“Der EU Apparat ist ein potemkinsches Dorf – und das ist noch nett ausgedrückt.”
20.9.2013 – Interview mit Henryk M. Broder zu seinem neuen Buch “Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken.”
Herr Broder, die Deutschen Wirtschaftsnachrichten berichteten dieser Tage von einer eigenen Umfrage, nach der die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mehr Brüssel und weniger Deutschland möchten. Meinen Sie, es macht Sinn, im Bundestag Ihr Buch zu verteilen?
Es könnte nicht schaden. Ich frage mich, was die Abgeordneten meinen, wenn sie sagen “mehr Brüssel und weniger Deutschland”. Vielleicht wollen sie auch nur jeden zweiten Tag frei haben, um ausschlafen zu können, so wie ich. Dafür hätte ich das allergrößte Verständnis.
Sie bezeichnen die EU in Ihrem Buch als ‘Kopfgeburt’. Man verwendet diesen Begriff, um etwas zu bezeichnen, was sich jemand ausgedacht, ersonnen hat. Wie schaffen es die EU-Politiker, sich mit einer Aura zu umgeben, dass praktisch niemand sie in Frage stellt?
Die EU wird inzwischen von immer mehr Leuten in Frage gestellt. Ich erlebe bei meinen Lesungen, dass diese Frage die Leute mittlerweile immer mehr umtreibt, wahrscheinlich noch mehr als die angebliche Klimakatastrophe. Statt Kopfgeburt hätte ich auch sagen können, man hat bei einem Hausbau mit dem Dach angefangen, statt mit dem Fundament, das kann auch nicht funktionieren. Ich bestreite nicht, dass eine Zusammenarbeit in Europa über Grenzen hinweg ein wirklich gute Idee ist: offene Märkte, freier Handel, freie Wahl des Arbeits- oder Studienplatzes. Wenn ich heute über den Ku’damm gehe und sehe, wer da neben mir geht, wer hier arbeitet, wie viele Völker hier zusammenkommen, dann finde ich das sehr extrem positiv. Ich glaube nur nicht, dass man hierfür einen Apparat braucht, der sich zu einem Staat über den Staaten entwickelt hat.
Welche Erfahrungen haben Sie denn bei Ihren Vorlesungen gemacht, was den Wissenstand Ihrer Zuhörer rund um die EU betrifft?
Immer wenn ich Lesungen halte, stelle ich den Zuhörern einige Fragen, um deren Wissenstand zu testen. Erst gestern fragte ich, ob jemand weiß, wer Rainer Wieland ist. Er ist einer von vierzehn Vize-Präsidenten des EU-Parlamentes. Niemand wusste das. Es wusste auch niemand, dass ein Parlament, das nur 18 Mal pro Jahr tagt, 12 Mal in Straßburg und sechs Mal in Brüssel, gleich vierzehn Vize-Präsidenten braucht.
(http://www.europarl.europa.eu/plenary/de/meetings-search.html) Ab und zu frage ich,: „Wissen Sie, was EAD bedeutet?’ – EAD bedeutet Europäischer Auswärtiger Dienst. Europa hat keine Außenpolitik, es hat aber einen Auswärtigen Dienst, der in 136 Delegationen weltweit über 7000 Mitarbeiter beschäftigt. (http://de.wikipedia.org/wiki/Europäischer_Auswärtiger_Dienst) Jenseits unseres Horizontes ist ein gigantischer Apparat entstanden, der weitgehend damit beschäftigt ist, sich selbst zu organisieren, sich selbst zu verwalten und sich selbst zu versorgen. So einen Apparat los zu werden, ist eine ‘mission impossible’. Das Einzige, was ich leisten kann, was wir leisten können, ist uns bewusst zu machen, was da gerade vor unser aller Augen passiert, ohne dass wir es wahrnehmen.
Darf ich Ihnen an dieser Stelle einige Zitate vorlesen und Sie bitten, deren Autor herauszufinden?
Bitte.
“Es ist nicht die Aufgabe des Staates, das Verhalten seiner ‚Untertanen’ zu verbessern.”
Klingt nach Friedrich dem Zweiten?
Von ihm stammt es nicht, zweites Zitat. “Die Bürokraten vermehren sich und sind eifrig bemüht, schrittweise die Handlungsfreiheit des einzelnen Bürgers einzuschränken”.
Das sehe ich auch so. Stammt das vielleicht von Montesquieu?
Nein, leider nicht, drittes Zitat. “Es liegt in der Natur des Systems staatlicher Wirtschaftskontrolle, nach äußerster Zentralisation zu streben.”
Ist das von Herrn Mises?
Ja.
Beim dritten Anlauf habe ich es doch geschafft.
Gratuliere, die Zitate sind übrigens alle Ludwig von Mises’ Buch Die Bürokratie aus dem Jahr 1944 entnommen. Das vierte Zitat will ich nun aber auch noch loswerden. “Der vom Staatsdienst in Europa ausgehende Anreiz bestand nicht nur in der Höhe des Lohnes und der Pension; viele Bewerber, und nicht die besten, wurden von der Leichtigkeit der Arbeit und der Sicherheit angezogen.”
Ja, genau das ist es – viel besser, als ich es jemals formulieren könnte. Ich schaue mir gerne die Biographien der Politiker an, die im Europaparlament sitzen, das sind reine Funktionärskarrieren. Gerade erst habe ich gelesen, dass der geschiedene Mann von Sahra Wagenknecht, ein Herr Niemeyer, ein verurteilter Betrüger und Krimineller, nächstes Jahr für das Europaparlament kandidieren will, weil ihm das ein sicheres Einkommen, Auskommen und eine gewisse Immunität garantiert. Seine Ex-Frau Sahra Wagenknecht war auch schon vier Jahre im Europaparlament, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen. Wer hat da schon alles einen Job abbekommen! Edmund Stoiber zum Beispiel. Er leitet in Brüssel eine Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission zum Abbau der Bürokratie. Wenn ich mich nicht irre, beschäftigt er in seinem kleinen Büro mittlerweile 12 Mitarbeiter, so baut man Bürokratie fröhlich ab. Das ganze ist eigentlich eine Komödie, und wenn ich ein Komödienschreiber wäre, dann hätte ich schon längst ein wirklich lustiges Bühnenstück daraus gemacht.
Ihr Buch selbst liest sich stellenweise wie eine Komödie, trotz der Ernsthaftigkeit des Themas habe ich mich gut amüsiert. Meine Frau fragte mich mehrfach, warum ich andauernd lachen würde. Gab es auch negative Reaktionen auf Ihr Buch?
Kaum. Der eben erwähnte Rainer Wieland, einer der 14 Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, hat einen Auszug in der BILD gelesen und war hinterher „enttäuscht“. Er meinte, ich würde versuchen, „auf dem Rücken Europas Kasse zu machen“. Dieser Satz steckt voller blöder Ressentiments. Da ist erst einmal der Jude, der mit allem Geld macht. Dabei veröffentlichte Herr Wieland auch meinen zweiten polnischen Namen, den ich selbst nie benutze, als kleinen Hinweis auf meine obskure Herkunft – Henryk Marcin Broder. Es ist irre – dieser Mann hat ein Monatseinkommen, das etwa so hoch ist wie das Jahreseinkommen einer Kassiererin bei ALDI. Er tut aber so, als würde er für ein Butterbrot und ein „Vergelt’s Gott!“ arbeiten. Derjenige, der auf dem Rücken Europas Kasse macht, bin in seinen Augen ich. Tatsächlich ist es umgekehrt: er macht auf dem Rücken Europas Kasse und lässt sich dabei von mir, dem Steuerzahler, finanzieren. Das finde ich sehr bedenklich, Da entsteht ein neuer europäischer Adel, der sich gegenseitig bestätigt, alimentiert, alibiert und auf Kritik von außen extrem empfindlich reagiert.
Wenn wir diesen Leuten das Geld wegnehmen, wäre dann das Problem gelöst?
Nein, das Geld ist nur eines der Windfall Benefits. Was diese Leute noch mehr genießen, ist ihr Status als Angehörige einer neuen Elite. Die besondere Infamie liegt darin, dass Leute wie ich und Leute, die ähnlich denken wie ich, als Europakritiker oder Europaskeptiker bezeichnet werden. Ich finde, ein Kritiker oder Skeptiker zu sein, ist nichts Ehrenrühriges – das ist ein Grundbestandteil bürgerlich-liberalen Denkens. Aber alleine diese Formulierung rückt einen schon in eine ziemlich miese Ecke. Europaskeptiker, das hat beinahe schon einen Unterton wie Holocaust-Leugner. Ich bin skeptisch, ich bin kritisch. Von Natur aus. Schauen Sie sich die Biographien dieser Europa-Profis an. Ein Mann wie Martin Schulz – der weiteste Weg, den er jemals gegangen ist, war von Würselen bei Aachen nach Brüssel. Von sich sagt er, „er brennt für Europa“. Ich bin in Polen geboren, in Österreich und Deutschland aufgewachsen, ich habe in Israel und Amerika gelebt, Island und Holland sind meine zweiten Heimaten, ich spreche fünf Sprachen und muss mir von einem Herrn Wieland sagen lassen, ich sei ein Europaskeptiker. Das sind Leute mit reinen Funktionärslaufbahnen, die nie einen Tag in ihrem Leben richtig gearbeitet haben. Hier entsteht eine Kaste von intellektuell mediokren, aber organisatorisch bestens vernetzten Apparatschiks.
Bleiben wir beim Geld. In einer marktwirtschaftlichen Geldordnung, in der Geld nicht per Kredit aus dem Nichts entstehen kann, wäre eine Organisation, wie sie in Brüssel entstanden ist, gar nicht möglich…
Dass Geld aus dem Nichts entsteht, ist ohnehin das Ende der Marktwirtschaft. Ich war selbst auch überrascht, mir war das früher nicht bekannt, ich bin kein Ökonom. Früher wurde das Geld wenigstens noch gedruckt, da konnte man es immerhin noch anfassen. Das, was wir heute haben, ist staatsmonopolistische Planwirtschaft.
Eben, und ohne diesen Geldsozialismus könnten sich die geschaffenen Strukturen nicht halten…
Das ist natürlich ein Argument. Würde man das Geld – der EU-Haushalt für einen Zeitraum von sieben Jahren liegt bei 1 Billion Euro – wenigstens vernünftig investieren, in Straßenbau, in Forschung und Wissenschaft. Aber ein großer Teil des Geldes versickert einfach, es dient zur Selbstbedienung der Teilhaber. Da wird mal eine Milliarde nach Ägypten verschoben und kein Mensch weiß am Ende, wo sie geblieben ist. Auf Umwegen werden sogar Organisationen wie Fatah und Hamas unterstützt, natürlich nicht für den Waffenkauf, sondern über Umwege. Die EU hat den Bau des Mausoleums für Jassir Arafat mitfinanziert! Das ist doch das Letzte! Es findet ein völlig unverantwortlicher Umgang mit dem Geld statt. Dennoch ist Geld nicht mein erstes Argument. Mein erstes Argument ist, dass hier ein Apparat ohne parlamentarische Kontrolle geschaffen wurde. Die EU Kommission ist Exekutive und Legislative in einem. Das Parlament ist eine Witznummer, es darf nicht einmal eigene Gesetzesvorschläge einbringen. Das Ganze ist ein potemkinsches Dorf – und das ist noch nett ausgedrückt.
Herr Broder, Sie wollen mit Ihrem Buch in erster Linie auf die Problematik rund um den EU-Apparat aufmerksam machen, deshalb wünschen wir eine größtmögliche Verbreitung. Wir werden Ihnen in jedem Fall eine Ausgabe von Mises’ Bürokratie zukommen lassen…
… ich bitte darum…
… und Sie versprechen im Gegenzug, das eine oder andere Zitat daraus in den sicher folgenden Auflagen einzustreuen?
Ja, das mache ich sehr gerne.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Andreas Marquart.
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Henryk M. Broder, geboren 1946 in Kattowitz/Polen, war ehemals Autor beim Spiegel, schreibt heute für die Welt, ist einer der Begründer des politischen Blogs Achse des Guten, hat zahlreiche Debatten geführt und Bestseller geschrieben.