich die Tauschmittelfunktion; dass Geld ein Gut ist, wie jedes andere auch, und dass es daher dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens unterliegt. In logischen Denkschritten lassen sich darauf aufbauend weitere Erkenntnisse gewinnen: Wahre Erkenntnisse, deren Wahrheitsgehalt nicht von Erfahrung oder „Ausprobieren“ abhängt.

Mises‘ monetäre Konjunkturtheorie ist so ein Beispiel. Wenn neues Geld durch Kreditvergabe, der keine echte Ersparnis gegenübersteht, ausgeweitet wird, sinkt der Marktzins unter sein „natürliches Niveau“, und zwar notwendigerweise. Dadurch werden Investitionen in Gang gesetzt, die ohne ein künstliches Zinsabsenken nicht angegangen worden wären. Die Ersparnis sinkt, der Konsum steigt, und zusätzlich nehmen die Investitionen zu. Früher oder später entpuppt sich der anfängliche Aufschwung („Boom“) als fehlgeleitet. Die Reichtumsillusion verpufft, und Unternehmen merken, dass sich ihre Investitionen nicht rechnen. Arbeitsplätze werden abgebaut, Kreditausfälle nehmen zu. Die Wirtschaft stockt, der Boom kippt in einen Abschwung („Bust“) um. Das alles gilt „ceteris paribus“. In der Praxis können allerdings Entwicklungen auftreten, die diese Zusammenhänge überdecken.

Geldmengen wachsen kaum mehr

Seit dem Jahr 2008 wächst die für Güterpreisinflation verantwortliche breite Geldmenge M3 im Euroraum kaum mehr. Waren von Anfang der 1980er Jahre bis 2008 Wachstumsraten von durchschnittlich etwa 7,4 Prozent pro Jahr zu beobachten, liegt der Zuwachs seither bei nur noch durchschnittlich 3,2 Prozent pro Jahr. Warum hat das Geldmengenwachstum abgenommen?

Damit die Geldmenge wächst, ist es erforderlich, dass Banken neue Kredite vergeben, und dass es auch Nachfrager für diese Kredite gibt. Beides scheint ins Stocken geraten zu sein, trotz rekordtiefer Zinsen. Die Banken scheinen die Lust am Kreditgeschäft verloren zu haben, schließlich drückt ein tiefer Zins auf die Gewinnmarge. Und ihre Eigenkapitaldecke ist dünn: Kreditausfälle in der nächsten Rezession dürften für sie nur noch schwer verkraftbar sein.

Die Kreditnehmer beobachten das hektische Agieren der Notenbanken. Auch wenn sie meist die Wirkungen der geldpolitischen Maßnahmen nicht abschließend übersehen können, spüren sie doch, dass das Finanzsystem nicht stabil und die Krise nicht überwunden ist. Die daraus resultierende Unsicherheit hält daher viele, die sich einen (weiteren) Kredit leisten könnten, von einer Kreditaufnahme ab. Die Renovierung am Haus wird lieber mit Eigenkapital finanziert. Warum auch nicht? Zinsen für Sparkapital gibt es ja nicht mehr.

Der verbliebene Spielraum für eine Anwachsen der Kredit- und Geldmengen dürfte gering sein. Man könnte es auch salopp formulieren: Noch mehr Kredite können die Volkswirtschaften nicht tragen. Schließlich werden bei einer Kreditausreichung, bei der das neue Geld entsteht, die Zinsen ja nicht „mitgeschöpft“. Die Zinsen müssen vielmehr von der Volkswirtschaft erwirtschaftet werden. Ein Kreditwachstum, das dauerhaft das Wirtschaftswachstum übersteigt, kann es nicht geben. Dass der Kreditboom nicht schon früher erlahmt ist, und dass das Ausweiten der Geldmengen nicht zu einer höheren Preisinflation geführt hat, hat folgende Gründe:

  1. Die Produktivitätssteigerungen der letzten Jahrzehnte waren beträchtlich. Vor allem die Zusammenführung von Mechanik, Elektronik und Internet haben Anwendungsmöglichkeiten geschaffen, die davor undenkbar erschienen. Die dadurch erzielten Kostensenkungen haben den Preisauftrieb als Folge der Geldmengenausweitung gedämpft.
  2. Die Eingliederung beispielsweise Chinas in die internationale Arbeitsteilung hat zu weiteren Kostensenkungen geführt; dies wirkte und wirkt noch immer dämpfend auf die Güterpreise.
  3. Der aufgrund weltweiter Überproduktion stark abgesunkene Ölpreis hat jüngst die Kosten überall dort, wo in der Produktherstellung Energie zum Einsatz kommt, stark gesenkt.
  4. Das allgemeine Zinsniveau – und damit die Kosten für Kredite – sind in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr oder wenig stetig gefallen – vor allem wegen der expansiven Geldpolitiken. Das hat es vielen Volkswirtschaften möglich gemacht, ihre Verschuldung immer weiter in die Höhe zu treiben.

Inwieweit künftige Produktivitätssteigerungen weitere Kostensenkungen nach sich ziehen (Punkt 1. oben), lässt sich nicht verlässlich prognostizieren. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass auch in der Zukunft weitere technologische Innovationen mit Kostensenkungspotenzial entstehen werden. Von den Punkten 2. bis 4. ist nicht mehr viel Unterstützung zu erwarten, wenn es gilt, den Kreditboom vor dem Bust zu bewahren. Selbst wenn es gelingen sollte, die Zinsen auf niedrigem Niveau zu halten, ist keinesfalls gesichert, dass die Kreditnachfrage wieder anspringt, dass ein neuerlicher inflationärer Kreditboom in Gang gesetzt wird.

Geld aus dem Helikopter

Der nächste Wirtschaftsabschwung könnte vielmehr das „Finale furioso“ einläuten. Regierungen und ihre Geldpolitiker werden dann nämlich alle Register ziehen, um die Kredit- und Geldmengenexpansion in Gang zu halten, um dadurch eine deflationäre Kontraktion zu verhindern; denn genau sie droht, wenn der Kreditboom tatsächlich an sein Ende kommt – mit Folgen, die sich viele vermutlich heute gar nicht vorstellen mögen. Es könnten drastische Maßnahmen sein, zu denen die Regierungen und ihre Geldpolitiker greifen.

Vielleicht warten in der Zukunft Darlehen mit negativem Zins auf Unternehmer und Verbraucher, und die Lust auf Verschuldung wird neu entfacht, verbunden mit der Abschaffung des Bargeldes. Oder es wird Geld aus dem Helikopter abgeworfen, wie es bereits der Ökonom Milton Friedman (1912 – 2006) vorschlug. Oder vielleicht werden per Post Konsum-Gutscheine verschickt, finanziert mit neu geschaffenem Geld?

Auf Boom folgt Bust

Auf den Boom folgt der Bust. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Mises’ monetäre Konjunkturtheorie hat von ihrem Erklärungsgehalt nichts eingebüßt. In der Praxis haben jedoch vor allem die Regierungen und ihre Zentralbanken recht erfolgreich dafür gesorgt, dass der Boom in Gang gehalten wurde, so dass es noch zu keinem richtigen Bust gekommen ist; 2008/2009 war kein Bust, sondern eher eine ausgeprägtere Rezession. Wann es zum Bust kommt, lässt sich nicht mit Exaktheit vorhersagen. Aber je länger der Bust durch politische Maßnahmen hinausgezögert wird, desto heftiger wird er ausfallen.

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Andreas Marquart ist Vorstand des „Ludwig von Mises Institut Deutschland“. Er ist Honorar-Finanzberater und orientiert sich dabei an den Erkenntnissen der Österreichischen Geld- und Konjunkturtheorie.

Im Mai vergangenen Jahres erschien sein gemeinsam mit Philipp Bagus geschriebenes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen”.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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