Die Goldwährung und ihre Gegner (Teil 1)
29.10.2012 – Einleitung: Am 26. Oktober 2012 erschien auf SPIEGEL ONLINE der Beitrag „Die Gold-Michel vom Rechnungshof“ von Wolfgang Münchau. Darin kritisiert er die Forderung des Bundesrechnungshofes nach Überprüfung der deutschen Goldreserven und bezeichnet die Goldbarren der Deutschen Bundesbank als „irrelevant“. Es gäbe, Münchau weiter, keinen „größeren Giftstoff als dieses Edelmetall, das der Weltwirtschaft die „Große Depression“ in den dreißiger Jahren bescherte“.
Das ist eine weitverbreitete, aber ökonomisch gänzlich falsche Deutung der Rolle des Goldes und des Goldstandards für die Große Depression. Sie zeigt, dass die Theoriebeiträge der Österreichischen Schule der Nationalökonomie zur Erklärung der Großen Depression entweder gar nicht bekannt sind oder aber geflissentlich ignoriert werden. In jedem Fall scheint eine Beschäftigung mit ihnen notwendig zu sein.
Am 19. September 2012 veröffentlichte das Ludwig von Mises Institut Deutschland bereits den Beitrag „Die “Roaring Twenties” und die Große Depression von 1929“. Darin legt Jesús Huerta de Soto die wahre Ursache für die Große Depression der 1920er Jahre zusammenfassend dar.
Weil das Unwissen über die wahren Gründe der Großen Depression zumeist einhergeht mit einer Ablehnung des Goldstandards, veröffentlichen wir nachfolgend den Aufsatz „Die Goldwährung und ihre Gegner“, den Ludwig von Mises (1881 – 1973) im Jahr 1931 veröffentlichte, in zwei Teilen; der zweite Teil erscheint am 5. November 2012.
Andreas Marquart und Thorsten Polleit
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Die Goldwährung und ihre Gegner (Teil 1)
von Ludwig v. Mises.
Die Vorzüge der Goldwährung
Die Bedeutung der Goldwährung für den Binnenverkehr liegt darin, dass sie die Gestaltung der Kaufkraft der Geldeinheit von den wechselnden geldwertpolitischen Auffassungen der Regierungen und der politischen Parteien unabhängig macht. Die Bindung des Geldwertes an den Goldwert richtet einen Damm auf gegen alle Bestrebungen, einzelne Schichten der Bevölkerung durch währungspolitische Maßnahmen auf Kosten der übrigen Schichten zu begünstigen. Im Verkehr zwischen den Staaten schaltet die Goldwährung die Störungen aus, welche die Valutaschwankungen für den Güteraustausch und für die Kapitalbewegung von Land zu Land mit sich bringen. Sie legt die Valuta- und Devisenkurse innerhalb sehr enger Grenzen fest, so dass kein Raum bleibt für die alle kaufmännischen Berechnungen über den Haufen werfenden Export- und Importprämien, die aus den Schwankungen dieser Kurse entstehen.
Die Goldwährung ist freilich nicht „wertstabil“. Doch „Wertstabilität“ ist eine unklare und verschwommene Vorstellung. Nur eine im strengsten Sinn des Begriffes stationäre Volkswirtschaft, in der alles morgen und übermorgen ganz genauso bleibt, wie es gestern und vorgestern war, würde unveränderliche Preise und damit kaufkraftfestes Geld haben. Die Leistung der Goldwährung besteht darin, dass sie die Gestaltung der Kaufkraft der Geldeinheit in höherem Maße von der Einwirkung von Faktoren, die von seiten des Geldes her wirken, befreit, als es irgendeine andere denkbare und verwirklichbare Geldverfassung tun könnte.
Inflationismus gegen Goldwährung
Man hat die Goldwährung zu Zeiten bekämpft, weil man die Goldproduktion für zu reichlich ansah und daher der Goldwährung zum Vorwurf machte, dass sie zu fortschreitender Preissteigerung und demgemäß zu einer Senkung der Kaufkraft der Geldeinheit führte, wodurch die Gläubiger zu Schaden kamen. Der bekannteste Vertreter dieser Auffassung ist der Amerikaner Irving Fisher. Die weitaus überwiegende Mehrheit der Gegner der Goldwährung geht jedoch vom entgegengesetzten Gesichtspunkt aus. Sie verwerfen die Goldwährung, weil sie höhere Preise und niedrigeren Zinsfuß anstreben und daher ein stärkeres Anwachsen der Geldmenge wünschen als unter der Herrschaft der Goldwährung möglich ist, wo die Ergebnisse der Goldproduktion (abzüglich der in die industrielle Verwendung strömende Menge) über die Vergrößerung der Geldmenge entscheiden. Mit einem Wort: Sie wollen Inflation.
Wenn alle übrigen Preise ziemlich unverändert bleiben, während der Preis einer Ware, z.B. der Kohle, steigt, so bedeutet dies einen Vorteil für die Besitzer der Kohlengruben. Wie aber, wenn durch Vermehrung der Geldmenge bewirkt wird, dass alle Preise steigen? Würden die im Gefolge der Inflation einhergehenden Preissteigerungen sich gleichzeitig und allen Waren und Dienstleistungen gegenüber gleichmäßig vollziehen, so würden sie – abgesehen von der Benachteiligung der Gläubiger und der Begünstigung der Schuldner – keine weiteren sozialen Verschiebungen mit sich bringen. Da aber, wie die nationalökonomische Theorie unwiderlegbar nachgewiesen hat, notwendigerweise die Preissteigerungen nicht zur gleichen Zeit in der ganzen Volkswirtschaft und nicht alle Waren und Dienstleistungen gegenüber in dem gleichen Ausmaße auftreten, lösen sie besonders soziale Begleiterscheinungen aus. Die Schichten, die jene Waren und Dienste zu Markte bringen, deren Preise schon am Beginn des Prozesses der Kaufkraftveränderung hinaufgehen, gewinnen. Denn sie verkaufen eine Zeitlang schon zu den erhöhten Preisen, während sie die Waren und Dienste ihres eigenen Bedarfes noch zu den niedrigeren Preisen einkaufen, die der Kaufkraftgestaltung vor der Inflation entsprochen haben. Kommt die Inflation einmal zum Stillstand, dann gleichen sich schließlich auch die Preise der verschiedenen Waren und die Löhne wieder bis zu einem gewissen Grade an. Doch die im Zuge des Inflationsprozesses erzielten Gewinne und erlittenen Verluste werden nicht wieder ausgeglichen.
Es ist zu verstehen, daß einzelne Schichten vom Standpunkte ihrer Sonderinteressen aus Inflation fordern. Unverständlich muß es aber bleiben, dass man glaubt, für Inflation auch von Standpunkt des Volksganzen eintreten zu können.
Goldwährung und Zinsfußpolitik
Der schwerste Vorwurf, der gegen die Goldwährung erhoben wird, ist der, dass sie zur Verteuerung des Zinsfußes führe. In Kapitalausfuhrländern ist diese Behauptung nicht unberechtigt. Die Goldwährung ist zwar nicht die einzige, doch eine der wichtigsten Voraussetzungen des internationalen Kapitalverkehres. Gäbe es keine Goldwährung, so würde die Einräumung von Darlehen an das Ausland erschwert oder gar unterbunden werden, was zu einer Erhöhung des Zinsfußes in den kapitalbedürftigen Ländern und zu einer Senkung des Zinsfußes in den Kapitalexportländern führen würde. Es ist daher klar, dass in den Ländern, die darauf angewiesen sind, ausländisches Kapital heranzuziehen, das Festhalten an der Goldwährung nicht kreditverteuernd, sondern kreditverbilligend wirkt. Damit sind alle Einwendungen, die von diesem Gesichtspunkt aus gegen die Goldwährung vorgebracht werden, zumindest in Mittel- und Osteuropa ganz und gar unangebracht.
Das Argument will aber nicht so verstanden werden. Man meint vielmehr, dass allein die Goldwährung die Zentralnotenbanken verhindere, sich in der Diskontpolitik von den Sätzen, die auf dem internationalen Geldmarkt herrschen, zu emanzipieren und der inländischen Wirtschaft Leihgeld billiger zur Verfügung zu stellen. Auch diese Auffassung ist irrig. Selbst in einem isolierten Staate, der keinerlei wirtschaftliche Beziehungen mit dem Auslande hat, stünde es nicht im Belieben der Notenbank, den Diskontsatz ohne Rücksicht auf die Gestaltung des Zinssatzes auf dem unbehinderten Geldmarkt festzusetzen. Vorübergehend ist es zwar möglich, durch zusätzliche Kredite – d.h. durch Erweiterung des Umlaufes unbedeckter Noten und Giroguthaben – den Zinsfuß des Marktes zu unterbieten und dadurch eine allgemeine Zinsfußermäßigung herbeizuführen. Durch ein solches Vorgehen, das ja in der Tat immer wieder versucht wurde, gelingt es unzweifelhaft, zunächst gute Konjunktur auszulösen. Doch früher oder später muß die Krediterweiterung zum Stillstand kommen; sie kann nicht endlos fortgesetzt werden. Die fortschreitende Vergrößerung der Umlaufmittelmenge führt zu fortschreitenden Preissteigerungen.
Inflation aber kann nur solange fortgehen, als die Meinung besteht, dass sie doch in absehbarer Zeit aufhören wird. Hat sich einmal die Überzeugung festgesetzt, daß die Inflation nicht mehr zum Stillstand kommen wird, dann bricht Panik aus.
Das Publikum eskomptiert in der Bewertung des Geldes und der Waren die erwarteten Preissteigerungen, so dass die Preise sprunghaft über alles Maß hinaufschnellen; es wendet sich von dem Gebrauch des durch die Umlaufmittelvermehrung kompromittierten Geldes ab, flüchtet zum ausländischen Geld, zum Barrenmetall, zu den Sachwerten, zum Tauschhandel, kurz, die Währung bricht zusammen.
Dass die Rücksichtsmaßnahmen auf die Beziehungen zum Auslande und die Erfahrungen, die in vergangenen Krisenzeiten gemacht wurden, die Notenbanken, schon lange bevor diese äußerste Konsequenz eintritt, zum Innehalten in der Krediterweiterung veranlassen, und dass dieses Vorgehen vielfach auch durch die gesetzlichen Beschränkungen des Notenausgaberechtes und der Kreditgewährung durch die Zentralnotenbanken erzwungen wird, ist nicht eine Folge der Goldwährung. Denn unter allen Umständen müßte die Politik der Krediterweiterung einmal ans Ende gelangen, wenn nicht schon früher durch eine Umkehr der Bankpolitik, so doch später durch einen katastrophalen Zusammenbruch. Je früher aber die Krediterweiterungspolitik abgebremst wird, desto geringer ist der Schaden, den die künstliche Ankurbelung der Konjunktur durch Fehlleitung der Unternehmenstätigkeit und der Kapitalinvestition angerichtet hat, desto milder ist die Krise, desto kürzer die folgende Periode des Geschäftsstillstandes und der allgemeinen Entmutigung. Dass das unbedingte Festhalten an der Goldwährung die Notenbanken schon rechtzeitig darauf aufmerksam macht, dass sie in der Zinsfußpolitik Wege betreten haben, die über einen künstlichen Aufschwung unausweichlich zu einer Krise führen müssen, kann nicht als ein Nachteil, sondern muß als Vorzug der Goldwährung gewertet werden.
Eine Herabsetzung des Zinsfußes kann immer nur das Ergebnis gemehrten Kapitalreichtums sein, niemals das Ergebnis irgendwelcher banktechnischer Maßnahmen. Die Versuche, durch Erweiterung des Zirkulationskredites der Banken zu einer dauernden Zinsfußermäßigung zu gelangen, führen notwendigerweise auf dem Umwege über einen vorübergehenden Aufschwung zur Krise und zur Depression.
erschienen in „Neue Freie Presse“ – Wien, 1931