Prof. Philipp Bagus im Interview über “Target2 und die Zukunft der Eurozone.”

8.5.2012 –

Prof. Philipp Bagus

Herr Bagus, Sie haben kürzlich auf mises.org zwei sehr interessante Artikel zum “Euro” veröffentlicht. Darüber möchten wir mit Ihnen sprechen. Zunächst ein Thema, das in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist: das Target2-System der europäischen Notenbanken. Was steckt hinter dem Begriff “Target2”?

Target2 ist das Clearing-System des Eurosystems. Die Zahlungen laufen nicht direkt von Kunden zu Kunden, sondern über die jeweiligen Zentralbanken. Nehmen wir folgendes Beispiel. Stellen wir uns vor es gibt nur eine Transaktion im Euroland. Ein spanisches Unternehmen nimmt bei der Bank Santander einen Kredit auf und kauft einen Lastwagen in Deutschland von VW, die ein Konto bei der Deutschen Bank haben. Das spanische Unternehmen hat dann eine Verbindlichkeit (Kredit) gegenüber Santander. Santander bekommt eine Verbindlichkeit gegenüber der spanischen Zentralbank (Zentralbankredit). Die spanische Zentralbank hat eine Verbindlichkeit gegenüber dem Eurosystem (negativer Target2-Saldo). Die Bundesbank bekommt ein Guthaben gegenüber dem Eurosystem (positiver Target2-Saldo). Die Deutsche Bank bekommt ein Guthaben gegenüber der Bundesbank (und kann z.B. die Zentralbankkredite verringern). VW bekommt auf seinem Konto bei der Deutschen Bank das Geld gutgeschrieben.

Vor der Finanzkrise hat einfach die Deutsche Bank einen Kredit an Santander gegeben, wodurch der Lastwagenimport finanziert wurde. Da sich die Banken nicht mehr gegenseitig trauen, läuft es nun über das Zentralbanksystem. Die Spanische Zentralbank schafft neues Geld, um die spanischen Importe zu finanzieren. Die Target2-Salden sind nur der Effekt der Umverteilung, die zwischenstaatlich vor sich geht. Die Ursache des Problems ist die Geldschöpfung in Spanien, mit der deutsche Waren gekauft werden. Dies spiegelt sich in den Target2-Salden wieder.

Die Forderungen der Deutschen Bundesbank an das Eurosystem belaufen sich mittlerweile auf über 600 Milliarden Euro. Von Seiten der Politik werden die Risiken heruntergeredet. Wie sind diese Forderungen wirklich zu beurteilen?

Die Target-2-Forderungen werden niemals beglichen. Theoretisch könnte man sie einmal pro Monat durch den Transfer von Goldreserven, oder ähnliches begleichen. Sie türmen sich aber immer weiter auf, und werden es auch weiter tun, solange die Wettbewerbsfähigkeit in der Peripherie niedriger als die deutsche ist und man dort über seine Verhältnisse lebt. Gehen wir zu unserem Beispiel zurück. Geht das spanische Unternehmen bankrott und zahlt nicht seinen Kredit an Santander, dann kann Santander auch Pleite gehen. Nehmen wir an der spanische Staat kann oder will Santander nicht retten, weil er auch bankrott ist bzw. sich mit Krediten von Santander über Wasser hält. Dann kommt es zu Verlusten der Spanischen Zentralbank. Die Bundesbank hält dann Forderungen, die wertlos sind und ist auch bilanztechnisch Pleite. Die Deutsche Bank macht dann auch Verluste und geht auch Pleite. Der deutsche Sparer, bzw. VW, steht mit leeren Händen da. Natürlich kann und wird sehr wahrscheinlich der Bankrott von Santander, den Zentralbanken, oder der Deutschen Bank einfach durch neue Geldproduktion verhindert werden. Dies wäre natürlich hochinflationär.

Ist die Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Target2-Forderungen in gewisser Hinsicht erpressbar geworden? Was, wenn Deutschland aus dem Euro aussteigen wollte?

Ja, das könnte man meinen. Denn wenn Deutschland aus dem Euro aussteigt, wird die neue deutsche Währung wohl gegenüber dem Euro aufwerten. Selbst wenn die verbliebenen Euroländer die Target2-Forderungen in den abgewerteten Euros zurückzahlen, entsteht ein Verlust für die Bundesbank, die Pleite ist. Sie muss dann durch Steuern oder Geldproduktion gerettet werden. Der Geldwert wird verwässert. Das Vertrauen in die Währung könnte kollabieren.

Dennoch sollte man sich vor Augen führen, dass die 600 Mrd. bis auf weiteres sowieso verloren sind. Erstens werden sie nie beglichen durch den Transfer von Realwerten. Zweitens werden die Salden, solange die Peripherie nicht viel wettbewerbsfähiger wird, nicht von alleine zurückgehen. Daher ist zu befürchten, dass der de-facto Verlust von 600 Mrd. noch immer weiter ansteigen wird. Nur ein Ausstieg wird wohl ein weiteres Anwachsen der Verluste vermeiden können.

Sie sehen große Gefahren in einer einheitlichen Fiskalpolitik im Euroraum, den Einfluss Deutschlands sehen Sie zusehends schwinden. Worauf müssen sich die deutschen Steuerzahler einstellen?

Das ist eine schwierige Frage. Man muss sich wohl darauf einstellen, dass die Umverteilung weiterhin größtenteils über die Notenpresse läuft. Jedenfalls wird für Steuersenkungen kaum Platz sein.

Wie muss man sich die Eurozone in einigen Jahren vorstellen, wenn die Machtzentralisierung in Richtung Brüssel weiter zunimmt?

Darüber lässt sich nur spekulieren. Zunächst könnte es zu Steuerharmonisierungen nach oben kommen. Eigene EU-Steuern, Eurobonds und Paneuropäische-Investitionsprojekte könnten auch eine Rolle spielen. Eine Art europäisches Finanzministerium, das uns zunächst als Abbild deutscher Solidität verkauft wird, ist auch vorstellbar.

Sie geben ein klares Statement ab: “Je früher das Europrojekt beendet wird, desto besser.” Freiwillig wird die Politik das Projekt sicher nicht beenden. Was könnte zum Auslöser für ein Euro-Ende werden?

Letztlich könnte der Regierungswechsel in Frankreich den Ausschlag geben. Wenn die zaghaften Sparmaßnahmen noch weiter zurückgefahren werden, und die Staatsausgaben und Defizite weiter ansteigen, dann wird dies letztlich durch die Notenpresse finanziert werden. Wenn wir dann nachhaltig zweistellige Inflationsraten bekämen, könnte ich mir auf mittlere Sicht vorstellen, dass eine neue politische Strömung in Deutschland einen Euroaustritt fordert und das Ende des Euro herbeiführt. Letztlich hängt es also von der Leidensbereitschaft vor allem der Deutschen ab.

Vielen Dank, Herr Bagus.

Die Fragen stellt Andreas Marquart, misesinfo.

Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. Zu seinen Forschungsschwerpunkten Geld- und Konjunkturtheorie veröffentlichte er in internationalen Fachzeitschriften wie Journal of Business Ethics, Independent Rewiew, American Journal of Economics and Sociology u.a.. Seine Arbeiten wurden ausgezeichnet mit dem O.P.Alford III Prize in Libertarian Scholarship, dem Sir John M. Templeton Fellowship und dem IREF Essay Preis. Er ist Autor eines Buches zum isländischen Finanzkollaps (“Deep Freeze: Island’s Economics Collapse” mit David Howden). Sein Buch “Die Tragödie des Euro” erscheint in 12 Sprachen.

Zur Internetseite von Prof. Bagus finden Sie hier.

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Hier finden Sie die Artikel “Is There No Escape from the Euro?” und “The Eurozone: A Moral-Hazard Morass“.

Lesen Sie auch das Interview mit Philipp Bagus zu seinem Buch “Die Tragödie des Euro”.

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