Mises, Kant und der Sozialstaat

7.3.2014 – von Patrick Barron.

Patrick Barron

In La loi (Das Gesetz) stellt Frédéric Bastiat die schwer widerlegbare Maxime auf, dass die natürlichen Rechte des Menschen bereits vor der Bildung von Staaten Gültigkeit besitzen, und dass deshalb die kollektivistischen Handlungen des Staates nicht in Konflikt stehen dürfen mit diesen grundlegenden Rechten. Nach Bastiat kann der Mensch nur jene Rechte an den Staat delegieren, über die er selbst verfügt. Der Mensch hat aber kein Recht einen anderen Menschen zur Wohltätigkeit zu zwingen. Genauso wie ich Sie nicht zwingen darf, für den guten Zweck meiner Wahl zu spenden, genauso darf der Staat Sie nicht zwingen, für die Zwecke seiner Wahl zu spenden. Genau das tut er aber. Nehmen wir an, dass der Staat Geld für ein Wohlfahrtsprogramm ausgibt, welches Sie persönlich entschieden ablehnen. Es würde nicht viel nützen, wenn Sie auf Ihr Recht auf eine anteilige Steuersenkung hinweisen würden. Wenn Sie Ihre Zahlungen einstellen, wird der Staat Ihr Vermögen konfiszieren. Wenn Sie versuchen, Ihr Vermögen zu schützen, wird der Staat Ihr Leben zerstören. Aus Sicht des Naturrechts jedoch hat der Staat keine Kompetenz, Sie zur Finanzierung von Zwecken zu zwingen, für die Sie nicht freiwillig Ihr Geld geben würden.

Wahre Gerechtigkeit und der kategorische Imperativ 

Vielleicht gibt es höhere Gründe, warum der Staat unsere natürlichen Rechte verletzen darf und unser Eigentum zum Wohle anderer konfisziert. Wenden wir uns dazu zwei Philosophen zu – Immanuel Kant und T. Patrick Burke. Wir beginnen mit Kant. Unsere Idee von wahrer Gerechtigkeit hat keine bessere Formulierung gefunden als in Kants kategorischen Imperativ. Ein kategorischer Imperativ sagt uns, was wir tun dürfen, unabhängig von Ort und Zeit, und ist universell gültig für alle Menschen. Er speist seine Überzeugungskraft nicht aus dem Zwang einer Autorität heraus, sondern aus nichts anderem als bloßer Vernunft. Kant unterschied den kategorischen Imperativ von einem hypothetischen Imperativ, wie etwa der „Bedürftigkeit“. Auch wenn ein hypothetischer Imperativ gültig sein mag, so wie: „Armen Menschen ginge es mit Transferleistungen besser“, kann er doch niemals objektiv sein. Er ist nur aus Sicht der Betroffenen begründet, in diesem Fall also den armen Menschen. Die Abgabe von Sozialleistungen kann aber keine bedingungslose Forderung sein, die anwendbar auf alle Menschen an allen Orten zu allen Zeiten ist.

In seinem Einführungsbuch über Kant, erklärt Roger Scruton, dass es fünf Varianten des kategorischen Imperativs gibt. Die ersten beiden sind für uns von Bedeutung. Die erste Variante ist die sogenannte Goldene Regel aus Matthäus 7 Vers 12: „Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt – das ist es, was das Gesetz und die Propheten fordern.“ Abraham Lincoln zitierte die Goldene Regel als er sagte: „Ich möchte kein Sklave sein, also bin ich auch kein Sklavenhalter.“ Sie gründet sich auf Einsicht und Vernunft. Die zweite Variante besagt, dass alle Menschen als Zweck und nicht als Mittel behandelt werden sollten. Ein rationales Wesen ist Zweck in sich selbst und kein Mittel für andere Zwecke, oder sagen wir, kein Mittel zu Erreichung der Zwecke anderer. Selbst wenn in einer Gemeinschaft alle bis auf ein Mann dafür stimmen, dass alle für eine bestimmte Wohltat spenden müssen, dann würde es der kategorische Imperativ aus Sicht  des  Naturrechts verbieten, diesen einen Mann dazu zu zwingen. Die Gemeinschaft würde diesen Mann als Mittel und nicht als Zweck behandeln, also nicht als ein rationales Wesen mit Menschenwürde.

Professor T. Patrick Burke lieferte eine wertvolle Ergänzung zur These der Ungerechtigkeit staatlichen Zwangs im Namen der Wohltätigkeit. Überzeugend liefert er ein Argument dafür, dass Unterlassung von Hilfeleistung nicht ungerecht sei, denn an der Situation der betroffenen bedürftigen Person würde sich dadurch nichts ändern. Die Unterlassung verschlimmert das Leid dieser Person nicht aktiv. Wären wir an ein höheres Gerechtigkeitskonzept gebunden, all jenen zu helfen, die in Not zu uns kommen, so würden wir zu Sklaven der gesamten Menschheit werden, was einer Verletzung des kategorischen Imperativs gleichkäme, denn wir wären Mittel und nicht länger Zweck.

Die Unmöglichkeit staatlicher Wirtschaftsrechnung

1920 schrieb Ludwig von Mises eine zerschmetternde Kritik über die aufkommende sozialistische Bewegung. Auf weniger als 75 Seiten (mit einer Einleitung von Professor Yuri Maltsev und einem Nachwort von Professor Joseph Salerno) zeigt Economic Calculation in the Socialist Commonwealth (Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen), dass unter Abwesenheit von Privateigentum die ökonomische Wirtschaftsrechnung unmöglich wird. Mises erklärte, dass keine Regierung wissen kann, was zu produzieren sei, oder welche Ressourcen zur Produktion eines gewünschten Gutes herangezogen werden sollten, denn nur jene, die über Eigentum verfügen, können es rational einsetzen. Stellen Sie sich zwei Welten vor, die Gemütswelt, die unsere Präferenzen enthält und die Welt der Märkte und Preise. Unser Gemüt ordnet unsere Präferenzen nach den größten Bedürfnissen. Diese Präferenzen unterschieden sich von Person zu Person und wechseln ständig. Diese inneren Präferenzen treffen einander auf den Märkten und sorgen für die Bildung von Marktpreisen, die es uns erlauben, ökonomisch rationale Entscheidungen darüber zu treffen, was wir produzieren und wie wir es produzieren, und was wir kaufen. Mises zeigte, dass der ökonomische Diktator nicht erkennen kann, was zu produzieren ist und auf welche Weise. Marktpreise bilden sich nur dadurch, dass Menschen ihre Präferenzen offenbaren, für das, was sie besitzen, d.h. für ihr Privateigentum. Der ökonomische Diktator gibt nicht sein eigenes Geld aus oder bietet seine eigenen Produkte zum Verkauf an. Also wie sollte er rationale Entscheidungen treffen? Mises‘ Antwort lautet: „Er kann es nicht.“

Da sich die Regierung aus Individuen zusammensetzt, die nicht ihr eigenes Geld ausgeben und die nicht ihre eigenen Produkte auf Märkten anbieten, ist es unmöglich für sie, rational zu entscheiden, welche Wohltätigkeiten staatlich unterstützt werden sollten. Sie verfallen in eine Handlungsweise, die man nur als korrupt bezeichnen kann; d.h. sie helfen ihren Freunden und sie helfen ausgewählten Organisationen, die sie in der Zukunft möglicherweise anstellen werden, sie kaufen sich frei von anderen Organisationen, die besonders beharrlich und lästig sind, etc. Dieses Verhalten wird am besten von der Public Choice Theorie erklärt. Sie sagt uns, dass auch der Antrieb jener Individuen im Staatsdienst letztlich von dem gleichen Eigeninteresse geleitet ist, wie in allen anderen Bereichen. Damit stellt sie die Annahme bloß, dass Staatsdiener auf irgend eine Weise von höheren ethischen Beweggründen geleitet seien.

Schlussfolgerung

Im Endeffekt bleibt der Wohlfahrtsstaat erzwungen; er wird von nichts anderem als roher Gewalt gestützt. Niemand hat ein natürliches Recht auf unsere Arbeit oder unser Eigentum; es gibt keinen kategorischen Imperativ für die Einforderung der Hilfeleistungen anderer und keinen für die durch staatlichen Zwang initiierte Abstrafung jener, die die Hilfe verweigern. Darüber hinaus gibt es keine Möglichkeit für den Staat, rational ökonomisch zu ermitteln, welche Wohltätigkeiten in welchem Umfang gefördert werden sollten.

Aus dem Englischen übersetzt von Karl-Friedrich Israel. Der Originalbeitrag mit dem Titel Mises, Kant, and Welfare Spending ist am 21.2.2014 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.

Foto Startseite: © Georgios Kollidas – Fotolia.com

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Patrick Barron ist selbständiger Berater im Finanzwesen. Er lehrt an der Graduate School of Banking an der Universität Wisconsin, Madison. Außerdem unterrichtet er die “Österreichische Schule der Nationalökonomie” an der Universität Iowa, Iowa City. Seine Website ist: http://patrickbarron.blogspot.de/

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