Die Ethik des Whistleblowings
19.7.2013 – [Dies ist der erste von zwei Teilen einer Analyse über die ethischen und rechtlichen Aspekte des Whistleblowings. In diesem ersten Teil widmen wir uns den Grundlagen des Vertrags und der Geheimhaltung in Anwendung auf die Enthüllung staatlicher Vergehen. Der zweite Teil erscheint am kommenden Montag, 22. Juli 2013]
von Ben O’Neill.
Die jüngsten Offenbarungen über die Details und das Ausmaß des NSA Überwachungsprogramms sind durch das Handeln eines einzigen Informanten (Whistleblowers) ermöglicht worden – Edward Snowden. Dieser muss sich nun vor den Klauen der US Regierung verstecken, deren schändliche und beängstigende Geheimnisse er der Öffentlichkeit zugänglich machte. Trotz wiederholter Dementierungen der Verantwortlichen wissen wir nun, dass die NSA ein Daten- und Überwachungsnetzwerk betreibt, welches massenhaft Informationen über die private Kommunikation von nicht US – und US – Bürgern gleichermaßen sammelt. Dies geschieht ohne jegliche Befugnis und ohne notwendige Indizien, die auf die überwachten Zielsubjekte hinweisen würden. Stattdessen läuft das Programm unter einem verselbstständigten Ermächtigungsverfahren, bei dem ein verborgenes Gericht, auf geheime Anordnungen der Regierung, pflichterfüllend allgemeine Verfahren der Massenüberwachung genehmigt, ohne dass dabei einwendende Argumente einer dritten Partei erhoben werden könnten. Die Ermächtigungen erlauben Massenüberwachung und Speicherung der Daten unter Geheimhaltung der NSA Analysten, wobei diese eindeutig gegen den Grundsatz der Vermeidung unbegründeter Ermittlungen verstoßen.[1]
Getreu dem Sprichwort „keine gute Tat bleibt ungestraft“, sieht sich Snowden nun Anklagen der US Regierung gegenüber, für die Entwendung von Staatseigentum und unerlaubter Enthüllung von Sicherheits- und Geheimdienstinformationen.[2] Er ist außerdem Opfer zahlreicher Verunglimpfungen in den Hauptstrommedien geworden, in denen er unter anderem als „Landesverräter“ oder „transvestites Rotkäppchen“ gebrandmarkt wurde.[3] Glenn Greenwald, der hauptverantwortliche Journalist für die Publizierung der entwendeten Informationen, befindet sich ebenfalls im Kreuzfeuer der Medien und wird für die Veröffentlichung der Unterlagen, eines schweren Verbrechens beschuldigt.[4] Ausgehend von einigen Medien wurde die Frage aufgeworfen, ob er nicht für „Beihilfe und Anstiftung“ Snowdens ebenfalls angeklagt werden sollte.[5] Sicherlich ist dies einem Sack über dem Kopf und einer Kugel im Gehirn vorzuziehen. Aber es sorgt für alles andere als ein Umfeld der offenen und transparenten Staatstätigkeit.
Für die Vertreter des riesigen Machtapparates der US Regierung ist Snowden ein Verbrecher, der Verachtung und Freiheitsstrafe verdient (Für manche sogar die Todesstrafe). Für andere, und für mich persönlich auch, ist er ein unerschrockener Ermittler, der es geschafft hat, staatliches Fehlverhalten aufzudecken, wo andere gescheitert sind. Aber sogar für einige seiner Unterstützer ist er ein „gesetzesbrechender“ Held – ein Mann, der Dokumente des Staates „gestohlen“ hat, um einige seiner korruptesten und geheimsten Machenschaften zu enthüllen. An dieser Stelle sollte kurz inne gehalten werden, um die Grundlagen des Eigentumsanspruchs des Staates auf geheime, von ihm gesammelte Informationen genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Anklage, dass Dokumente „gestohlen“ und diese „unerlaubt enthüllt“ wurden, setzt notwendigerweise voraus, dass diese Dokumente legitimerweise Staatseigentum sind, und damit, dass für eine legitime Verbreitung dieser die Erlaubnis des Staates notwendig ist.
Erwägungen zu dieser Frage, die das herrschende positive Recht betreffen, können sich auf die Statuten von US Regierungsbeschlüssen berufen. Es ist dabei nicht überraschend, dass diese Statuten jene Aktivitäten verbieten, die die Autorität der US Regierung untergraben könnten.[6] Es wird nun auf Vorschriften des Espionage Act verwiesen, um Snowden hinter Gitter zu bringen. Was jedoch viel interessanter ist als die Betrachtung der Vorschriften irgendeines Gesetzes des US Kongresses, ist der Blick in die Jurisprudenz und die Klärung der normativen Frage, wann die Enthüllung von Staatsgeheimnissen (Whistleblowing) als eine Straftat angesehen werden sollte und wann nicht. Dies ist eine wichtige rechtswissenschaftliche Frage, da viele Menschen geneigt sind, der Ansicht beizupflichten, dass die Enthüllung von staatlichem Fehlverhalten eine rechtlich geschützte Aktivität sein sollte, selbst wenn es sich dabei um die Verletzung von vertraglichen Verpflichtungen oder einer gesetzlichen Geheimhaltungspflicht handeln sollte.
Whistleblowing und Geheimhaltungspflicht
Whistleblowing beinhaltet die Aufdeckung von Fehlverhalten oder Kriminalität innerhalb einer Organisation. Dies geht notwendigerweise mit der Verbreitung von Geheimnissen einher, also der Verbreitung von Informationen gegen den Willen der betroffenen Organisation. Oftmals geschieht diese Verbreitung in der allgemeinen Öffentlichkeit. Durch den Umstand, dass der Whistleblower ein Teil der Organisation ist, steht jener nahezu immer unter einer vertraglichen Bindung, die Geheimnisse, die er verbreitet, nicht zu verbreiten. Wenn man dies als Maßstab heranzieht, dann muss Whistleblowing immer als ein Rechtsbruch gesehen werden, vielleicht sogar als ein Verstoß gegen ethische Grundsätze, zumindest insofern, als dass es einen Vertragsbruch mit der arbeitsgebenden Organisation beinhaltet. Nach dieser Auslegung könnte Whistleblowing niemals rechtlich legitimiert werden, sondern lediglich ethisch – nämlich durch einen ethischen Imperativ, das Recht zu brechen.
Geheimhaltungsverträge sind ein legitimer und oft notwendiger Bestandteil des erfolgreichen Funktionierens einer Organisation. Dies gilt für viele legale Aktivitäten, aber erst recht für illegale. Ganz eindeutig können Menschen und Organisationen innerhalb des normalen Geschäftsverkehrs ethisch und rechtlich verpflichtende Verträge zur Geheimhaltung von Informationen eingehen. Wenn eine Person zur Geheimhaltung von persönlichen Informationen eines Arbeitgebers oder eines Kunden einwilligt, entsteht eine legitime Verpflichtung dieses Versprechen einzuhalten. Nichteinhaltung stellt einen Vertragsbruch dar, und unter Umständen eine Missachtung weiterer rechtlicher Verpflichtungen (z.B. treuhänderische Verpflichtungen).
Es gibt jedoch eine äußerst wichtige Ausnahme für diesen allgemeinen vertraglichen Grundsatz: Geheimhaltungsverträge sind nicht als ethisch oder rechtlich legitime Verträge anzusehen, wenn die Geheimhaltung dazu dient, rechtswidrige Aktivitäten einer der beiden Parteien zu verschleiern.[7] Diese Ausnahme ist Teil einer breiteren Kategorie, die man als „rechtswidrige Übereinkommen“ bezeichnen könnte.[8] Ganz allgemein betrachtet können Verträge nicht als legitim angesehen werden, die ein Übereinkommen zu rechtswidrigem Handeln beinhalten, oder aber die Fortsetzung einer rechtswidrigen Tätigkeit befördern sollen. Auf dieser Grundlage kann Whistleblowing als eine legale Aktivität gesehen werden, obwohl es mit dem Bruch eines Geheimhaltungsübereinkommens einhergeht.
Wenn allerdings rechtswidriges Handeln innerhalb einer Organisation ersichtlich wird, ist das Verschweigen dieser Information nicht automatisch ein Verbrechen, denn Menschen stehen selten unter einer rechtlichen Verpflichtung, Gesetzesbruch zu melden (mit einigen Ausnahmen). Das heißt aber nicht, dass der Vertrag, der zum Verschweigen dieser Informationen verpflichten soll, nicht illegitim sei. Ein Vertrag kann illegitim sein, selbst wenn die Aktivitäten, auf die man sich geeinigt hat legal sind, allein aufgrund des „… unrechtmäßigen Ziels, das von einer oder beiden vertragsschließenden Parteien verfolgt wird.“[9] Darum ist ein Geheimhaltungsvertrag, der eine unrechtmäßige Aktivität schützt, im Allgemeinen illegitim.
Die Lehre von rechtswidrigen Verträgen hat eine lange Tradition in der Jurisprudenz und im Common Law. Die eigentliche philosophische Fundierung entspringt der Erkenntnis, dass ein Vertrag einen bedingten Transfer von Eigentumsrechten darstellt und damit der Geltungsbereich eines Vertrages selbst mit diesen Rechten im Einklang stehen muss.[10] Diese Lehre kann ebenso als ein wünschenswerter „öffentlicher Grundsatz“ gesehen werden, der den Rechtsbeistand für Gesetzesbrecher erschwert.[11] Rechtswissenschaftler George Strong fasst diesen Ansatz mit den folgenden Worten zusammen: „ … ein rechtswidriger Vertrag ist ein politisch nicht durchsetzbarer Vertrag, da die Durchsetzung dem öffentlichen Interesse schadet.“[12] Rechtswidrige Verträge sind nach dem Common Law üblicherweise aufzuheben, obwohl es eine Reihe detaillierter Regeln dazu gibt, die sich auf die Frage beziehen, welche der beiden Parteien eher für schuldig an den rechtswidrigen Aspekten angesehen werden kann.[13]
Es gibt also im Hinblick auf das Whistleblowing, welches die Veröffentlichung von Dokumenten und Informationen im Zusammenhang mit illegalen Aktivitäten beinhaltet, eine angemessene philosophische Fundierung für die Behauptung, dass es sich nicht um Rechtsbruch handele. Das wäre sogar dann so, wenn die Verletzung eines Geheimhaltungsabkommens vorläge. Der Whistleblower ist kein „nobler“ Rechtsbrecher, er ist überhaupt kein Rechtsbrecher.
Das Prinzip der Nichtdurchsetzung rechtswidriger Übereinkommen wird entkräftet durch die etatistische Auffassung, dass eine Regierung Informationen über jegliche ihrer Aktivitäten zu „Geheiminformationen“ erklären könne. Durch diesen einfachen deklaratorischen Akt wäre das Recht auf die Enthüllung von Staatsvergehen ausgehebelt. Dieser Auffassung entsprechend könnte eine staatliche Behörde, ungeachtet der Tragweite ihres Vergehens oder Despotismus, ganz einfach die relevanten Informationen als „geheim“ deklarieren und damit alle Mitarbeiter dazu verpflichten, ihren Gesetzesbruch vor der allgemeinen Öffentlichkeit zu verschweigen. In einem aktuellen Artikel von Rechtsprofessor Geoffrey Stone wird diese Auffassung versinnbildlicht. Er sagt, dass Snowden „ … höchstwahrscheinlich ein Krimineller ist, der eine ernsthafte Bestrafung verdiene.“[14] Er argumentiert, „dass die Regierung nicht immer eigene Bedingungen an die Beschäftigung knüpfen kann. Sie kann zum Beispiel verfassungsrechtlich nicht von ihren Mitarbeitern verlangen, dass diese zustimmen, niemals den Präsidenten zu kritisieren, niemals eine Abtreibung vorzunehmen oder niemals ihren Rechten unter dem vierten Zusatzartikel Geltung zu verschaffen. Aber es ist anerkannt, dass die Regierung von ihnen verlangen kann, manchen Bedingungen zuzustimmen. Eine davon ist geheime Informationen nicht zu veröffentlichen.“[15]
Es mag so wirken, als ob Professor Stone in seinen Ausführungen über „Geheim“-Informationen die Macht der Regierung lediglich auf eine kleine Kategorie legitimer Restriktionen beschränke. Tatsächlich verschlingt diese kleine Ausnahme den gesamten Grundsatz. Denn es sind letztendlich die Agenten des Staates, die bestimmen, welche Informationen „geheim“ sind, was nichts anderes bedeutet als dass der Staat selbst bestimmt, welche Informationen der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollen. Dass die Regierung von ihren Mitarbeitern verlangen darf „geheime“ Informationen nicht zu veröffentlichen, bedeutet Im Grunde, dass keine einzige Information der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden darf, die die Regierung unter Verschluss halten möchte. Nach dieser Auffassung hat die Regierung volle Entscheidungsfreiheit darüber, welche Informationen öffentlich gemacht werden dürfen und welche nicht, ganz unabhängig von der Art dieser Informationen.
Eines der wesentlichen Probleme der Sonderbehandlung „geheimer“ Informationen ist, dass sie einige der wichtigsten staatlichen Aktivitäten von gesetzlichen Vorgaben entkoppelt. Der Status von „Geheim“-Informationen wird oft Dokumenten des Geheimdienstes und des Militärs zugewiesen. Doch dies sind einige der folgenschwersten und gefährlichsten Bereiche staatlichen Handelns. Den „Geheim“-Status als entscheidendes Kriterium anzuerkennen, würde wichtige staatliche Aktivitäten von jeglichen Ermittlungen und Prüfungen befreien. Es braucht kein größeres Geschichtsverständnis, um zu begreifen, dass solch eine Auslegung überaus nützlich für despotische Regimes wäre, die ihre Bürger ermorden und versklaven, auf „rechtmäßiger“ Grundlage ihrer eigenen Gesetze. In Anbetracht dieser Umstände kann nicht ausschließlich durch die Ausübung eines Privilegs der zu prüfenden Institution, einer Information ein spezieller Status zukommen.
Snowden und der NSA Skandal
Im Fall des derzeitigen Überwachungsskandals hat Edward Snowden die NSA auf ähnliche Weise infiltriert, wie es ein verdeckter Ermittler bei einer privaten kriminellen Interessengemeinschaft getan hätte. Snowden hat sich um eine Arbeit bei der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton beworben, die weitreichende technische Arbeiten für die NSA übernimmt. In seiner Tätigkeit als Auftragnehmer erlangte er Zugriff auf die nun veröffentlichten staatlichen Geheimdokumente, die anderenfalls außerhalb seiner Reichweite gewesen wären. Tatsächlich hat Snowden mittlerweile bestätigt, dass er den Posten bei Booz Allen Hamilton angenommen habe, mit dem Ziel, Beweismaterial für das NSA Überwachungsprogramm zu sammeln.[16] Wie jeder gute verdeckte Ermittler hat Snowden sein Zielobjekt mit Geheimhaltungsversprechen infiltriert, wohl wissend, dass er sich nicht an sie halten werde.[17] Und wie jeder andere verdeckte Ermittler hat er damit nicht das Recht verloren, rechtswidrige Machenschaften zu enthüllen.
Gleichwohl der üblichen vertraglichen Verpflichtungen, die mit Snowden’s Arbeit einhergehen, weisen die von ihm veröffentlichten Informationen auf Fehlverhalten und Illegalität einer US Regierungsbehörde hin, und dies in einem Ausmaß, das berechtigte Ängste vor despotischer staatlicher Kontrolle schürt. Das Überwachungssystem, das in den Unterlagen beschrieben wird, ist von einer in der Geschichte nie dagewesenen Größenordnung. Es stellt sogar die Überwachungsversuche der totalitärsten Staaten der Vergangenheit in den Schatten.[18] Nach aktuellen Angaben eines anderen Whistleblowers – des früheren NSA Analysten Russ Tice – hat die Behörde ihr Überwachungssystem genutzt, um Inforationen über hochrangige politische und richterliche Zielsubjekte zu erlangen, die ihre eigenen Aktivitäten beeinflussen könnten.[19] Dies beinhaltete vermutlich die Überwachung von Kongressabgeordneten, vorrangig in Geheimdienst-, Rechts- und Militärkomitees, Offizielle des Außenministeriums, Mitarbeiter des Weißen Hauses, und selbst den derzeitigen Präsidenten der Vereinigten Staaten (Dieser wurde vermutlich überwacht als er noch Senator war). Vermutlich waren ebenso Anwälte, Anwaltskanzleien und Richter betroffen, darunter Richter des US Supreme Courts und zwei FISA Richter. Die beiden Letzteren waren eben jene Richter, die im Auftrag standen, dass NSA Überwachungssystem juristisch zu kontrollieren. Andere vermeintliche Zielsubjekte waren hochrangige Militäroffiziere, Antikriegsverbände, US Finanzfirmen und andere Großunternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NGO‘s).
Es gibt natürlich unzählige Befürworter des NSA Überwachungsprogramms, die allesamt behaupten es sei absolut legitim und unterläge strengen juristischen Kontrollen. Diese Behauptungen werden durch das offengelegte Versagen der vermeintlichen Kontrolleure und die Verschleierungslügen der Offiziellen entkräftet. Im Vorfeld der Aufdeckung durch Snowden hat der Direktor des nationalen Geheimdienstes – General James Clapper – direkt vor dem US Kongress gelogen, als er aussagte, dass keine Daten von US Bürgern bewusst gesammelt werden.[20] Wichtige Gerichturteile über das Programm wurden geheim gehalten, wie etwa ein FISA Urteil, das einige der Aktivitäten innerhalb des Überwachungsprogramms als rechtswidrig und speziell als einen Verstoß gegen den vierten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung auslegte.[21] Erst kürzlich hat die Leiterin des Geheimdienstkomitees des US Senats – Senatorin Dianne Feinstein – öffentlich gelogen, als sie Auskunft über ihren Wissensstand vom Machtmissbrauch der Behörden gab, obwohl Sie Zugang zu geheimen Gerichtsurteilen und anderen Berichten hatte.[22] All das türmt sich auf zu einem eindeutigen Fall, in dem eine US Behörde über den gesetzlichen Rahmen hinaus, ein geheimes Massenüberwachungsprogramm betreibt, welches ihre rechtlichen und konstitutionellen Befugnisse weit überschreitet. Das Programm wird durch eine Art „geheimes Gesetz“ legitimiert, welches weder der öffentlichen Überprüfung noch den Kontrollorganen des Kongresses zugänglich ist.[23]
Für jene, die an Nichtaggression und die Einhaltung des Naturrechts glauben, ist der Vorschlag, dass staatliche Gewalt demokratisch legitimiert werden könne, inakzeptabel. Doch selbst wenn man die demokratische Legitimierung von Staatsgewalt akzeptiert, gibt es keine Theorie der Demokratie, welche ein Überwachungssystem dieser Art, mit offenkundigen Lügen der vermeintlichen „Repräsentanten“ des Volkes, stützen könnte. Nach allen rationalen Standards ist das Überwachungsprogramm der NSA ein Amtsvergehen und ein Gesetzesbruch, welcher zu Recht der allgemeinen Öffentlichkeit deutlich gemacht werden muss.
In Anbetracht dieser Tatsache ist es nicht richtig die üblichen Geheimhaltungspflichten als ethisch oder rechtlich bindend anzusehen. Welche vertraglichen Einschränkungen auch immer mit Snowdens Arbeit einhergingen, sie können nicht als legitime Verpflichtung gesehen werden, staatliches Vergehen und Gesetzesbruch zu verschweigen.
Aus dem Englischen übersetzt von Karl-Friedrich Israel. Der Originalbeitrag mit dem Titel „The Ethics of Whistleblowing“ ist am 8. Juli 2013 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.
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[1] Man beachte den vierten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, falls dies noch in irgendeiner Hinsicht von Bedeutung sein sollte: „…und Haussuchungs- und Haftbefehle dürfen nur bei Vorliegen eines eidlich oder eidesstattlich erhärteten Rechtsgrundes ausgestellt werden und müssen die zu durchsuchende Örtlichkeit und die in Gewahrsam zu nehmenden Personen oder Gegenstände genau bezeichnen.“ Das FISA Ermächtigungssystem verstößt eindeutig gegen diesen Artikel, denn es erteilt Ermächtigung zu Massenüberwachung, ohne das dabei genaue Personen benannt werden müssen, oder ein hinreichender Verdacht zu deren Überwachung vorzuliegen hat. Die Ermächtigungen gehen gar soweit, dass „irrtümlich“ erhobene Daten, von Personen für die keine Ermächtigung erteilt wurde, ebenfalls verwendet werden dürfen.
[2] Snowden wird auf Basis von Titel 18 des US Codes angeklagt für Entwendung von Staatseigentum (18 USC 641), für unerlaubte Verbreitung von Informationen der nationalen Sicherheit (18 USC 793(d)) und für Verbreitung von Geheimdienstunterlagen (18 USC 798(a)(3)). Die zweite und dritte Anklage entspringen dem Espionage Act von 1917, der während des Ersten Weltkrieges in Kraft trat und seither zur strafrechtlichen Verfolgung von Whistleblowern herangezogen wird. Für weitere Informationen siehe Finn, P. and Horowitz, S. (2013) US Charges Snowden with Espionage. The Washington Post, 22 June 2013.
[3] Siehe Welch, M. (2013) The Demonization machine cranks up against Edward Snowden. Reason.com, Hit and Run Blog, 11 June 2013.
[4] Siehe Kurtz, J. (2013) Alan Dershowitz on Glenn Greenwald: “He did this because he hates America.” CNN, 24 June 2013.
[5] NBC Kommentator David Gregory warf Greenwald vor, Snowden in seinem Vorhaben der US Regierung zu entkommen, “geholfen und angestiftet” zu haben und fragte diesen, warum er eigentlich nicht angeklagt werden sollte. Siehe Nimmo, K. (2013) War on journalism: Establishment media accuses Greenwald of treason for reporting on Snowden. Prison Planet, 24 June 2013.
[6] Für die Unterscheidung zwischen positivem Recht und Naturrecht im Bezug auf Kriminalität, siehe O’Neill, B. (2012) Natural law and the liberal (libertarian) society. Journal of Peace, Freedom and Prosperity 1(1), pp. 29-50.
[7] Siehe z. B. Corbin, A. (1962) Contracts § 1518. Man beachte jedoch, dass andere rechtliche Verpflichtungen dennoch greifen können, wenn etwa eine treuhänderische Beziehung besteht. So steht z. B. ein Anwalt dennoch unter Geheimhaltungspflicht hinsichtlich der rechtswidrigen Aktivitäten eines Klienten. Dies ergibt sich aus der besonderen Funktion als Treuhänder in der Beratung und Verteidigung gegen strafrechtliche Anschuldigungen. In solch einem Fall ist es unwahrscheinlich das ein Geheimhaltungsvertrag als illegitim angesehen werden würde, selbst wenn dieser die Verheimlichung krimineller Aktivitäten beinhaltet.
[8] Manchmal bezeichnet man sie auch als „rechtswidrige Verträge“, die eben nicht als gültige Verträge angesehen werden. Der Begriff wurde aber kritisiert dafür, dass er widersprüchlich sei.
[9] Corbin, A. (1962) Contracts § 1518, 744. [Original: … by reason of the wrongful purpose of one or both parties in making it.]
[10] Kinsella, N.S. (2003) A libertarian theory of contract: title transfer, binding promises, and inalienability. Journal of Libertarian Studies 17(2), S. 11-37.
[11] Die Idee, den garantierten Rechtsbeistand für Gesetzesbrecher abzulehnen, steht in Beziehung zur Lehre von der „Rechtsverwirkung“, welche ebenfalls als ein Ausgangspunkt für Rechte innerhalb der libertären Rechtstheorie herangezogen wurde. Siehe z. B., Kinsella, N.S. (1992) Estoppel: a new justification for individual rights. Reason Papers 17, S. 61-74.
[12] Strong, G.A. (1960) The enforceability of illegal contracts. Hastings Law Journal 12, S. 347.
[13] Siehe Kostritsky, J.P. (1988) Illegal contracts and efficient deterrence: a study in modern contract theory. Iowa Law Review 74, S. 115-163. Diese Studie schlägt ein Vorgehen auf Basis ökonomischer Effizienz der Kostenteilung zwischen den beiden Parteien eines rechtswidrigen Vertrages vor.
[14] Stone, G. (2013) Edward Snowden: “hero or traitor”? The Huffington Post, 10 June 2013.
[15] Ibid.
[16] Reilly, M. (2013) Edward Snowden says he sought Booz Allen Hamilton job to gather NSA surveillance evidence. The Huffington Post, 24 June 2013.
[17] Snowden arbeitete als Systemtechniker für die NSA und es ist sehr wahrscheinlich, dass er sowohl bei dieser Organisation als auch bei Booz Allen Hamilton unter Vertrag stand. Zweifelsohne würden diese Verträge ihn dazu nötigen, keine Informationen über NSA Programme zu veröffentlichen. Es ist auch möglich, dass die NSA sich auf gesetzliche Verbote verlassen hat. In jedem Fall wären sich jedoch beide Parteien im Klaren über die erwartete Geheimhaltung.
[18] Vergleiche zwischen dem NSA Überwachungsprogramm und den Versuchen der STASI in der ehemaligen DDR kamen seit der Veröffentlichung auf. Tatsächlich hatte die STASI damals Nichts im Vergleich zu den Möglichkeiten der NSA heute.
[19] Burghardt, T. (2013) NSA spying and intelligence collection: a giant blackmail machine and “warrantless wiretapping program.” Global Research, 24 June 2013.
[20] Khanna, D. (2013) Should the Director of National Intelligence be impeached for lying to Congress about PRISM? Politix, 10 June 2013.
[21] Corn, D. (2013) Justice Department fights release of secret court opinion finding unconstitutional surveillance. Mother Jones, 7 June 2013.
[22] Feinstein sagte aus, dass sie von keinen Fällen von Machtmissbrauch in der NSA wisse, trotz zahlreicher Berichte über Machtmissbrauch und eines nicht veröffentlichten Gerichtsurteils, welches Aktivitäten der NSA als rechts- und verfassungswidrig auslegte. Siehe NSA reporter Greenwald to Democracy Now: Senator Feinstein ‘outright lying’ on snooping. LinkTV, 24 June 2013.
[23] Roberts, D. (2013) Senators accuse government of using ‘secret law’ to collect Americans’ data. The Guardian, 29 June 2013.
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Ben O’Neill ist Lehrbeauftragter für Angewandte Statistik an der University of New South Wales (ADFA) in Canberra, Australien. Zuvor war er als Anwalt und als Politikberater in Canberra tätig. Er ist Templeton Fellow am Independent Institute, wo er im Jahr 2009 den Sir John Templeton Fellowship Essay Wettbewerb gewann.