Die Würde des Menschen ist unantastbar … mit Ausnahme der Zwangsimpfung?

18. Februar 2022 – von Stephan Ring

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Der erste Satz in Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes, gleich nach der Präambel, lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Auf diesen in absoluten, selbst einstimmig nicht abänderbaren Verfassungsrang erhobenen Grundsatz „aller staatlicher Gewalt“, wie es in Satz 2 heißt, ist Deutschland zu Recht seit dem Krieg sehr stolz. Dabei ist die Wortwahl juristisch denkbar ungewöhnlich. Andere Grundrechte werden gewährleistet oder sind unverletzlich. Nur die Würde ist unantastbar. Die Erfahrungen des Nationalsozialismus haben diejenigen, die sie gemacht haben, zu dieser starken Aussage bewogen.

Der Begriff unantastbar stellt unmissverständlich klar, dass es keinen noch so „moralischen“ Gesichtspunkt geben kann, hinter dem die Würde des Einzelnen zurückstehen muss.

Der Begriff unantastbar stellt unmissverständlich klar, dass es keinen noch so „moralischen“ Gesichtspunkt geben kann, hinter dem die Würde des Einzelnen zurückstehen muss. Selbst der Geiselnehmer darf nicht geschlagen oder gefoltert werden, um das Versteck der möglicherweise sterbenden Geisel zu erfahren. Das von Terroristen entführte Flugzeug darf auf dem Weg in den Wolkenkratzer nicht abgeschossen werden, auch wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit alle unschuldigen Insassen trotzdem sterben und mit ihnen alle anderen, die sich beim erwarteten Einschlag in dem Ziel befinden. Ein Menschenleben hat unendlichen Wert und kann daher nicht gegen viele andere „aufgewogen“ und geopfert werden. Die Würde des Einzelnen ist unantastbar. Die Würde reicht sogar über den Tod hinaus. Die Organentnahme ist ohne Zustimmung nicht möglich.

Kern dieser Würde ist die Unverletzlichkeit des Körpers. Ohne Körper gibt es keine Würde. Wer soll auch sonst „Träger“ der Würde sein? Selbst ein Schwerverbrecher darf „nur“ eingesperrt, nicht aber verletzt werden.

Beim Impfzwang scheint das alles anders. Eine Ethikkommision, von der übrigens im Grundgesetz nichts steht, „gibt grünes Licht“.

Beim Impfzwang scheint das alles anders. Eine Ethikkommision, von der übrigens im Grundgesetz nichts steht, „gibt grünes Licht“. Das genügt, um die staatlich angeordnete Verletzung der körperlichen Unversehrtheit und eine Einschränkung des höchsten und wie gesagt unveränderlichen Verfassungsgrundsatzes zu ermöglichen.

Der Mensch wird zum Objekt staatlichen Handelns. Dabei war das noch der entscheidende Punkt in dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2006 zum Verbot des Abschusses eines von Terroristen gekaperten Flugzeuges. Der Mensch darf nicht Objekt staatlichen Handelns werden, denn damit wird er würdelos.

Wohlgemerkt, auf die zur Begründung angeführte Moral kommt es dabei nicht an. Die Würde ist eben unantastbar. Warum ein Mensch, der nur noch als potentieller Objektträger eines Virus behandelt wird, bei der Einführung einer Zwangsimpfung nicht Objekt staatlichen Handelns sein soll, bleibt völlig unverständlich.

Pro Million Zwangsgeimpften ist nach dem Risikobericht des Paul-Ehrlich-Instituts vom 26.10.2021 mit rund 1.600 Komplikationsmeldungen und 200 schwerwiegenden Komplikationen zu rechnen.[1] Man muss leider davon ausgehen, dass bei den über 10 Millionen zu erwartenden Zwangsimpfungen mindestens ein Todesfall auftritt.

Was ist mit der Würde dieses Menschen? Sie war dann wohl doch antasbar. Die Annahme, eine Verletzung ist nur dann rechtlich relevant, wenn sie personell eindeutig zielgerichtet ist, ist offensichtlich widersinnig. Oder ist der Mörder nur dann ein Mörder, wenn er bei Tatausführung sein Opfer schon genau kennt? Ein Schuss in die Menge wäre dann kein Tötungsdelikt, weil die Kugel ja jeden treffen kann, auch wenn nahezu sicher ist, dass mindestens einer getroffen wird? Ist dieser eine dann an seinem Tod selber schuld?

Ein einziger Todesfall aufgrund staatlich erzwungener Impfung beendet den verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde schon deshalb, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass mindestens eine Person stirbt, und dies den Verantwortlichen auch bekannt ist. Von nicht-tödlichen, schweren Komplikationen mit eventuell lebenslangen Konsequenzen ganz zu schweigen.

Rechtfertigt das allgemeine Risiko, Träger eines Virus zu sein, eine Gefährdung …?

Auch das Argument, vom Zwangsgeimpften ginge eine Gefahr aus, genügt nicht, da die Gefahr nicht unmittelbar ist. Wer konkret wird derart gefährdet, dass eine Tötung des Gefährders als Notwehrhandlung möglich erscheint? Rechtfertigt das allgemeine Risiko, Träger eines Virus zu sein, eine Gefährdung mit dem Tod oder schweren Erkrankungen in Form von Komplikationen? Es ist Teil der natürlichen Biologie des Menschen, auch Träger von Viren, Pilzen und Bakterien zu sein.

Hinzu kommt, dass der Virus in der momentan weltweit herrschenden Variante eine Fatalitätsrate unterhalb oder nahe der herkömmlichen Grippe haben soll.[2] Ein Vorgang, der offenbar dem typischen Verlauf einer Pandemie folgt. Da wird es schwierig, eine verstehbare, plausible Differenzierung herauszuarbeiten.

Auch die fast schon hilflos wirkende künstliche Unterscheidung von Impfzwang und Impfpflicht genügt nicht für eine Rechtfertigung. Denn es ist auch würdelos, zur Selbstgefährdung oder -schädigung genötigt zu werden, wenn man „Pflicht“ hier so verstehen will, dass der Genötigte die Injektion durch die Zahlung eines Bußgeldes oder einer Geldstrafe abwenden kann oder durch den Antritt einer Ersatzhaft, falls er nicht zahlen kann oder will. Und was soll nach der Auffassung der politischen Akteure oder der Ethikkommission geschehen, wenn sich einer ernsthaft gegen den Antritt einer Ersatz- oder Erzwingungshaft zur Wehr setzt?

Es bleibt spannend abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht in wortgewaltiger Auslegung diesen so eindeutigen wie einmaligen Begriff „unantastbar“ relativieren und dabei trotzdem das Folterverbot gegenüber Entführern zum Schutz von Geiseln aufrechterhalten kann. Wenn schon die Existenz als potentiell virentragende Biomasse als Gefährdung ausreicht, die den Verlust der Menschenwürde nach sich zieht, wieso dann nicht die konkrete Gefährdung, die von einem Entführer ausgeht, der den Aufenthaltsort seiner Geisel nicht preisgeben will?

Spannend wird auch werden, ob die Richter einen einstweiligen Stopp der Impfpflicht verweigern und damit letztlich verlangen, dass jeder Impfunwillige erst zum Straftäter werden muss, bevor man sich Jahre später zu einer Entscheidung genötigt sieht? Ist diese Gefahr realistisch? Der ehemalige Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, hat am 4. Dezember 2021 dem Bundesverfassungsgericht eine „schlechte Verfassung“ bescheinigt und gemeint, es habe sich faktisch aus dem Grundrechtsschutz verabschiedet.[3] Man darf vielleicht nicht zu viel erwarten von einem Gericht, das von den Politikern, gegen die es eigentlich Schutz gewähren soll, mit ihren Parteifreunden besetzt wird.

Dr. Stephan Ring ist Jurist und Vorstand des Ludwig von Mises Institut Deutschland.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

 

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