Die Anatomie des Staates – Teil I

28.12.2012 – Lesen Sie nachfolgend Teil I einer Zusammenfassung von Murray N. Rothbard’s Werk „Anatomy of the State“. Teil II der Zusammenfassung wird am Freitag, 5. Januar 2012 veröffentlicht.

von Karl-Friedrich Israel.

Karl-Friedrich Israel

„Anatomy of the State“ ist eine Abhandlung über den Ursprung, die Charakteristiken und die Funktionsweise staatlicher Gewalt, geschrieben von Murray N. Rothbard im Jahr 1974. Jeder, ob Sympathisant libertärer Ideen oder nicht, der bereit ist, sich auf die einzigartige und unabhängige Sicht Rothbards einzulassen, kann sie mit Gewinn lesen. Im Folgenden werden die zentralen Ideen des Autors in den von ihm gewählten sieben Unterpunkten vorgestellt. Dabei handelt es sich nicht um eine strikte Übersetzung, sondern vielmehr eine Zusammenfassung. Das englischsprachige Original kann auf der Internetseite des Mises Institute Auburn (Alabama, USA) nachgelesen, heruntergeladen oder in einer gebundenen Ausgabe käuflich erworben werden.

Was der Staat nicht ist

Der Staat ist nicht das, wofür die meisten Menschen ihn halten. Die überwiegende Mehrheit, ohne tiefergehende Überlegungen anzustrengen, würde die Notwendigkeit des Staates nicht leugnen und ihn darüber hinaus sogar als so etwas wie einen notwendigen Wegbereiter sozialer Kooperation betrachten – einen Wegbereiter für Dienstleistungen und Güter, die ohne ihn gar nicht oder nur in schlechterer Form angeboten werden könnten. Für manche ist der Staat sogar die Versinnbildlichung einer kultivierten Gesellschaft.

Mit der Demokratisierung westlicher Gesellschaften hat sich die Identifizierung der Gesellschaft mit dem Staat verstärkt. Sie zeigt sich in vielfältigen Formen. So etwa in der Kollektivierung politischen Handelns und in jeglicher Vernunft widersprechenden Aussprüchen wie: „Wir sind der Staat“. Das kollektive „Wir“ verschleiert die wahre Natur des Staates. Wären „wir“ der Staat, so wäre nicht nur alle staatliche Gewalt legitimiert sondern darüber hinaus auch freiwillig, denn „wir“ täten es selbst. Jede Gewalt, die von der Regierung auf ein Individuum ausgeübt würde, geschehe im freiwilligen Einverständnis des Betroffenen. Jeder Gefängnisinsasse hätte sich dann selbst eingesperrt und öffentliche Schulden, die nur unter Besteuerung einer Gruppe zum Vorteil einer anderen zurückgezahlt werden können, wären gerechtfertigt mit der einfachen Begründung, dass „wir“ es „uns selbst“ schulden. Treibt man diese absurde Plattitüde für demokratisch gewählte Regierungen auf die Spitze, so wären auch Juden im dritten Reich nicht umgebracht worden, sondern hätten Selbstmord begangen, denn „sie“ waren ja die demokratisch gewählte Regierung. Es sollte also klar sein, dass „wir“ nicht der Staat sind – und der Staat ist nicht „wir“.

Was der Staat ist

Murray N. Rothbard

Im Allgemeinen ist der Staat jene Institution, welche  auf einem gegebenen Gebiet das Monopol auf die Ausübung von Gewalt innehat. Im Speziellen ist er die einzige Institution, die ihr Einkommen nicht auf Basis von Produktion und freiwilligem Handel erzielt, sondern durch Beschlagnahmung. So wie es der Ökonom Joseph Schumpeter bereits in seinem 1942 veröffentlichten Werk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ beschrieb, lebt der öffentliche Sektor von dem durch politischen Zwang genommenen Einkommen, das der private Sektor für seine eigenen Zwecke generierte.[1]

Menschen haben es geschafft, ihren Wohlstand durch Spezialisierung, Arbeitsteilung und freiwilligen Handel um ein Vielfaches zu vermehren. Diese Art des Wohlstandserwerbs in der Terminologie Franz Oppenheimers ist das ökonomische Mittel. Es gibt nur eine weitere Art des Wohlstandserwerbs, jene der gewaltsamen Enteignung. Diese parasitäre Form des Wohlstandserwerbs, die keinerlei Produktivität erfordert, bezeichnet Oppenheimer als politisches Mittel. Beide Kategorien schließen einander aus.

Rothbard bedient sich der Einteilung Oppenheimers und definiert den Staat als die Organisierung und Systematisierung des politischen Mittels. Der Staat ist der institutionalisierte legale Plünderungsprozess des privaten Sektors auf einem festgelegten Gebiet. Dabei ist festzuhalten, dass Plünderung immer Produktion voraussetzt und demzufolge das ökonomische Mittel oder der freie Markt dem Staat vorausgeht. Kein Staat wurde auf Basis eines Vertrags geschaffen. Er entsteht hingegen immer durch Unterdrückung, Eroberung und Ausbeuterei. Kann der Unterdrücker, der die Kontrolle über ein bestimmtes Gebiet erlangt hat, seinen Status lange genug behaupten, so wird früher oder später der Unterdrücker zum noblen Herrscher.

Wie der Staat sich selbst erhält

Sobald sich eine staatliche Struktur gebildet hat, ist die herrschende Gruppe darum bemüht ihre Stellung zu festigen. Dazu benötigt eine jede Regierung (nicht nur eine demokratische) die Zustimmung der Mehrheit. Diese Zustimmung kann sowohl in Form aktiver Unterstützung als auch resignierender Enthaltung erfolgen. Kann die regierende Gruppe nicht zumindest die Akzeptanz der Regierten gewinnen, so werden sie früher oder später in aktiven Widerstand übergehen.

Da sich der parasitäre öffentliche Sektor aus der Produktion des privaten Sektors speist, kann die Gruppe, die den öffentlichen Sektor, den Staat, repräsentiert, immer nur eine Minderheit im Land sein. Nichtsdestotrotz können sie natürlich Abhängigkeiten in Form von Subventionen und anderen Privilegien für Subjekte des privaten Sektors schaffen. Aber auch das ist nicht ausreichend, um eine langfristige Akzeptanz der Mehrheit zu erreichen.

Das Hauptproblem, das sich dem Staat stellt, ist ein ideologisches. Die regierende Gruppe muss die Mehrheit der Regierten von der Notwendigkeit ihres Handelns, ihrer Expertise und ihrer guten Absichten überzeugen. Die herrschende staatliche Institution muss in der Öffentlichkeit zumindest besser als ihre Alternativen wahrgenommen werden. Die Verbreitung der Ideologie ist die Aufgabe der „Intellektuellen“. Intellektuelle sind die Meinungsmacher der Gesellschaft. Die große Mehrheit der Menschen übernimmt eine ihr vorgegebene Meinung oder Idee viel eher, als sich eine eigene zu bilden, oder fremde Ideen auch nur eigenständig zu durchdenken. Aus der Notwendigkeit genau dieser Einflussnahme auf die Meinung und Wahrnehmung der Menschen, erklärt sich die Grundlage der Jahrtausende alten Allianz aus Staat und seinen Intellektuellen.

In einer freien Gesellschaft hätten Intellektuelle oft einen schweren Stand. Sie wären auf die Bedürfnisse und Präferenzen der Masse angewiesen. Da diese jedoch dazu neigt, sich nicht um intellektuelle Belange zu kümmern, werden die warmen und schützenden Arme des Staatsapparats willkommen geheißen. Die Allianz zeigt sich in vielen Formen und in verschiedensten Bereichen inner- und außerhalb der Wissenschaften. Wichtigstes Element hierbei ist die Schaffung eines intellektuellen Unterbaus für die Notwendigkeit des Staates und all seiner Eingriffe. Wirtschaftspolitische Maßnahmen im Gewand abstrakter Formeln, geschmückt mit dem keynesianischen Multiplikatoreffekt erwecken den Anschein größter Seriosität und Kompetenz. Die zugrundeliegende Logik in einfache Worte gefasst: „Wir nehmen euch euer Geld, um die Wirtschaft anzukurbeln, damit es euch besser geht, denn ihr spart zu viel“, ließe doch so manche Zweifel aufkommen.  Hinzu kommt das Schüren von Skepsis und Furcht vor allen alternativen Regierungs- oder Nicht-Regierungsformen. Die Angst vor externen Bedrohungen, wie etwa anderen Staaten, ist ein Mittel, das Zusammengehörigkeitsgefühl und eine Identifizierung mit dem Staat zu fördern. „Nationalismus“ ist nach Rothbard  in den letzten Jahrhunderten in den westlichen Ländern verstärkt zu einem Mittel staatlicher Kontrolle geworden.

Je länger sich eine staatliche Struktur erhält, desto wichtiger wird der Verweis auf die Tradition, als ein Mittel der Autoritätserhaltung. Regimekritische Stimmen und Meinungen können als Irrsinn verteufelt werden mit einem Verweis auf die Geschichte: Es ist seit Jahr und Tag so und hätte nie anders funktionieren können.

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Karl-Friedrich Israel, 24, hat Volkswirtschaft an der Humboldt-Universität in Berlin studiert. Zur Zeit absolviert er in England an der Universität Oxford sein Masterstudium.  

 


[1] Vergleiche Joseph A. Schumpeter, Capitalism, Socialism, and Democracy (New York: Harper and Bros., 1942), p. 198.

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