Der Semmelindex und die Altersarmut
17.10.2014 – von Stephan Ring
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Die Berechnung der gesetzliche Rente ist, man ist geneigt zu vermuten, vorsätzlich, kompliziert, was es den interessierten Kreisen ermöglicht, die Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung durch das inflationäre Papiergeldsystem zu verschleiern.
Als Bayer ist man dagegen versucht, die Dinge einfacher zu betrachten und eigener Erfahrung mehr zu vertrauen als politischem Fernsehen. Ein Verhalten, das von geneigten Kreisen gerne als “Stammtisch” verunglimpft wird.
Anfang der Überlegung ist die kindliche Erinnerung an die erste selbst gekaufte Semmel. Für Nichtbayern sei erklärt, dass es sich bei einer Semmel um ein Brötchen handelt, in einigen deutschsprachigen Gebieten angeblich auch Rundstück genannt.
Meine erste selbst gekaufte Semmel erwarb ich mit großem Stolz für 5 Pfennig im Jahr 1970. Eine Brezel kostete damals schon 10 Pfennig.
Letzte Woche habe ich 45 Cent für eine vergleichbare Semmel bezahlt. Immerhin eine Preissteigerung von gut 1.700 Prozent in rund 44 Jahren.
Dabei ist die Semmel ein über die Jahrzehnte gut vergleichbares Produkt. Zu erwarten wäre eher eine reale Verbilligung aufgrund des Produktionsfortschritts gewesen. Für die weitere Betrachtung soll jedoch zu Gunsten der Rentenpolitiker unterstellt werden, dass der „Semmelindex“ keinen Produktionsverbesserungen unterliegt und die Produktion heute noch real so viel kostet wie 1970.
Es drängt sich die Frage auf, ob denn der Rentner heute, gerechnet in Semmeln, eine der Einzahlung angemessene Rente erhält. Dazu ist es erforderlich das Dickicht der Rentenberechnung zu durchdringen. Die nachfolgende Betrachtung ist daher stark vereinfacht, aber gleichwohl in der Tendenz eindeutig.
Ausgangspunkt für die Berechnung der gesetzlichen Monatsrente ist der sagenumwobene „Entgeltpunkt“, der in Relation zum durchschnittlichen Jahreseinkommen aller Arbeitnehmer eines Beitragsjahres gesetzt wird. Für ein Jahr, in dem Beiträge auf der Basis des Durchschnittseinkommens gezahlt werden, beträgt er eins. Oder anders formuliert: Der Durchschnittsverdiener erhält einen vollen Entgeltpunkt pro Jahr. Für 2013 wird dieser Wert bei einem Jahresbruttogehalt von 34.071 Euro erreicht.
Für einen Entgeltpunkt erhält man aktuell eine Rente von 28,61 Euro pro Monat bzw. 343,32 Euro pro Jahr. Oder wieder anders formuliert: Wer in 1970 für das ganze Jahr Durchschnittsbeiträge eingezahlt hat, erhält heute dafür 343,32 Euro im Jahr.
Nimmt man eine Rentenlaufzeit von 25 Jahren an, was Rente von 65 bis 90 bedeuten würde, so fließen, großzügig unterschlagen, dass in den letzten 10 Jahren ja weniger gezahlt wurde, insgesamt 8.583 Euro zurück.
Dies entspricht bei einem Preis von 45 Cent gut 19.000 Semmeln.
1970 wurden 17% Beiträge zur Rentenversicherung fällig, was bei einem Durchschnittsgehalt von 13.370 DM pro Jahr 2.272 DM Einzahlung bedeutet hat. Dafür konnten bei einem Preis von 5 Pfennig gut 45.000 Semmeln erworben werden.
Das Ergebnis ist erschreckend. Weniger als die Hälfte fließen zurück. Dabei sind doch noch gar keine Zinsen berücksichtigt. Unterstellt man zu Gunsten der Rentenkasse eine Einzahlungsdauer, die der Rentendauer entspricht – regelmäßig ist die Einzahlungsdauer deutlich länger -, so müsste man im Beispiel die Beiträge zusätzlich über 25 Jahre verzinsen, da im ersten Einzahlungsjahr die Rente für das erste Rentenjahr, im zweiten Einzahlungsjahr die Rente für das zweite Rentenjahr usw. eingezahlt wird.
Nimmt man einen durchschnittlichen Zins aus den letzten Jahrhunderten von real nur 4% an, was bei einem festen, unkündbaren Anlagezeitraum von 25 Jahren eher zu niedrig sein dürfte, so müsste mit Zins und Zinseszins das 2,66 fache zur Auszahlung gelangen.
Der Rentner sollte also den Gegenwert von 119.700 Semmeln im Jahr oder fast 10.000 Semmeln im Monat bekommen – Produktionsfortschritt und tatsächlich ja deutlich längere Beitragseinzahlungsdauer nicht berücksichtigt.
Mit 4.500 Euro Durchschnittsrente pro Monat wäre Altersarmut heute kein Problem. Aber wir Anhänger der österreichischen Schule der Nationalökonomie wissen ja: Das Vermögen der Finanzindustrie muss ja irgendwer erarbeiten … !
Mehr als 80 % der verdienten Rente verschwinden so im staatlichen Papiergeldsystem.
Die Wiedervereinigung eignet sich übrigens nicht als Argument gegen diese Betrachtung, da die Aufnahme der Ostdeutschen in das Rentensystem nur für etwa 20% bis 25% der Umverteilung stehen kann, wenn man die Ausbeutung der Arbeitnehmer durch die DDR nicht als (recht)staatliche Ausbeutung werten möchte.
Wieviel ist das nun in Euro? Ausgangspunkt für diese überschlägige Rechnung sind rund 20 Millionen Rentner, von denen nach Abzug von großzügigen 25% Ostrentner, die keine Einzahlungen in das westliche Papiergeldsystem geleistet haben, 15 Millionen verbleiben. Diese erhalten in meinem Beispiel für 25 Einzahlungsjahre eine Durchschnittsrente von 715 Euro pro Monat, was im Vergleich zu den ihnen zustehenden 4.500 Euro einen Verlust von 3.785 Euro pro Monat ausmacht. Tatsächlich beträgt die Durchschnittsrente übrigens laut Statistik ca. 750 Euro pro Monat, also etwas mehr als 26 Entgeltpunkte. Pro Monat werden den 15 Millionen Rentnern damit 56 Mrd. Euro vorenthalten.
Der Semmelindex ergibt dann einen JÄHRLICHEN Betrag von gut 680 Mrd. Euro, den sich die Papiergeldindustrie und ihre Vasallen in der Vergangenheit angeeignet haben und bei gleichbleibender Bevölkerung von den zukünftigen Rentnern noch aneignen. Wer seine Semmeln heute für 30 statt wie ich für 45 Cent kaufen kann, kommt immer noch auf gut 400 Mrd. Euro pro Jahr. Man sollte wohl nicht von Rente, sondern von Sklaverei sprechen. Altersarmut ist dafür ein viel zu neutraler Begriff und lenkt nur vom Sklavenhalter ab.
Datenbasis: Rentenversicherung in Zeitreihen vom Oktober 2013, Hrsg. Deutsche Rentenversicherung Bund
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Dr. Stephan Ring ist Jurist und Vorstand des Ludwig von Mises Institut Deutschland.
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