Das Bundesverfassungsgericht wird sich der EZB beugen – eine rechtsstaatliche Tragödie und das Ende der sozialen Marktwirtschaft

17.6.2013 – von Gunnar Beck.

Gunnar Beck

Das Bundesverfassungsgericht hat seine zweitägige Anhörung zum unbegrenzten Anleihekaufprogramm (OMT) am Mittwoch vergangener Woche beendet. Das Ergebnis steht bereits jetzt fest. Das Gericht wird sich der EZB nicht in den Weg stellen und das OMT im Wesentlichen durchwinken.

Im Ergebnis avisierte das Gericht der EZB seine Bereitschaft dazu bereits  zwischen August und Oktober 2012. Die rechtlich zwingenden Gründe für die Feststellung, daß das OMT gegen die deutsche Verfassung verstößt, sind bereits eingehend von vielen Seiten erörtert worden. Sie wurden von den Klägern, ihren Sachverständigen und BBPräsident Weidmann vor Gericht trotz dem Zeitdruck bei der mündlichen Verhandlung eindrucksvoll vorgetragen. Da die EU kein Staat, sondern eine vertragsgebundende Staatengemeinschaft ist, sind Organe inklusive der EZB in ihren Befugnissen auf die von den Mitgliedstaaten übertragenen gesetzgeberischen und Handlungskompetenzen beschränkt. Da nationale Regierungen nur nach Maßgabe ihre jeweiligen nationalen Verfassungen Hoheitsrechte an überstaatliche Institutionen abtreten können, haben die nationalen Verfassungsgerichte über die Auslegung der vertraglich abgetretenen Befugnisse zu wachen. Sie dürfen nicht gegen nationales Verfassungsrecht verstoßen. Das hat das BverfG in einer Reihe von Urteilen seit den sogenannten  ‚Solange‘urteilen der 1970er Jahre immer wieder betont und in seinen Entscheidungen zum Maastricht- und Lissabonner Vertrag konkretisiert. Im Maastrichturteil billigte das Gerichte die Währungunion nur unter der Auflage des Verbots der monetären Staatsfinanzierung in Artikel 123 AVEU und der Verpflichtung der Eurostaaten zu einer Stabilitätsunion. Im Lissabonner Urteil setzte das Gericht dann scheinbar konkrete Schranken: Bundesregierung und –tag dürfen keine staatlichen Kernkompetenzen abgeben, und die Budgetautonomie zur ‚Gestaltung der Lebensverhältnisse‘ der deutschen Bevölkerung dürfe durch den Integrationsprozess nicht in Frage gestellt werden. Soviel zur Rechtslage seit 2009 und im wesentlichen seit Gründung der Währungsunion.

Bundesbankpräsident Weidmann und die Sachverständigen der Kläger legten vor Gericht dar, dass sich aus den Staatsanleihekäufen der EZB unbestimmbare Risiken ergäben, da mögliche Verluste in Höhe von hunderten von Milliarden, oder langfristig gar von Billionen, wie von H.-W. Sinn dargelegt, das Eigenkapital der EZB von ein paar Dutzend Milliarden Euro um ein Vielfaches übertrifft und damit diese Summen von den Anteilseignern der EZB, den Euroregierungen, getragen werden müssten. Ein Verlust der EZB ist auch gleichzeitig eine monetäre Staatsfinanzierung, da Staaten sich dadurch mit Anleihen Geld verschafften, für das die Zentralbank geradesteht, indem es mehr und noch mehr Geld druckt oder die Verluste an die Mitgliedstaaten weitergibt, die die EZB rekapitalisieren müssen. Daraus ergibt sich eine grundsätzlich unbegrenzte Haftung auch Deutschlands und der Tatbestand der verbotenen monetären Staatsfinanzierung. Dies gestand EZB-Direktor Asmussen ein, wobei er jedoch betonte, die EZB werde das Risiko zu steuern wissen, eine klare Begrenzung der Anleihekäufe wolle und könne er aber nicht in Aussicht stellen. Mit der Möglichkeit unbestimmter Stabilitätsrisiken und unbegrenzter Haftungssummen haben die Kläger in bewunderswerter Kürze und Klarheit die Verfassungswidrigkeit des OMT-Programms in allen entscheidenden Punkten nachgewiesen. Bereits die Möglichkeit von Abschreibungen auf gekaufte Staatsanleihen ist monetäre Staatsfinanzierung und damit ein Verstoß gegen Artikel 123 AVEU. Die gegenseitige Haftung, die über den Kauf von Anleihen eines bedrängten Staates durch etwaige Verluste und Abschreibungen für andere Eurostaaten entsteht, verstößt zudem klar gegen Ziel und Zweck des Nichtbeistands- und Stabilitätsgebots gemäß Artikel 125 AVEU und lässt sich letztlich nur inflationär bereinigen. Somit liegt auch ein Verstoß gegen Artikel 127 AVEU vor, der die EZB zur Preisstabilität als vorrangigem Ziel verpflichtet, dem alles andere, auch die Erhaltung der Eurozone untergeordnet sein muss. Damit hätte das BverfG eigentlich schon zum Abschluss der Anhörungen dem rechtlosen Treiben der EZB ein Ende machen müssen. Dass das Gericht nach der Bundestagswahl im September diesen einzig folgerichtigen Schluss nicht ziehen wird, wie von BverfGpräsident Voßkuhle betont und der EZB und führenden Geschäftsbanken bereits zugesichert, ist eine rechtsstaatliche Trägodie. Die Überlegungen der Richter werden sich nun darauf konzentrieren, ein Feigenblatt zu konstruieren, das eine Machtbeschränkung der EZB suggeriert, die keine ist. Wahrscheinlich sind mahnende Worte und die Aufforderung an Selbstbeschränkung der Notenbank, die einem Blankoscheck gleichkommen. Denkbar ist auch eine Vorlage an den EuGH, was einem Durchwinken gleichkäme, ebenso, aber eher unwahrscheinlich, eine teilweise Unzulässigkeitserklärung der Klagen. Die Einzelheiten spielen nun keine Rolle mehr. Mit einem Urteil – selbst einem ‚Ja, aber‘ – ist der entscheidende Schritt zur Haftungsunion getan.

Interessanter, wenn auch fast ebenso absehbar, sind die weiteren ökonomischen, politischen und sozialen Folgen der Eurorettung und der juristischen Willfährigkeit der höchsten Justiz. Ein weiterer Schuldenschnitt für Griechenland ist vom IWF bereits in Aussicht gestellt worden und wird nach der Wahl vollzogen werden, wenn sich die Bundesregierung, die dergleichen noch dementiert, dem nicht mehr entgenstellen wird. Damit ergeben sich erste Verluste in Höhe von Dutzenden von Milliarden auch für die EZB, die anderen Gläubigern gegenüber nicht begünstigt ist. Deutschland muss überdies hinaus unabhängig gewährte Kredite abschreiben.  Die wirtschaftliche Situation in den Krisenstaaten wird sich nicht bessern, die Haushaltsdefizite sich deshalb nicht reduzieren. Die EZB wird also alsbald auch Staatsanleihen aus den Südstaaten kaufen, sobald deren Zinsen am Kapitalmarkt wieder steigen. Grenzen dafür gibt es nicht. Da die Staaten jedoch im Euroverband ihre Konkurrenzfähigkeit nur durch interne Abwertungen und Lebensstandardskürzungen von bis zu 30% wiedererlangen könnten, werden sich Staatshaushalte wegen niedrigen Steueraufkommens und anhaltender Rezession nicht abbauen lassen. Damit wird die Last von Reformen und Einsparungen größer, letztlich erlahmt der Reformwille. Die Troika inklusive der Kommission und die EZB werden die Bedingungen für Anleihekäufe lockern. Nach und nach lassen sich diese nicht mehr durchsetzen, ohne den Euro erneut aufs Spiel setzen. Der Euro mag so überleben, aber nicht als Stabilitäts- sondern als Inflations- und Krisenunion.

Parallel dazu werden die Regierungen die Arbeiten zur Bankenunion unter Kontrolle der EZB forcieren.  Da die EZB über Anleihekäufe ohnedies faktisch bereits unbegrenzt gegenseitige Haftung einführt, wird auch der Widerstand der Bundesregierung gegen eine Haftungsunion innerhalb der Bankenunion nach der Hürde der Bundestagswahl abnehmen und, sofern es für notwendige erachtet wird, eine entsprechende Vertragsänderung vorgenommen werden. Damit haftet dann der deutsche Steürzahler nicht nur über die EZB und den ESM für andere Staaten, sondern auch für marode Banken anderer Eurostaaten. Natürlich könnte dagegen noch in Karlsruhe geklagt werden, aber wer glaubt denn im Ernst noch, das Gericht nehme den Bürger ernst, wenn es nicht gerade um Modethemen und die Förderung der sexuellen Revolution durch den Richterstand geht.

Die Krise wird auch Deutschland nicht verschonen, infolge allmählich ansteigender Abschreibungen von ‚faulen‘ Kredite und Verlusten aus EZB-Anleihekäufen gerät auch der Bundeshaushalt ins Wanken, es steigt der Spardruck.  Renten werden nicht mehr erhöht, Reallöhne fallen, Sparer werden durch den Dauerniedrigzins langsam enteignet. Die Mittelschicht verarmt, die Ärmeren leiden immer mehr Not. Alles wird teurer. Die Unzufriedenheit steigt in Deutschland und anderswo in der Eurozone, auch politische Instabilität nimmt zu und Regierungen werden allenorts abgewählt und durch personelle Alternativen mit alternativlosen Pogrammen ersetzt.  Selbst in der Bundesrepublik mögen sich dann die Aussichten auf eine vierte Amtsperiode Angela Merkels verfinstern. Der jetzige Finanzminster Schäuble – ein nationales Unglück – lässt kundtun,  da müsse man durch. In Anerkennung ihrer weltweiten Achtung, so plant man schon jetzt in Brüssel, soll Angela Merkel dann das neuausgestaltete und erweiterte Amt der EU-Präsidentin übernehmen. Die Absicht sei, so ranghohe Beamte in der EU-Hauptstadt, dass die Kanzlerin noch vor Ende der nächsten Legislaturperiode von Berlin nach Brüssel wechselt. Ein möglicher Vizekanzler und Nachfolger aus Reihen der beiden großen Parteien wird nach kurzer Amtszeit im Rahmen einer ganz Großen Koalition wieder einträglichen Vorträgen nachgehen.

Indessen wird der EU-Integrationsprozess weiter vorangetrieben werden. Es frohlocken die Investmentbanken und Großinvestoren in aller Welt anlässlich der Proklamation der Bundesrepublik Europa. Beim Festakt prosten sich EZB-Präsident Draghi und Andreas Voßkuhle – vielleicht noch Verfassungsgerichtschef, vielleicht schon in noch höherem Amte – zu und trinken ihren Nektar aus Schädeln Erschlagener nicht nur in Deutschland.  Diese ‚schöne, neue Welt‘ erschließt sich dem Autor als nur folgerichtig aus der bisherigen Eurorettung und der stetigen Rechtsbeugung durch das mächtigste Kontrollorgan, das den Rechtsstaat noch hätte retten können, das Bundesverfassungsgericht.  Als langjähriger Befürworter einer politisch umsichtigen und allmählich organisch wachsenden und demokratisch und rechtsstaatlich in ihrer Entwicklung sanktionierten Europäischen Gemeinschaft, bangt er um die Zukunft  Europas. Für den Bürger nicht wissend, nur ahnend, vollzieht sich vor seinen Augen das Ende des Rechtsstaates und der sozialen Marktwirtschaft.

Bis zur Bundestagstagswahl noch – und keinen Monat länger – hat die Mehrheit der Bevölkerung es in der Hand, das Schlimmste zum Wohle nicht nur Deutschlands, sondern auch der bereits Not leidenden Mehrheit der Menschen in Südeuropa zu verhindern, für die im Euroverband keine Hoffnung besteht. Fehlt dem Wähler der Mut, den Rechtsbrüchen und der Entdemokratisierung durch die EZB und politischen Exekutiven in Europa Einhalt zu gebieten, ist es um die Demokratie geschehen. Denn Demokratie funkioniert nicht, wenn keiner mitmacht. Und das Verfassungsgericht entwürdigt den Rechtsstaat zur Schönwetterveranstaltung, solange das so bleibt.

Dieser Beitrag ist zuerst am 13. Juni 2013 im Handelsblatt – Online erschienen.

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Dr. Gunnar Beck lehrt EU-Recht an der Universität London und ist Verfasser der Studie „The Legal Reasoning of the Court of Justice of the EU“, die im Januar bei Hart Publishing in Oxford erschienen ist. Ein ausführlicher Vortrag des Autors zum selben Thema ist auf der Webseite des CESifo-Instituts im Rahme der Vortragsreihe Münchener Seminar in englischer Sprache per Video verfügbar.

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