Die heimliche Enteignung

19.11.2012 – von Marc Faber. (Vorwort aus „Die heimliche Enteignung“ von Michael Rasch und Michael Ferber)

Marc Faber

Es ist erfreulich und auch überfällig, dass zwei Ökonomen endlich die Geld­politik der Notenbanken kritisch analysieren. «So schützen Sie Ihr Geld vor Politikern und Bankern» ist ein besonders aktuelles Thema, dem ein breites Publikum bis jetzt allerdings wenig Beachtung geschenkt hat. Die beiden Autoren Michael Rasch und Michael Ferber behandeln in diesem Buch ein­gehend die Problematik einer sehr expansiven Geldpolitik. Trotzdem möchte ich noch einige Gedanken beifügen und dabei hauptsächlich auf die Politik der US-Notenbank (Federal Reserve) eingehen.

Unter den Präsidenten der US-Notenbank, den Herren Alan Greenspan (ab 1987) und Ben Bernanke (seit 2006), war und ist die amerikani­sche Geldpolitik durch eine vollständige Vernachlässigung des übermäßigen Kreditwachstums gekennzeichnet. In den USA sind die Gesamtschul­den der privaten Haushalte, der Unternehmen und des Staates von rund 140 Prozent des Bruttosozialprodukts im Jahre 1980 auf zurzeit knapp 380 Prozent gestiegen. Diese 380 Prozent schliessen noch nicht die fun­dierten, aber bestehenden künftigen Verpflichtungen in der Sozialversi­cherung und im Gesundheitswesen ein, die auf rund 400 Prozent des Bruttosozialprodukts geschätzt werden.

Zudem haben die führenden amerikanischen Notenbanker den Zweck von Krediten völlig vernachlässigt. Es besteht nämlich ein grosser Unterschied zwischen einem Kredit, der für allerlei volkswirtschaftlich nicht produktive Finanzspekulationen oder für gegenwärtigen Konsum auf­genommen wird, und einem Kredit, der für Kapitalinvestitionen, wie dem Bau einer Fabrik und der Beschaffung von Maschinen, in Anspruch genom­men wird. Beim Konsumkredit ist der Multiplikatoreffekt sehr begrenzt, während der Kredit für Kapitalinvestitionen eine nachhaltig einkommens­fördernde Wirkung hat. Die klassischen Ökonomen sprechen im letzteren Fall von einem produktiven Investitionskredit. Zudem sollte es auch ein­leuchten, dass der Konsumentenkredit lediglich die künftige Nachfrage vor­zieht und dass eines Tages, wenn der private Haushaltssektor überschuldet ist, der Konsum der Haushalte nicht mehr stark wachsen kann oder sogar schrumpfen muss – so wie dies jetzt in den USA der Fall ist.

Die amerikanischen Geldpolitiker haben auch nicht verstanden, was Inflation tatsächlich heißt, da sie bei ihrer Geldpolitik lediglich die Kernin­flation im Auge hatten. Die Autoren Rasch und Ferber behandeln in mehre­ren Kapiteln eingehend, was eine Inflation eigentlich ist. Ich möchte hier jedoch noch erwähnen, dass dieses Thema bereits in den 1920er-Jahren zwischen einigen amerikanischen Ökonomen und dem bedeutenden briti­schen Ökonomen John Maynard Keynes zu einer vertierten Debatte geführt hat. In einem Essay, das der Namensgeber des Keynesianismus damals an die US-Notenbank geschickt hat, argumentierte er, dass sich eine Inflation «früher oder später in den steigenden Preisen von Konsumgütern» bemerk­bar machen würde. Einige Mitglieder der US-Notenbank, unter anderem Carl Snyder, antworteten ihm, dass ein übermässiges Kreditwachstum den grössten Immobilienboom der letzten 60 Jahre verursacht und dass die übermässige Kreditexpansion zu einer gewaltigen Inflation bei Aktien und Immobilien geführt habe. In A Treatise on Money aus dem Jahr 1930 revi­dierte Keynes dann seine Meinung und erklärte, dass für jemanden, der in den 1920er-Jahren nur Konsumentenpreisindizes betrachtete, es keine Inflation gegeben habe. Für jemanden, der die starke Expansion von Bank­krediten und die steigenden Aktienkurse in Betracht zog, habe es allerdings sehr wohl eine Inflation gegeben. Zwischen 1927 und 1929, so Keynes, sei es in den USA zu einer hohen Gewinninflation gekommen.

Ich schreibe dies hier, weil die gegenwärtigen amerikanischen Geld­politiker, wie anfangs erwähnt, das übermässige Kreditwachstum völlig ver­nachlässigt haben. Ja, mehr noch: Sie erachten Anlageblasen nicht nur als völlig normal, sondern sogar auch als erstrebenswert, und fördern sie aktiv. An dieser Stelle ist es meine Pflicht, dem Leser mitzuteilen, dass die Förde­rung von Anlageblasen oder die Förderung einer Inflation der Anlagewerte («asset price Inflation») das grösste Verbrechen ist, das eine Notenbank be­gehen kann. Der bekannte Ökonom Irving Fisher bemerkte schon in den 1930er-Jahren: Wenn zu einer Zeit monetärer Inflation alle Preise und Ein­kommen gleichmässig stiegen, würde niemand darunter leiden. Wenn jedoch der Anstieg der Preise und der Löhne ungleichmässig verteilt sei, würde die Mehrheit der Bevölkerung verlieren und nur eine Minderheit gewinnen.

Da mich die grossen Anlageblasen in der Wirtschaftsgeschichte immer fasziniert haben, bin auch ich nach dem Studium dieser Bubbles zu dem Schluss gekommen, dass beim Platzen einer Anlageblase die meisten Anleger verlieren und nur ganz wenige profitieren oder wenigstens ohne grösseren Schaden davonkommen. Ausserdem sind Anlageblasen, die von negativen realen Zinsen begleitet werden, die perfidesten, weil ehrliche Spa­rer entweder Jahr für Jahr an Kaufkraft einbüssen oder geradezu von den Notenbanken zur Spekulation gezwungen werden. Aus diesem Grund füh­ren Zeiten rapiden Geldmengen- und Kreditwachstums zu einer sich stark vergrössernden Differenz beim Einkommen und beim Reichtum. Der sozi­ale Friede wird gestört, und wenn der Unterschied zwischen Arm und Reich zu gross wird, verursachen sie in Extremfällen sogar Revolutionen oder Bürgerkriege.

Schließlich möchte ich die Worte von Ernest Hemingway in Erinne­rung rufen, nach denen die erste Lösung für ein schlecht geführtes Land die Inflation der Geldmenge sei, die zweite der Krieg. Beide würden temporä­ren Wohlstand bringen – und dann permanenten Ruin.

Marc Faber, Chiang Mai, August 2012

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Gefahr für Anleger und Bürger

Kritik an zerstörerischer Politik und Geldpolitik

Das Buch, das die beiden NZZ-Wirtschafts- und -Finanzmarkt-Journalisten Michael Rasch und Michael Ferber zur Finanz-, Banken- und Schuldenkrise geschrieben haben, richtet sich vor allem an Bürger und Anleger, um ihnen die Hintergründe und Gefahren der Geldentwertung und der «finanziellen Repression» darzulegen. Der Inhalt des Buches beruht zu einem guten Teil auf den Erfahrungen und Arbeiten der Autoren im Rahmen ihrer langjährigen Tätigkeit für die Zeitung.

Fahrlässige Notenbanken

Den Lesern wird aus journalistischer Distanz ein Blick auf die in den vergangenen Jahren an die Oberfläche gekommenen Fehlentwicklungen in Politik und Märkten geboten, daneben geht die Analyse aber auch zeitlich weiter zurück und tiefer in die Zusammenhänge zwischen Geldpolitik, Politik und Wirtschaftsentwicklung.

Zu den wichtigeren Botschaften des Buches zählt denn auch die Passage: «Nicht die vermeintlich zügellosen Finanzmärkte sind schuld an den Refinanzierungsschwierigkeiten vieler Staaten, sondern unfähige und machtversessene Politiker, die viel zu oft die gegenwärtigen Wähler zulasten von Kindern und Enkeln gemessen an den realen Knappheitsverhältnissen überversorgen. Kein Unternehmen und keine Familie könnte je so unseriös haushalten wie manche Minister.»

Das Buch bietet einen Kontrast zur verbreiteten und oberflächlichen Kritik am «Kapitalismus» oder an Wettbewerbskräften, wie sie oft auch von Politikern zu hören ist, die an Interventionen und Harmonisierungen interessiert sind und Märkte lieber in einer Zwangsjacke halten. Kritik gilt aber auch der Geldpolitik der jüngeren Zeit. Unter dem Titel «Wie Notenbanker die Welt in den Ruin führ(t)en» wird das exzessive Verhalten von Notenbankführungen dargelegt, wie es nicht zuletzt durch den ehemaligen Star Alan Greenspan verkörpert wurde.

Praxisnahe Informationen

Der zweite Teil des Buches richtet sich mit zahlreichen Informationen über die Funktionsweisen von Geldpolitik, Finanz- und Kapitalmärkten, über Finanzmarktinstrumente und auch mit praktischen Hinweisen zum Investieren an Bürger und Anleger. Um den Überblick in der gegenwärtigen Lage zu erleichtern, werden mehrere Szenarien für die künftige Entwicklung von Wirtschaft, Kaufkraft und Wert des Geldes präsentiert, von denen die Variante «Durchwursteln» wahrscheinlich die am wenigsten pessimistische ist.

Michael Rasch und Michael Ferber: Die heimliche Enteignung – So schützen Sie Ihr Geld vor Politikern und Bankern.

Finanzbuchverlag, € 24,99, ISBN 978-3-89879-713-9

NZZ-Libro, Zürich 2012, Fr. 30.-


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