Zuruf aus der Schweiz: „Energiepolitik hüben wie drüben“

17. Oktober 2022 – von David Dürr

David Dürr

Macht es die Schweiz, dieses angeblich so freiheitliche, rechtsstaatliche, wirtschaftsliberale und bür­gernahe Land, mit der Energiepolitik besser als das angeblich so obrigkeitsgläubige und unterwer­fungssüchtige Deutschland? Mein heutiger Zuruf aus der Schweiz kommt nicht umhin, diese Frage zu verneinen. Auch bei uns in der Schweiz erfreuen sich obrigkeitlich geschürte Hysterien wie die Klima-, die Corona- oder nun auch die Energiehysterie grösster Beliebtheit. Was die schweizerische Politik seit Wochen zum Thema Energieversorgung vollführt, ist ein wahres Trommelfeuer an etatistischer Absurdität, Widersprüchlichkeit und Zynismus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies in Deutschland schlimmer ist. Ein paar Impressionen:

Atom- und Mineralkraft

Auch in der Schweiz beginnen staatliche geschürte Hysterien damit, dass soeben noch als höchste Glaubenssätze beschworene Prinzipien über Bord geworfen werden: Atomkraftwerke etwa, eben noch die Inkarnation des technologisch Bösen, sind plötzlich wieder akzeptiert. Wie die deutsche hatte sich auch die schweizerische Regierung nach Fukushima entschlossen, aus der Atomkraft aus­zusteigen. Dies war übrigens auch in der Schweiz ein willkürlicher Behördenentscheid, dem keine ernsthafte Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern der Atomkraft vorausgegangen war, sondern einzig eine kurze Abstimmung im innersten Zirkel des staatlichen Machtmonopols, worauf dann die landesweite Befehlsausgabe folgte. Jedenfalls war staatlich klargestellt: Atomkraft, nein danke!

Auch in der Schweiz beginnen staatliche geschürte Hysterien damit, dass soeben noch als höchste Glaubenssätze beschworene Prinzipien über Bord geworfen werden …

Das Gleiche galt für mineralische Energieträger: Auch in der Schweiz waren Mineralöl und Gas eben noch die Schuldigen am Klimawandel; und auch in der Schweiz wurde die Politik nicht müde zu be­haupten, der Klimawandel sei menschenverursacht und müsse deshalb vom Menschen wieder rück­gängig gemacht werden; und so wurden auch in der Schweiz mit vielfältigem Zwang und zwangsfi­nanzierten Steuermitteln sogenannte nachhaltige Energien wie Sonnen- und Windkraft gefördert und mineralische Energiequellen bestraft. Jedenfalls war eben noch staatlich klargestellt: Öl und Gas, geht gar nicht!

Und jetzt gilt all dies plötzlich nicht mehr. Aber nicht, weil die bisherige Willkür der Obrigkeit durch­schaut worden wäre, sondern weil die Obrigkeit den Inhalt ihrer Willkür über Nacht ausgewechselt hat. Was sie eben noch mit ihrem Machtmonopol verhindert hat, setzt sie nun mit ihrem Machtmo­nopol durch. Worum es geht, ist nicht relevant, Hauptsache ist, die Macht setzt sich durch.

Und eben dafür bietet die Schweiz zurzeit ein wahrlich lehrbuchmässiges Beispiel, nämlich das Pro­jekt eines Gas- und Öl-Reservekraftwerks, das vom Bund als Bauherr in Rekordtempo hochgezogen wird. Umfangreiche Planungs-, Bewilligungs- und Umweltverträglichkeitsvorschriften, mit denen pri­vate Projekte regelmässig behindert und schikaniert werden, gelten bei diesem Projekt nicht; der Staat als Gesetzgeber gönnt sich als Bauherr dank Notrecht das Privileg, von diesen Bestimmungen befreit zu sein. Und für den Fall, dass jemand Beschwerde führen sollte, hat der staatliche Bauherr verbindlich verfügt, dass dem Rekurs keine aufschiebende Wirkung zukomme. Das heisst, gebaut wird so oder so, Rechtmässigkeit hin oder her.

Von wegen freiheitliche und rechtsstaatliche Schweiz!

Der Staat übernimmt

Nicht minder fragwürdig ist ein anderer, in der schweizerischen Energiepolitik gerade aktueller Sün­denfall, der hierzulande geradezu Tradition hat: Nämlich der bemerkenswert lockere Umgang mit di­rekten Interventionen des Staates zur Stützung maroder Grossunternehmen; in der Regel mit der Konsequenz, dass der „gerettete“ Betrieb letztendlich trotzdem (oder wohl genau deshalb) scheitert. So war es schon bei der vor zwanzig Jahren in Schieflage geratenen Fluggesellschaft Swissair, die der Bund mit Milliardenkrediten vergeblich zu retten versucht hatte; oder einige Jahre später bei der Grossbank UBS, die der Bund – wie er bis heute beharrlich behauptet – als systemrelevantes Institut einfach retten „musste“.

Nicht anders verläuft es derzeit mit dem grössten Energieunternehmen der Schweiz, der Firma Axpo. Deren Eigentümer sind einige Kantone sowie kantonale Elektrizitätswerke, die so tun, wie wenn sie ein leistungsstarker, forscher und innovativer Wirtschaftsakteur wären. Das hat diese Axpo aber nicht davor bewahrt, nun plötzlich vor einem milliardenschweren Liquiditätsbedarf zu stehen, wofür sich am freien Kapitalmarkt angesichts des Risikos kein Geldgeber finden lässt. Und schon eilt die Schweizerische Eidgenossenschaft ihrem „systemrelevanten“ Rettungsopfer mit einem – per Not­recht beschlossenen – Überbrückungskredit in Milliardenhöhe zu Hilfe. Was damit erreicht wird, ist nicht eine Stabilisierung der Energieversorgung, sondern die Verlagerung des Risikos auf den Steuer­zahler und die Ermunterung an grosse Energieunternehmen, Risiken auch in Zukunft nicht ernst zu nehmen.

Von wegen wirtschaftsliberale Schweiz!

Die Königin amüsiert sich

Einen König gibt es in der Schweiz zwar so wenig wie in Deutschland. Doch wird man in Zeiten wie diesen bisweilen an das Theaterstück „Der König amüsiert sich“ von Victor Hugo erinnert. Was die höchste Obrigkeit da alles so daher fabuliert, entbehrt letztlich schlicht der Ernsthaftigkeit. Die Regie­rung tut so, wie wenn ihr am öffentlichen Wohl gelegen wäre, in Tat und Wahrheit hört und schaut sie sich bloss selbstverliebt bei ihren publikumswirksamen Auftritten zu. Und geniesst es ganz offen­sichtlich.

Die Regie­rung tut so, wie wenn ihr am öffentlichen Wohl gelegen wäre, in Tat und Wahrheit hört und schaut sie sich bloss selbstverliebt bei ihren publikumswirksamen Auftritten zu.

Anders lässt sich die kürzlich vor laufender Kamera abgegebene Empfehlung der schweizerischen Energieministerin Simonetta Sommaruga zur Verminderung des aktuellen Energieproblems nicht er­klären: Duschen Sie zu zweit! Und als das Irritation, Verärgerung und Gelächter auslöste, beeilte sich Simonetta Sommaruga zu präzisieren, das sei natürlich eher für jüngere Leute gedacht … ein Schelm, wer Böses denkt.

Von wegen bürgernahe Schweiz!

Professor Dr. iur. David Dürr, LL.M., lehrte bis 2018 an der Universität Zürich Privatrecht und Rechtstheorie. Er ist nach wie vor publizistisch und mit Vorträgen tätig, wie auch als Wirtschaftsanwalt und Notar bei der von ihm mitgegründeten SwissLegal-Gruppe. Studiert hat er an den Universitäten Basel und Genf sowie an der Harvard Law School. Er ist Beirat des Ludwig von Mises-Instituts Deutschland sowie des Liberalen Instituts Zürich. Sein wissenschaftliches Interesse gilt schwergewichtig natürlichen Verhaltensgesetzmässigkeit jenseits staatlicher Einflussnahme. Nebst zahlreichen Sachbüchern und Artikeln veröffentlichte er unter anderem die Politsatire „Staats-Oper Schweiz – wenige Stars, viele Staatisten” (2. Auflage 2022) sowie eine Auswahl seiner Kolumnen bei der Basler Zeitung unter dem Titel „Das Wort zum Freitag” (2014). Zudem schrieb er Beiträge zu dem 2021 erschienenen Buch „Geht mir aus der Sonne! Wege aus der Bevormundung“.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock.

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