Schottland und Sezession nach Hoppe
20.10.2014 – von Andrei Kreptul.
Nur wenige Wochen sind vergangen seit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses für das schottische Unabhängigkeitsreferendum. Eine genauere Analyse legt nahe, dass der (nun ehemalige) schottische Erste Minister Alex Salmond und seine Initiative Yes Scotland eine falsche Strategie verfolgt haben. Sie hätten bei den Verhandlungen im Vorfeld darauf bestehen sollen, dass jeder einzelne Verwaltungsbezirk, der für „ja“ stimmt, das Recht erhält, aus dem Vereinten Königreich auszutreten. Anders formuliert: man hätte eine allmähliche und grundsätzlich dezentrale Sezession anstreben sollen.
Man betrachte Folgendes:
- Die Frage, die im Referendum an die Wähler gestellt wurde, lautete: „Soll Schottland ein unabhängiges Land werden?“ Der Begriff „Schottland“ war dabei durch die existierenden schottischen Landes- und Wassergrenzen definiert.
- Das Wahlergebnis lautete 44,7% für Ja gegen 55,3% für Nein, bei 3,6 Millionen gezählten Stimmen. Wie im Scottish Independence Referendum Act 2013 gefordert, wurden diese Stimmen innerhalb von 32 Verwaltungsbezirken gezählt und ausgewertet.
- Nach Auswertung aller 32 Verwaltungsbezirke zeigte sich, dass vier Bezirke (Glasgow, Dundee City, North Lanarkshire, und West Dunbartonshire) für die Unabhängigkeit gestimmt haben. Die Wahlbeteiligung in diesen vier Gebieten lag bei 75% bis 88%.
- Die Gegenkampagne dominierte in acht anderen Gebieten mit knappen Mehrheiten von 51% bis 54%. Hier lag die Wahlbeteiligung bei 84% bis 89%.
Das Wahlergebnis zeigt, wie schwer es für die Yes Scotland Kampagne gewesen ist, unter den über alle Verwaltungsbezirke verteilten 3,6 Millionen Wählern eine Mehrheit für die Unabhängigkeit Schottlands zu erreichen. Es zeigt, dass man wohl besser damit gefahren wäre, auf eine schrittweise Sezession einzelner schottischer Gebiete zu drängen, nach einem Modell, das von Hans-Hermann Hoppe vorgeschlagen wurde.
In seinem Buch Demokratie. Der Gott, der keiner ist schlägt Hoppe eine Strategie zur Sezession vor, die Konflikte mit dem Zentralstaat minimiert und den Erfolg maximiert:
Statt dessen sollte eine moderne liberal-libertäre Sezessionsstrategie ihre Stichworte dem europäischen Mittelalter entnehmen, als Europa etwa vom 12. bis weit ins 17. Jahrhundert (mit dem Auftauchen des modernen Zentralstaates) durch die Existenz Hunderter freier und unabhängiger Städte gekennzeichnet war, eingefügt in einer vornehmlich feudale Sozialstruktur. Indem dieses Modell ausgewählt wird und Vereinigte Staaten angestrebt werden, die von einer großen und wachsenden Zahl territorial getrennter freier Städte übersät sind – eine Vielfalt von Hongkongs, Singapurs, Monacos und Liechtensteins, verteilt über den ganzen Kontinent -, können zwei anderenfalls unerreichbare, aber zentrale Ziele erreicht werden. Erstens erkennt diese Strategie die Tatsache an, dass das liberal-libertäre Potential im Land höchst ungleich verteilt ist, und darüber hinaus lässt eine Strategie des Stück-um-Stück-Rückzugs bzw. Austritts die Sezession politisch, sozial und ökonomisch weniger bedrohlich erscheinen. Zweitens, indem diese Strategie gleichzeitig an einer großen Zahl von Orten im ganzen Land angewendet wird, wird es für den Zentralstaat zunehmend schwierig, in der öffentlichen Meinung eine vereinte Opposition gegen die Sezessionisten zu erzeugen, die jenes Ausmaß an öffentlicher Unterstützung und freiwilliger Kooperation sichern kann, das für eine erfolgreiche Niederschlagung notwendig ist.(S. 530 / 531)
Hoppe schreibt weiter:
Die Gefahr einer Niederschlagung durch die Regierung ist in der Initialphase am größten, d.h. während die Anzahl der Territorien freier Städte noch klein ist. Daher ist es in dieser Phase ratsam, jede direkte Konfrontation mit der Zentralregierung zu vermeiden. Statt ihre Legitimität gänzlich zu leugnen, scheint es klüger zu sein, z.B. das Regierungs»eigentum« an Gebäuden des Bundes usw. innerhalb des freien Territoriums zu garantieren und »nur« das Recht auf zukünftige Besteuerung und Gesetzgebung in Bezug auf alles und jeden innerhalb diese Territoriums zu verweigern. Vorausgesetzt, dass dieses mit angemessenem diplomatischem Taktgefühl durchgeführt wird und wenn man die Notwendigkeit eines substantiellen Unterstützungsniveaus in der öffentlichen Meinung bedenkt, ist es schwer vorstellbar, wie eine Zentralregierung es wagen würde, ein Territorium zu erobern, eine Gruppe von Menschen niederzuschlagen, die keine andere Sünde begangen hat, als ihren eigenen Angelegenheiten nachzugehen. Später, wenn die Anzahl sezessionistischer Territorien eine kritische Masse erreicht hat – und jeder Erfolg an einem Ort wird die Nachahmung an anderen Orten befördern -, wird die Schwierigkeit, die Sezessionisten niederzuschlagen exponentiell wachsen, und die Zentralregierung wäre schnell machtlos und würde unter ihrem eignen Gewicht implodieren.(S. 531)
Es ist wichtig anzumerken, dass sich die Regierungen des Vereinten Königreichs und Schottlands in der Vereinbarung von Edinburgh gegenseitig versichert haben, auch zukünftig konstruktiv im Interesse des jeweiligen Landes zusammenzuarbeiten, auch wenn es zur Unabhängigkeit käme. Deshalb gab es in diesem speziellen Fall wenig Anlass, einen Übergriff des Zentralstaats nach Abschluss des Referendums zu befürchten.
Es ist durchaus möglich, dass Cameron und die Better Together Koalition, im Glauben, dass der größte Teil Schottlands im Vereinten Königreich würde bleiben wollen, dem Vorschlag von Yes Scotland nachgegeben hätte, dass auch einzelne Verwaltungsbezirke austreten können, wenn sie eine Mehrheit für die Unabhängigkeit erzielen.
Natürlich gab es zahlreiche lokale, antilibertäre politische und ideologische Beweggründe, warum die Schotten diese Strategie nicht verfolgt haben. Wenn Yes Scotland die Strategie von Hoppe angenommen hätte, dann wären die neuen unabhängigen Stadtstaaten von Glasgow und Dundee City, sowie die unabhängigen Gebiete North Lanarkshire und West Dunbartonshire entstanden. Um als solche zu überleben, wären sie dazu gezwungen gewesen, eine echte freimarktwirtschaftliche Politik gegenüber dem Vereinten Königreich und dem Rest der Welt zu implementieren, anstatt den schottischen Wohlfahrtstaat über Steuereinnahmen aus der Öl- und Gasförderung in der Nordsee aufrechtzuerhalten. Man hätte Wähler über die Erfolgsgeschichten kleiner und unabhängiger Stadtstaaten wie Hong Kong, Liechtenstein, Monaco, San Marino und andere unterrichten müssen, die zum eigenen ökonomischen Wohl Freihandel betreiben und meistens eigene Währungen besitzen.
Medienberichten zufolge habe Nicola Sturgeon, der als Favorit für den Posten des schottischen First Minister gilt, ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum in der Zukunft nicht ausgeschlossen. Sollte es dazu kommen, verspräche der Hoppe’sche Ansatz der dezentralen und lokalen Sezession bessere Aussichten auf politischen und wirtschaftlichen Erfolg, sowohl auf kurze, als auch auf lange Sicht.
Aus dem Englischen übersetzt von Karl-Friedrich Israel. Der Originalbeitrag mit dem Titel Scotland and the Hoppean Blueprint for Secession ist am 2.10.2014 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.
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Andrei Kreptul ist Anwalt mit Sitz in Seattle, Washington. Seine wissenschaftlichen Interessensgebiete sind politische Dezentralisierung, Dezentralisierung von Macht, Föderalismus, Sezession und verwandte Themengebiete.