Frage an EZB-Chef Draghi: Muss die Zentralbank abgeschafft werden?
von Ralph Bärligea.
Ich verspreche, ich werde darüber nachdenken!
Der neue, seit dem 1. November 2011 amtierende Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Professor Mario Draghi, sprach am 15. Dezember 2011 im Atrium der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in Berlin zum Thema „Geldpolitische Handlungsfehler in der Sozialen Marktwirtschaft“ für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). In Anlehnung an die Ideen der Österreichischen Schule der Ökonomie von unter anderem dem Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek stellte ich ihm die im Folgenden aufgeführte Frage. Mario Draghis Antwort darauf ist von mir bewusst nicht nur sinngemäß, sondern auch nahezu wortwörtlich übersetzt, um die fachliche Authentizität nicht zu verfälschen.
Ralph Bärligea: Wir wissen, dass die Finanzkrise hauptsächlich durch zu niedrige Zinsen der Zentralbanken ausgelöst wurde, etwa die Hypothekenkrise in Amerika. Aber auch die Staatsanleihenkrise wurde durch zu niedrige Zinsen und auch dadurch, dass Sie Staatsanleihen als Sicherheiten annehmen und dagegen Kredite vergeben und die Banken dafür kein Eigenkapital hinterlegen müssen, ausgelöst. Was halten Sie darum von der Idee [zur Lösung der Finanzkrise], das Geldmonopol der Notenbank abzuschaffen und einen Prozess hin zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung zu begleiten, wo wirklich jeder Investor selbst für seine Entscheidung haftet? Denn wenn Sie als Kreditgeber letzter Instanz Kredite vergeben, investieren Sie auch. Aber es ist kein Eigentümer da, der persönlich haftet. Es ist auch fraglich, ob Sie als zentrale Instanz das Wissen haben, das dezentrale [persönlich haftende] Investoren nach meiner Ansicht zumindest besser hätten.
Mario Draghi: Lassen Sie mich nur eine Sache über die Krise sagen. Ich denke, die Geldpolitik war eines von vielen Elementen, das mit dazu beitrug, eine Umwelt zu schaffen, die dazu führte, dass eine Krise tatsächlich so ausbrechen konnte, wie das am Ende schließlich geschehen ist. Aber ich denke, die wirkliche Wurzel der Krise muss in mehreren, schwerwiegenden regulatorischen Fehlern in einem finanzrechtlichen [europäischen] Gebiet gefunden werden.
Ich denke, diese regulatorischen Fehler sind nicht von heute auf morgen begangen worden, sondern über mehrere Jahre, beginnend etwa 2002/2003 bis hin zur Krise. Und diese Umwelt hat eine Situation geschaffen, in der Sie Vermögenswerte hatten, die unmöglich korrekt zu bewerten waren, weil sie schlicht undurchsichtig waren. Es gab eine Schwächung der regulatorischen Kontrolle in vielerlei Hinsicht […]. Und um dies herum hatten Sie einen Überhang an Liquidität, die von der Geldpolitik ausging, aber auch von der – wie sie genannt wurde – Flut an Ersparnissen. Mit anderen Worten, Geld floss aus den asiatischen Ländern und anderen Schwellenländern in die Kapitalmärkte. […] Wir hatten Risikoprämien, die nicht das wirklich inneliegende Risiko der Vermögenswerte reflektiert haben.
In dieser Umwelt hatten Sie auch exzessive, von Fehleinschätzung geleitete Hebelungen durch Kredite. In dieser Umwelt von mangelnder Transparenz, sehr niedrigen Zinsen und perversen Handlungsanreizen haben die Marktakteure offensichtlich zu viel Kredit aufgenommen. Und dabei haben sie oft selbst nicht einmal verstanden, wie hoch ihr Kredit war, weil das durch die starke Undurchsichtigkeit der Instrumente, die sie dazu genutzt haben, um Geld aufzunehmen, verdeckt wurde. Das ist es, was ich sagen würde, um ein allgemeines, vollständiges und faires Bild über den Hintergrund zu geben, vor dem die Krise ausgebrochen ist.
Aber jetzt ist es der nächste Schritt, zu sagen, wie eine Welt ohne Zentralbanken wäre. Ich weiß es nicht. Freiheraus, sehen Sie, das ist keine Sache, die Sie jemanden wie mich fragen sollten, weil wir dazu tendieren, so sehr in unserem eigenen Nest zu arbeiten, dass wir die großen Fragen meistens vermeiden, so etwa: Wie wäre die Welt, wenn ich nicht existieren würde? Aber ich verspreche, ich werde darüber nachdenken!