Der künstliche Aufschwung ist die Krise

1.7.2013 – von Thorsten Polleit.

Abschwung

Thorsten Polleit

Im Euroraum versinken immer mehr Volkswirtschaften in Rezession und Depression. Der künstliche Aufschwung, den die Euro-Einführung anfänglich brachte, ist vielerorts einem Abschwungsalbtraum gewichen. Die Menschen in den betroffenen Ländern erleiden Arbeitslosigkeit, Einkommensverluste oder gar persönlichen Ruin. Nicht nur sie, sondern auch die Menschen in anderen Euroraum-Ländern, die sich vor einem ähnlichen Schicksal fürchten, rufen nach geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen, um das Unheil abzuwenden. So verständlich eine solche Reaktion aus Sicht der Betroffenen auch ist, sie ist aus ökonomischer Sicht höchst problematisch.

Denn der viel beklagte Abschwung bringt nichts anderes als die wirtschaftliche Gesundung der zuvor im Aufschwung angehäuften Fehlentwicklungen. In der Öffentlichkeit herrscht jedoch eine andere Sichtweise vor. Ein Konjunkturaufschwung wird begrüßt. Er bringt Einkommens- und Beschäftigungszuwächse, er ist wie eine wohltätige Flut, die alle Boote, ob klein, ob groß, gleichermaßen anhebt. Ein Abschwung wird hingegen als „Krise“ verdammt: Er ist mit Produktions- und Arbeitsplatzverlusten verbunden, unterscheidet unbarmherzig zwischen erfolgreichem und nicht erfolgreichem Wirtschaften. Anders gesprochen: Aufschwung ist gut, Abschwung ist schlecht.

Kreditgeld

In der heutigen Papiergeldwelt ist jedoch der Aufschwung das, was ökonomisch als Krise zu bezeichnen ist, und der von vielen beklagte Abschwung ist es, der Fehlentwicklungen abbaut, die der Aufschwung verursacht; der Abschwung führt die volkswirtschaftliche Produktionsleistung wieder zurück zum Gleichgewicht. Das Ausweiten der Geldmenge durch Kreditvergabe löst nämlich einen illusionären Scheinaufschwung aus. Die Zinsen werden unter das Niveau gedrückt, das sich im freien Markt einstellen würde. Die Ersparnisse nehmen ab. Gleichzeitig steigt der Konsum, und zusätzlich erhöht die Investitionstätigkeit die Nachfrage nach knappen Ressourcen. Das delikate Koordinationsverhältnis von Sparen – Konsumieren – Investieren, das über den freien Marktzins bestimmt wird, gerät aus der Balance.

Die neuen Investitionen können sich nicht rechnen. Die tatsächlich verfügbaren Ersparnisse reichen dafür nicht aus, zumindest nicht zu herrschenden Preisen, oder die Unternehmer merken, dass sich ihre Produkte nicht zu den erhofften Preisen absetzen lassen. Die Erwartungen der Investoren werden enttäuscht. Produktion und Beschäftigung, die im künstlichen Aufschwung ausgeweitet wurde, werden nun wieder zurückgeführt. Der Aufschwung geht in einen Abschwung über.

Vor allem sind die Folgen eines künstlichen Aufschwungs für Staaten und Banken problematisch. Die Finanzen des Staates verbessern sich. Ausgaben lassen sich durch Kredite problemlos finanzieren. Banken weiten im Aufschwung ihre Gewinne aus, indem sie neue Kredite vergeben und zusätzliche Finanzprodukte verkaufen. Die Vorteile für Staat und Banken, die der Aufschwung bringt, verwandeln sich jedoch, wenn der Abschwung einsetzt, in schwere Nachteile. Staaten fällt es immer schwerer, ihren Schuldendienst zu leisten. Banken merken, dass Kreditkunden in Zahlungsschwierigkeiten geraten, und dass es zunehmend schwieriger wird, die Ansprüche der eigenen Gläubiger zu bedienen.

„Boom-and-Bust“

Kommt es zum Abschwung, werden Rufe nach „Krisenbekämpfung“ laut. Der Staat soll durch Fiskal- und Geldpolitik eingreifen, den Abschwung aufhalten und in einen neuen Aufschwung ummünzen. Die Politiken, die den „Scheinaufschwung“ in Gang gesetzt haben, sollen weitergeführt werden. Durch noch niedrigere Zinsen und noch mehr Kredit und Geld will man gewissermaßen dem „Tag der Abrechnung“ entkommen. Doch auch das fortgesetzte Zinssenken und Geldmengenausweiten wird letztlich nicht verhindern können, dass es irgendwann zum Abschwung kommt.

Eine Geldpolitik, die mit Zinssenkungen und Kreditausweitungen auf diese Anpassungen reagiert, stört den notwendigen Bereinigungsprozess. Genauer: Sie verschleppt nicht nur die Gesundung – und das ist auch ein wesentlicher Grund, warum die Krise im Euroraum kein Ende nehmen will –, sondern sie sorgt auch für immer größere Fehlentwicklungen, indem immer mehr knappe Ressourcen in Produktionswege gelenkt werden, die sich nicht rechnen. Solange eine Volkswirtschaft Geld verwendet, das durch Kreditvergabe „aus dem Nichts“ geschaffen wird, ist sie im unheilvollen „Boom-and-Bust“-Zyklus gefangen. Und je länger der künstliche Aufschwung in Gang gehalten wird, desto schwerer wird letztlich die Bereinigungskrise ausfallen.

So paradox es auch klingen mag: Die Euroraum-Länder, die in der Rezession sind, sind auf dem Weg der wirtschaftlichen Gesundung. Die steigende Beschäftigungslosigkeit bricht Verkrustungen auf den Arbeitsmärkten auf, die Arbeitskosten sinken und machen Arbeit wieder wettbewerbsfähig. Unrentable Investitionen werden gestoppt, liquidiert und dann produktiven Verwendungen zugeleitet. Schlechte Regierungen und Politiker werden aus dem Amt gedrängt. Kreditnehmer, die sich übernommen haben, stellen den Schuldendienst ein. Investoren, die schlechte Kreditentscheidungen getroffen haben, erleiden Verluste. Auf diese Weise wird die private und öffentliche Überschuldung abgebaut.

So entsteht Wohlstand

Was aber, so ist zu fragen, macht einen „echten“ Aufschwung aus? Die Antwort lautet: Die Marktakteure sparen aus dem laufenden Einkommen mehr und investieren ihre Ersparnis in produktive Verwendungen. Der Gegenwartskonsum wird eingeschränkt, um die künftigen Einkommen zu erhöhen. Dadurch sinkt aber nicht etwa die gesamte Nachfrage in der Volkswirtschaft. Lediglich die Zusammensetzung der Nachfrage ändert sich: Die Nachfrage nach Konsumgütern geht zu Gunsten der Nachfrage nach Investitionsgütern zurück. Sind die Investitionen erfolgreich, steigt der produktive Kapitalstock der Volkswirtschaft, und die Folge sind steigende Reallöhne und Einkommen.

Mit Geld, das per Kredit „aus dem Nichts“ geschaffen wird, lässt sich keine Wohlstandsmehrung erzielen. Im Gegenteil. Der künstliche Aufschwung führt nicht nur zu einer Verarmung – die Güterversorgung fällt schlechter aus, als sie ohne den „Boom“ ausgefallen wäre –, er sorgt vor allem auch für eine nicht marktkonforme Verteilung von Einkommen und Vermögen, bei der einige wenige auf Kosten vieler profitieren. Die Akzeptanz dieser Erkenntnisse ist ein notwendiger erster Schritt, um dem „Boom-and-Bust“-Zyklus zu entkommen, der, wenn er fortgeführt wird, letztlich in einen Zusammenbruch des Finanz- und Wirtschaftssystems mündet.

Dieser Beitrag wurde in ähnlicher Form am 21. Juni 2013 in der Börsen-Zeitung veröffentlicht.

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Thorsten Polleit, 45, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH. Zuvor war er 12 Jahre als Ökonom im internationalen Investment-Banking in London, Amsterdam und Frankfurt tätig. Seit 2003 ist Thorsten Polleit Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance, Frankfurt, Interessen- und Forschungsschwerpunkt Kapitalmarkttheorie, Geldpolitik und –theorie und insbesondere auf die „Österreichische Schule der Nationalökonomie“. Er ist zudem Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, und Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME). Seit Oktober 2012 ist Thorsten Polleit Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist Gründungsmitglied und Partner von „Polleit & Riechert Investment Management LLP“. Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.com. Hier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.

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