Das Problem falscher Systemanreize im Berufspolitiker- und Wohlfahrtsstaat

6. Februar 2023 – von Andreas Tögel

Andreas Tögel

Die Anreiz-Beitrags-Theorie

Die Anreiz-Beitrags-Theorie beschäftigt sich mit Fragen der Arbeitsmotivation und bildet einen wichtigen Bestandteil der Organisationstheorie. Jedes Individuum, gleich wie gebildet und in welcher Position, reagiert auf gebotene Anreize. Beispielsweise liefert die Demokratie dem Politfunktionär den entscheidenden Handlungsantrieb in Form der Wiederwahl. Was zählt, ist der Erfolg im Kampf um ein steuerfinanziertes Mandat. Mancher ist geneigt, jedes noch so hanebüchene und / oder uneinlösbare Versprechen abzugeben, um sein Amt zu behalten. Und da der Politikerberuf nicht mit persönlichen Haftungsrisiken verbunden ist, übt dieser eine besondere Anziehungskraft auf bestimmte Personen aus, die nicht bestrebt sind, anderen Menschen im freiwilligen Austausch Nutzen zu stiften, sondern Handlungen und Leistungen anderer staatlich zu erzwingen, insbesondere und auch für sich selbst, wie es der Ökonom und führende libertäre Denker Hans-Hermann Hoppe bereits ausführlich analysierte.

„Skin in the Game“

Wie ein Blick in Parlamente und auf Regierungsbänke beweist, ist die vom libanesischen Mathematiker und Erfolgsautor Nassim Taleb („Black Swan“) festgestellte Abwesenheit von „Skin in the Game“ der Hauptgrund für die überwiegende Zahl der dort Anwesenden, sich politisch zu betätigen – neben der für bürgerliche Berufe und wertschöpfende Arbeit meist fehlenden Motivation und/oder eines weitgehenden Mangels an fachlicher und/oder charakterlicher Eignung. Viele Politiker können mittels ihres Mandats deutlich höhere Einkommen erzielen, als sie das in der Privatwirtschaft könnten. Selbst die unbedeutendsten Hinterbänkler ohne abgeschlossene Ausbildung dürfen sich über Bezüge freuen, die in der Privatwirtschaft leitenden Angestellten, erfolgreichen Unternehmern und Freiberuflern vorbehalten sind – ohne allerdings deren Verantwortung oder Geschäftsrisiken tragen zu müssen. Den oft und gerne zitierten „kleinen Mann von der Straße“ repräsentieren sie so nicht. Wirtschaftlich erfolgreiche Menschen schon gar nicht. Die Tatsache, dass Personen ohne jede fachliche Qualifikation und/oder Berufsausbildung in politische Spitzenämter aufsteigen, ja sogar Minister oder gar Regierungschefs werden können, sagt einiges über die Leistungen aus, die von ihnen erwartet werden können.

Viele Politiker können mittels ihres Mandats deutlich höhere Einkommen erzielen, als sie das in der Privatwirtschaft könnten. Selbst die unbedeutendsten Hinterbänkler ohne abgeschlossene Ausbildung dürfen sich über Bezüge freuen, die in der Privatwirtschaft leitenden Angestellten, erfolgreichen Unternehmern und Freiberuflern vorbehalten sind …

Fehlender Anreiz für Interessen der Betroffenen

Die von den Mitgliedern der politischen Klasse vorgeblich vertretenen Menschen interessieren sie – vom Anreiz her betrachtet – nur insofern, als diese dazu benötigt werden, die Mandatsträger im Amt zu bestätigen und ihre Pfründe zu sichern. Die politische Klasse pflegt über Parteigrenzen hinweg beste Beziehungen untereinander, sitzen doch alle im selben, steuerfinanzierten Boot. Das Desinteresse im Hinblick auf nicht mit dem Anreiz (Mandat) unmittelbar verbundene Anliegen der Bürger erscheint dabei umso größer, je weiter vom Bürger entfernt ihr Betätigungsfeld liegt, und es trifft demgemäß am stärksten auf die Angehörigen internationaler Körperschaften zu – wie etwa die Europäische Union. Was in Brüssel und Straßburg „gespielt wird“, zählt, nicht aber, was Otto Normalverbraucher „in der Provinz“ bewegt. Beispiele sind etwa die nach dem Alltagsverstand offenbar gegen die Interessen der Unionsbevölkerung betriebenen Klima-, Asyl-, und Energiepolitiken oder die auch die für die heimische Bevölkerung schädlichen wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland.

Zwar werden fallweise öffentlichkeitswirksame Debatten im europäischen Superparlament ausgetragen (Merke: je größer ein Gremium, desto geringer seine Entscheidungsstärke), in einem Punkt, dem entscheidenden Anreiz, aber herrscht Einigkeit: Man will sein Mandat behalten! Deshalb nimmt der Bürger mit Hausverstand den nach außen aufgeführten „Streit“ unter den politischen Funktionären nicht allzu ernst.

… der Bürger mit Hausverstand [nimmt] den nach außen aufgeführten „Streit“ unter den politischen Funktionären nicht allzu ernst.

In diesem Zusammenhang sind Max Webers in seinem 1919 gehaltenen Vortrag „Politik als Beruf“ niedergelegten Einsichten interessant. Vieles hat sich in den letzten 100 Jahren nämlich kaum geändert. Die für moderne Demokratien typische Figur des wirtschaftlich von seinem Mandat abhängigen Berufspolitikers bestimmt deren Entwicklung. Wenn die Polit-Eliten nichts anderes gelernt haben, als „Politik zu machen“, ist der Zielbahnhof eine Oligarchie der Berufsfunktionäre.

Keine besonderen beruflichen oder intellektuellen Qualifikationen erforderlich

Nach erfolgreichen Unternehmern, Managern, Naturwissenschaftlern, Freiberuflern oder nicht am Staatstropf hängenden Kreativen sucht man in den Parlamenten und an der Spitze von Ministerien weithin vergebens. Dort herrscht aschgraues Mittelmaß: Hauptberufliche Partei- und Kammerfunktionäre, Gewerkschafter, freigestellte Beamte, Studienabbrecher oder auch scheinbar narzisstisch veranlagte Persönlichkeiten, die sich nach dem Ende ihrer Berufskarriere mit einem politischen Amt schmücken wollen. Die Gefährlichsten von allen sind augenscheinlich die fanatischen Weltverbesser, die zur Verwirklichung ihrer Utopien auch vor dem Einsatz von Zwang und Gewalt nicht zurückschrecken. Für sie heiligt der Zweck die Mittel, und wenn das Ziel edel und gut ist, fallen die letzten Hemmungen.

„Wer den Menschen nicht zu dienen in der Lage ist, der will sie beherrschen“,

stellte der Ökonom und Sozialphilosoph Ludwig Mises fest. Je weiter sich die politische Landschaft nach links verschiebt – und das geschieht seit der 1968-Revolution und ihrem „Marsch durch die Institutionen“ mit zunehmender Dynamik –, umso eher scheint sich dies zu erfüllen.

Ohne Änderung der Anreiz-Beitrags-Beziehung keine Verbesserung

Um einen Ausweg aus dieser Misere zu finden, ist es unumgänglich, das bestehende, aus Sicht der Betroffenen falsche Anreize bietende System zu reformieren. Denn wenn es attraktiver ist, sein Einkommen nicht durch Arbeit, sondern mittels Umverteilung zu erzielen, wird ein immer größerer Teil der erwerbsfähigen Bürger das Angebot annehmen, auf Kosten Dritter ein müßiges Leben zu führen. Der springende Punkt ist: Wenn zwischen marginalen Erwerbs- und Transfereinkommen kaum Unterschiede bestehen, warum sollten sich die Betroffenen dann noch zum Arbeitsplatz bemühen? Liegt das Einkommen aus Sozialtransfers beispielsweise bei 1.100,- Euro monatlich und das Einkommen mittels geringqualifizierter Berufstätigkeit bei 1.200,-Euro, heißt das, dass für 100,- Euro monatlich 38,5 Stunde pro Woche gearbeitet werden muss. Nicht wenige werden auf diese wenig verlockende Aussicht dankend verzichten, manche gelegentlich „schwarz“ (= abgabenfrei) etwas dazuverdienen. Sie stellen sich damit besser als ein arbeitender Mitmensch. Das von der Linksregierung in Deutschland soeben eingeführte „Bürgergeld“ wird dieses Problem noch verstärken und ist ein Musterbeispiel für einen falsch gesetzten Anreiz. Deutschland wird – nicht nur, aber auch dadurch – erneut zum „kranken Mann Europas“, wie das „Handelsblatt“ ausführte.

Das von der Linksregierung in Deutschland soeben eingeführte „Bürgergeld“ wird dieses Problem noch verstärken und ist ein Musterbeispiel für einen falsch gesetzten Anreiz. Deutschland wird – nicht nur, aber auch dadurch – erneut zum „kranken Mann Europas“

Ist erst einmal der Punkt erreicht, an dem eine Mehrheit der Bürger ihr Leben aus steuerfinanzierten Transfers bestreitet, ist die Sache gelaufen. Vermeintlich „wohlerworbene Rechte“ wieder abzuschaffen, ist so gut wie unmöglich – zumindest dann, wenn man als Politiker wiedergewählt werden will. Der sozialdemokratische österreichische Kanzler Bruno Kreisky konstatierte einst zurecht: „Keiner lässt sich gerne etwas wegnehmen.“ „Soziale Besitzstände“ verfügen über einen „Sperrklinkeneffekt“, der ein Zurück unmöglich zu machen scheint.

Sobald mehr als die Hälfte der Bevölkerung eines Landes ihr Einkommen ganz oder teilweise vom Staat bezieht, ist eine Umkehr auf dem Weg in die Knechtschaft nicht mehr möglich.

Roland Baader (1940 – 2012)

Notwendig: Staatsschrumpfung und Politikerhaftung

Den Schlüssel zur Umkehr bildet die radikale Senkung der Staatsquote. Schließlich ist es die kaum beschränkte Verfügungsgewalt über das Geld der Untertanen, die es der Regierung ermöglicht, die Mehrzahl der Bürger zulasten der Leistungsträger zu korrumpieren.

Euroland befindet sich derzeit bei rund 50% Staatsquote. Dank Corona, „Green Deal“ und Energiezuschüssen im Gefolge der Sanktionspolitik gegen Russland und mit laufend steigender Tendenz. Um ein Staatswesen ausreichend zu dotieren, also Rechtsprechung und Sicherheit im Inneren und nach außen zu finanzieren, reichen indes 15 Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt) reichlich aus, wie deutlich wird, wenn man die entsprechenden Budgetpositionen analysiert. Alles was darüber hinausgeht, dient am Ende der Finanzierung falscher Anreize.

[Eine Staatsquote, die über 15 Prozent des BIP] hinausgeht, dient am Ende der Finanzierung falscher Anreize.

Da arbeitende Menschen inzwischen daran gewöhnt sind, mehr als die Hälfte ihres Einkommens an den Fiskus abzuliefern und sich gegen diese massive Enteignung keinerlei Widerstand formiert, wird es immer schwieriger, höhere Nettolöhne durchzusetzen. Für eine Beendigung der totalen Bevormundung durch den Gouvernanten-Staat ist das aber unabdingbar.

Genauso wichtig wie die Reduktion der Steuerlast ist die Einführung einer Politikerhaftung, wie auch immer sie juristisch einwandfrei gestaltet sein mag. Es ist nicht hinzunehmen, dass politische Entscheidungen getroffen werden, die das Eigentum und die Persönlichkeitsrechte der Bürger schmälern, ohne dass die dafür Verantwortlichen haftbar gemacht werden.

Die Einführung einer Politikerhaftung ist eine delikate Angelegenheit, die überlegt sein will. Meist sind es ja vielköpfige Gremien und nur selten einzelne Akteure, die weitreichende politische Entscheidungen treffen. Daher ist Augenmaß gefragt. Die Lösung dieses Problems ist indes ebenso entscheidend für die Richtung, in der sich die westlichen Gesellschaften entwickeln, wie die Begrenzung der Staatsquote.

An der Erkenntnis, dass verantwortliche Handlungen nur von Personen erwartet werden können, die dafür, um es mit den Worten Nassim Talebs auszudrücken, ihre Haut aufs Spiel setzen, ist nicht herumzukommen. Ob auch daran zu denken ist, neben den Gewählten auch die Wähler in die Pflicht zu nehmen und für ihre Wahlentscheidungen haftbar zu machen, ist eine rein theoretische, in der Praxis vermutlich unlösbare Frage. Das gilt besonders auf höherer politischer Ebene, wo die Bürger die von ihnen gewählten oder die von den politischen Parteien ernannten Funktionsträger nicht persönlich kennen.

Anreiz-Beitrags-Beziehungen könnten auch im Wahlrecht berücksichtig werden

Eine Möglichkeit, die Anreiz-Beitragsbeziehungen zu ändern, wäre beispielsweise auch eine Stimmgewichtung nach der für das Gemeinwesen erbrachten Steuerleistung: Ein „Zensuswahlrecht“, wie es in Deutschland und Österreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestanden hat. Das auf dem Markt herrschende Prinzip wer zahlt, schafft an, würde damit auf die Politik übertragen.

Wer in einer freisinnigen Gesellschaft über Geld verfügt, das er durch freiwilligen Austausch erhalten hat, hat dafür seinen Mitmenschen Dienste geleistet oder Güter geliefert. Er leistet im Wege der Lohn- und Einkommensteuer auch „Tribute“ an das Gemeinwesen. Je mehr er erwirtschaftet, desto mehr. Menschen ohne Vermögen oder Erwerbseinkommen dagegen tun nichts für ihre Mitbürger – erbringen keinerlei messbare Leistungen und liefern keinen Beitrag zum Gemeinwohl. Warum also sollte diesen Individuen eine Teilhabe am durch andere Bürger erwirtschafteten Wohlstand oder eine Mitbestimmung in Staatsangelegenheiten auf fremder Leute Kosten zugebilligt werden?

Auf dem Markt bedeutet jeder Euro eine Stimme. Gerechter und demokratischer geht es nicht. Das Prinzip eines von der erbrachten (direkten) Steuerleistung abhängigen Stimmrechts, stabilisiert sich zudem von selbst. Wer politische Macht dazu nutzt, seine Steuerlast zu verringern, verliert dadurch an Stimmgewicht. Wer mehr fürs Gemeinwohl tut, erwirbt dadurch mehr politisches Gewicht.

Auf dem Markt bedeutet jeder Euro eine Stimme. Gerechter und demokratischer geht es nicht.

Die derzeit herrschende Geringschätzung der Nettosteuerzahler käme zu einem Ende, die stimmenmäßige Übermacht der aus Steuermittel Alimentierten, gleich ob Funktionäre, Beamte oder Bezieher von Transferleistungen, wäre beseitigt und die Staatsmacht würde auf ein Maß reduziert, wie es vor dem Ersten Weltkriegs geherrscht hat. Damit würden wir uns in jene im wahrsten Sinn des Wortes goldene Ära zurückkatapultieren, in der Europa über das wertbeständigste Geld verfügte, die geringste Staatsquote, das stärkste Wirtschaftswachstum und die schnellste Wohlstandszunahme aller Zeiten.

Schlussbetrachtung

Doch ehe sich nicht die kollektive Einsicht Bahn bricht, dass die Staatsquote sich umgekehrt proportional zum kollektiven Wohlstand verhält; ehe nicht die Steigerung der Produktion anstatt des Versuchs einer erzwungenen Gleichverteilung des Wohlstands das Hauptziel der Politik ist; ehe politische Entscheidungsträger nicht die zivil- und strafrechtliche Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen müssen; und ehe nicht die ungehinderte Interaktion freier Individuen Vorrang vor der Umsetzung politischer Utopien erhält, solange wird die Emanzipation der Bürger vom „paternalistischen Leviathan“ nicht gelingen.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist gelernter Maschinenbauer, ausübender kaufmännischer Unternehmer und überzeugter “Austrian”. Ende März 2022 ist sein Buch Inflation: Warum das Leben immer teurer wird erschienen.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

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