Über Konservatismus und Libertarismus
27.3.2013 – von Hans-Hermann Hoppe.
Der moderne Konservatismus in den Vereinigten Staaten und in Europa ist verwirrt und verzerrt. Unter dem Einfluss der repräsentativen Demokratie und mit der seit dem Ersten Weltkrieg stattgefundenen Verwandlung der USA und Europas in Massendemokratien, wurde der Konservatismus von einer anti-egalitären, aristokratischen, anti-staatlichen ideologischen Kraft in eine Bewegung kulturell konservativer Etatisten verwandelt: in den rechten, bürgerlichen Flügel der Sozialisten und Sozialdemokraten. Die meisten selbsternannten Konservativen sind besorgt, und das mit Recht, über den Zerfall der Familie, die Scheidung, die unehelichen Kinder, den Verlust der Autorität, den Multikulturalismus, die alternativen Lebensstile, die soziale Auflösung, den Sex und die Kriminalität. Alle diese Phänomene repräsentieren Anomalien und skandalöse Abweichungen von der natürlichen Ordnung. Ein Konservativer muss sich in der Tat gegen all diese Entwicklungen stellen und versuchen, Normalität wiederherzustellen. Die meisten zeitgenössischen Konservativen jedoch (zumindest die meisten Sprecher des konservativen Establishments) erkennen entweder nicht, dass ihr Ziel der Wiederherstellung der Normalität die drastischsten, sogar revolutionären, antistaatlichen sozialen Veränderungen notwendig macht, oder (wenn sie es wissen) sie sind als Mitglieder der „fünften Kolonne“ damit beschäftigt, den Konservatismus von innen zu zerstören und müssen daher als bösartig betrachtet werden.
Dass dies für die so genannten Neokonservativen zutrifft bedarf hier keiner weiteren Erläuterung. Was deren Führungskräfte betrifft, kann man in der Tat den Verdacht hegen, dass die meisten von ihnen der letzteren (bösartigen) Sorte angehören. Sie machen sich nicht wirklich über kulturelle Angelegenheiten Sorgen, sondern sie spielen die Karte des kulturellen Konservatismus, um nicht die Macht zu verlieren und ihr gänzlich anderes Ziel der globalen Sozialdemokratie zu fördern. Dies trifft jedoch ebenfalls auf viele Konservative zu, die sich wirkliche Sorgen über zerfallene und dysfunktionale Familien und kulturelle Verrottung machen. Ich denke hier insbesondere an den Konservatismus, wie er von Patrick Buchanan und seiner Bewegung repräsentiert wird. Buchanans Konservatismus ist keineswegs so verschieden von dem des konservativen Establishments der Republikanischen Partei, wie er und seine Gefolgschaft sich einbilden. In einem entscheidenden Punkt ihrer Marke des Konservatismus befinden sie sich in vollständiger Übereinstimmung mit dem konservativen Establishment: beide sind Etatisten. Sie streiten sich darüber, was genau zu tun ist, um Normalität in den USA wiederherzustellen, aber sie stimmen darin überein, dass dies durch den Staat zu geschehen hat. In keinem von beiden gibt es eine Spur von prinzipieller Antistaatlichkeit.
„Amerika Zuerst“-Bewegung
Lassen Sie mich das darstellen, indem ich Samuel Francis zitiere, einem der führenden Theoretiker und Strategen der Buchanan-Bewegung. Nachdem er „anti-weiße“ und „antiwestliche“ Propaganda beklagt, „militanten Sekularismus, raffgierigen Egoismus, ökonomischen und politischen Globalismus, demographische Überschwemmung und unkontrollierten Staatszentralismus“ erläutert er den neuen Geist der „Amerika Zuerst“-Bewegung, der „nicht nur bedeutet, die nationalen Interessen über die anderer Nationen und Abstraktionen wie ‚Weltführerschaft‘, ‚globale Harmonie‘ und die ‚neue Weltordnung‘ zu setzen, sondern auch der Nation vor der Befriedigung individueller und subnationaler Interessen Priorität zu geben“. Aber was schlägt er vor, um das Problem des kulturellen Verfalls zu lösen? Jene Teile des föderalen Leviathans, die für die Vermehrung der moralischen und kulturellen Verschmutzung verantwortlich sind, wie das Bildungsministerium, die Nationale Kunststiftung, die Kommission für Beschäftigungs- und Chancengleichheit und die zentralstaatliche Gerichtsbarkeit sollten gestrichen oder gestutzt werden. Aber es gibt keine Opposition gegen die staatliche Einmischung in Bildungsangelegenheiten. Es gibt keine Erkenntnis, dass natürliche Ordnung auf dem Gebiet der Bildung bedeutet, dass der Staat nichts damit zu tun hat. Bildung ist eine reine Familienangelegenheit.
Ferner gibt es keine Erkenntnis, dass moralische Degeneration und kultureller Verfall tiefere Ursachen haben und nicht einfach durch staatlich verordnete Veränderungen im Bildungsplan oder durch Ermahnungen oder Tiraden geheilt werden können. Im Gegenteil, Francis schlägt vor, dass die kulturelle Wende – die Wiederherstellung der Normalität – ohne fundamentale Veränderung in der Struktur des modernen Wohlfahrtsstaates erzielt werden kann. Tatsächlich verteidigen Buchanan und seine Ideologen ausdrücklich die drei zentralen Institutionen des Wohlfahrtsstaates: die Sozialversicherung, die staatliche Gesundheitsfürsorge und die Subventionen für Arbeitslosigkeit. Sie wollen die „soziale“ Verantwortung des Staates sogar ausweiten, indem sie dem Staat die Aufgabe zuschreiben, mittels nationaler Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen amerikanische Arbeitsplätze zu „schützen“, insbesondere in Branchen von nationalem Belang, und „die Löhne der USamerikanischen Arbeiter vor ausländischen Arbeitern, die für einen Dollar pro Stunde oder weniger arbeiten müssen, abzuschotten.“
Die Buchananisten geben freizügig zu, dass sie Etatisten sind. Sie verachten und verhöhnen den Kapitalismus, laissez-faire, freie Märkte und Handel, Wohlstand, Eliten und Adel; und sie werben für einen neuen populistischen – tatsächlich proletarischen – Konservatismus, der sozialen und kulturellen Konservatismus mit einer sozialen oder sozialistischen Ökonomie verknüpft. Somit, fährt Francis fort, „während die Linke die Mittel-Amerikaner durch ihre ökonomischen Maßnahmen für sich gewinnen konnte, verlor sie sie durch ihren sozialen und kulturellen Radikalismus, und während die Rechte die Mittel-Amerikaner durch ihren Appell an Recht und Ordnung und die Verteidigung sexueller Normalität, konventioneller Moral und Religion, traditionelle soziale Institutionen und Beschwörungen des Nationalismus und Patriotismus anlocken konnte, verlor sie die Mittel-Amerikaner, wenn sie ihre alten bürgerlichen ökonomischen Formeln aufsagte.“
Neue Identität
Daher sei es notwendig, die Wirtschaftspolitik der Linken und den Nationalismus und kulturellen Konservatismus der Rechten zu kombinieren, um „eine neue Identität“ zu erzeugen, „die die wirtschaftlichen Interessen und die kulturell-nationalen Loyalitäten der proletarisierten mittleren Klasse synthetisiert und zu einer separaten und vereinigten politischen Bewegung zusammenführt.“ Aus offensichtlichen Gründen wird diese Doktrin nicht so benannt, aber es gibt einen Begriff für diese Art von Konservatismus: Er nennt sich sozialer Nationalismus oder National-Sozialismus.
Buchanan und seine Theoretiker glauben, Politik sei eine reine Angelegenheit des Willens und der Macht. Sie glauben nicht an so etwas wie ökonomische Gesetze. Wenn Menschen nur etwas wollen und ihnen die Macht gegeben wird, ihren Willen durchzusetzen, kann alles erreicht werden. Der „tote österreichische Ökonom“ Ludwig von Mises, auf den sich Buchanan während seiner Kampagne verächtlich bezog, charakterisierte diesen Glauben als „Historizismus“, die intellektuelle Einstellung der deutschen Kathedersozialisten, die eine jede etatistische Maßnahme rechtfertigten.
Umverteilung
Aber historizistische Verachtung und Ignoranz der Ökonomie ändert nichts an der Tatsache, dass es unumstößliche ökonomische Gesetze gibt. Man kann seinen Kuchen nicht essen und gleichzeitig behalten. Oder was man heute konsumiert, kann nicht nochmals in der Zukunft konsumiert werden. Oder mehr von einem Gut zu produzieren erfordert, dass weniger von einem anderen Gut produziert wird. Kein Wunschdenken kann solche Gesetze verschwinden lassen. Etwas anderes zu glauben kann nur in praktischem Versagen enden. „In der Tat“, schreibt Mises, „ist Wirtschaftsgeschichte ein langes Register von politischen Maßnahmen der Regierungen, die genau deshalb versagt haben, weil sie mit kühner Missachtung der Gesetze der Ökonomie entworfen wurden.“ Im Lichte elementarer und unabänderlicher ökonomischer Gesetze ist das Buchanan-Programm des sozialen Nationalismus lediglich ein weiterer kühner, aber unmöglicher Traum. Kein Wunschdenken kann die Tatsache abändern, dass das Aufrechterhalten der zentralen Institutionen des gegenwärtigen Sozialsystems und der Wunsch, zurück zu traditionellen Familien, Normen, Verhaltensweisen und Kultur zu kehren unvereinbare Ziele sind. Man kann das eine – Sozialismus (Wohlfahrt) – oder das andere – traditionelle Moral – haben, aber man kann nicht beides zugleich haben, denn eine sozial-nationalistische Wirtschaftspolitik, die Säule des gegenwärtigen Wohlfahrtsstaatssystems, die Buchanan unverändert beibehalten möchte, ist gerade die Ursache der kulturellen und sozialen Anomalitäten. Um dies zu verstehen, ist es lediglich nötig, sich eines der fundamentalsten Gesetze der Ökonomie wieder zu vergegenwärtigen, das besagt, dass jede Zwangsumverteilung von Vermögen oder Einkommen, unabhängig auf welche Kriterien sie gegründet ist, bedeutet, von einigen – den Habenden von etwas – etwas wegzunehmen und es anderen – den Nicht-Habenden von etwas – zu geben. Entsprechend ist der Anreiz, ein Habender zu sein, reduziert, und der Anreiz, ein Nicht-Habender zu sein, vergrößert. Ein Habender hat etwas, was normalerweise als „gut“ betrachtet wird, und was der Nicht-Habende nicht hat, ist „schlecht“ oder ein Mangel. Dies ist der Gedanke, der jeder Umverteilung unterliegt: einige haben zuviel des Guten und andere zu wenig. Das Resultat jeder Umverteilung ist, dass zukünftig weniger Güter produzieren werden und zunehmend mehr Ungüter, weniger Perfektion und mehr Mangel. Indem mit Steuergeldern (mit Geldern, die anderen entwendet wurden) arme Menschen („schlecht“) subventioniert werden, wird mehr Armut erzeugt. Indem Menschen subventioniert werden, weil sie arbeitslos sind („schlecht“) sind, wird mehr Arbeitslosigkeit erzeugt. Indem unverheiratete Mütter („schlecht“) subventioniert werden, wird es mehr unverheiratete Mütter und mehr uneheliche Geburten geben, usw.
Zwangssysteme
Offensichtlich ist diese grundlegende Einsicht auf das gesamte so genannte Sozialversicherungssystem anwendbar, das in ganz Westeuropa (seit den 1880er Jahren) und den USA (seit den 1930er Jahren) implementiert worden ist: die Regierungs-Zwangs„versicherung“ gegen Altersarmut, Krankheit, Verletzungen am Arbeitsplatz, Arbeitslosigkeit, Armut usw. In Verbindung mit dem noch älteren Zwangssystem der öffentlichen Bildung summieren sich diese Institutionen und Praktiken zu einem massiven Angriff auf die Institution der Familie und der persönlichen Verantwortung. Indem Individuen von der Pflicht befreit werden, für ihr eigenes Einkommen, ihre Gesundheit, Sicherheit, ihre Rente und die Ausbildung ihrer Kinder zu sorgen, sinkt die Reichweite und der Zeithorizont der privaten Vorsorge und der Wert der Ehe, Familie, Kinder und verwandtschaftlicher Beziehungen wird vermindert. Unverantwortlichkeit, Kurzsichtigkeit, Nachlässigkeit, Krankheit und sogar Zerstörungswut (Ungüter) werden gefördert und Verantwortung, Weitblick, Fleiß, Gesundheit und Konservatismus (Güter) werden bestraft. Insbesondere die Zwangsrentenversicherung, bei dem die Rentner (die Alten) mit Steuern subventioniert werden, die gegenwärtigen Einkommensverdienern auferlegt werden (den Jungen), hat den natürlichen Intergenerationenverbund zwischen Eltern, Großeltern und Kindern systematisch geschwächt. Die Alten brauchen sich nicht mehr auf die Unterstützung durch ihre Kinder zu verlassen, wenn sie für ihr eigenes hohes Alter nicht vorgesorgt haben; und die Jungen (normalerweise mit weniger akkumuliertem Vermögen) müssen die Alten (mit normalerweise mehr akkumuliertem Vermögen) unterstützen, statt andersherum, wie innerhalb von Familien normalerweise der Fall. Infolgedessen wollen Menschen nicht nur weniger Kinder haben – und Geburtenraten sind seit Einsetzung der modernen Sozialversicherungs- (Wohlfahrts-)politik halbiert worden – auch der Respekt, den die Jungen traditionell Älteren gegenüber zollten, hat sich vermindert, und alle Indikatoren von Familienzerfall, wie Scheidungsquoten, uneheliche Kinder, Kindesmissbrauch und Abtreibung haben sich erhöht.
Sozialversicherung
Darüber hinaus ist mit der Sozialisierung des Gesundheitsversorgungssystems und der Regulierung der Versicherungsindustrie eine monströse Maschinerie der Vermögens- und Einkommensumverteilung zugunsten verantwortungsloser Akteure und Hochrisikogruppen und auf Kosten verantwortungsbewusster Individuen und Gruppen mit niedrigem Risiko in Gang gesetzt worden. Man kann nichts besseres machen als den „toten österreichischen Ökonom“ Ludwig von Mises nochmals zu zitieren:
„Kranksein ist kein vom bewussten Willen unabhängiges Phänomen. … Die Effizienz eines Menschen ist nicht lediglich das Ergebnis seiner physischen Kondition; sie hängt weitgehend von seinem Geist und seinem Willen ab … Der zerstörerische Aspekt der Unfall- und Krankenversicherung liegt vor allem in der Tatsache, dass solche Institutionen Unfälle und Krankheiten fördern, die Erholung behindern und sehr oft die funktionalen Störungen, die einer Krankheit oder einem Unfall folgen, intensivieren und in die Länge ziehen … Sich gesund zu fühlen ist etwas gänzlich anderes als gesund im medizinischen Sinne zu sein. … Indem der Wille, gesund und arbeitsfähig zu bleiben geschwächt oder gänzlich zerstört wird, erzeugt Sozialversicherung Krankheit und Arbeitsunfähigkeit; sie produziert die Angewohnheit, sich zu beschweren – welches selbst eine Neurose ist – und Neurosen anderer Art. … Als eine soziale Institution macht sie ein Volk körperlich und geistig krank oder führt zumindest dazu, dass sich Krankheiten vermehren, in die Länge ziehen und intensivieren. … Die Sozialversicherung hat somit die Neurosen der Versicherten in eine gefährliche öffentliche Seuche verwandelt. Im Falle der Erweiterung und Entwicklung der Institution wird sich die Seuche weiter ausbreiten. Keine Reform wird irgendwelche Abhilfe schaffen. Wir können nicht den Willen zur Gesundheit schwächen oder zerstören ohne Krankheiten zu erzeugen.“
Ökonomischer Destruktivismus
Ebenso unsinnig sind die noch weiter gehenden Ideen einer Schutzzoll Politik von Buchanan und seinen Theoretikern. Wenn sie recht hätten, würde ihr Argument zugunsten ökonomischer Protektion zu einer Verurteilung jeglichen Handels führen und zur Verteidigung der These, dass jeder (jede Familie) besser dran wäre, wenn er (sie) niemals mit irgendjemand anderem Handel treiben würde. Sicherlich würde in einem solchen Fall niemand seine Arbeit verlieren, und Arbeitslosigkeit aufgrund „ungerechten“ Wettbewerbs wäre auf Null reduziert. Eine solche Vollbeschäftigungsgesellschaft wäre jedoch nicht wohlhabend und stark; sie wäre aus Menschen zusammengesetzt, die, obwohl sie von morgens bis abends arbeiteten, zur Armut und zum Verhungern verdammt wären. Buchananas internationaler Protektionismus würde im Ergebnis genau dieselbe Wirkung haben. Das ist nicht Konservatismus – das ist ökonomischer Destruktivismus.
Der kulturelle Verfall und die Entzivilisierung sind die zwangsläufigen und unvermeidbaren Ergebnisse des Wohlfahrtsstaates und seiner zentralen Institutionen. Klassische Konservative der alten Schule wussten dies und bekämpften die öffentliche Bildung und die Sozialversicherung mit aller Kraft. Ihnen war klar, dass Staaten überall darauf abzielen, Familien und Institutionen, Schichten und Hierarchien sozialer Autorität zu zerstören, um ihre eigene Macht zu vergrößern und zu stärken.
Wohlfahrts-Etatismus
Im Gegensatz dazu zeugt der auch in Deutschland weit verbreitete populistischproletarische Konservatismus mit seinem sozialen Nationalismus von vollständiger Ignoranz hinsichtlich alldem. Kulturellen Konservatismus mit Wohlfahrts-Etatismus zu kombinieren ist unmöglich und daher ökonomischer Unsinn. Wohlfahrts-Etatismus – soziale Sicherheit in jeder Art, Gestalt oder Form – fördert den moralischen und kulturellen Verfall. Eine Rückkehr zur Normalität erfordert nichts geringeres als die vollständige Eliminierung des gegenwärtigen sozialen Sicherheitssystems: der Arbeitslosenversicherung, der Sozialhilfe, der Krankenversicherung, der öffentlichen Bildung usw. – und damit die fast vollständige Auflösung und Dekonstruktion des gegenwärtigen Staatsapparates und der Regierungsmacht. Wenn man jemals Normalität wiederherstellen möchte, müssen die Finanzmittel und die Macht der Regierung auf oder sogar unter das Niveau des 19. Jahrhunderts fallen. Echte Konservative müssen von daher libertäre Hardliner (Anti-Etatisten) sein. Der soziale Nationalismus der populistisch-proletarischen Konservativen ist verfehlt: er möchte zur traditionellen Moral zurückkehren, fordert aber gleichzeitig, dass gerade die Institutionen erhalten bleiben, die für die Pervertierung und Zerstörung traditioneller Moral verantwortlich ist.
Rothbardismus
Die meisten zeitgenössischen Konservativen, sind daher keine Konservativen, sondern Sozialisten – entweder der internationalistischen Art oder der nationalistischen Sorte. Echte Konservative müssen sich beiden widersetzen. Um soziale und kulturelle Normalität wiederherzustellen, müssen echte Konservative radikale Libertäre sein und den Abriss der gesamten Struktur der Sozialversicherung – als einer moralischen und ökonomischen Perversion – fordern. Wenn Konservative Libertäre sein müssen, weshalb müssen Libertäre Konservative sein? Wenn Konservative von Libertären lernen müssen, müssen Libertäre auch von Konservativen lernen? Zunächst sind einige terminologische Klarstellungen nötig. Kulminierend im Werk Murray N. Rothbards, dem Schöpfer der modernen libertären Bewegung, und insbesondere in seiner Ethics of Liberty, ist Libertarismus ein rationales System der Ethik (des Rechts). Rothbard arbeitet innerhalb der Tradition der klassischen politischen Philosophie – von Hobbes, Grotius, Pufendorf, Locke und Spencer – und er verwendet im wesentlichen dieselben analytischen Werkzeuge und logischen Verfahren wie die Klassiker. Libertarismus ist ein systematischer Rechtskodex, der mittels logischer Deduktion von einem einzigen Prinzip abgeleitet wird, dessen Gültigkeit nicht bestritten werden kann ohne sich dabei in einen logisch-praktischen (praxeologischen) oder performativen Widerspruch zu verwickeln. Dieses Axiom ist das uralte Prinzip der ursprünglichen Aneignung: Eigentum an knappen Ressourcen – das Recht an der ausschließlichen Kontrolle über knappe Ressourcen (Privateigentum) – wird durch die Handlung ursprünglicher Aneignung erworben (wodurch Ressourcen aus einem natürlichen Zustand in einen zivilisatorischen Zustand übertragen werden). Wenn dem nicht so wäre, könnte niemand jemals anfangen zu handeln (irgendetwas vorschlagen oder tun); daher ist jedes andere Prinzip praxeologisch unmöglich (und argumentativ nicht zu verteidigen). Vom Prinzip ursprünglicher Aneignung – dem Prinzip „erster Benutzer-erster-Besitzer“ – werden Regeln bezüglich der Verwandlung und des Transfers (des Austauschs) ursprünglich angeeigneter Ressourcen abgeleitet, und die gesamte Ethik (das Recht), einschließlich der Prinzipien der Bestrafung, wird dann in eigentumstheoretischen Begriffen rekonstruiert: alle Menschenrechte sind Eigentumsrechte und alle Menschenrechtsverletzungen sind Eigentumsrechtsverletzungen. Das Ergebnis dieser libertären Theorie des Rechts ist in diesen Kreisen wohlbekannt: der einflussreichsten Strömung der libertären Theorie zufolge, dem Rothbardismus, ist der Staat eine außergesetzliche Gangster-Organisation und die einzige gerechte Sozialordnung ist das System einer Privateigentumsanarchie.
Inhaltliche Affinität zweier Doktrinen
Einige oberflächliche Kommentatoren, meist von der konservativen Seite, haben Libertarismus und Konservatismus als unvereinbare, gegnerische oder sogar antagonistische Ideologien bezeichnet. Tatsächlich ist diese Ansicht ein kompletter Irrtum. Die Beziehung zwischen Libertarismus und Konservatismus ist eine der praxeologischen Vereinbarkeit, soziologischer Ergänzung und wechselseitiger Verstärkung. Um dies zu erklären, muss ich darauf hinweisen, dass die meisten führenden libertären Denker faktisch sozial-kulturelle Konservative waren: Verteidiger der traditionellen, bürgerlichen Moral und Verhaltensweisen. Am bezeichnendsten war Murray Rothbard ein ausgesprochener kultureller Konservativer. Ebenso war es auch Rothbards wichtigster Lehrer, Ludwig von Mises. Während dies nicht viel beweist, deutet es auf eine inhaltliche Affinität zwischen den zwei Doktrinen hin. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die konservative und libertäre Sicht der Gesellschaft perfekt vereinbar sind. Konservative sind überzeugt, dass das „natürliche“ und „normale“ alt und weitverbreitet ist und somit immer und überall erkannt werden kann. Ähnlich sind Libertäre überzeugt, dass die Prinzipien der Gerechtigkeit ewig und universell gültig sind und somit der Menschheit von ihrem Anbeginn an im wesentlichen bekannt gewesen sein müssen. Die libertäre Ethik ist nicht neu und revolutionär, sondern alt und konservativ. Selbst Kinder sind in der Lage, die Gültigkeit des Prinzips ursprünglicher Aneignung zu begreifen und die meisten Menschen erkennen es normalerweise als unumstößliche Tatsache an. In ihrem Versuch, eine freie natürliche Sozialordnung zu etablieren, müssen Libertäre danach streben, das im Privateigentum inhärente Recht des Ausschlusses vom Staat zurückzugewinnen. Doch bevor sie dieses Ziel erreichen und um sein Erreichen überhaupt möglich zu machen, können Libertäre nicht früh genug damit beginnen, sofern die Umstände ihnen dies noch erlauben, ihr Ausschlussrecht im Alltagsleben wieder zu beanspruchen und auszuüben. Wie echte Konservative, die sich vom falschen sozial(istischen) Konservatismus trennen müssen.
(gekürzte Fassung des Kapitels „Über Konservatismus und Libertarismus“ in „Demokratie – Der Gott, der keiner ist“, Manuscriptum-Verlag)
—————————————————————————————————————————————————————————
Professor Dr. Hans-Hermann Hoppe, Jahrgang 1949, ist einer der einflussreichsten Vertreter und konsequentesten Vordenker der libertären Lehre (Libertarians) der Österreichischen Schule in der Tradition von Ludwig von Mises (1881 – 1973) und Murray N. Rothbard (1926 – 1995). Er war von 1986 bis 2008 Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of Nevada in Las Vegas. Hoppe ist Distinguished Fellow des Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama. Im Mai 2006 gründete er die Property and Freedom Society (http://propertyandfreedom.org/). Zu seinen Werken gehören unter anderem: A Theory of Socialism and Capitalism (Ludwig von Mises Institute, 1989), Demokratie. Der Gott, der keiner ist (Verlag Manuscriptum, 2003), Der Wettbewerb der Gauner: Über das Unwesen der Demokratie und den Ausweg in die Privatrechtsgesellschaft (Holzinger-Verlag, 2012). Zuletzt erschienen: The Great Fiction: Property, Economy, Society, and the Politics of Decline (Laissez Faire Books, 2012).
Professor Dr. Hans-Hermann Hoppe ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”.
Weitere Informationen zu und von Professor Dr. Hans-Hermann Hoppe auch auf “HansHoppe.com”