Das Ende der Universität | MISES Interview

7. Juni 2024 – Thorsten Polleit interviewt Alexander Ulfig

Alexander Ulfig

Thorsten Polleit (TP): Sehr geehrter Herr Dr. Ulfig, der Sammelband, den Sie jüngst herausgegeben haben, trägt den Titel „Das Ende der Universität. Niedergang und mögliche Erneuerung einer europäischen Institution“(*). Eine Überschrift wie ein Donnerhall! Bevor wir über mögliche Erneuerung sprechen, gestatten Sie mir zunächst eine Frage zum Niedergang, zum Ende der Universität. Woran machen Sie den Niedergang der deutschen Universitäten fest, und ist es wirklich schon das Ende?

Alexander Ulfig (AU): Es gibt einige Faktoren, die das „Ende der Universität“ bewirkt haben. Zunächst ist es die Politisierung von Lehre und Forschung. Seit den 90er Jahren hat sich an den Universitäten eine Agenda ausgebreitet, die als „woke Identitätspolitik“ bezeichnet werden kann. Unter dem Vorwand des Kampfes für die Rechte von als diskriminiert bezeichneten Minderheiten soll die ganze Gesellschaft verändert werden. Die Vertreter dieser Agenda haben die Deutungshoheit in weiten Teilen der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, insbesondere in den Gender Studies, Queer Studies und Postcolonial Studies, erlangt. Mittlerweile haben sie auch in den Naturwissenschaften, vorwiegend in der Biologie, an Einfluss gewonnen und darüber hinaus wichtige Themenfelder wie Klimawandel und Migration besetzt. Wissenschaftler, die der woken Identitätspolitik widersprechen, werden angefeindet, diffamiert und verfemt, und zwar mit dem Ziel, sie aus der Wissenschaft auszuschließen. Dadurch wird die Wissenschaftsfreiheit, das heißt die Freiheit von Lehre und Forschung, massiv eingeschränkt. Die sogenannte Cancel Culture, die Kultur oder auch Unkultur des Ausschließens, breitet sich an den Universitäten immer mehr aus. Die Folge ist eine Atmosphäre der Angst, des Misstrauens und der Denunziation. Wissenschaftler trauen sich nicht mehr, ihre Meinungen öffentlich zu äußern. Sie halten sich mit ihrer Meinung zurück und schränken sich dadurch in Lehre und Forschung ein.

Es gibt noch weitere Faktoren, die das „Ende der Universität“ herbeigeführt haben und die in unserem Sammelband behandelt werden. Es ist die Auflösung des humboldtschen Bildungsideals: Das universitäre Studium dient nur der Fachausbildung und nicht – wie es Wilhelm von Humboldt beabsichtigte – der umfassenden Bildung des Individuums. Ferner wird das Prinzip der Bestenauslese, wonach die Bestqualifizierten wissenschaftliche Stellen erhalten sollten, zunehmend durch das Proporzprinzip ersetzt: Es soll eine Repräsentanz von sozialen Gruppen, ausgewählt nach Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Orientierung und dergleichen, gewährleistet werden. Das ist ein Resultat der oben erwähnten woken Identitätspolitik. Schließlich sind es die Folgen der Bologna-Reform, wie Ökonomisierung, Bürokratisierung, Digitalisierung und Modularisierung, die die Universitäten und auch das studentische Leben bis zur Unkenntlichkeit verändert haben.

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TP: Lassen Sie mich sagen, dass das, was sie als Niedergang und Ende der Universität einordnen, aus libertärer Sicht alles andere als überraschend ist. Wenn der Staat (wie wir ihn heute kennen) sich erst einmal in die Bildung der Menschen einmischt, dann ist absehbar, was passiert: Lehre und Forschung werden politisiert, werden angepasst an das, was diejenigen, die die staatliche Herrschaftsmacht innehaben, wünschen. Müssten nicht alle, die Niedergang und Ende der Universität beklagen, diese Sichtweise zumindest zur Kenntnis nehmen?

AU: In Deutschland werden die Universitäten und generell die höhere Bildung fast ausschließlich vom Staat finanziert. Der Staat ist zwar dazu gesetzlich verpflichtet, die Wissenschaftsfreiheit und die Autonomie der Universität zu wahren oder sogar zu schützen, doch über die Finanzierung kann er stark in universitäre Lehre und Forschung ingerieren. Wissenschaftliche Vorhaben, die bestimmten politischen Agenden widersprechen, werden vom Staat schlicht und einfach nicht finanziert. Auf wissenschaftliche Vorhaben, die diese Agenden bejahen, wartet hingegen ein Geldsegen. So gibt es zurzeit an keiner deutschen Universität ein Projekt, das sich kritisch mit der herrschenden Vorstellung vom Klimawandel befassen würde.

Der Einfluss des Staates auf die Universitäten wird in unserem Sammelband unter anderem anhand der Politik des Gender-Mainstreamings, die in Deutschland auch als Gleichstellungspolitik bezeichnet wird, geschildert. Um diese vom Staat forcierte Politik an den Universitäten durchzusetzen, wurde ein bürokratisches System von Gleichstellungsbeauftragten, Gleichstellungsbüros, Frauenförderprogrammen und -netzwerken, Controlling-Mechanismen und so weiter etabliert. Gleichstellungsbeauftragte, die sich vielerorts in Diversity-Beauftragte umbenannt haben, verfolgen vom Staat verordnete politische Vorgaben. Sie haben weitreichende Befugnisse. Sie nehmen beispielsweise an allen universitären Einstellungsverfahren teil, zum Beispiel Berufungsverfahren, und können den Ausgang solcher Verfahren stark beeinflussen.

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TP: Wenn ich mir das so anhöre, dann denke ich mir: Kann man das überhaupt noch reformieren, entpolitisieren, zur Vernunft zurückbringen? Ich habe dazu zwar eine persönliche dezidierte Meinung, dazu aber würde es unsere Leser und mich natürlich viel mehr interessieren, was Sie vorschlagen. In Ihrem Buchtitel ist ja von Erneuerung die Rede. Also was haben Sie im Sinn?

AU: Man muss diesbezüglich zwischen der argumentativen und der institutionellen Ebene unterscheiden. Auf der argumentativen Ebene sollte meines Erachtens das „Ethos der Wissenschaft“, wie ich es nenne, stark gemacht werden. Dazu gehört erstens die strenge Trennung zwischen der Person des Wissenschaftlers und seinen Argumenten. Ad-Personam-Äußerungen haben in der Wissenschaft nichts zu suchen, nur die Argumente sollten zählen. Alleine die Einhaltung dieser Trennung würde schon eine gewisse Entpolitisierung und mehr Vernunft mit sich bringen. Darüber hinaus sollten fundamentale Werte der Wissenschaft wie weltanschauliche Neutralität, Unparteilichkeit, Objektivität, Wahrheit und Ergebnisoffenheit in Erinnerung gerufen und hochgehalten werden. Von besonderer Bedeutung ist ferner der Kampf für die Wissenschaftsfreiheit. Wissenschaftler müssen den Mut aufbringen, sich für dieses Ideal ohne Wenn und Aber einzusetzen. 2020 ist das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ entstanden, das Fälle von Cancel Culture bekannt macht und gegen sie vorgeht. Nicht zuletzt sollte wieder die wissenschaftliche Qualifikation zum alleinigen Kriterium bei der Stellenvergabe werden. Orientiert man sich ausschließlich an der Qualifikation von Bewerbern, verlieren ideologische und politische Faktoren wie Gender, Hautfarbe, sexuelle Orientierung und dergleichen an Bedeutung.

Auf der institutionellen Ebene könnten vom Staat unabhängige Institute und Akademien entstehen. Ansätze dazu gibt es bereits in Deutschland. In der vor einigen Jahren gegründeten „Akademie der Denker“ halten unabhängige, in vielen Fällen von der Cancel Culture betroffene Wissenschaftler Vorlesungen und Seminare. Unabhängige Institute und Akademien/Universitäten haben in Deutschland wie auch in anderen westlichen Ländern mit vielen Problemen wie mit ihrer Finanzierung und der Anerkennung ihrer Abschlüsse zu kämpfen. Trotzdem sehe ich derzeit in der Etablierung einer vom Staat unabhängigen Bildung und Forschung den richtigen Weg.

TP: Gerade Ihre Gedanken zur Entstaatlichung der Bildung finden aus libertärer Sicht natürlich große Zustimmung. Gleichzeitig wird der Widerstand dagegen vermutlich groß sein – von denen, die vom Status quo profitieren (beamtete Lehrbeauftragte etcetera), aber auch der Staats- und Politikapparat, für den der Aufenthalt junger Menschen in schulischen und universitären Einrichtungen (auch) ein Erziehungsinstrument ist. Auch müssen die, die nach Bildung streben, das Grundproblem des Status quo erkennen und bereit sein, sich umzuorientieren, private Bildungsstätten nachzufragen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die die Entstaatlichung der Bildung beschleunigen würden?

AU: Das Internet bietet viele Möglichkeiten, sich unabhängig zu bilden. Es gibt mittlerweile unzählige deutsche und ausländische, meist englischsprachige Internet-Plattformen, die Wissen aller Art vermitteln. Das reicht von technischer bis hin zu musikalischer Ausbildung. Das Internet ist heutzutage der wichtigste Ort für unabhängige Bildung und für den freien Gedankenaustausch. Das gilt übrigens auch für die sogenannten alternativen Medien, die hauptsächlich im Internet agieren und einen unabhängigen und freien Gedanken- und Informationsaustausch ermöglichen. Ich würde mich aber nicht gänzlich auf das Internet verlassen, denn Internet-Seiten oder gar Teile des Internets können vom Staat gecancelt werden. Deshalb ist es wichtig, außerhalb des Internets unabhängige Institute und Akademien zu gründen, in denen Wissenschaftler und Studenten sozusagen real kommunizieren würden. Dieses Thema wird von unserem Autor David Engels behandelt, der auch auf die oben bereits erwähnten Schwierigkeiten solcher Neugründungen (Finanzierung und Anerkennung der Abschlüsse) verweist.

Das Internet ist heutzutage der wichtigste Ort für unabhängige Bildung und für den freien Gedankenaustausch.

Ein wichtiges Thema und auch ein Faktor für das „Ende der Universität“ sind in diesem Kontext die Folgen des sinkenden Niveaus der universitären Ausbildung. Immer mehr Firmen verlassen sich nicht mehr auf Universitätsabschlüsse, sondern übernehmen selbst die Ausbildung ihrer zukünftigen Mitarbeiter. Auch die Forschung wird zunehmend in Firmen wie Siemens, BASF, Google oder BioNTech verlegt. Doch bedeutet das eine größere Unabhängigkeit vom Staat? Das würde ich bezweifeln, denn auch Firmen folgen staatlichen Vorgaben, besser: dem woken Zeitgeist. Sie stellen ihre Mitarbeiter immer seltener nach dem Prinzip der Bestenauslese ein, sondern nach dem Proporzprinzip. Ein Beispiel dafür ist die 2016 eingeführte gesetzliche Frauenquote. Sie widerspricht nicht nur dem Prinzip der Bestenauslese, sondern auch der unternehmerischen Freiheit. Auch mit der bereits 2006 veröffentlichten „Charta der Vielfalt“, einer Initiative zur „Förderung von Vielfalt“, die bisher 5.500 Unternehmen und Institutionen unterzeichnet haben, wird die Unabhängigkeit der Wirtschaft und der von der Wirtschaft geförderten Forschung immer mehr untergraben.

TP: Vielen Dank Herr Dr. Ulfig für das Interview! Ich bin sicher, dass Ihr neues Buch mit den vielen aufschlussreichen Beiträgen der Autoren auf sehr großes Interesse stoßen wird, dass es einen Beitrag dazu leisten wird, den staatlichen Bildungsprozess zusehends kritisch zu hinterfragen und vor allem auch die Menschen ermutigen wird, nach besseren Lösungen – jenseits des Staates und seiner Institutionen – zu suchen.

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Dr. Alexander Ulfig arbeitet als freier Autor und freier Wissenschaftler. Wichtigste Veröffentlichungen: Wege aus der Beliebigkeit. Alternativen zu Nihilismus, Postmoderne und Gender-Mainstreaming (2016) (*); Die Quotenfalle. Warum Genderpolitik in die Irre führt (Hrsg.) (2017) (*); Gender Studies – Wissenschaft oder Ideologie? (Hrsg.) (2019) (*); Das bedrohte Vermächtnis der europäischen Aufklärung. Wege aus der gegenwärtigen Krise (2021) (*); Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Wie die Cancel Culture den Fortschritt bedroht und was wir alle für eine freie Debattenkultur tun können (Hrsg.) (2022) (*); Das Ende der Universität. Niedergang und mögliche Erneuerung einer europäischen Institution (Hrsg.) (2024) (*).

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Einen Auszug (Umschlag, Inhaltsverzeichnis und Vorwort) des Buches können Sie HIER herunterladen.

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Weiterführende Podcasts / Videos zu diesem Themenkreis:

„Das bedrohte Vermächtnis der europäischen Aufklärung“ (YouTube, Interview mit Alexander Ulfig)

„Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“ (YouTube, Interview mit Alexander Ulfig)

Das Ende der Universität“ (Kontrafunk, Marcel Joppa im Gespräch mit Alexander Ulfig, Klaus-Rüdiger Mai und Christian Klar )

Zensur in Bibliotheken“ (YouTube, Interview mit Uwe Jochum)

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

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