Austrian Economics – die menschliche Ökonomie
7. Januar 2022 – von Rainer Fassnacht – Dieser Artikel ist auch als Podcast zum Anhören verfügbar.
Die „Grundsätze Der Volkswirthschaftslehre“ von Carl Menger sind die Geburtsurkunde der Austrian Economics. Dort lesen wir im dritten Kapitel („Die Lehre vom Werthe“) auf Seite 78:
… und es ist somit der Werth die Bedeutung, welche concrete Güter oder Güterquantitäten für uns dadurch erlangen, dass wir in der Befriedigung unserer Bedürfnisse von der Verfügung über dieselben abhängig zu sein uns bewusst sind.
Anders ausgedrückt, der Wert ist nichts, was dem Gut anhaftet. Auch wenn sehr viel Arbeit notwendig war, um ein Gut herzustellen, kann dessen Wert gering sein. Güter, ohne die wir nicht überleben können, sind nicht „automatisch“ wertvoller als andere Güter. Hohe Preise für Diamanten oder geringe für Wasser verdeutlichen diesen Fakt.
Obwohl die Arbeitswertlehre offensichtlich unzutreffend ist, haben darauf basierende Schlussfolgerungen wie die Ausbeutung der Arbeiter, der böse Kapitalist oder der schlechte Profit noch immer zahlreiche Anhänger – in der Gesellschaft im Allgemeinen und den Wirtschaftswissenschaften im Besonderen.
Wert ist subjektiv und situativ
Es gehört zu den fundamentalen Erkenntnissen der Austrian Economics, dass Wert der individuellen, subjektiven und situativen Bewertung einzelner Menschen entspringt. Menschliche Handlungen – der Dreh- und Angelpunkt der Ökonomie – resultieren aus unterschiedlichen Bewertungen.
Auf diesem Fundament bauen die Austrian Economics auf. Die späteren Beiträge der Österreichischen Schule in den unterschiedlichsten Feldern der Ökonomie lassen sich auf diese Basis zurückführen. Von der Arbeitsteilung bis zur Zeitpräferenz, dem Geld oder der Bedeutung der Freiheit, des Privateigentums oder der Rolle der Unternehmer – die Quelle der Unterschiede zur Mainstreamökonomie ist hier zu finden.
Ein Beitrag von Lisa Feldman Barrett, Professorin für Psychologie an der Northwestern University, im MIT Technologie Review (Heise) beschreibt „Wie das Gehirn unseren Geist erschafft“. Ganz „nebenbei“ werden darin die Grundlagen der Austrian Economics durch Forschungsergebnisse aus Psychologie und Hirnforschung bestätigt. Es lohnt einen Blick auf diese aktuellen Erkenntnisse und die Zusammenhänge zu werfen:
Das Gehirn muss auch entscheiden, welche Sinnesdaten relevant sind und welche nicht, indem es das Signal vom Rauschen trennt. Wirtschaftswissenschaftler und andere Forschende nennen diese Entscheidung das Problem des ‚Wertes‘. Der Wert selbst ist ein weiteres abstraktes, konstruiertes Merkmal. Er ist den Sinnesdaten, die von der Welt ausgehen, nicht inhärent und kann daher in der Welt nicht erkannt werden. Der Wert ist eine Eigenschaft dieser Informationen in Bezug auf den Zustand des Organismus, der sie wahrnimmt – Sie selbst.
Vergleichen Sie diese Aussage mit dem Zitat von Carl Menger wird die Übereinstimmung bzw. der Zusammenhang offensichtlich – Wert ist individuell und nicht vom einzelnen Individuum zu trennen.
Der Glaube an einen kollektiven Wert bzw. die Möglichkeit, die „richtigen Entscheidungen“ für andere Menschen treffen zu können, zerschellt an dieser Klippe. Weder mit gutgemeinter Politik noch mit diversen Expertenräten oder Wirtschaftsweisen gelingt es, diese Klippe zu umschiffen.
Sollten Sie eine Stunde länger arbeiten oder mit Ihren Freunden in eine Bar gehen oder vielleicht einfach nur ein wenig schlafen? Jede Alternative ist ein Handlungsplan, und jeder Plan ist selbst eine Einschätzung des Wertes.
Dieselben Schaltkreise im Gehirn, die an der Einschätzung von Werten beteiligt sind, sorgen auch für unser grundlegendes Gefühl, das Sie als Ihre Stimmung kennen und das Wissenschaftler als Affekt bezeichnen …
Die Menschen vertrauen darauf, dass ihr Affekt ihnen anzeigt, ob etwas für sie relevant ist oder nicht, d.h., ob die Sache einen Wert hat oder nicht.
Hier zeigt sich die Verbindung zwischen der individuellen Einschätzung des Wertes und der menschlichen Handlung (die auch im Unterlassen bestehen kann). Auch zeigt sich, dass der subjektive Charakter der einer Handlung zugrundeliegenden Werteinschätzung unvermeidlich ist.
Es gibt keine “objektive Bewertung”
Wer einer individuellen, subjektiven und situativen Bewertung einzelner Menschen eine „objektive Bewertung“ gegenüberstellt, behauptet damit etwas Unmögliches. Aus ökonomischer Perspektive hat Hayek diese Anmaßung von Wissen in seiner Nobelpreisrede treffend beschrieben.
Ergänzen wir um eine weitere Passage aus dem interessanten Beitrag zu Gehirn und Geist:
… überlegen Sie, was passieren würde, wenn Sie keinen Körper hätten. Ein Gehirn, das in einem Bottich geboren wird, hätte keine Körpersysteme zu regulieren. Es hätte keine Körperempfindungen, denen es einen Sinn geben könnte. Es könnte keinen Wert oder Affekt konstruieren. Ein körperloses Gehirn hätte also keinen Geist.
Übertragen wir diese Erkenntnis auf die Ökonomie, entsprechen der Interventionismus und die kollektivistische Wirtschaftsplanung diesem „Gehirn ohne Geist“. Da der Mensch als körperliches Individuum – also als jener Wirtschaftsakteur, der Sinne und Geist hat, Bewertungen vornehmen und Handlungen vollziehen kann – missachtet wird, kann das Resultat solcher „Bemühungen“ nur geistlos bzw. unmenschlich sein.
Auch der Versuch, über Umfragen, Statistik, mathematische Modelle oder künstliche Intelligenz jenes Wissen zu gewinnen, welches sich durch individuelle Handlungen auf Basis dezentraler Informationen und marginaler Tauschhandlungen am Markt ergibt, kann nicht gelingen.
Diese Unmöglichkeit zeigt sich beispielsweise, wenn in einer Umfrage ein sinkendes Interesse an Fleischkonsum ermittelt wird, während dieser tatsächlich zunimmt. Da die individuelle Bewertung auf jeweils anderen Alternativen beruht, werden bei der Datenermittlung für statistische Auswertungen, mathematische Modelle oder den Input für die KI logisch unzulässige „Vereinfachungen“ angewendet bzw. Äpfel mit Birnen in einen Topf geworfen. Es ist ein logischer Unterschied, ob jemand von einem sinkenden Interesse spricht oder er tatsächlich weniger kauft – oder sogar mehr.
Der zeitliche Verzug kommt hinzu. Bis die Daten bei den „Entscheidern“ ankommen, sind sie nicht mehr aktuell. Der Marktprozess arbeitet mit Handlungen auf Basis individueller Bewertungen, ohne die geschilderten Probleme. Das Scheitern der „sozialistischen Planung zum Wohle des Volkes“ in der DDR und anderen Ländern mit mächtigen Kollektivisten bestätigt dies in der Praxis.
Ökonomie ist keine naturwissenschaftliche Disziplin
Die Mainstreamökonomie erweckt durch den Einsatz von Mathematik den Eindruck, naturwissenschaftlichen Disziplinen wie z.B. der Astronomie vergleichbar zu sein. Sie gerät dabei jedoch unweigerlich in Widerspruch zur Logik und zur Natur des Handelns. Durch diesen Widerspruch zur Handlungslogik ähnelt die Hauptstromökonomik in Wirklichkeit eher der Astrologie als der Astronomie was die wissenschaftliche Fundiertheit ihrer Prognosen angeht.
Der „Planet Mensch“ kann selbst wählen und auch unter vergleichbaren Bedingungen mal die eine, mal die andere Bahn einschlagen. Das macht ihn prinzipiell unberechenbar und zeigt, dass die Ökonomie keine Naturwissenschaft ist – auch wenn verschiedene Akteure versuchen, diesen Eindruck zu erwecken.
Es wird offensichtlich, dass die Mainstream-Ökonomie in allen ihren Varianten auf falschen Annahmen aufbaut. Planwirtschaft und Interventionismus, die Unterminierung des Privateigentums oder die Orientierung an Gemeinwohlzielen müssen scheitern, weil sie von unstimmigen Prämissen ausgehen.
Mengers „Grundsätze“, Mises Aufsatz „Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen“ oder Hayeks Nobelpreisrede – die Vertreter der Austrian Economics haben wirtschaftliche Zusammenhänge zutreffend erklärt, ohne in Widerspruch zur Logik oder zur menschlichen Natur zu geraten.
Ayn Rand hat treffend formuliert, was daraus bzw. aus falschen Annahmen des Mainstreams resultiert:
„Man kann die Realität ignorieren, aber man kann nicht die Konsequenzen der ignorierten Realität ignorieren“.
Die zahlreichen gescheiterten Sozialismusprojekte und die „Nebenwirkungen“ des Interventionismus sollten bei etwas Nachdenken überzeugen:
Eine politisch gelenkte oder an kollektiven Zielen ausgerichtete Gesellschaft kollidiert mit der Logik und ignoriert den Menschen – in jeder Hinsicht. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Anhänger solcher Ideen ihre „Rechtfertigung“ aus linken, rechten oder sonstigen weltanschaulichen Ideologien ableiten.
Bei Austrian Economics steht der Mensch im Mittelpunkt
Wir haben die Wahl zwischen dem unmenschlichen kollektivistischen Mainstream oder den menschlichen, auf Individualität beruhenden Austrian Economics. Die Kollektivisten machen aus echten Menschen Nummern und sorgen mit Zwang dafür, dass diese sich wie gewünscht verhalten.
Die aktuellen Erkenntnisse aus Psychologie und Hirnforschung zeigen, dass es nur eine humane und die Freiheit gewährleistende Ökonomie gibt: Austrian Economics. Es lohnt, dafür einzutreten.
Rainer Fassnacht ist ausgebildeter Kaufmann und studierter Diplom-Ökonom. Er lebt in Berlin und ist Autor des Buchs „Unglaubliche Welt: Etatismus und individuelle Freiheit im Dialog“. Auch in seinen sonstigen, unter anderem vom Austrian Economics Center in Wien veröffentlichten Texten, setzt er sich für die Bewahrung der individuellen Freiheit ein.
*****
Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.
Titel-Foto: Adobe Stock