Gedanken zu Verschwörungstheorien in der Geschichte

12. Januar 2022 – von Murray Rothbard

Murray N. Rothbard

Jede nüchterne Analyse, wer unsere Machthaber sind und wie ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen ineinandergreifen, wird von den Liberalen und Konservativen des Establishments (und sogar von vielen Libertären) als “Verschwörungstheorie”, “paranoid”, “ökonomisch-deterministisch”[1] und sogar “marxistisch” denunziert. Sie werden pauschal mit diesen verunglimpfenden Etikettierungen versehen, obwohl solche lebensnahen Analysen von allen Teilen des wirtschaftlichen Spektrums, von der John Birch Society bis zur Kommunistischen Partei, gemacht werden können und gemacht wurden. Die häufigste Bezeichnung ist “Verschwörungstheoretiker”, ein Kampfbegriff der nicht von den “Verschwörungstheoretikern” selbst stammt.

Es ist kein Wunder, dass diese lebensnahen Analysen in der Regel von verschiedenen “Extremisten” vorgetragen werden, die außerhalb des Konsenses des Establishments stehen. Denn für die fortgesetzte Herrschaft des Staatsapparats ist es von entscheidender Bedeutung, dass er in den Augen der Öffentlichkeit Legitimität und sogar Unantastbarkeit besitzt. Für diese Unantastbarkeit ist es von entscheidender Bedeutung, dass unsere Politiker und Bürokraten als körperlose Geister betrachtet werden, die ausschließlich dem “öffentlichen Wohl” verpflichtet sind. Sobald die Katze aus dem Sack gelassen wird, dass diese Geister nur allzu oft auf festem Boden mit der Durchsetzung einer Reihe wirtschaftlicher Interessen durch Einsatz des Staates beschäftigt sind, beginnt die zu Grunde liegende Mystifizierung der Regierung zu bröckeln.

Lassen Sie uns ein einfaches Beispiel nehmen. Nehmen wir an, der Kongress hat ein Gesetz zur Erhöhung der Stahlzölle oder zur Einführung von Einfuhrkontingenten für Stahl verabschiedet. Nur ein Einfaltspinsel würde nicht erkennen, dass die Zölle oder Quoten auf Betreiben von Lobbyisten der heimischen Stahlindustrie verabschiedet wurden, die darauf bedacht sind, effiziente ausländische Konkurrenten fernzuhalten. Niemand würde eine solche Schlussfolgerung als “Verschwörungstheorie” beanstanden. Was der Verschwörungstheoretiker jedoch tut, ist, seine Analyse auf komplexere Maßnahmen der Regierung auszudehnen: z. B. auf öffentliche Bauprojekte, die Einrichtung der ICC[2], die Schaffung des Notenbank-Systems oder den Eintritt der Vereinigten Staaten in einen Krieg. In jedem dieser Fälle stellt sich der Verschwörungstheoretiker die Frage “cui bono?” – wer profitiert von dieser Maßnahme? Wenn er feststellt, dass Maßnahme A X und Y zugutekommt, untersucht er als Nächstes die Hypothese: Haben X und Y tatsächlich Lobbyarbeit betrieben oder Druck ausgeübt, um die Verabschiedung von Maßnahme A zu erreichen? Kurz gesagt, haben X und Y erkannt, dass sie davon profitieren würden, und entsprechend gehandelt?

Der Verschwörungsanalytiker ist weit davon entfernt, ein Paranoiker … zu sein, er ist vielmehr ein Praxeologe, d. h., er glaubt, dass Menschen zielgerichtet handeln, dass sie sich bewusst für den Einsatz von Mitteln entscheiden, um Ziele zu erreichen.

Der Verschwörungsanalytiker ist weit davon entfernt, ein Paranoiker oder [ökonomischer] Determinist zu sein, er ist vielmehr ein Praxeologe, d. h., er glaubt, dass Menschen zielgerichtet handeln, dass sie sich bewusst für den Einsatz von Mitteln entscheiden, um Ziele zu erreichen. Wenn also ein Stahlzoll verabschiedet wird, geht er davon aus, dass die Stahlindustrie dafür Lobbyarbeit geleistet hat; wenn ein öffentliches Bauprojekt ins Leben gerufen wird, stellt er die Hypothese auf, dass es von einer Allianz aus Baufirmen und Gewerkschaften gefördert wurde, die in den Genuss öffentlicher Bauaufträge kamen, und von Bürokraten, die ihren Aufgabenbereich und ihr Einkommen vergrößerten. Es sind die Gegner der “Verschwörungs”-Analyse, die glauben, dass alle Ereignisse – zumindest betreffend die Regierung – zufällig und ungeplant sind und dass die Menschen daher keine gezielten Entscheidungen treffen und nicht planen.

Natürlich gibt es gute und schlechte Verschwörungsanalytiker, genauso wie es gute und schlechte Historiker oder Fachleute jeder Disziplin gibt. Der schlechte Verschwörungsanalytiker neigt dazu, zwei Arten von Fehlern zu begehen, die ihn in der Tat dem Vorwurf der “Paranoia” aus dem Establishment aussetzen. Erstens bleibt er beim “cui bono?” stehen; wenn Maßnahme A X und Y zugutekommt, schließt er einfach daraus, dass X und Y dafür verantwortlich waren. Dabei übersieht er, dass dies nur eine Hypothese ist, die überprüft werden muss, indem man herausfindet, ob X und Y das wirklich getan haben oder nicht. (Das vielleicht verrückteste Beispiel dafür war der britische Journalist Douglas Reed, der aus der Tatsache, dass das Ergebnis von Hitlers Politik die Zerstörung Deutschlands war, ohne weitere Beweise den Schluss zog, dass Hitler bewusst Agent äußerer Kräfte war, der Deutschland absichtlich in den Ruin treiben wollte.) Zweitens scheint der schlechte Verschwörungsanalytiker den Zwang zu haben, alle Verschwörungen, alle Machtblöcke der Bösewichte, in eine riesige Verschwörung zu packen. Anstatt zu sehen, dass es mehrere Machtblöcke gibt, die versuchen, die Kontrolle über die Regierung zu erlangen, manchmal im Konflikt und manchmal im Bündnis, muss er – wiederum ohne Beweise – annehmen, dass eine kleine Gruppe von Männern sie alle kontrolliert und sie nur scheinbar in den Konflikt schickt.

Anlass für diese Überlegungen ist die fast schon eklatante Tatsache – so eklatant, dass sie von den großen Nachrichtenmagazinen bemerkt wurde –, dass praktisch die gesamte Führungsspitze der neuen Carter-Regierung, von Carter und Mondale abwärts, Mitglieder der kleinen, halb geheimen Trilateralen Kommission sind, die 1973 von David Rockefeller gegründet wurde, um Vorschläge für die Politik der Vereinigten Staaten, Westeuropas und Japans zu machen, und/oder Mitglieder des Vorstands der Rockefeller-Stiftung. Die übrigen sind mit Unternehmensinteressen in Atlanta verbunden, insbesondere mit der Coca-Cola Company, dem größten Unternehmen in Georgia.

Nun, wie soll man das alles sehen? Sagen wir, dass David Rockefellers ungeheure Anstrengungen zugunsten bestimmter staatlicher Politiken lediglich ein Ausdruck von unkoordiniertem Altruismus sind? Oder geht es hier um die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen? Wurde Jimmy Carter gleich nach ihrer Gründung zum Mitglied der Trilateralen Kommission ernannt, weil Rockefeller und die anderen die Weisheit eines unbedeutenden Gouverneurs aus Georgia hören wollten? Oder wurde er mit ihrer Unterstützung aus der Versenkung geholt und zum Präsidenten gemacht? Sorgte sich J. Paul Austin, der Chef von Coca-Cola, ein früher Unterstützer von Jimmy Carter, nur um das Gemeinwohl? Wurden all die Trilateralisten, die Leute der Rockefeller Foundation und von Coca-Cola von Carter einfach deshalb ausgewählt, weil er der Meinung war, dass sie die fähigsten Leute für diese Aufgabe waren? Wenn ja, dann ist das ein Zufall, der die Vorstellungskraft übersteigt. Oder sind da doch eher diffusere politisch-wirtschaftliche Interessen im Spiel? Ich behaupte, dass die Naivlinge, die sich hartnäckig weigern, das Zusammenspiel von politischen und wirtschaftlichen Interessen in der Regierung zu untersuchen, ein wesentliches Instrument zur Analyse der Welt, in der wir leben, wegwerfen.

[1] Ökonomischer Determinismus bedeutet etwa, dass die ökonomischen Verhältnisse den Lauf der Geschichte bestimmen würden; bekannt ist die marxistische Floskel ” das Sein bestimmt das Bewusstsein”.

[2] Internationale Handwerkskammer (International Chamber of Commerce).

Dieser Artikel erschien am 21. Dezember 2021 unter dem Titel The Conspiracy Theory of History Revisited auf der Hompage des Mises Institute Auburn, Alabama, USA. Ursprünglich erschien der Artikel bei Reason, April 1977, S. 39-40.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Senne.

Murray N. Rothbard (1926 – 1995) wurde in New York geboren, wo er an der dortigen Universität Schüler von Ludwig von Mises wurde.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

 

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