Ludwig von Mises‘ „Kritik des Interventionismus“ neu aufgelegt
31.07.2013 – Im Jahr 1929 veröffentliche Ludwig von Mises die Aufsatzsammlung Kritik des Interventionismus. Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsideologie der Gegenwart. Mit dem Begriff Interventionismus bezeichnet Mises ein Wirtschaftssystem, in dem zwar Sondereigentum an den Betriebsmitteln herrscht, der Staat aber durch Eingriffe das Marktgeschehen zu lenken und zu beeinflussen versucht. Mises‘ Einsicht war, dass jede Einmischung des Staates kontraproduktiv ist. Er zeigte auf, dass ein dritter Weg der gesellschaftlichen-wirtschaftlichen Organisation, der versucht, sich zwischen Sozialismus und Kapitalismus zu bewegen – heute würde man im deutschsprachigen Raum „soziale Marktwirtschaft“ dazu sagen – notwendigerweise scheitern muss. Denn, so Mises, das Bestreben, das „Gute“ und „Wünschenswerte“ von Kapitalismus und Sozialismus zu nutzen und gleichzeitig das „Schlechte“ und „Unwünschenswerte“ dieser Systeme auszuschalten – wie es der Interventionismus anstrebt –, ist unmöglich.
Wir freuen uns sehr, dass Ludwig von Mises‘ Werk Kritik des Interventionismus ab sofort wieder im Buchhandel erhältlich ist. Das Ludwig von Mises Institut Deutschland ist Herausgeber dieser Neuauflage. Am Ende des folgenden Auszuges (Theorie der Preistaxen) können Sie das Buch als PDF herunterladen. Wenn Sie das Buch käuflich über amazon erweben möchten, können Sie unsere Arbeit unterstützen, indem Sie Ihren Einkauf über das Bild am Ende des nachfolgenden Buchauszuges „Theorie der Preistaxen“ starten. Vielen Dank.
Andreas Marquart
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Theorie der Preistaxen
Die Erkenntnis, daß die Preise durch die Lage des Marktes eindeutig oder doch innerhalb enger Grenzen bestimmt sind, ist verhältnismäßig jung. Einzelnen Schriftstellern mag sie schon früher dunkel vorgeschwebt haben; zu einem System der Tauschhandlungen und der Statik des Marktes wurde sie erst von den Physiokraten und von der klassischen Nationalökonomie verarbeitet. Die Wissenschaft der Katallaktik überwindet damit den preistheoretischen Indeterminismus, der die Preise aus den Preisforderungen der Verkäufer hervorgehen ließ und keine andere Beschränkung der Preishöhe kannte als die Gerechtigkeit des Fordernden.
Wer die Preisbildung für frei hält, gelangt unschwer zur Forderung, sie durch äußere Vorschriften zu binden. Wenn das Gewissen des Verkäufers versagt, wenn er, ohne Furcht vor dem Zorn Gottes, mehr verlangt, als »billig« ist, dann müsse die weltliche Obrigkeit einschreiten, um dem Rechte zum Siege zu verhelfen. Für die Preise bestimmter Waren und Dienstleistungen wieder, für die man, nicht gerade folgerichtig, nicht dem Verkäufer, sondern dem Käufer die Macht zuschrieb, Abweichungen vom gerechten Preis zu erzwingen, sollten Mindestpreise vorgeschrieben werden. Die Obrigkeit wird aufgerufen, Ordnung zu machen, weil Unordnung und Willkür herrschen.
Die praktische Lehre, die sich auf den Erkenntnissen der wissenschaftlichen Nationalökonomie und Soziologie aufbaut, der Liberalismus, lehnt alle Eingriffe in das Spiel des Marktes als überflüssig, unnütz und schädlich ab. Als überflüssig, weil ohnehin Kräfte wirksam sind, die der Willkür der tauschenden Parteien Dämme setzen; als unnütz, weil die Absicht der Obrigkeit, die Versorgung zu verbilligen, durch sie nicht erreicht werden kann; als schädlich, weil sie die Produktion und den Konsum von den Wegen abdrängen, die, vom Standpunkte der Nachfrage betrachtet, die wichtigsten sind. Mitunter hat der Liberalismus obrigkeitliche Eingriffe in die Preisbildung als unmöglich bezeichnet. In welchem Sinne sie dies sind, werden die nachstehenden Ausführungen zu zeigen haben. Zweifellos kann die Obrigkeit Befehle erlassen, die die Preise regeln, und ihre Übertretung strafen. Es wäre mithin korrekter gewesen, wenn der Liberalismus die Preistaxen nicht als unmöglich, sondern als unzweckmäßig, d. i. den Absichten, die ihren Urhebern vorschwebten, zuwiderlaufend, bezeichnet hätte.
Der Liberalismus wurde sehr bald durch den Sozialismus zur Seite geschoben. Der Sozialismus will das Sondereigentum an den Produktionsmitteln durch das Gemeineigentum ersetzen. An sich muß der Sozialismus die Preislehre der Wissenschaft nicht verwerfen; es wäre denkbar, daß er ihre Brauchbarkeit für das Verständnis der Markterscheinungen in einer auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung anerkennt. Wenn er dies tut, dann muß er folgerichtig auch dazu gelangen, die Eingriffe der Obrigkeit und anderer Gewalthaber in die Preisbildung für ebenso überflüssig, unnütz und schädlich anzusehen wie der Liberalismus. In der Lehre des Marxismus finden sich in der Tat, freilich neben damit ganz unverträglichen Lehren und Forderungen, auch genug Ansätze zu dieser Auffassung; sie treten am deutlichsten hervor in der Skepsis gegen die Behauptung, man könne durch gewerkschaftliche Mittel das Lohnniveau dauernd erhöhen, und in der Ablehnung aller jener Wege, die Marx als »kleinbürgerlich« kennzeichnet. In der Politik des Marxismus überwiegt jedoch durchaus der Einfluß des Etatismus. Der Etatismus ist als Theorie die Lehre von der Allmacht des Staates und als Praxis die Politik, die alle irdischen Dinge durch Gebote und Verbote der Obrigkeit zu ordnen bestrebt ist. Das Gesellschaftsideal des Etatismus ist ein besonders gestaltetes sozialistisches Gemeinwesen; soweit dieses Gesellschaftsideal in Betracht kommt, pflegt man von Staatssozialismus oder auch unter Umständen von Militärsozialismus oder von kirchlichem Sozialismus zu sprechen. Äußerlich betrachtet unterscheidet sich das Gesellschaftsideal des Etatismus nicht viel von der Gestalt, die die kapitalistische Gesellschaftsordnung an der Oberfläche zeigt. Es liegt dem Etatismus fern, durch einen vollkommenen Umsturz der geschichtlich überkommenen Rechtsordnung alles Eigentum an den Produktionsmitteln auch formell in Staatseigentum zu verwandeln. Nur die größten Unternehmungen des Gewerbes, des Bergbaues und des Verkehrswesens sollen verstaatlicht werden; in der Landwirtschaft und im Mittel- und im Kleingewerbe soll das Sondereigentum dem Worte nach bestehen bleiben. Doch alle Unternehmungen sollen dem Wesen nach Staatsbetriebe werden. Den Eigentümern werden zwar Namen und Ehren des Eigentums und das Recht auf den Bezug eines »angemessenen« oder »standesgemäßen« Einkommens gelassen; doch in Wahrheit wird jedes Geschäft in ein Amt, jeder Erwerb in einen Beamtenberuf verwandelt. Für Selbständigkeit des Unternehmers ist im Staatssozialismus aller Spielarten kein Raum. Die Preise werden obrigkeitlich geregelt; die Obrigkeit bestimmt, was, wie und in welcher Menge erzeugt werden soll. Es gibt keine Spekulation, keine »übermäßigen« Gewinne, keine Verluste. Es gibt keine Neuerung, es sei denn, die Obrigkeit habe sie verfügt. Die Behörde leitet und überwacht alles.
Zu den Eigentümlichkeiten der etatistischen Lehre gehört es, daß sie sich das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen überhaupt nicht anders als in der Gestalt ihres besonderen sozialistischen Ideals vorzustellen vermag. Die äußerliche Ähnlichkeit, die zwischen dem von ihr gepriesenen und angestrebten »sozialen Staat« und der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung besteht, läßt sie die Wesensunterschiede verkennen, die die beiden trennen. Alles, was der Annahme dieser Gleichheit der beiden Gesellschaftszustände widerspricht, hält der Etatist für vorübergehende Anomalie und für strafbare Übertretung behördlicher Verfügungen. Der Staat habe die Zügel der Regierung schleifen lassen; er brauche sie nur fester in die Hand zu nehmen, und alles werde wieder in schönster Ordnung sein. Daß das gesellschaftliche Leben der Menschen sich unter bestimmten Bedingungen abspielt, daß in ihm eine Gesetzmäßigkeit waltet, die der der Natur vergleichbar ist, das sind Vorstellungen, die der Etatist nicht kennt. Ihm ist alles Machtfrage; und seine Vorstellung von Macht ist grob materialistisch.
Wenn auch der Etatismus es nicht vermocht hat, mit seinem Ideal der anzustrebenden Zukunftsgesellschaft die anderen sozialistischen Ideale zu verdrängen, in bezug auf die praktische Politik hat er alle anderen Richtungen des Sozialismus überwunden. Alle sozialistischen Gruppen sind heute, mögen ihre Anschauungen und ihre Ziele sonst noch soweit auseinandergehen, in der praktischen Politik bestrebt, durch Eingriffe von außen her, hinter denen die Zwangsgewalt steht, die Preise des Marktes zu beeinflussen.
Die Lehre von den Preistaxen hat zu untersuchen, welche Wirkungen die obrigkeitlichen Eingriffe in die Preisgestaltung des Marktes in einer auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung auslösen. Es ist nicht ihre Aufgabe, die Wirkungen der Preistaxen in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung zu untersuchen, die das Sondereigentum an den Produktionsmitteln dem Namen und dem äußeren Anschein nach beibehalten hat und sich daher zur Leitung der Produktion und des Verbrauches neben anderen Mitteln auch der Preistaxen bedient. In diesem Fall haben die Preistaxen nur technische Bedeutung, sie sind ohne Einfluß auf das Wesen des Ablaufs der Vorgänge, und die sozialistische Gesellschaft, die sich ihrer bedient, ist von einer anders organisierten sozialistischen Gesellschaft dadurch allein noch nicht wesensverschieden.
Die Wichtigkeit der Lehre von den Preistaxen ergibt sich daraus, daß vielfach die Behauptung vertreten wird, es sei neben der auf dem Sondereigentum und der auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung noch ein dritter Gesellschaftszustand denkbar, in dem das Sondereigentum an den Produktionsmitteln zwar beibehalten, aber durch obrigkeitliche Eingriffe »reguliert« werde. Diese Auffassung, die in den letzten Jahrzehnten von einem Teile der Kathedersozialisten und der Solidaristen vertreten wurde, erfreute sich und erfreut sich noch hohen Ansehens bei einer großen Anzahl von Staatsmännern und bei mächtigen politischen Parteien. Sie spielt auf der einen Seite eine Rolle bei der Deutung der Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit und ist auf der anderen Seite die theoretische Grundlage der modernen Interventionspolitik.