Der Staat als bloßer Konkurrent
17.9.2012 – Wie einst die Monarchie stößt heute die Demokratie an ihre Grenzen. Sie sollte abgelöst werden durch eine Privatrechtsgesellschaft.
von Hans-Hermann Hoppe.
Konflikte betreffen immer knappe Dinge. Ich möchte dies mit einer Sache anstellen und Sie mit derselben Sache das. Wo es keine Knappheit gibt, gibt es auch keine Konflikte. Da es Konflikte gibt – und da wir miteinander kommunizieren können –, suchen wir nach Normen. Der Zweck von Normen ist die Konfliktvermeidung (Frieden).
Bei Abwesenheit einer perfekten Interessenharmonie lassen sich Konflikte nur dadurch dauerhaft vermeiden, dass alle knappen Güter jeweils einer bestimmten Person als ihr Privat- bzw. Exklusiveigentum zugeordnet werden. Dann kann ich mit meinen Dingen, unabhängig von Ihnen und Ihren Dingen, handeln, ohne dass wir in Konflikt geraten. Doch wer besitzt welche Dinge als Privateigentum? Erstens, jede Person ist Eigentümer ihres physischen Körpers, den nur sie (und niemand sonst) direkt kontrollieren kann. Und zweitens, hinsichtlich aller Dinge, die nur indirekt (mit Hilfe des eigenen Körpers) kontrolliert werden können, gilt: Eigentum an einer Sache wird der Person zugesprochen, die diese Sache erstmals (vor allen anderen) angeeignet und unter ihre Kontrolle gebracht, im Weiteren hergestellt oder sie im freiwilligen und darum konfliktfreien Austausch von ihrem früheren Eigentümer erworben hat.
Diese Regeln sind nicht nur intuitiv einsichtig. Sie haben von Anbeginn der Menschheit weitestgehende Anerkennung als Regeln friedlichen Zusammenlebens gefunden. Man hat sie deshalb auch als „Naturrecht“ bezeichnet. Und dies Naturrecht ist zugleich die Grundlage wirtschaftlichen Wohlstands. Zu Wohlstand gehört natürlich mehr: Sparen, Kapitalakkumulation, Intelligenz, unternehmerische Erfindungsgabe und natürlich Zeit. Aber das Naturrecht ist der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen es zur größtmöglichen Entfaltung dieser Erfordernisse kommen kann.
Aber was macht man, wenn sich Personen nicht an diese Regeln halten? Wie setzt man diese Regeln durch? Eine geschichtsträchtige Antwort stammt von Thomas Hobbes: Zu diesem Zweck bedarf es eines territorialen Monopolisten der ultimativen Rechtssprechung und -durchsetzung, das heißt einer Institution, die in sämtlichen Konfliktfällen, einschließlich solcher, in die sie selbst verwickelt ist, das letztentscheidende Wort hat: einen Staat. Und da man die „potenziellen“ Gefahren einer solchen Instanz nicht ganz leugnen konnte, schlug man vor, dass diese „vornehmste“ aller Aufgaben nur dem edelsten aller Edlen, einem König, anvertraut werden konnte. Das war die Idee der absoluten Monarchie.
Doch mit der Monarchie kam es, wie es kommen musste. Selbst Könige, wie vornehm auch immer, waren keine Heiligen. Als Letzt-Richter in allen Konfliktfällen erlagen sie schnell der Versuchung, Konflikte nicht nur zu schlichten, sondern selbst zu verursachen, um diese dann zum eigenen Vorteil zu entscheiden. Könige wurden schnell und in zunehmendem Maß zum Gegenteil dessen, wofür sie angeblich bestimmt waren: zu enteignenden Eigentumsschützern und rechtsbrechenden Rechtsbewahrern. Recht wurde zu Gesetzgebung, und Eigentumsschutz wurde gleichbedeutend mit Enteignung und Besteuerung.
Angesichts dieser Erfahrungen verfiel man auf eine zweite, bis heute vorherrschende geschichtsträchtige Idee: die Demokratie. Statt in Händen des Vornehmsten, des Königs, sollte die Staatsmacht beim Volk liegen. Jeder sollte König werden können. Anders als bei der absoluten Erbmonarchie jedoch sollte niemand dauerhaft König sein dürfen. Jeder Staatsinhaber sollte regelmäßig wiederkehrenden Wahlen unterworfen werden. Statt eines permanenten Staatseigentümers sollte es nur vorübergehende Staatsverwalter geben.
Doch auch mit der Demokratie kam es, wie es kommen musste. Alles ging weiter wie zuvor – nur schneller und noch schlimmer. Das Monopol der richterlichen Letztentscheidung war nicht aufgehoben. Nur: Statt eines königlichen „Dilettanten“ waren es nun im Wettbewerb um Wählerstimmen ausgezeichnete „Professionelle“, das heißt Politiker, die sich als enteignende Eigentumsschützer und rechtsbrechende Rechtsbewahrer betätigen durften.
Und: Statt mit langfristig orientierten, weil dauerhaft inthronisierten Staatsinhabern hatte man es jetzt mit vorübergehenden Staatsverwaltern zu tun, die, dieser Rolle und Anreizstruktur angepasst, kurzfristig planten und kalkulierten. Stichwort: Nach mir die Sintflut, und langfristig sind wir alle tot!
Dementsprechend sind die Ergebnisse. Die privaten Eigentümern aufgebürdeten Steuern stiegen schneller und höher als je zuvor, und das Eigentums- und Vertragsrecht wurde praktisch vollständig durch Gesetzgebung ersetzt und pervertiert. Privateigentum ist nur noch Eigentum von Staates Gnaden. Der Hofstaat, jetzt öffentlicher Dienst genannt, blähte sich zu ungekannter Größe auf. An Stelle eines Warengeldes (Gold oder Silber) trat ein beliebig vermehrbares Papiergeld, das in monopolistischer Regie von einer staatlichen Zentralbank gedruckt wird. Entsprechend dramatisch nahm die Geldentwertung zu, und die Staatsschulden stiegen ins Unermessliche. Überdies wurde die „Verbreitung der Demokratie“ zum Grund unablässiger Kriegstreiberei.
Angesichts dessen wird es immer offenkundiger, dass auch die Demokratie ein zum Scheitern verurteiltes System sozialer Organisation ist. Und endlich gewinnt eine lang vorhandene und vertretene, aber von Monarchisten und mehr noch von Demokraten hartnäckig totgeschwiegene oder unterdrückte dritte Antwort wieder zunehmend an Aufmerksamkeit und Anerkennung: die Idee einer Privatrechtsgesellschaft.
Der Grundgedanke ist einfach. Zum einen: Die Vorstellung eines monopolistischen Rechtsbewahrers und -durchsetzers ist in sich widersprüchlich und darum undurchführbar. Ein Rechtsmonopolist, ob König oder Kanzler, ist per se ein Rechtsbrecher. Er schränkt das Verfügungsrecht anderer bezüglich ihres Eigentums ein, und er wird darum immer im eigenen Interesse liegendes Unrecht begehen und dann als im „öffentlichen Interesse“ liegend „verkaufen“.
Und zum anderen: Um dauerhaften Eigentums- und Rechtsschutz zu gewähren, muss es auch und gerade im Bereich des Rechtswesens freie Konkurrenz geben. Neben dem Staat müssen auch andere Personen oder Institutionen Eigentums- und Rechtsschutzleistungen anbieten dürfen. Der Staat wird zu einem normalen, allen anderen Personen und Institutionen rechtlich gleichgestellten Privatrechtssubjekt. Bei Konflikten zwischen Staatsbediensteten und Privatpersonen entscheidet darum nicht mehr der Staat, sondern eine unabhängige und neutrale Instanz: Schlichter und Richter, deren wichtigste Empfehlung ihre Reputation als Rechtsbewahrer ist und die ihrerseits im freien Wettbewerb miteinander stehen. Der Staat kann folglich keinerlei Steuern mehr erheben oder neue Gesetze erlassen, und er bzw. seine Bediensteten müssen sich nunmehr genauso finanzieren wie alle übrigen Personen: indem sie etwas von freiwilligen Kunden als preiswert Erachtetes herstellen und anbieten.
Nicht nur würde dadurch endlich wieder Recht gelten, sondern es würden auch dem zukünftigen wirtschaftlichen Wohlstand unerhörte neue Möglichkeiten erwachsen.
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Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe ist Distinguished Fellow des Ludwig von Mises Institute in Auburn, Alabama sowie Gründer und Präsident der Property and Freedom Society.
Er ist ein prominenter Vertreter der Österreichischen Schule der Ökonomie und libertärer Philosoph. Der Titel seines zuletzt erschienenen Buches lautet “Der Wettbewerb der Gauner” und ist im Holzinger-Verlag erschienen.
Weitere Informationen zu und von Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe auf “HansHoppe.com” und “TheProperty and Freedom Society“.
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