Benötigen Finanzmärkte mehr Regulierung?

19.2.2014 – von Antony P. Mueller.

Antony P. Mueller

Mit der jüngsten Finanzkrise ist das Problem der Liberalisierung oder Regulierung der Finanzmärkte wieder akut geworden. Die Debatte ist in eine neue Phase eingetreten, wobei einerseits striktere und sogar direkte Kontrollen gefordert werden, während andere die bestehenden Regulierungsinstitutionen abschaffen oder ihre Rolle beschränken wollen.

Finanzmärkte sind nicht regulierungsfrei

Kaum ein anderer volkswirtschaftlicher Sektor wird so intensiv vom Staat kontrolliert wie das Finanzsystem. Diese Kontrolle beginnt schon damit, dass der Staat sich als rigoroser Monopolist bei der Produktion des Gutes, das diesen Markt konstituiert, nämlich Geld, behauptet. Nicht die fehlende Kontrolle der Finanzmärkte ist das Problem, sondern die staatliche Präsenz in allen ihren Aspekten. Wenn es nicht gerade Hyperinflation und deflationäre Depression im globalen Ausmaß sind, wie sie die Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschütterten, sind es seitdem die vielen einzelnen Finanz- und Währungskrisen, die zur Dauererscheinung des modernen Geldsystems geworden sind. Falsch konzipierte und falsch praktizierte Auffangsysteme, ad hoc-Eingriffe in die Marktprozesse, vor allem bei Bankkrediten und Wechselkursen sowie übersteigerte Wachstums- und Entwicklungsziele, zählen zu den Ursachen der chronischen Systemfragilität. Letztendlich lassen sich all diese Krisen auf die Hauptursache zurückführen, dass das moderne Geldsystem beim Staat und seiner Notenbank verankert ist.

Den Kritikern des heute bestehenden Systems gilt deshalb zurecht die Rolle der Zentralbanken im modernen Geldsystem als Kern des Übels. Die Forderung nach Abschaffung der US Notenbank – „Abolish the Fed“ – ist zu einer beachtlichen politischen Bewegung in Amerika geworden. Auch in Deutschland hat eine Diskussion eingesetzt, die sich allerdings eher auf den Euro konzentriert, dabei jedoch vernachlässigt, dass das Grundproblem nicht die Währung an sich ist, sondern ihre Position im Verhältnis zu Staat und Politik.

Finanzmärkte zwischen Liberalisierung und Regulierung

Aus der Sicht der Österreichischen Schule der Nationalökonomie sind nicht die Finanzmärkte als solche die Quelle der Instabilität, sondern der staatliche Interventionismus ist die Ursache, einschließlich der aktiven Rolle der Notenbanken, die maßgeblich die Geldmenge und den Basiszinssatz kontrollieren.

Diese Institutionen, die amerikanische Notenbank genauso wie die europäische Notenbank und die japanische Zentralbank, sind seit langem dabei, die Finanzmärkte mit Liquidität zu überschwemmen und sich als Kreditgeber der letzten Instanz so zu positionieren, dass das moralische Risiko schon systemisch geworden ist. Ein immer dichter gestricktes institutionelles Sicherheitsnetz untergräbt dabei die Risikowahrnehmung der Finanzmarktakteure und hat viele Finanzinstitutionen dazu verleitet, überhöhte Positionsrisiken einzunehmen. Die verschiedenen finanziellen Rettungsaktionen (“bail-outs”) hatten schon den früheren US Notenbankchef Alan Greenspan in den 80er Jahre und 90er Jahren den Ruf eines verlässlichen Verbündeten der Haussiers eingebracht. Ben Bernanke als Chef der amerikanischen Notenbank stand seinem Vorgänger nicht nach, wenn es darum ging, die Ökonomie mit Treibstoff zu versorgen. Unter Bernanke, dessen Amtszeit am 31. Januar 2014 zu Ende ging, ist die Zentralbankgeldmenge, jenes Geld, das die Notenbanken direkt schaffen, geradezu explodiert.

Geldbasis der US-amerikanischen Notenbank 1980-2014 in Mrd. US-Dollar

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die überschäumende Liquidität zusammen mit den Rettungsaktionen hat einen perversen Lernprozess in Gang gesetzt mit der Folge, dass jedes neue Krisenmanagement schon den Grundstock für die nächste und jeweils größere Finanzkrise legt.

Systemisches Risiko (moral hazard)

Die Gewährleistung von Stabilisierungsfunktionen für fast jeden Krisenfall hat zur Folge, dass bei vielen Finanzmarktakteuren die Risikoeinschätzung vermindert ist, so dass selbst größere Abweichungen aktueller Finanzmarktpreise vom längerfristig vorhandenen Gewinnpotential ignoriert werden. Stabilitätsgarantien induzieren Fehleinschätzungen und Apperzeptionsverweigerungen, indem sie falsche Erwartungen festigen. In dem Maße, wie bei den Finanzmarktakteuren das Vertrauen in die Sicherheitsgarantien wächst, wird eine in Gang gekommene Kredit- oder Aktienhausse noch weiter angetrieben oder immer wieder belebt. Die Finanzgeschichte kennt zahlreiche Beispiele, die belegen, wie durch staatliche Garantien mit der Fehlallokation von Kapital lange Zeit fortgesetzt wird und die Hausse auf die Spitze getrieben wird bis letztlich der Zusammenbruch folgt.

In dem Maße, wie die Stabilisierungsgarantien moral hazard und somit verminderte Risikowahrnehmung hervorrufen, führen sie zur Fehlallokation von Kapital. Zwischen Finanz- und Gütermärkten besteht hier aber kaum ein Unterschied: immer dann, wenn Haftung ausgesetzt wird, besteht die Gefahr, dass übermäßige Fehlinvestitionen und verzögerte Anpassungen vorkommen. Die Systemrationalität kollidiert in solchen Fällen mit der individuellen Rationalität, wobei die Marktakteure unter Umständen wider besseres Wissen an der Irrationalität partizipieren. Punktuelle Interventionen erzeugen das Problem einer dauerhaften Systemfragilität durch die Institutionalisierung des moral hazard. Zwar mag jeder einzelne Eingriff, für sich betrachtet, aus Sicht der Interventionisten gerechtfertigt erscheinen, aber in ihrer Gesamtheit erzeugt die Vielzahl der Einzeleingriffe, dass die Anfälligkeit des Systems für katastrophale Systemkrisen wächst.

Die hauptsächliche Ursache von Krisenerscheinungen an den Finanz- und Währungsmärkten liegt bei den nationalen Geld- und Finanzpolitiken, wenn sie eine übermäßige Liquiditäts- und Kreditexpansion auslösen, die dann in eine Kontraktionen umkippt. Der Versuch, die im Kontraktionsprozess auftretenden realwirtschaftlichen Anpassungskrisen durch so genannte expansive Maßnahmen zu bekämpfen, unterdrückt die Preissignale und verschärft so noch mehr die Ungleichgewichte. Die immer wieder erfolgten Stabilisierungsmaßnahmen und die von einzelnen Notenbanken, Regierungen und den internationalen Währungsorganisationen implizit gegebenen Garantien bringen das Risikobewusstsein der Finanzmarktakteure zeitweise fast völlig zum Verschwinden. Die letztlich vergeblichen Versuche, die Finanzmärkte gemäß politisch erwünschten Kurszielen und -zonen zu steuern in Verbindung mit der Ausschaltung der Haftungsverpflichtungen begünstigen das Auftreten von abrupten massiven Preisausschlägen, die auf den Finanz- und Währungsmärkten immer wieder zu beobachten sind.

Fazit und Ausblick

Regulierungen werfen Kosten auf, die oft versteckt sind, während das so genannte „Marktversagen“ häufig offenkundig erscheint. So ist anscheinend bei oberflächlich-populistischer Einschätzung schlechthin jeder Eingriff berechtigt, während es tatsächlich so ist, dass Regulierungen eher mehr Schaden als Nutzen stiften. Jede Regulierung ist dem Problem der interventionistischen Spirale ausgesetzt, wonach der erfolgte Eingriff Nebenwirkungen hervorruft, die dann nach erneuter Kontrolle rufen. Dies ist jetzt auch wieder so. Man hat die Finanzkrise von 2008 dadurch zu bekämpfen gesucht, indem die Notenbanken immense Liquidität geschaffen haben. Während es zweifelhaft ist, ob diese Liquiditätsschwemme geholfen hat, die Krise zu überwinden und nicht vielmehr verlängert hat, ist nicht zu bestreiten, dass damit das nächste große Problem geschaffen wurde, nämlich wie man die gigantische Geldschwemme wieder einigermaßen unter Kontrolle bringen kann. Die ersten zaghaften Versuche, die immense Masse an Liquidität wieder einzufangen haben zur Jahreswende schon massive Turbulenzen auf den Finanzmärkten ausgelöst. Janet Yellen, die seit dem 1. Februar das Amt des Vorsitzenden der US-amerikanischen Notenbank übernommen hat, hat schon angedeutet, dass ihr eher das Problem der Arbeitslosigkeit am Herzen liegt als dafür zu sorgen, dass der Geldwert stabil bleibt. Der Wahnsinn hat somit Methode.

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Dr. Antony P. Mueller (antonymueller@gmail.com) ist habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und derzeit Professor der Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomie, an der brasilianischen Bundesuniversität UFS (www.ufs.br), wo er am Zentrum für angewandte Wirtschaftsforschung und an deren Konjunkturbericht mitarbeitet und im Doktoratsprogramm für Wirtschaftssoziologie mitwirkt. Dr. Müller ist außerdem Mitglied des Ludwig von Mises Institut USA und des Mises Institut Brasilien und leitet das Webportal Continental Economics (www.continentaleconomics.com).

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