Falsche Kapitalismuskritik

15.2.2013 – Viele Menschen glauben, dass die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Ursache in der freien Marktwirtschaft hat. Das ist eine durch und durch falsche Deutung der Krisenursache. Denn das, was heute als freie Marktwirtschaft – oder zuweilen gar als totalitärer Kapitalismus – bezeichnet wird, ist gar keine freie Marktwirtschaft, sondern eine von staatlichen Eingriffen deformierte interventionistische Wirtschaftsordnung: Zum Beispiel sind Bankwesen, Bankenregulierung, Geldproduktion, Zinsentwicklung und Zentralbankpolitik fest in staatlicher Hand; und so ist es auch die staatliche Hand, die die beklagten Missstände verursacht hat. Eine freie Marktwirtschaft würde keinen Bankensektor dulden, der seinen gesamten Zahlungsverpflichtungen nur teilweise oder gar nicht nachkommen kann, es gäbe kein „Fiat“-Geld, keine Banken, die durch Kreditvergabe die Geldmenge ausweiten, keine künstlich niedrig gehaltenen Eigenkapitalpolster für Banken, keine Verquickung von Einlagen- und Kreditgeschäft der Banken, keine Zentralbank und keine künstlich niedrig gedrückten Marktzinsen. Dass die aktuelle Krise der freien Marktwirtschaft angelastet wird, sollte nicht unwidersprochen hingenommen werden. Denn eine solche Fehldeutung wirkt letztlich als Wegbereiter für eine immer weiter reichende Verstaatlichung des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens, durch die die Freiheiten und der Wohlstand der Bürger untergraben werden. Deshalb freuen wir uns, dass Michael von Prollius Klarheit in das Wort- und Deutungswirrwar bringt und damit gegen die Verunglimpfung der freien Marktwirtschaft – die ja die Grundlage für „Wohlstand für Alle“ ist – anschreibt.

Thorsten Polleit

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Kapitalismus im Zerr-Spiegel – Liberalismus für klare Sicht

von Michael von Prollius.

Michael von Prollius

Richard Cobden (1804 – 1865) wurden als „Champion of the Poor“ in vielen Städten Englands Denkmäler errichtet. Der aus armen Verhältnissen stammende Unternehmer hatte sich mit unzähligen Reden für die Abschaffung der Schutzzölle für Getreide eingesetzt. Millionen Broschüren und tausende Petitionen, die im englischen Unterhaus eingingen, flankierten seine Kampagnen, die 1846 endlich von Erfolg gekrönt wurden. Freihandel zum Wohl der Ärmsten war das Ziel. Cobden verfolgte eine linke Politik: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Cobden war ein führender Manchesterliberaler. Heute würde man den klassisch liberalen Unternehmer und Politiker als neoliberal bezeichnen.

Jakob Augstein wurde für den Grimme Preis 2013 nominiert. Der aus wohlhabenden Verhältnissen stammende Journalist setzt sich in seiner Kolumne „S.P.O.N – Im Zweifel links“ bei Spiegel online für eine linke Politik ein. In seinem Beitrag „Ohne Zweifel links“ vom 11.02.13 lobt Augstein den FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher für sein neues Buch „Ego“, das gegen den „Irrsinn des totalitären Kapitalismus“ gerichtet sei. Zahlreichen Kritikern wirft er Kampagnen vor: „In solchen Kampagnen bäumt sich der Trotz der letzten Gläubigen einer gescheiterten neoliberalen Ideologie auf, die in den Kältestuben ihres Ressentiments ihr trauriges Menschenbild pflegen, das Schirrmacher hier so schonungslos entlarvt.

Intellektuelle neigen dazu unsere Welt zu zerstören. Im Grunde sind sie es nicht selbst, sondern diejenigen, die die politische Macht in Händen halten, diejenigen, die in der Lage sind, andere zu zwingen etwas zu tun oder zu lassen. Viele Intellektuelle geben ihnen dafür argumentatives Futter. Von ihnen stammen die Irrlehren mit denen wir aufwachsen und inmitten derer wir täglich leben (müssen). Roland Baader, der vor gut einem Jahr gestorbene, herausragende „österreichische“ Publizist im deutschen Sprachraum, hat das in seinem lesenswerten Buch „totgedacht. Warum Intellektuelle unsere Welt zerstören“ treffend analysiert. Sein Inhalt lässt sich mit einem seiner Freiheitsfunken auf den Punkt bringen: „Wenn die Leute die wahren Ursachen jener Missstände erkennen würden, über die sie unablässig schimpfen, würde betretenes Schweigen einkehren.

Leider schweigen unsere vermeintlichen Eliten, die sich gerne als linke Intellektuelle geben, nicht. Zugleich sind sie überwiegend von kollektivistischen, Zwang ausübenden Ideologien überzeugt. Jakob Augstein konstatiert: „Wir alle sind Opfer einer Ideologie des Egoismus. Sie wurde für eine Welt des Krieges entwickelt und verheert heute den Frieden. Eine Ideologie der Kälte und des Autismus. Eine Ideologie von Psychopathen für Psychopathen.“ Roland Baader hat in der Tradition von Ludwig von Mises immer wieder aufgezeigt, dass ihre Adepten das Gegenteil von dem bewirken, was sie vorgeben zu beabsichtigen. In Berlin heißt das rotzig: „Gut gemeint ist der kleine Bruder von echt sch…“.

Gut meint es auch Jakob Augstein. Leider gehen wahr und falsch bis zu Unkenntlichkeit durcheinander:

  1. Wir leben nicht in einer Welt des totalitären Kapitalismus. Tatsächlich leistet gerade der demokratische Sozialismus seinen Offenbarungseid. Frankreichs Staatsquote beträgt über 56%. In Deutschland werden weit über die Hälfte des Bundeshaushalts für Soziales und Schuldenzinsen ausgegeben. Die USA versinken im Schuldensumpf. In Europa ist von der Säuglingsanfangsnahrung bis zum Friedhof, von der Glühbirne bis zur Gurkenkrümmung alles reguliert. Irrsinn? Ja! Totalitär? Zumindest autoritärer Paternalismus!
  2. Die neoliberale Ideologie ist nicht gescheitert. Neoliberale Reformen haben sich zwar stets zum Wohl der Bevölkerung ausgewirkt: 1948 in Deutschland mit Ludwig Erhard, in den 1980ern in Großbritannien und sogar in Skandinavien in den 1990er Jahren. Allerdings gibt es heute niemanden mehr, der sich als neoliberal bezeichnen würde oder eine neoliberale Politik verfolgt. Dabei verfolgten die Neoliberalen Ziele ganz im Sinne von Augstein und Schirrmacher: einen starken Staat und ein menschenwürdiges Leben für alle.
  3. Die Ideologie des Egoismus ist ein besonders beliebter Vorwurf und das nach den Verheerungen des Kollektivismus, der mit seinen Ordnungen durch Terror unvorstellbare Gewaltexzesse, Vernichtung und Armut hervorgebracht hat. Hingegen ist Kapitalismus (oder freie Marktwirtschaft) eine friedensstiftende Ordnung, die durch Handel weltweit Menschen zu beiderseitigem Nutzen verbindet. Im Übrigen erscheint angesichts von kollektivem Freudentaumel („Wir sind Papst“, „Deutschland eine Sommermärchen“) und der Tatsache, dass jeder dritte in Deutschland sich ehrenamtlich engagiert und spendet, auch dieser Vorwurf weltfremd.

Zutreffend, aber nicht neu, ist das in der Augstein-Kolumne abschließend präsentierte Schirrmacher-Zitat: „Ich bin wie wir alle nur Zeuge eines Denkens, das zwangsläufig in die Privatisierung von Gewinnen und die Vergesellschaftung von Schulden führte.“ Auch hier ist der Irrsinn mit Händen zu greifen, das Wesen des herrschenden Geldsozialismus: staatliches Geld, staatlich manipulierte Zinsen und Preise, staatliche Rettung für am Markt gescheiterte Großbanken, die zuvor reguliert und privilegiert wurden.

In einem Punkt möchte man Jakob Augstein zustimmen, wenn er mit Schirrmacher die „Verschmelzung von Ökonomie, Physik und Gesellschaftstheorie zu einer neuen Praxis der sozialen Physik“ anprangert. Das ist der Szientismus vor dem Friedrich August von Hayek als „Missbrauch und Verfall der Vernunft“ bereits vor 70 Jahren gewarnt hat. Aber diese Übereinstimmung ist lediglich ein Zufall. Denn die Linken sind heute im Zweifel Kollektivisten, konsequente Liberale unverändert Individualisten. Die Linken verfolgen wie die Rechten strukturkonservative Ziele. Dazu gehört insbesondere das etatistische Sammelsurium der Regulierungen, Verbote und Subventionen, die mit dem Deckmäntelchen der „sozialen Gerechtigkeit“ kostümiert werden. Wider aller historischer Erfahrung und allen theoretischen Erkenntnissen wird erneut die Parole „Freiheit durch Gleichheit“ ausgegeben. Wer mehr als nur ein Lifestyle-Linker sein möchte, der sollte sich auf die Spuren von Richard Cobden begeben. Und gegen eine Ideologie von Psychopaten ist als Soforthilfe das Ludwig von Mises Brevier „Logik der Freiheit“ geeignet, das Roland Baader herausgegeben hat.

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Dr. phil. Michael von Prollius ist Publizist und Gründer der Internetplattform Forum Ordnungspolitik, die für eine Renaissance ordnungspolitischen Denkens und eine freie Gesellschaft wirbt. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Geldsystem. Seine finanzwissenschaftlichen Beiträge und Rezensionen erscheinen zumeist in wissenschaftlichen Zeitschriften, aber auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Fuldaer Zeitung, der Neuen Zürcher Zeitung sowie in der Internetzeitung Die Freie Welt. Michael von Prollius ist Senior Experte beim Freiheitswerk, er verantwortet dort den Themenbereich Geld und Geldpolitik.

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