Mehr Freiheit im Recht wagen!

16.8.2013 – Gewohnheitsrecht und Schiedsgericht

“Es gibt in der Natur des Menschen nichts, das es unabdingbar machen würde, sich von anderen Menschen beherrschen zu lassen.”

(Linda und Morris Tannehill)

von Ferdinand A. Hoischen.

1. Einleitende Gedanken

Ferdinand A. Hoischen

Es wird gerade in libertären Kreisen so viel darüber gesprochen und geschrieben, dass jeder Mensch sich selbst gehöre (was stimmt!), dass der Staat eine verbrecherische Organisation sei (was er auch tatsächlich ist!) und dass man in jeder Hinsicht bemüht sein solle, mehr persönliche Freiheit zu verwirklichen (ein guter Vorsatz!), aber wenn man dann etwas für mehr eigene Freiheit tun könnte, verfällt man oft in großes Schweigen und bloßes Nichtstun. Dabei gibt es z.B. im Recht schon heute Möglichkeiten, sich Freiheit vom Staat zu erkämpfen, ganz legal, sowohl bei der Rechtsetzung als auch bei der Rechtsdurchsetzung = Rechtsprechung, nämlich Gewohnheitsrecht und Schiedsgerichte.

Zunächst einmal zur Klarstellung: es geht hier um Recht und nicht um Gesetze. Recht und Gesetz sind nicht dasselbe. Recht ist das, was von den beteiligten Verkehrskreisen als Recht angesehen wird, eine faire, gerechte, der jeweiligen Situation angemessene Regelung zum Ausgleich divergierender Interessen, im Einklang mit Moral und Gewissen. Auch der Laie versteht Recht, denn das ist das, was das Gewissen einem sagt, was man tun oder lassen soll. Niemand steht über dem Recht, alle sind ihm unterworfen. Gesetz dagegen ist geschriebene Gewalt, durch eine kleine Machtelite zum eigenen Nutzen und zum Nutzen ihrer Günstlinge willkürlich erlassene Regeln, der großen Mehrheit unter Gewaltandrohung aufgezwungenes Verhalten, oftmals dem Rechtsempfinden völlig widersprechend. Gesetz ist für den Laien unverständlich, in einer aus “gutem Grund” geschaffenen Sondersprache gehalten, die nur noch speziell ausgebildete Fachleute verstehen können. Und das besonders Unangenehme beim Gesetz ist, dass der Staat, der das Gesetz “gibt”, über dem Gesetz steht, ihm nicht unterworfen ist, es beliebig ändern kann und durch eigene Institutionen nach eigenem Gutdünken interpretieren kann und interpretiert.

Befürworter eingeschränkter Staatsgewalt (Minarchisten) vertreten die Auffassung, eine Regierung sei vonnöten, weil Streitigkeiten niemals zufriedenstellend geregelt werden könnten ohne einen durch einen Gewaltmonopolisten (Staat) geschaffenen einzigen, endgültigen Gerichtshof für jedermann und ohne den Zwang von Regeln, die die Streitenden nötigen, sich dem Gericht zu unterwerfen und seinen Entscheidungen Folge zu leisten. Es ist schon interessant und auch entlarvend festzustellen, dass die Befürworter des Staates meinen, künstlich geschaffene Gewalt – Staatsgewalt – sei die einzige Lösung für soziale Auseinandersetzungen, als wären diese ohne den Zwang zur Inanspruchnahme eines staatlichen Gerichtssystems keinesfalls lösbar.

Es gibt Alternativen zu der mit Gewaltandrohung erfolgenden staatlichen Rechtssetzung und Rechtsprechung, nämlich selbst geschaffenes privates Gewohnheitsrecht statt Gesetz und private Schiedsgerichte statt staatliche Gerichte. Man sollte endlich aufhören, hehre Grundsätze nur lauthals zu verkünden und statt dessen damit beginnen, dasjenige heute an Freiheit zu verwirklichen, was jetzt schon möglich ist – und damit ein Stück zur Auflösung des Staates beitragen. Wir brauchen den Staat weder bei der Rechtsetzung noch bei der Rechtsdurchsetzung = Rechtsprechung!

2. Gewohnheitsrecht

Es ist nicht zu bestreiten, dass für das Zusammenleben von Menschen objektive Rechtsregeln erforderlich sind. Aber daraus folgernd zu unterstellen, dass solche Rechtsregeln nur durch ein staatliches Parlament erlassen werden könnten, ist eine unlogische Schlussfolgerung. Diese Unlogik ergibt sich schon aus der Gegenüberstellung von staatlichen Gesetzen und vor- und überstaatlichem Naturrecht. Das Zusammenleben der Menschen vor dem Einsetzen staatlicher Gesetzgebung war weder regellos nocht rechtlos. Das gesamte Mittelalter war geprägt von nicht staatlich gesetzten Rechtsregeln, nämlich dem hier interessierenden Gewohnheitsrecht.

Bei dem in einer Gesellschaft herrschenden Ordnungsreglement, dem geltenden Recht, wird hinsichtlich seiner Quellen zwischen Gesetzes-, Richter- und Gewohnheitsrecht unterschieden, je nachdem, ob die jeweiligen Rechtsnormen und Rechtsansprüche ihre Geltung einem Gesetz, einem Gerichtsurteil oder aber einer langdauernden Übung der Beteiligten verdanken, von der die Entscheidungsinstitutionen überzeugt sind, dass sie einer allgemeinverbindlichen Verhaltensregel entspricht. Die Behauptung, dass Gesetze für das Zusammenleben in einer Gesellschaft unabdingbar seien, geht von der ganz grundsätzlich falschen Annahme aus, dass ein Gesetzgebungsorgan das moralische Recht habe, Gesetze zu erlassen, die für den Rest der Bevölkerung bindend sind und diese notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Woraus dieses moralische Recht folgen soll, ist nicht erkennbar und ergibt sich insbesondere nicht aus dem Gesichtspunkt der in Wirklichkeit nur scheinbaren Repräsentation der Bevölkerung durch das Gesetzgebungsorgan.

Im modernen Staat mit effizienter Gesetzgebungsmaschinerie steht das staatlich aufgezwungene Gesetzesrecht zwar ganz im Vordergrund. Jedoch ist auch dort das privatautonom geschaffene Gewohnheitsrecht nicht ganz verdrängt. Der Grund dafür ist letztlich, daß eine noch so gut organisierte Gesetzgebung kein lückenlos regelndes Rechtssystem unter Berücksichtigung aller möglichen Ereignisse erschaffen kann.

Gewohnheitsrecht ist von der Bevölkerung selbst geschaffenes Recht. In einer Zeit, in der es keine oder nur wenige Gesetze gab, wie z.B. im europäischen Mittelalter, war nahezu das gesamte Recht Gewohnheitsrecht. Gewohnheitsrecht ist das Recht, das, ohne vom Staat gesetzt zu sein, von den Betroffenen tatsächlich geübt wird. Es entsteht dadurch, dass es in gleichmässiger, dauernder Übung als Recht in der Überzeugung von der rechtlichen Notwendigkeit der Übung angewendet wird. Bezüglich der Dauer der Übung besteht Einigkeit darüber, dass es sich um eine erhebliche Zeitspanne handeln muss. Ein Schnell-Gewohnheitsrecht wird ausnahmsweise angenommen bei der erfolgreichen staatsumwälzenden Revolution. Neben der Dauer der Übung ist auch deren Freiwilligkeit Voraussetzung für die Entstehung von Gewohnheitsrecht.

Gewohnheitsrecht ist also eine Rechtsquelle, die im Unterschied zum gesetzten Recht nicht im Wege eines formalisierten Rechtsetzungsverfahrens, besonders der Gesetzgebung, durch ein spezielles Gesetzgebungsorgan entsteht, sondern durch stetige, von Rechtsüberzeugung getragene Übung in einer Rechtsgemeinschaft durch die in dieser lebenden Individuen hervorgebracht wird. Gewohnheitsrecht spielt eine Rolle, wo eine zentralisierte und staatlich garantierte Rechtserzeugung nicht oder noch nicht zur Wirksamkeit gelangt ist, wie besonders in älteren Kulturstufen vor Ausbildung der neuzeitlichen europäischen Staaten. Dadurch, dass Gewohnheitsrecht aufgezeichnet wird, etwa in einem Rechtsbuch wie dem Sachsenspiegel, oder einer “Anerkennung” durch die Gerichte bedarf wie im englischen Common Law, verliert es seine besondere Eigenschaft als “ungeschriebenes” Recht nicht.  Im Völkerrecht, das weitgehend ohne eine institutionalisierte (staatlich bestimmte) Rechtserzeugung auskommen muss, sind Vertrag und Gewohnheitsrecht die wesentlichen Rechtsquellen. Im Strafrecht spielt Gewohnheitsrecht heutzutage aufgrund des strengen Gesetzlichkeitsprinzips (= “kein Verbrechen ohne Gesetz” und “keine Strafe ohne Gesetz”) keine Rolle mehr. Wobei man mit guten Gründen fragen kann, wem das Gesetzlichkeitsprinzip mehr genützt hat und nützt, dem Individuum oder dem Staat und seinen Machteliten, die damit das Strafrecht für sich monopolisiert haben und auf dieser Grundlage die Strafbarkeit des Verhaltens von Individuen nach Gutdünken und uferlos gegen jedes Rechtsempfinden ausweiten können.

Wie kann man sich das Entstehen von Gewohnheitsrecht konkret vorstellen? Im Privatrecht gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit = Privatautonomie und ist ein vorgegebener, selbstverständlicher Grundsatz des Privatrechts. Die Vertragsfreiheit beinhaltet zwei Aspekte: die sogenannte Abschlussfreiheit und die inhaltliche Gestaltungsfreiheit. Die Parteien eines Vertrages können ihre Verhältnisse inhaltlich frei regeln, soweit dies nicht gegen gesetzliche Verbote oder gegen die guten Sitten verstösst und auch keine zwingenden Gesetzesbestimmungen entgegenstehen. Also können die Vertragspartner in ihrem Vertrag von gesetzlichen Bestimmungen abweichen und auch Gesetzeslücken durch eigene Vorschriften schliessen, sozusagen eigenes Recht durch eigene Regeln schaffen. Das tun sie in der Auffassung, sich gerecht, fair und moralisch richtig zu verhalten. Weitet sich diese Vertragspraxis nach und nach auf andere Vertragsparteien per Vorbildcharakter aus, bis es in dem bestimmten Verkehrskreis (Land, Stadt, Kaufleute, Handwerker usw.) gar nicht mehr ausdrücklich vereinbart wird, sondern als geltendes Recht angesehen und längere Zeit allgemein geübt wird, liegt von den betroffenen Individuen selbst geschaffenes Recht = Gewohnheitsrecht vor. Und das ist allemal besser als jedes vom Staat erlassene Gesetz. Gewohnheitsrecht braucht lange Zeit zum Entstehen. Das ist jedoch kein Grund, mit der Grundsteinlegung für neues Gewohnheitsrecht erst gar nicht zu beginnen, sondern eher, damit sofort anzufangen, damit dann wenigstens die Nachkommen etwas davon haben.

3. Schiedsgerichtsbarkeit

Gesetzliche oder durch Gewohnheitsrecht begründete Rechte setzen sich nicht von selbst, automatisch durch. Sie müssen vielmehr vom Rechtsinhaber geltend gemacht = eingeklagt werden. Das geschieht üblicherweise dadurch, das man das zuständige staatliche Gericht (z.B. Amtsgericht, Landgericht) anruft, das den Gegner verurteilen soll, das Recht zu beachten und den sich daraus ergebenden Anspruch zu erfüllen. So weit so gut! Für Anhänger einer freien Marktwirtschaft sollte es jedoch eigentlich offensichtlich sein, dass ein staatliches Gerichtssystem mit gesetzlich verankertem Monopol keinesfalls so gute Dienstleistungen erbringen kann wie eine marktwirtschaftliche Gerichtsorganisation, die sich um ihre Kunden bemühen muss.

Diese marktwirtschaftliche Gerichtsorganisation, die man anstelle der staatlichen anrufen kann, gibt es bereits; sie muss nicht erst erfunden werden. Sie heisst Schiedsgericht und steht jedem offen. Das Schiedsgericht hat, ebenso wie ein staatlicher Richter, durch Urteil über einen Rechtsstreit zu entscheiden. Der Unterschied zur staatlichen Gerichtsbarkeit besteht allein darin, dass sich seine Entscheidungsbefugnis aus der Privatautonomie der Parteien ableitet und nicht aus der staatlichen Gewalt. Schiedsgerichtsbarkeit ist daher private Rechtsprechung.

Die Schiedsgerichtsbarkeit ist keine Erfindung der Neuzeit, sondern so alt wie die Menscheitsgeschichte. Denn schon vor der Entstehung des ersten Staates gab es Schlichtungsbedarf. Wann genau die Schiedsgerichtsbarkeit aufkam, ist allerdings schwer zu belegen. Jedenfalls wurde bereits im klassischen Griechenland zwischen streitenden Parteien ein Vertrag – Symbolon – zur Streitentscheidung durch ein Schiedsgericht geschlossen. Die Schiedsrichter bestimmten Zeit und Ort der Verhandlung, die Parteien sandten ihre Beauftragten – syndikoi – und verpflichteten sich eidlich zur Befolgung des Spruches.

Die marktwirtschaftliche Schiedsgerichtsorganisation bietet mehrere Vorteile gegenüber den staatlichen Gerichten. Nicht nur muss sie sich um ihre Kunden bemühen und im Interesse ihres eigenen Überlebens eine möglichst gute Dienstleistung erbringen. Sondern es kommt hinzu, dass die vorhandene Vielzahl solcher Schiedsorganisationen die Spezialisierung fördert, so dass streitende Parteien in einem spezialisierten Fach- und Rechtsgebiet genau diejenigen Experten als Schiedsrichter wählen können, die sich in diesem Gebiet besonders gut auskennen, anstatt gezwungen zu sein, sich staatlichen Richtern zu unterwerfen, die sich in der in Frage stehenden Materie kaum oder gar nicht auskennen. Ausserdem ist vorteilhaft in Bezug auf Schiedsgerichte, dass die Marktkräfte auch ihren segensreichen Einfluss hinsichtlich der Unparteilichkeit der Schiedsrichter entfalten. Ein staatlicher Richter ist immer geneigt, parteiisch zu sein, zugunsten der Regierung bzw. des Staates, von dem er bezahlt wird und dem er seine Macht verdankt. Ganz anders dagegen ein Schiedsrichter, der seine Dienste auf einem freien Markt anbietet und weiss, dass er peinlichst ehrlich, fair und so unparteiisch wie möglich handeln muss, wenn er auch in Zukunft als Schiedsrichter arbeiten möchte. Eines marktwirtschaftlichen Schiedsrichters Existenz hängt von seinen Fähigkeiten und seiner Anständigkeit bei der Streitschlichtung ab. Ein staatlicher Richter demgegenüber braucht sich zum Überleben in seinem Amt nur nach staatlich-bürokratischem Einfluss zu richten.

Aber, halten dem Schiedsgerichtsverfahren die Befürworter von Staatsgewalt gerne entgegen, es muss eine gesetzlich eingerichtete Behörde geben, die die Streitenden zwingen kann, sich auf eine Streitentscheidung einzulassen und der Entscheidung des Gerichts Folge zu leisten. Darauf ist zu erwidern, dass es zwar zutrifft, dass das ganze Streitbeilegungsverfahren sinnlos wäre, wenn eine der Parteien oder beide die Streitbeilegung ignorieren oder die Entscheidung der Schiedsrichter missachten könnten. Aber daraus folgt nicht, dass dafür eine Organisation mit staatlichem Gewaltmonopol unumgänglich wäre. Das Prinzip vernünftigen Eigeninteresses, auf dem das System des freien Marktes beruht, kann dieses Ergebnis sehr effektiv erzielen. Gerade mithilfe der heutigen Informationstechnologie wäre es kein Problem, jeden Marktteilnehmer über solche Personen zu informieren, die sich nicht an Verträge halten oder anderen Personen ausservertraglich Schaden zufügen und sich dann nicht auf eine Streibeilegung durch Schiedsgerichte einlassen oder sich an das dort entschiedene Ergebnis nicht halten. Und eine derartige Information würde auf einem freien Markt, in dem der gute Ruf das wichtigste Kapital ist, rasche Wirkung zeitigen. Die bereits heute recht gut funktionierende, aber noch begrenzt eingesetzte Technik der Kreditauskunft (z. B. Bürgel, Creditreform, Schufa, Schuldnerregister usw.) zeigt dies anschaulich.

Die nationale und internationale Schiedsgerichtsbarkeit gewinnt seit Jahren an Bedeutung. In zunehmendem Maße werden Streitigkeiten im Bereich des nationalen und internationalen Wirtschaftsverkehrs der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen und durch Schiedsgerichte entschieden. Auf internationalem Gebiet herrscht ein regelrechter Wettbewerb um den Austragungsort für internationale Schiedsverfahren. Dabei ist vor allem zu beobachten, dass Auseinandersetzungen mit höheren und hohen Streitwerten durch Schiedsgerichte entschieden werden. Offensichtlich wissen gerade die erfahrenen Marktteilnehmer – gut situierte Kaufleute und Großunternehmen, bei denen es um besonders viel geht, wo sie besser aufgehoben sind, nämlich in der privaten Rechtsprechung statt der staatlichen.

Schiedsgerichte gibt es in zwei Erscheinungsformen: ad-hoc Schiedsgerichte und institutionelle Schiedsgerichte.

Das ad-hoc Schiedsgericht wird für einen konkreten Einzelfall eingerichtet. Die Entscheidung dieses Einzelfalles wird einem oder mehreren nur für diesen Fall bestellten Schiedsrichtern von den Parteien übertragen. Es ist die älteste Form der Gerichtsbarkeit überhaupt. Zu einer Zeit, als staatliche Gerichte noch nicht existierten, wurden Streitfälle bereits durch einen Schiedsrichter entschieden. In dem Verfahren vor den ad-hoc Schiedsgerichten sind die Parteien auch bezüglich der Verfahrensordnung Herr des Verfahrens und können im einzelnen bestimmen, wie das Verfahren abläuft.

Institutionelle Schiedsgerichte sind “vorfabrizierte” Schiedsgerichte in dem Sinne, dass sie bereits existent sind, den Parteien eine Organisation für die Durchführung des Schiedsverfahrens zur Verfügung stellen, die Bestellung der Schiedsrichter, ihr Rechtsverhältnis zu den Parteien, insbesondere im Hinblick auf die Honorierung, regeln und in einer Schiedsordnung die Grundzüge des Verfahrens bestimmen. Die Geltung der Schiedsordnung der Organisation muss zwischen den streitenden Parteien allerdings ausdrücklich vereinbart werden.

Um einen Streit statt vor einem staatlichen Gericht vor einem privaten Schiedsgericht austragen zu können, bedarf es einer schriftlichen Schiedsvereinbarung. Bestehen zwischen den Parteien vertragliche Beziehungen, so reicht dafür eine vorsorglich bei Vertragsabschluss in den Vertrag aufgenommene, recht einfach gehaltene Klausel, etwa des Inhalts: “Alle Streitigkeiten zwischen den Parteien aus diesem Vertrag sollen unter Ausschluss der ordentlichen Gerichte durch ein Schiedsgericht entschieden werden.” Eine solche Schiedsvereinbarung kann allerdings problemlos auch nach Vertragsabschluss im Hinblick auf das Aufkommen des Streits über den Vertrag geschlossen werden. Fraglich ist nur, ob der Vertragspartner sich dann noch darauf einlassen will oder vielmehr darauf spekuliert, dass ihm ein Verfahren vor den staatlichen Gerichten, aus welchen Gründen auch immer, nützlicher sein könnte.

Bestehen zwischen den Parteien keine vertraglichen Beziehungen, handelt es sich also um eine ausservertragliche Streitigkeit (z.B. Nachbarrecht, Schadensersatzrecht, Urheberrecht usw.), muss aus Anlass der Streitigkeit gesondert eine Schiedsvereinbarung getroffen werden. Der Streitgegner muss auf dieses Ansinnen natürlich nicht eingehen, sondern kann darauf bestehen, dass staatliche Gerichte den Fall entscheiden sollen, aber man kann immerhin versuchen, ihn von den Vorteilen eines Schiedsgerichtsverfahrens zu überzeugen.

Von der Schiedsvereinbarung zu unterscheiden ist die Vereinbarung über das schiedsrichterliche Verfahren. Darin legen die Parteien die Einzelheiten des Schiedsverfahrens fest, wieviele Schiedsrichter bestellt werden, wie dies geschieht, welche Vorschriften auf den Streitfall angewendet werden sollen (z.B. deutsches Recht oder englisches Recht), in welcher Sprache die Verhandlung geführt wird, Ort des Verfahrens, Kosten des Schiedsgerichts, Förmlichkeiten des Verfahrens, Sachverhaltsermittlung usw. Die Zahl der Schiedsrichter kann von den Parteien selbst bestimmt werden (in der Regel ein einzelner oder drei Schiedsrichter). Neben der Zahl der Schiedsrichter ist auch die Art und Weise der Ernennung derselben meist Bestandteil des Vertrages zwischen den Parteien. Bei einem sogenannten Dreierschiedsgericht benennt normalerweise jede Partei einen Schiedsrichter, die sich dann ihrerseits auf einen Vorsitzenden verständigen; dieser wird Schiedsobmann oder einfach Obmann genannt. Kommt eine Einigung nicht zustande, so wird der Obmann häufig von einer Ernennungstelle bestimmt. Auch die parteiernannten Schiedsrichter müssen unabhängig sein. Des weiteren können die Parteien z.B. einen Schiedsgerichts-Instanzenzug vereinbaren, so dass also das erstinstanzliche Schiedsurteil vor einem weiteren Schiedsgericht angefochten werden kann. Das gesamte Schiedsverfahren unterliegt also so gut wie vollständig der Privatautonomie und nicht staatlichem Zwang. Man selbst bestimmt den Ablauf des Verfahrens und nicht der Staat.

Einer Entscheidung im Schiedsgerichtsverfahren können mit wenigen Ausnahmen (z.B. Mietverträge über Wohnraum, Ehe- und Kindschaftssachen, Sorgerechts-, Betreuungs- und Pflegschaftssachen) so gut wie alle Ansprüche zugeführt werden. Es gibt also keinen Grund, bei den Geschäften des täglichen Lebens vor einer Inanspruchnahme von Schiedsgerichten zurückzuschrecken.

Auch die Durchsetzung = Vollstreckung von Schiedsgerichtsurteilen ist nicht schwieriger als heutzutage die Vollstreckung der Urteile staatlicher Gerichte. Auf Antrag wird ein inländisches Schiedsgerichtsurteil von einem staatlichen Oberlandesgericht für vollstreckbar erklärt. Und danach läuft die Zwangsvollstreckung genauso ab wie bei Urteilen staatlicher Gerichte. Jeder, der schon einmal mit der Zwangsvollstreckung aus Urteilen in Deutschland zu tun hatte, weiß, wie mühsam das Geschäft ist. Einen halbwegs clevereren und nicht zahlungswilligen Schuldner bekommt man so gut wie nicht zu fassen. Insofern bieten Urteile staatlicher Gerichte also keinerlei Vorteile im Vergleich zu Schiedsgerichtsurteilen. Allerdings kann auch hier der freie Markt (“guter Ruf”, “Informationstechnologie”) segensreiche Wirkung entfalten.

Die Vorteile privater Schiedsgerichtsbarkeit sind gerade aus libertärer Sicht erheblich, gehen aber noch über die Freiheit von staatlicher Rechtsprechung hinaus:

  • Das Schiedsgerichtsverfahren bietet, auch wenn man mehrere Schiedsgerichts-Instanzenzüge vereinbart, eine gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit erzielbare erhebliche Verfahrensbeschleunigung. Ein komplexeres Verfahren, das vor einem erstinstanzlichen staatlichen Gericht leicht 2 – 3 Jahre dauern kann, wird von einem Schiedsgericht ohne weiteres in maximal 1 Jahr erledigt.
  • Bei Verfahren mit großem Streitwert können die Kosten des Schiedsgerichts niedriger sein als diejenigen eines staatlichen Gerichts.
  • Das Verfahren vor dem Schiedsgericht kann flexibler auf die Wünsche der Parteien zugeschnitten werden, zum Beispiel was den Verhandlungsort und die Verhandlungssprache angeht.
  • Schiedsverfahren sind im Gegensatz zu Gerichtsverhandlungen in der Regel nicht-öffentlich; zudem kann die Vertraulichkeit des Verfahrens vereinbart werden.
  • Die Parteien können Schiedsrichter bestimmen, die zum Beispiel besondere rechtliche oder technische Expertisen einbringen.
  • Das Verfahrensrecht lässt sich an die Eigenheiten des zugrundeliegenden „Hauptvertrags“ anpassen und reagiert nach dem Grundsatz der Parteiautonomie flexibel auf Änderungswünsche der Parteien.

Bei Streitigkeiten zwischen Parteien aus verschiedenen Ländern kommen weitere Vorteile hinzu:

  • Das Schiedsgericht kann als neutrales Forum dienen, das keiner der Parteien einen „Heimvorteil“ bietet.
  • Durch das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche lässt sich ein Schiedsspruch in der Regel leichter im Ausland vollstrecken als das Urteil eines staatlichen Gerichts.

Aus der Informalität und dem Ziel schneller Streitentscheidung können sich allerdings auch Nachteile ergeben:

  • Mit einer Schiedsabrede verzichten die Parteien größtenteils auf ihr rechtliches Gehör vor staatlichen Gerichten, was aber gerade aus libertärer Sicht in Kenntnis der Natur des Staates nicht unbedingt ein Nachteil ist.
  • Der kurze Instanzenweg erhöht die Gefahr von nicht korrigierbaren Fehlentscheidungen. Dem kann man jedoch gegensteuern, indem man auch für das Schiedsgericht einen Instanzenzug vereinbart.
  • Je nach Einzelfall können die Kosten des Verfahrens höher ausfallen als vor staatlichen Gerichten. Dafür erhält man jedoch eine qualitativ durchweg bessere Leistung.
  • Die Unabhängigkeit der Schiedsrichter ist nicht immer gewährleistet. Aber das führt natürlich geradewegs zu der Frage, wie es denn um die Arbeitswilligkeit, Kompetenz und Unabhängigkeit der staatlichen Richter bestellt ist.

4. Zusammenfassung

Auch wenn die Entstehung von Gewohnheitsrecht Zeit braucht, sie ist doch eine Möglichkeit, das Gesetzgebungsmonopol des Staates wenigstens in einem kleinen Bereich auszuhebeln. Deshalb sollte jeder, der an mehr Freiheit interessiert ist und nicht mit einer revolutionären Abschaffung des Staates und der Bildung von Schnell-Gewohnheitsrecht rechnet, bald damit beginnen, neue gewohnheitsrechtliche Grundlagen zu schaffen, auch wenn wir zu unseren Lebenszeiten davon nichts mehr haben werden. Unsere Kinder und Enkel werden es uns jedenfalls danken.

Und wir können sofort – heute schon – damit beginnen, das Rechtsprechungsmonopol des Staates weitgehend wirkungslos werden zu lassen, indem wir in jedem nur möglichen Fall, auch bei Geschäften des täglichen Lebens, private Schiedsgerichtsbarkeit vereinbaren. Es ist so einfach und leicht zu bewerkstelligen, durch bloße Schiedsklausel in einem Vertrag oder, falls sie darin fehlte, durch nachträgliche Schiedsvereinbarung. Irgendwann muss man aufhören, immer nur große Freiheitsentwürfe in den blauen Himmel zu malen, sondern statt dessen in der Realität damit anfangen, sich durch kleine Schritte mehr Freiheit vom verbrecherischen Staat zu erkämpfen. Wenn man mit gutem Beispiel vorangeht, ziehen immer mehr Individuen nach, bis das staatliche Zwangssystem in die Bedeutungslosigkeit kippt.

Foto Startseite: © Oleg Golovnev – Fotolia.com

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Ferdinand A. Hoischen ist Jurist (Studium an der Universität Bonn) und war bis 1997 als Anwalt in Düsseldorf tätig. Seit 1997 wohnt er mit seiner Familie in Vetlanda/Schweden und ist im Wirtschafts- und Zivilrecht beratend tätig.

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