Die Übel des populistischen Staatskapitalismus – das Beispiel Lateinamerika und die Gefahr für Deutschland

24.3.2014 – von Antony P. Mueller.

Antony P. Mueller

Populistischer Staatskapitalismus herrscht fast überall – wenn auch in einer Region zu bestimmten Zeiten mehr, in anderen weniger. Viele der Übel, die mancher Bürger auf den Staat oder die Politik und schließlich vor allem auf “den” Kapitalismus zurückführt, erwachsen dadurch, dass derselbe Bürger von den Politikern das verlangt, was er dann beklagt, dass er es von der Regierung nicht bekommt. Wie der französische Staatskritiker Frédéric Bastiat (1801-1850) einst ausführte, ist der moderne Staat jene „große Fiktion, nach der alle danach streben, auf Kosten aller zu leben“. Mit dieser Definition wurde der Inhalt des populistischen Staatskapitalismus auf den Punkt gebracht.

Kein Wunder, dass die Staatshaushalte in fast allen Ländern von einem Defizit ins andere stolpern, dass Politiker mit populären Parolen den Wahlsieg erringen und abgewählt werden, wenn es den Wählern dämmert, dass diese Politiker, wenn sie an der Regierung sind, nie und nimmer das liefern können, was sie im Wahlkampf versprochen haben. Dann kommt der nächste Anlauf und wieder endet alles wie gewohnt. Jede neue Runde schwächt die Privatwirtschaft und belastet die wirtschaftlich Aktiven jedes Mal mehr. In der Folge wird zuerst das Wirtschaftswachstum schwächer, dann kommt die Stagnation. Zudem ist es noch so, dass schlechte Zeiten der Wirtschaft die Hochzeit von noch schlechterer Wirtschaftspolitik ist.

Der moderne Staat ist Politik mit angeschlossener Wirtschaft. Diese Wirtschaft ist aber umso leistungsfähiger, je mehr Freiraum ihr eingeräumt wird. Politiker können jedoch in einem vom Populismus geprägten System nur dann zur Regierungsmacht gelangen, wenn sie die Produktivwirtschaft schröpfen und geraubte Pfründe nach politischem Kalkül verteilen. Dass das dem produktiven Sektor nicht gefällt, ist auch klar und so ringt der moderne Staat in einer andauernden Ambivalenz mit zu viel Staat auf der einen Seite – dann gibt die Produktivwirtschaft weniger her – und zu wenig Populismus auf der anderen Seite – dann kommt die Politik nicht zum Zuge.

Die Kosten, die der populistische Staatskapitalismus verursacht, sind enorm. Das wird so richtig klar, wenn man sich vor Augen hält, in welchem Ausmaß einst blühende Länder von diesem System schon in den Abgrund gerissen wurden, wenn es sich ungebremst ausbreiten konnte. Für Länder wie Deutschland, wo extremere Varianten des Staatskapitalismus gegenwärtig, wenn auch nur mit Ach und Krach, in Schach gehalten werden können, sollten die Fälle des ungehemmten Staatskapitalismus als Warnung dienen.

Argentinien, beispielsweise, zählte seit dem 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zu den reichsten Ländern der Welt. Dann geriet das Land in den Strudel extremen Populismus. Juan Domingo Peron (1895-1974) und später seine Frau Evita begannen mit ihrer Politik der Umverteilung und des Interventionismus das Land Schritt um Schritt zugrunde zu richten. Bei ihrem Werk der Zerstörung fanden sie in der Bevölkerung glühende Verehrung, die noch heute nachwirkt, obwohl von der einst prosperierenden Wirtschaft heute nur noch ein Kehrichthaufen übrig geblieben ist. Die gegenwärtige Präsidentin Argentiniens, Cristina Kirchner, die genauso wie einst Evita als Nachfolgerin ihres Ehemannes Staatschefin wurde, ist derzeit dabei, das Werk der wirtschaftlichen Verwüstung zu vollenden. Während Peron noch verteilen konnte, was vorher an Reichtum angehäuft war, verteilt Cristina Kirchner nun das Elend und nennt das Gerechtigkeit, ganz im Sinne der Partei, welcher sie angehört, die „Partido Justicialista“ heißt.

Ähnliches wie in Argentinien geschieht derzeit in Venezuela, Bolivien und ansatzweise auch in Brasilien. Mit wenigen Ausnahmen wird der ganze lateinamerikanische Subkontinent erneut von der Pest des populären Staatskapitalismus heimgesucht. Mit seiner wilden Utopie eines Sozialismus für das 21. Jahrhunderts hat Hugo Chavez (1954-2013) sein Land in den Ruin geführt. Nun, nach seinem Tod, da nun selbst der immense Ölreichtum des Landes nicht mehr ausreicht, um die Bevölkerung zu versorgen, kommt unter seinem Nachfolger Nicolás Maduro die stalinistische Seite des venezolanischen Sozialismus zum Vorschein. Während Argentinien im Tango der Tristesse und des Elends versinkt, gerät Venezuela immer mehr in den Wirbelsturm eines drohenden Bürgerkrieges.

Brasilien ist das Land Lateinamerikas, das am weitesten mit der Industrialisierung vorangekommen ist und gleichzeitig über einen schier unermesslichen Reichtum an Rohstoffen und Agrarressourcen verfügt. Nach einem gewaltigen Industrialisierungsschub in den 50er und 60er Jahren geriet das Land in 70er Jahren in die Verschuldungsfalle und wurde in den 80er Jahren Opfer der internationalen Schuldenkrise. Nach der verlorenen Dekade hat sich das Land langsam wieder aufgerappelt und mit Währungsreform, Privatisierung und Ausgabenkontrolle in der zweiten Hälfte der 90er Jahr wieder einigermaßen Fuß gefasst. Aber kaum war die Krise einigermaßen überwunden, kroch der Populismus schon wieder hervor und die neue Regierung unter dem ehemaligen Gewerkschaftsführer Inácio Lula da Silva erkor den populistischen Staatskapitalismus zum leitenden Wirtschaftsmodell. Befeuert durch eine Rohstoffhausse und die sich vertiefende wirtschaftliche Symbiose mit China verfolgte Präsident Lula und seine Arbeiterpartei ein Wirtschaftsmodell, wonach der Massenkonsum zur treibenden Kraft das Wirtschaftswachstum werden sollte. Die brasilianische Regierung startete ein Umverteilungsprogramm, wonach Millionen von Familien Staatsgelder zum Lebensunterhalt bekommen. Diese Bekämpfung der Arbeit durch Almosen wurde von fast allen Seiten, auch vom Ausland, bejubelt. Auf der Höhe der populistischen Erfolgswelle gegen Ende seiner zweiten Amtszeit in 2010 konnte Lula da Silva mit hohen Wachstumsraten prahlen. Nicht nur die FIFA und das Olympische Komitee ließen sich davon einlullen als sie die Fußballweltmeisterschaft und die Olympischen Spiele an Brasilien vergaben, auch ausländische Investoren ließen sich becircen. Manche Beobachter sprachen schon von einem brasilianischen Wirtschaftswunder, und es schien nur noch eine Frage der Zeit bis Brasilien zur ökonomischen Weltmacht aufrücken würde. Dabei war der ganze Spektakel letztendlich nichts mehr als der Flug einer Henne, die der Schwerkraft und der eigenen Unfähigkeit folgend bald wieder auf dem Bauch landen würde.

Seit 2011 befindet sich die brasilianische Wirtschaft im Sinkflug. Die von Präsident Lula selbst auserkorene Nachfolgerin im Präsidentschaftsamt, Frau Dilma Rousseff, zeigt immer mehr Charakterzüge ihrer argentinischen Ebenbilder Evita Peron und Cristina Kirchner. Ostentativ im Geldausgeben für sich und gleichzeitig spendabel, wenn es darum geht, die Massen mit Almosen still zu halten, ist die gegenwärtige Präsidentin dabei, die Mittelklasse wieder klein zu kriegen. Ganz im Sinne des populistischen Staatskapitalismus fördert die Präsidentin monopolistische Großunternehmen und Umverteilung zugunsten der armen Massen, wobei die von der Mittelschicht getragene Produktivwirtschaft auf der Strecke bleibt.

Und wie schaut es in Deutschland aus? Wie immun ist Deutschland gegenüber den Übeln des populistischen Staatskapitalismus? Die populärsten Kanzler der Bundesrepublik konnten sich zu ihrer Regierungszeit ebenfalls nur durch Populismus an der Macht halten. Konrad Adenauer errang seinen größten Wahlsieg mit Hilfe einer populistischen Rentenreform, deren Folgen die Bevölkerung bis heute ausbaden muss. Helmut Schmidt setzte in den 70er Jahren ein Feuerwerk von Staatsausgaben in Gang, bekämpfte damit erfolglos die Ölkrise, wurde zum Weltökonom gekürt und hinterließ einen Schuldenberg, dessen Folgen bis heute die Wirtschaft belasten.

Auch Helmut Kohl war ein Meister des Populismus, wie es sich bei der Politik zur deutschen Einheit zeigte. Die von Kohl als Kanzlerin auserkorene Angela Merkel hat ihre eigene Art des Populismus. Die Koalitionsverhandlungen nach der letzten Bundestagswahl haben bestätigt, dass die deutsche Regierungschefin nur darauf wartete, bis die Produktivwirtschaft wieder stark genug geworden war, um sie endlich wieder anzuzapfen. Mit sicherem Instinkt wusste sie, wann die deutsche Wirtschaft genügend robust dafür war, um ganz im Sinne des populistischen Staatskapitalismus die Kuh wieder kräftig zu melken. Ökonomisch widersinnige Maßnahmen wie Mindestlohn und Frührente standen auf einmal auf der Agenda. Was mühsam errungen wurde an Arbeitsmarkflexibilisierung und Rentensicherung, wird nun auf die billigste Art und Weise wieder zurück genommen.

Die moderne Demokratie ist eine Methode, wonach diejenigen beim Regieren zum Zuge kommen, die am besten die Massen überreden, sie zu wählen. Die Demokratie ist insofern ein Fortschritt als sie Gewalt durch Überredungskunst ersetzt. Das heißt aber nicht, dass ein demokratisches System automatisch mehr Wohlstand oder Frieden garantiert. Keine Demokratie ist davor gefeit, dass Politiker an die Macht kommen, die es geschickt verstehen mit anti-kapitalistischer Rhetorik und Kriegstreiberei die Massen zu überreden, jubelnd ihr eigenes Verhängnis zu wählen.

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Dr. Antony P. Mueller (antonymueller@gmail.com) ist habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und derzeit Professor der Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomie, an der brasilianischen Bundesuniversität UFS (www.ufs.br), wo er am Zentrum für angewandte Wirtschaftsforschung und an deren Konjunkturbericht mitarbeitet und im Doktoratsprogramm für Wirtschaftssoziologie mitwirkt. Dr. Müller ist außerdem Mitglied des Ludwig von Mises Institut USA und des Mises Institut Brasilien und leitet das Webportal Continental Economics (www.continentaleconomics.com).

 

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