Interventionismus und Rechtspositivismus: Zum 35. Todestag von Volkmar Muthesius

11.7.2014 – von Eduard Braun.

Eduard Braun

Eine Hauptaufgabe dieser Internetseite ist die Verbreitung und Popularisierung der Ideen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Eine herausragende Rolle spielen dabei die Werke ihrer prominent gewordenen Aushängeschilder wie Ludwig von Mises, Friedrich von Hayek und Murray Rothbard. Dies ist nur zu verständlich, als sich alles Wesentliche – sowohl in wissenschaftlicher als auch in populärer Form – bei diesen Autoren finden läßt. Manchmal kann man jedoch auch bei heute völlig unbekannten Vertretern dieser Denkrichtung eine kleine Perle finden. Eine solche soll in den folgenden Zeilen kurz vorgestellt werden. 

Volkmar Muthesius (1900-1979) dürfte wohl selbst eingefleischten Anhängern der Österreichischen Schule kaum ein Begriff sein. Jörg Guido Hülsmann erwähnt ihn einige Male in seiner Mises-Biographie und nennt ihn dort für die 1950er Jahre Mises‘ „engsten intellektuellen Bundesgenossen in Deutschland“. Ansonsten finden sich in den einschlägigen Schriften nur wenige Hinweise auf diesen Mann.

Zu seinem Leben sollen auch hier nur einige Eckdaten erwähnt werden.[1] Stattdessen soll er an seinem 35. Todestag weiter unten ausführlich selber zu Wort kommen. Volkmar Muthesius promovierte nach dem Ersten Weltkrieg bei dem bekannten Wirtschaftsrechtler Justus Wilhelm Hedemann. Er arbeitete als freiheitlicher Wirtschaftspublizist bei unterschiedlichen Tageszeitungen und war Mitbegründer der „Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen“ sowie Herausgeber der „Monatsblätter für freiheitliche Wirtschaftspolitik“. Er zeichnete sich durch eine knallhart liberale und anti-inflationistische Position aus und trat u.a. als scharfer Kritiker der Ordoliberalen und Ludwig Erhards auf, welche ihm zu weichgespült schienen. Nebenbei verfaßte er zahlreiche Monographien, hauptsächlich über Fragen des Geldes und der Inflation.

Uns interessiert im folgenden aber zunächst einmal seine Autobiographie „Augenzeuge von drei Inflationen“. Dort schaltet der gelernte Jurist einen wenige Seiten langen „Exkurs über die Juristerei“ ein (S. 40-45). Er vertritt darin die These, daß die Umstrukturierung der Rechtswissenschaft nach dem Ersten Weltkrieg hin zum Rechtspositivismus eng verknüpft sei mit dem Sieg des Interventionismus in der Wirtschaftspolitik des 20. Jahrhundert. Als ein Symptom dieser fundamentalen Änderung in der Juristerei erscheint ihm dabei die Beseitigung des „Juristenmonopols“. Er beschreibt diese Entwicklung folgendermaßen:

Heute braucht man nicht Jurist zu sein, um Minister zu werden, und auch die nächsten Posten in der Verwaltung, Staatssekretäre, Ministerialdirektoren, bis hinunter zum Regierungsrat, stehen den Wirtschaftswissenschaftlern offen, auch den Soziologen und den Politologen; […] der Jurist hat zwar keineswegs ausgedient, denn in der Rechtsprechung ist und bleibt er ja unentbehrlich, aber die Ämter, die Verwaltungen, so scheint es, haben sich bereits weitgehend von ihm ‚befreit‘ (S. 41).   

Nun würde diese Öffnung des Verwaltungsapparats zwar von den Nicht-Juristen begrüßt. Muthesius zweifelt jedoch, ob ihre Folgen besonders segensreich gewesen sind. Besonders im Hinblick auf die Wirkungen, die das Ende des Juristenmonopols auf die Wirtschaftspolitik gehabt hat, ist Muthesius sehr kritisch. Er sieht in der Zurückdrängung der Juristen und in der zunehmenden Bedeutung der Spezialisten

eine Begleiterscheinung jener Entwicklung […], die sich in der Verwissenschaftlichung der Wirtschaftspolitik und der parallel dazu laufenden Politisierung der Wirtschaftswissenschaften verkörpert. Dieser Wandel aber ist seinerseits, global betrachtet, das Resultat der Abwendung von Theorie und Praxis der Marktwirtschaft, der allmählichen Hinwendung zum Interventionismus (S. 41).

Er erinnert in diesem Zusammenhang daran, daß das moderne Wirtschaftsrecht aus dem Kriegs-Bewirtschaftungsrecht entsprossen ist. Den Begriff des Wirtschaftsrechts hätte es vor dem Ersten Weltkrieg überhaupt nicht gegeben. Es hätte kein „Recht“ gegeben, das einen

Kontrahierungszwang für bestimmte Leistungen statuiert hätte oder gar die materiellen Bedingungen wie etwa Preise oder andere Konditionen behördlichem Diktat unterworfen hätte. Der Liberalismus, die marktwirtschaftliche Ordnung, hatte mit solchen Freiheitsbeschränkungen aufgeräumt. Der Gesetzgeber ließ sich höchstens dazu herbei, Handelsbräuche, die sich aus reinen Zweckmäßigkeits-Erwägungen herausgebildet hatten, gewissermaßen zu konsolidieren und zu sanktionieren. Schutz des privaten Eigentums war ein allgemeines Gesetz im Sinne Kants. Zugleich wurde die Vorstellung vom sogenannten Gemeinwohl, dieses undefinierte und undefinierbare Begriffsmonstrum, noch nicht mit jener gewalttätigen Hartnäckigkeit postuliert und unaufhörlich repetiert wie seit dem Ersten Weltkrieg und bis zum heutigen Tag (S. 43).

Dieser liberale Zustand des „Wirtschaftsrechts“, wenn man denn von einem solchen sprechen möchte, läßt nun laut Muthesius den Sinn des Juristenmonopols erkennen. Die marktwirtschaftlichen Ordnungsprinzipien machen keine Spezialisten aus der Wirtschaftswissenschaft notwendig, ja letztere wären sogar kontraproduktiv. Nötig waren Juristen, denn diese

waren unabhängige Geister, ihr Formalismus, der ihnen vorgeworfen wurde, war nichts anderes als Neutralität und Toleranz, symbolisiert durch den Grundsatz ‚Audiatur et altera pars‘ [Man höre auch die andere Seite], und gerade dies machte sie geeignet zur Führung der Staatsgeschäfte in einer freiheitlichen Ordnung, deren Hüter sie vor allem als Wächter der allgemeinen Grundsätze wie etwa des Eigentumsschutzes waren (S. 44).

Seit dem Ersten Weltkrieg habe man sich jedoch von den marktwirtschaftlichen Ordnungsprinzipien abgewandt. Der Interventionismus, d.h. das Einmischen in die Geschäfte anderer im Namen des angeblichen Gemeinwohls, setze andere Fähigkeiten voraus als die des klassischen Juristen. Die fortwährenden Eingriffe des Staates hätten vielmehr zu einem verstärkten Einfluß von Spezialisten und zum Ende des Juristenmonopols geführt. Als Folge dieser Entwicklung ließen sich dann auch die Erstarkung des Rechtspositivismus und die Gesetzgebungswut im fortschreitenden 20. Jahrhundert erklären.

Die um sich greifende Verleugnung marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien hat dann den Gesetzgeber auf eine schiefe Bahn gelenkt und einen Rechtspositivismus hochgebracht, der aus der Juristerei eine vielgestaltige, eine monströse und verzwickte Kleinigkeitskrämerei werden ließ und parallel dazu die Spezialisten verschiedener Observanz in den Vordergrund schob (S. 44).

Im folgenden, abschließenden Absatz wird dann der Zusammenhang zwischen interventionistischer Wirtschaftspolitik und der Ausbreitung des Rechtspositivismus noch einmal in eindringlichen Worten dargestellt.

Die heutige Juristerei verstrickt sich in einem Wald von Schlinggewächsen, die den Menschen den Atem einfacher Wahrheiten und Grundsätze abdrücken und die zwar gewissermaßen unten in diesem Dunkel den Juristen als einen Spezialisten neuer Art dringend brauchen, ja geradezu unentbehrlich machen, jedoch nur als eine Art von Handlanger ohne eigene Verantwortung, der nur zu lernen und anzuwenden braucht, was öder und dürrer Rechtspositivismus dekretiert, geleitet von Ressentiments, von Sonderinteressen und nur vorgeblich dem Gemeinwohl dienend. In diesem Milieu werden die ‚gewesenen‘ Juristen [Hedemann] immer seltener, und die Routiniers des Rechts, besser gesagt: des Dschungels von Interventionen und Dirigismen, sind zwar nicht zur Herrschaft gelangt, aber sie stellen bereits eine Schutzwand dar, die den Durchbruch in eine Renaissance der Freiheit erschwert und wahrscheinlich unmöglich machen wird. Das ist ein Juristenmonopol neuer Art, aber kein besseres als das vorherige, an dessen Bruch der politisch erzeugte Rechtspositivismus wacker mitgewirkt hat (S. 44 f.).

Volkmar Muthesius griff das Thema am Ende seines Lebens noch mehrmals auf. In einem kurzen Aufsatz mit dem bissigen Titel „Die Ökonomen vergiften den Rechtsstaat“[2] kritisiert er die „Verzahnung von juristischen Begriffen mit solchen der Wirtschaftswissenschaften“, unter anderem anhand des bekannten Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft von 1967, kurz Stabilitätsgesetz. Er bezeichnet es als eine „Degeneration des Rechts“, daß sich in derartigen Gesetzen herkömmliche Rechtsbegriffe mit Ideologien und Dogmen aus dem Bereich der Sozialwissenschaften vermischen (S. 97). Die vier wirtschaftspolitischen Ziele des Stabilitätsgesetzes: Geldwertstabilität, Vollbeschäftigung, stetiges Wachstum und Zahlungsbilanzausgleich sind seiner Meinung nach überhaupt nicht justitiabel. Die Einhaltung der Ziele könne weder erzwungen noch eingeklagt werden. Er geht noch weiter und stellt fest, daß diese Ziele gar nicht erst eindeutig bestimmbar seien, sie könnten nicht definiert und nicht quantifiziert werden (S. 98).

Die globale Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung mit Hilfe von Gesetzen, die demselben Geist entspringen wie das Stabilitätsgesetz – Muthesius erwähnt beiläufig John Maynard Keynes und die Makroökonomik – sei mit einem Rechtsstaat unvereinbar. Die Glättung konjunktureller Schwankungen

kann gar nicht funktionieren, wenn und solange eine freiheitliche Wirtschaftsordnung im Prinzip die Dispositionen der Staatsbürger als Produzenten, Konsumenten, Sparer und Investoren den Individuen selbst anheimstellt. Globale Wirtschaftssteuerung, universelle Lenkung des Wirtschaftslebens ist eine Utopie, und zwar eine, die im Rechtsstaat nicht einmal zur theoretischen Erörterung gestellt werden kann, weil sie noch nicht einmal eine verläßliche Begriffswelt zur Basis hat und eine solche Grundlage auch gar nicht haben kann – es sei denn man unterstelle sowohl die totale Transparenz alles wirtschaftlichen Geschehens, wie es auf Grund von Millionen individueller Entschlüsse abläuft, und zugleich die totale Machbarkeit. Beides sind Irrtümer, sind Illusionen, und zwar nicht einmal schöne, denn sie gehören in die geistige Nachbarschaft der politischen Diktatursysteme (S. 99).  

1977 blies Muthesius in einem weiteren Aufsatz noch einmal in dasselbe Horn.[3] In einem Abschnitt, der die aufheiternde Überschrift „Die Nationalökonomen sind unser Unglück“ trägt, macht er als eine Grundtendenz der Wirtschaftswissenschaften den Glauben aus,

daß Fiskus und Währungsbank es in der Hand hätten, die Konjunktur, den allgemeinen Trend der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu ‚steuern‘, Depressionen zu überwinden oder gar nicht erst entstehen zu lassen, die ‚ewige Hochkonjunktur‘ zu garantieren (S. 224).

Wenn die Juristen sich nun diesem Glauben anschließen und entsprechende Gedanken in das Rechtswesen eindringen lassen, brächten sie nicht nur die bereits oben erwähnte Unschärfe in das Gesetz, sondern gefährdeten noch einen weiteren tragenden Pfeiler juristischen Denkens. Da sich die Prognosen und Theorien der Ökonomen nämlich regelmäßig änderten, würden zahlreiche Instabilitätsfaktoren in die Gesetzgebung eindringen, wodurch die Rechtssicherheit nicht mehr gewährleistet werden könne.

Gerade in dieser Hinsicht aber ‚sündigt‘ der Interventionismus mit einer Unbedenklichkeit, die frappierend wirken könnte, hätte man sich nicht nachgerade schon an die Instabilität gewöhnt. […] Kurzatmig, kurzlebig, instabil ist diese Art von ‚Recht‘, das infolgedessen keine Achtung genießt. (S. 226 f.).

Diese ausführlichen Zitate aus einigen Werken Volkmar Muthesius‘ mögen genügen, um einen kleinen Einblick in das Denken eines Mannes zu erhalten, der sich aus der Perspektive eines Juristen mit der Entwicklung der Wirtschaftswissenschaft und ihrem Einfluß auf die Gesetzgebung befaßt hat. Am 12. Juli 2014 jährt sich sein Todestag zum 35. Mal. Mit diesem kurzen Beitrag sollte gezeigt werden, daß sich seine erfrischenden Gedanken zum Zusammenhang zwischen Wirtschaftswissenschaft und Rechtspositivismus auch heute noch mit Gewinn lesen lassen.

[1] Für Details siehe Volkmar Muthesius: Augenzeuge von drei Inflationen, Frankfurt am Main: Knapp, 1973.

[2] Volkmar Muthesius: Die Ökonomen vergiften den Rechtsstaat, in: Monatsblätter für freiheitliche Wirtschaftspolitik 21 (3/4), 1975, S. 97-101.

[3] Volkmar Muthesius: Was einem Juristen an der Finanzwissenschaft und an der Finanzpolitik nicht gefällt, in: Günter Schmölders (Hrsg.): Der Bürger als Objekt der staatlichen Finanzpolitik. Festschrift für Willy Haubrichs zum 65. Geburtstag, Bad Wörishofen: Holzmann, 1977.

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Dr. Eduard Braun hat im Jahr 2011 bei Professor Dr. Jörg Guido Hülsmann an der Universität Angers (Frankreich) promoviert und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Professor Dr. Mathias Erlei, Abteilung für Volkswirtschaftslehre, an der Universität Clausthal-Zellerfeld, (http://www.wiwi.tu-clausthal.de/index.php?id=430).

Demnächst erscheint von ihm das Buch „Finance Behind the Veil of Money“. Hier ist es bereits als Ebook erhältlich.

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