Was uns die Geschichte der Mark Banco lehrt
14.1.2013 – Die Hamburger Bank (1619–1875) als Vorbild für ein marktwirtschaftliches Bankwesen.
von Kristof Berking.
Inflation, also die Ausweitung der Geldmenge durch Schaffung ungedeckten Geldes, ist nicht erst eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Zu Zeiten, da Geld noch Hartgeld bedeutete, wurde durch Münzverschlechterung inflationiert. Der Fürst oder anderweitige Emittent einer Währung verringerte sukzessive den Edelmetallgehalt der produzierten Münzen, ohne jedoch das aufgeprägte Nominale (Nennwert der Münze) dem verringerten tatsächlichen Wert anzupassen. Auf diese Weise konnten der Emittent und die ersten Empfänger der verschlechterten Münzen noch zur alten Kaufkraft dieser Münzsorte einkaufen, bevor der verringerte intrinsische Wert der Münze auch zu einer geringeren Kaufkraft bzw. einem niedrigeren Wechselkurs gegenüber anderen Münzen führte. Dass für die Menschen und den Markt die Kaufkraft des Geldes nicht aus dem auf einen beliebigen Gegenstand aufgeprägten Konterfei des Herrschers erwuchs (Staats- oder Machttheorie des Geldes), sondern aus dem intrinsischen Wert der Münzen (Tauschtheorie des Geldes), zeigt die Geschichte der Hamburger Bank und ihrer Mark Banco.
Abhilfe gegen Münzverwirrung
In der Kipper- und Wipperzeit zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) kam zur Münzverschlechterung durch die Geldproduzenten, die es immer schon gegeben hat, auch noch eine Münzverschlechterung durch Fälscher hinzu, die die schwereren Münzen einer Münzsorte aussonderten, um aus ihnen durch Zugabe minderwertigerer Metalle eine größere Anzahl von Münzen herzustellen. So wurde insbesondere Norddeutschland von minderwertigen Münzen überschwemmt. Für die Reichsstadt Hamburg, die als Hafenstadt internationalen Handel trieb, war allein schon die schiere Vielzahl von Münzsorten mit unterschiedlichem Metallgehalt, mit denen die Kaufleute rechnen mussten, ein Problem. Eine Recheneinheit ist besser als viele, befanden die Hamburger Stadtherren und Kaufleute, zumal wenn die vielen andauernd ihren intrinsischen Wert und damit ihre Kaufkraft verändern, d.h. verschlechtern. Nach dem Vorbild der 1609 gegründeten Amsterdamer Wisselbank (Wechselbank) gründeten die Hamburger daher 1619 ein städtisches Bankinstitut, das den Geldwechsel vereinheitlichte: die „Hamburger Bank“.
Depositenbank mit Volldeckung
Sie war zum einen staatliche Depositenbank, das heißt die Kaufleute gaben ihr Geld dort in Verwahrung, und die Stadt übernahm die Haftung für alle Schäden durch Feuer und Diebstahl. Der Bankfonds bestand aus Reichstalern – Großsilbermünzen, die seit 1566 offizielle Reichswährung waren – und anderen zugelassenen Münzsorten sowie ungemünztem Edelmetall. Nach dem „Banco-Mandat“ war die Bank verpflichtet, den Kontoinhabern ihr gesamtes Guthaben jederzeit auszuzahlen. Gesondert von der Wechselbankfunktion wurde als eigene Abteilung der Hamburger Bank 1619 auch eine Leihbank gegründet, die „Lehnbanco“, die aus dem Bankfonds gegen Pfänder Darlehen vergab und insbesondere der Stadt Hamburg Gelder vorstreckte.
Das Problem der Münzverwirrung löste man, indem man eine Rechenwährung schuf: die „Mark Banco“. Für die Einzahlung von einem vollwertigen Reichstaler wurden drei Mark Banco gutgeschrieben, so dass eine Mark Banco 1622 einem Silbergewicht von 8,66 Gramm entsprach. Bei der Einzahlung anderer Münzen oder von ungemünztem Silber wurde entsprechend in Mark Banco umgerechnet.
Erste Girobank Deutschlands
Dank der einheitlichen Recheneinheit konnten die Guthaben von einem Konto auf ein anderes Konto überwiesen werden, was die Hamburger Bank zur ersten Girobank Deutschlands machte. Die Mark Banco wurde nie als Münze ausgeprägt – auch um Fälschungen zu verhindern –, sondern existierte nur als Buchgeld und diente dem bargeldlosen Zahlungsverkehr. Sie wurde im Großhandel und im Hypothekengeschäft als Währung benutzt, und bald führten die Kaufleute auch ihre Bücher in Mark Banco. Die Commerz-Deputation (der Vorgänger der Handelskammer) notierte die Warenpreise, andere Währungen und Versicherungsprämien in Mark Banco und veröffentlichte regelmäßig Kurszettel. Der Erfolg der Mark Banco war begründet in ihrer relativen Wertstabilität; sie galt als Symbol der Solidität des Hamburger Kaufmanns. Tatsächlich überstand Hamburg die Kipper- und Wipperzeit mehr oder weniger unbeschadet.
Doch auch die Mark Banco, die übrigens schon Adam Smith in seinem berühmten Werk „Der Wohlstand der Nationen“ lobend erwähnt, hatte ihre Schwierigkeiten, denn sie war in Reichstalern definiert, und auch der Taler änderte zuweilen, wie die anderen Münzsorten ständig, sein Feingehalt – zum Schlechteren, versteht sich. Da Hamburg den Reichstaler weiterhin vollgewichtig ausprägte und die Bank leichtere Taler nicht rechtzeitig zurückwies, führten die Bewertungsverschiebungen wiederholt dazu, dass Bankeinleger die schweren Taler aus dem Bankfonds abzogen, um sie einzuschmelzen. Auch wurden entgegen dem eisernen Prinzip der Gründerväter gelegentlich Buchkredite ohne hinreichende Bardeckung eingeräumt, was zu Schwankungen der Bewertung der Mark Banco führte. So mussten die Einzahlungs- und Auszahlungsregeln und die Belehnungspolitik immer wieder neu geregelt werden.
Das ging 150 Jahre so. Nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) war es mal wieder so weit. Zum einen hatte sich der Münzfuß des Reichstalers bereits 1750 erneut verschlechtert, während die Mark Banco immer noch in den alten schweren Talern definiert war, die die Hamburger Bank im Bankfonds hatte und die in Hamburg auch immer noch vollwertig ausgeprägt wurden. Zum anderen hatte sich die Lehnbank – gewissermaßen die Kreditabteilung der Hamburger Bank – nicht den Anforderungen der Stadt Hamburg nach bedenklich hohen Darlehen entziehen können. Viele Banken hatten in den damaligen Krisenjahren mehr Geld verliehen, als gesund war. Die Hamburger Bank rettete sich aus diesen Wirren – im Gegensatz zur Bank von England – dadurch, dass sie die Grundsätze der Darlehensvergabe sehr verschärfte und auch Anleihen des Staates, d.h. der Stadt Hamburg, unter verschärfte Prüfung stellte. „Dat Sülver möt do wesen“ – „Das Silber muss da sein“, lautete das immer wiederholte Ceterum Censeo des Senators Lütkens, der für die Reform warb, mit der auch die ewige Münzverwirrung mit einem Streich gelöst wurde.
Die Reform von 1770
In einer denkwürdigen Unterredung in der Versammlung der Patriotischen Gesellschaft, einem 1765 gegründeten und heute noch existierenden Verein, hatte der Architekt Ernst Georg Sonnin, der Erbauer der Michaelis Kirche (bekannt als der „Michel“, das Wahrzeichen Hamburgs), die zündende Idee. Man diskutierte mal wieder über die Münzverschlechterung und die damit verbundenen Probleme der Mark Banco, und Sonnin warf plötzlich ein: „Wie klug sind doch die Chinesen. Die kümmern sich nicht ums Gepräge und nehmen das Silber nach Gewicht und Gehalt.“ Dieser Gedanke wurde von den Bankbürgern aufgegriffen und 1770 in einer Bankreform umgesetzt – einem reinen Feinsilberstandard, der die Hamburger Bank zum Vorbild auch für unsere Tage macht.
Man löste sich bei der Wertbestimmung der Mark Banco vom Nominale der Münzen und definierte sie fortan in Gewicht ungemünzten Feinsilbers. Die Taler, groß und klein, wurden zu Barren eingeschmolzen. Ab 1790 wurden auch gar keine Münzen mehr, sondern nur noch Silberbarren als Einlage hereingenommen. Mit dieser klaren und eindeutigen Regelung hatte sich die Bank gegen Ende des 18. Jahrhunderts „in der ganzen Welt den Ruf außerordentlicher und unwandelbarer Sicherheit erworben, und ihre Valuta ist namentlich in der Zeit von 1797–1819 der Maßstab und Standard aller Währungen, Wechsel- und Edelmetallpreise gewesen“.[1]
Die Bank von England hatte in dieser Zeit nämlich wegen der Napoleonischen Kriege die Einlöseverpflichtung für die von ihr ausgegebenen Banknoten suspendiert. So konnte das Pfund Sterling zur Kriegsfinanzierung stark inflationiert werden – natürlich mit dem hochheiligen Versprechen, nach dem Krieg die ungedeckte Geldmenge wieder zu reduzieren. Wie wir es aus unseren Tagen kennen, wurde das Versprechen natürlich nicht eingehalten, und 1815 wertete das Pfund stark ab. Die Hamburger Bank war eine Zeitlang der Stabilitätsanker im damaligen Weltwährungssystem.
Banknoten waren den Hamburgern suspekt
Im Gegensatz zur Bank von England hat die Hamburger Bank überhaupt niemals Banknoten herausgegeben. Theoretisch hätte sie das tun können, ohne ihr Prinzip der 100%igen Deckung aufzugeben, aber den Hamburger Kaufleuten waren Banknoten zu windig und unseriös. Während überall private Notenbanken, sogenannte Zettelbanken, entstanden – zwischen 1851 und 1875 stieg die Zahl in Deutschland von neun auf 33 –, blieb die Hamburger Bank dabei, die Guthaben ihrer Einleger nur im Kontobuch gutzuschreiben und nicht auf Zetteln, sprich: Banknoten.
Die Hamburger Bank war bis zum Schluss eine große Erfolgsgeschichte. Die schwere Weltwirtschaftskrise von 1857 machte ihr zwar zu schaffen, aber das lag daran, dass damals im allgemeinen Überschwang zu viel auf Pump finanziert wurde und auch die Kunden der Hamburger Bank zu viele Wechsel begeben hatten. Dass die Hamburger Bank sich nicht an dem damals richtig in Fahrt kommenden Teilreservebankwesen beteiligte, war insoweit ein Wachstumshemmnis für sie; andere Banken konnten einfach Buchgeld aus dem Nichts schöpfen. 18.000 Zentner Silberbarren, mit denen die Österreichische Nationalbank der Hamburger Bank im Dezember 1857 als Darlehen aushalf, konnte die Hamburger Bank indes bereits ein Jahr später unausgepackt wieder zurück nach Wien schicken.
Das Ende der Hamburger Bank kam mit der Reichsgründung von 1871 und dem Übergang Deutschlands zum Goldstandard. Im Rahmen der Schaffung eines einheitlichen deutschen Währungsgebiets durch die Reichsmünzgesetze von 1871 und 1873 wurde Silber demonetisiert. Dies geschah zur gleichen Zeit de facto auch in den USA durch den Coinage Act von 1873, der eine Depression nach sich zog und als „Crime of 1873“ in die Geschichte einging. Die Hamburger Bank wurde am 31. Dezember 1875 geschlossen und in eine Außenstelle der Deutschen Reichsbank umgewandelt. Es war auch eine Verneigung vor der Mark Banco der Hamburger Bank, als die neue Reichswährung ebenfalls eine „Mark“ wurde – die Goldmark.
Anknüpfen ans Renommee der Hamburger Bank
Heute ist die Hamburger Bank in der Freien und Hansestadt praktisch vergessen. Doch wenn man der Hamburger Kaufmannschaft nur einen einzigen Rat geben dürfte, wie sie ihre Unternehmungen und Geschäfte unbeschadet durch die aktuelle Kipper- und Wipperzeit bringen könnte, so wäre es dieser: Ruft eure Hamburger Bank wieder ins Leben und eröffnet jedermann die Möglichkeit, dort Konten zu halten, die zu 100% metallgedeckt sind (Gold, Silber, Platin oder auch Industriemetalle) und wie Girokonten Überweisungen von einem Metallkonto auf ein anderes erlauben (d.h. das Metall bleibt an derselben Stelle liegen und wechselt nur den Eigentümer). Damit sind ein crashunabhängiger Zahlungsverkehr und der Kaufkrafterhalt – nach Lage der Dinge sogar eine Kaufkraftsteigerung – der Einlagen gewährleistet. Auf Basis dieses ehrlichen Geldes könnten selbstverständlich auch Kredite vergeben werden durch eine eigens darauf spezialisierte „Lehnbank“, die dieses Geschäft zwischen Depositen-Inhabern und Kreditsuchenden vermittelt. Die nach Gewicht bzw. Feingewicht bemessenen Metallkonto-Guthaben könnten, sofern nicht direkt physisch eingezahlt, mit Euro-, Dollar- oder sonstigen von „Münzverschlechterung“ betroffenen Scheingeldwährungen jederzeit zum aktuellen Kurs erworben oder auch wieder in diese zurückgetauscht werden. Den Einkauf sowie die Lagerung des Metalls erledigt die Bank. Alles dies in der vorbildlichen Tradition der Hamburger Bank von 1619, die im Jahr 2019 ihr 400. Gründungsjubiläum feiern könnte.
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Dieser Beitrag erschien im August 2011 in der Sonderausgabe „Gutes Geld“ des Smart Investor Magazins und kann hier als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Kristof Berking ist von Hause aus Jurist, studierte auch Volkswirtschaftslehre und Geschichte, und lebt als Journalist und Filmemacher in Hamburg. Beim Smart Investor betreut er die Rubrik zur Österreichischen Schule der Nationalökonomie.
[1] Ernst Levy von Halle, „Die Hamburger Bank und ihr Ausgang“, Berlin 1891. – In ihrer Existenz bedroht wurde die Hamburger Bank allerdings vorübergehend in der Franzosenzeit, als Napoleon die eingelegten Silberbestände nach Paris abtransportieren ließ. Das Unternehmen wurde dennoch fortgeführt und das Renommee der Hamburger Bank sogar noch gestärkt, da sich bei der Plünderung herausgestellt hatte, dass die Bank mehr Silber in den Tresoren hatte, als zur 100%igen Deckung der Buchguthaben der Deponenten nötig war, was sich durch die Gebühren erklärt, die die Bank für ihre Tätigkeit erhielt.