Die Geldschöpfung „aus dem Nichts“ führt in die Krise

24.9.2012 – von Thorsten Polleit.

Prof. Dr. Thorsten Polleit

Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)  wusste um die Verlockung und die zerstörerische Kraft des ungedeckten Papiergeldes. Im zweiten Teil des „Faust“ lässt er Mephisto dem Kaiser, in dessen Land Korruption und Gewalt herrschen und dessen Hofstaat chronisch über seine Verhältnisse lebt, den Rat geben, Papiergeld auszugeben, um einen Karneval zu finanzieren: Papiergeld das mit „ungehobenen Schätzen des Landes“ unterlegt ist – das ökonomisch betrachtet also ungedeckt ist. Gesagt, getan. Doch nur kurzfristig scheinen die Geldsorgen des Kaisers gelöst, verfallen die Menschen dem trügerischen Papiergeldsegen. Der Wahn währt nur kurz. Das Papiergeld stürzt des Kaisers Reich vollends in Chaos.

Goethe nahm vorweg, was mit vollendeter Perfektion und Perfidität nun zur allgemein befürworteten Geldordnung geworden ist: Papier- oder „Fiat“-Geld (fiat vom lateinischen „es geschehe“). Die Produktion des entmaterialisierten Geldes ist staatlich monopolisiert. Ökonomisch betrachtet handelt es sich, genauso wie in Goethes Kaiserreich, um legalisierte Geldfälschung. Doch es kommt noch schlimmer: Das Fiat-Geld wird durch Bankkreditvergabe produziert, die nicht durch „echte Ersparnis“ gedeckt ist. Das Geldschaffen durch Kreditvergabe „ex nihilo“ macht das Fiat-Geld zum eklatanten Fremd- und Störfaktor im System freier Märkte – und führt zu schweren wirtschaftlichen und sozialen Schäden.

Das Fiat-Geld verursacht Finanz- und Wirtschaftskrisen. Das Ausweiten der Fiat-Geldmenge durch Bankkreditvergabe senkt den Marktzins künstlich herab – und zwar unter das Niveau, das bestehen würde, wenn die Kreditvergabe nicht ausgeweitet worden wäre. Die künstlich gesenkten Zinsen verlocken zu Investitionen, die ohne ein künstliches Absenken nicht angegangen worden wären. Die Ausweitung der Fiat-Geldmenge durch Bankkreditvergabe gaukelt einen Zuwachs von Ersparnissen vor, der nicht vorhanden ist, um damit neue Investitionsprojekte erfolgreich zu bestreiten. Früher oder später tritt zutage, dass die Investitionsprojekte zu den ursprünglich kalkulierten Preisen nicht durchführbar sind. Der „Boom“ erweist sich als illusionär und kippt um in einen „Bust“.

Unternehmen schränken die zuvor ausgeweitete Produktion und Beschäftigung ein, Investitionsprojekte werden liquidiert. Doch der Abschwung, durch den die Fehlinvestitionen bereinigt werden sollen, ist politisch nicht gewollt. Unter den Rufen von Regierenden, Banken- und Unternehmensverbänden und Gewerkschaften nach noch tieferen Zinsen senkt die Zentralbank die Zinsen noch weiter ab, um die Bankkredit- und Fiatgeldmenge noch weiter auszudehnen. Das unheilvolle „Boom-Bust“-Spiel wiederholt sich um das ein oder andere Mal. Dabei steigt im Verlauf der Boom-und-Bust-Zyklen die Verschuldung relativ zur Wirtschaftsleistung immer weiter an. Schließlich werden unrentable Investitionen nicht liquidiert, sondern mit tieferen Zinsen Anschluss finanziert. Und zudem werden neue Investitionen angelockt, die wiederum nur profitabel sind, wenn die Zinsen künstlich niedrig bleiben. Das Fiat-Geldsystem führt so unweigerlich in eine Überschuldung, angeführt von einer übermäßigen Verschuldung von Staaten und auch Geschäftsbanken.

Denn vor allem die Staatsverschuldung steigt dank des Fiat-Geldsystems immer weiter an. Es erlaubt, Wahlkampfversprechen und einen auswuchernden Staatsapparat nahezu geräuschlos mit künstlich gedrückten Zinsen zu finanzieren. Angesichts der schier unerschöpflichen Finanzkraft des Staates begeben sich immer mehr Menschen direkt oder indirekt in seine Abhängigkeit: Staatsangestellte, Empfänger staatlicher Pensions-, Transfer- und Subventionszahlungen oder Unternehmer, die von staatlichen Aufträge leben. Aber auch Sparer, die ihre Lebensersparnisse in Staatsanleihen anlegen, werden zu willigen Befürwortern des (finanz)starken Staates.

Es kommt zur „kollektiven Korruption“: Eine wachsende Zahl von Gesellschaftsmitgliedern wird aus ihrem Eigennutzkalkül heraus zu Befürwortern staatlicher Zwangsmaßnahmen zum Erhalt des Fiat-Geldsystems. Um Staats- und Bankenpleiten abzuwehren, werden weitreichende Einschnitte in die Eigentums- und Freiheitsrechte akzeptiert – wie zum Beispiel der Erlass von Handelsverboten und Kapitalverkehrsbeschränkungen, vor allem auch das Auswuchern der Regulierung und Bürokratie. Gerade die Krisen, für die das Fiat-Geld zwangsläufig sorgt, überführen die Gesellschaft so Stück für Stück in ein kollektivistisch-sozialistisches Gemeinwesen.

Ist die kollektive Korruption erst einmal weit gediehen – hat also erst einmal ein großer Teil der Bevölkerung sein persönliches Wohl und Wehe an die Geschicke des Staates und an das von ihm monopolisierte Fiat-Geld gebunden –, dann sind auch die Weichen in Richtung hoher Inflation oder sogar Hyperinflation gestellt. Denn vor die Wahl gestellt, Pleiten von Staaten und Banken und damit eine Rezession-Depression hinzunehmen oder aber offene Rechnungen mit neu ausgegebenem Fiat-Geld zu bezahlen, wird sich die Mehrheit gegen Pleitewellen und für das Geldvermehren aussprechen.

Das heutige Fiat-Geldsystem ist keine „natürliche“, also aus Marktprozessen heraus gewachsene Ordnung. Es konnte nur entstehen, indem die Staaten das zuvor etablierte Sachgeldsystem bewusst zerstört haben. Ein markanter Zeitpunkt dafür war der 15. August 1971, der Tag, an dem der amerikanische Präsident Richard Nixon (1913 – 1994) das Goldeinlösungsrecht der US-Dollar-Halter einseitig aufkündigte. Mit diesem Schritt wurden die letzten Überbleibsel der Goldbindung für das Weltwährungssystem beseitigt, und fortan konnten die Nationalregierungen über beliebig vermehrbares Fiat-Geld verfügen und seine Kaufkraft je nach eigner Interessenlage heruntermanipulieren.

Das staatliche Fiat-Geldsystem lässt sich weder ökonomisch noch ethisch überzeugend verteidigen. Der Gegenentwurf zum staatlichen Fiat-Geld ist das freie Marktgeld. Ganz in diesem Sinne hatte sich Friedrich August von Hayek (1899 – 1992) bereits 1976 für einen Währungswettbewerb ausgesprochen, ein denkbar einfacher und ökonomisch praktikabler Ansatz: Die Monopolstellung des Staatsgeldes wird aufgehoben, und fortan haben die Geldnachfrager die freie Wahl, was sie als Geld verwenden wollen. Angesichts der (physischen) Eigenschaften, die Geld erfüllen muss, würde sich vermutlich rasch ein Sachgeldsystem (vor allem wohl Gold und Silber) herausbilden.

Eine Übertragung der staatlichen Geldproduktion auf freie Märkte – die Privatisierung der Geldproduktion – würde ein Geld hervorbringen, das im Einklang mit den ökonomischen und ethischen Prinzipien der Marktwirtschaft steht. Monetäre Konjunktur- und Finanzkrisen würden aufhören. Der Spielraum für wachstumsschädliche Marktinterventionen schwindet, das Fortschreiten auf dem Weg in die unfreie und verarmende Gesellschaft, den das Fiat-Geld ebnet, wird gestoppt. Die (Wieder)Beschäftigung mit der Idee des freien Marktgeldes wird sich als wahrer und tatsächlich hebbarer Schatz erweisen. Nicht überraschend, denn schon Goethe wusste: „Alles Gescheite ist schon gedacht worden, man muss nur versuchen es noch einmal zu denken.“

Dieser Beitrag wurde in ähnlicher Form am 5. September 2012 in der Börsen-Zeitung veröffentlicht.

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Thorsten Polleit, 44, ist Chefökonom der Degussa Goldhandel GmbH, Mitglied im Verwaltungsrat der Firma und Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance. Er ist Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, und Mitglied der Friedrich August von Hayek Gesellschaft. Seine Website ist: www.thorsten-polleit.com.

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