“Der Prediger”

17.8.2012

Richard Sulík ist promovierter Ökonom und seit 2009 Vorsitzender der Partei "Sloboda a Solidarita". Von Juli 2010 bis Oktober 2011 war er Präsident des slowakischen Parlaments. "Sloboda a Solidarita" erzielte in den Wahlen von 2010 12 Prozent Wähleranteil und war Koalitionspartner einer Mitte-Rechts-Regierung. Die Regierung brach auseinander, als "Sloboda a Solidarita" als einzige Regierungspartei gegen die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms stimmte. Sulík hat einen Teil seiner Studienzeit in Deutschland verbracht und spricht fliessend Deutsch und Englisch.

Richard Sulík hat die eigene Regierung zu Fall gebracht. Er hat dafür gesorgt, dass Brüssels Politiker einen Moment die Luft anhielten, als er gegen den Euro-Rettungsschirm stimmte. Nun zieht der unangepasste Slowake durch die europäischen Lande. Und kommt sich manchmal vor wie ein Zeuge Jehovas.

René Scheu trifft Richard Sulík.

Herr Sulík, in Europa jagt ein Krisentreffen das nächste. Beginnen wir also fundamental: Wie steht es um das Europa von Frieden und Freiheit, von dem die Gründerväter träumten?

Ich würde sagen: Die Lage ist hoffnungslos, ansonsten aber nicht weiter ernst. Die Politik des «Es gibt keine Alternative» kommt an ihr Ende. Ich erlebe diese Zeiten sehr intensiv – und ich denke dabei oft an meine kleine Tochter, der ich im Rückblick einmal erzählen können will, was sich damals zugetragen hat, als die EU-Dogmatiker ihre Deutungshoheit zu verlieren begannen. Ich sehe mich als Teil einer europäischen Splittertruppe, einer Avantgarde, mit Frank Schäffler und Peter Gauweiler in Deutschland und Nigel Farage in England. Wir ziehen durch die europäischen Lande und betreiben Aufklärung.

Und ziehen den Ärger von Banken, Medien, Regierungsparteien und EU-Politikern auf sich. Worum geht es Ihnen?

Wir sind der Stachel im Fleisch der EU-Phantasten. Wir prangern die Machenschaften der Merkels, Hollandes und Junckers an, die sich alle paar Wochen auf Krisengipfeln treffen und im Namen von Solidarität und Gerechtigkeit die Union in ein politisches Ungeheuer verwandeln. Dabei kommen wir uns zuweilen vor wie Zeugen Jehovas, aber die Sache macht uns doch ziemlich viel Spass.

Der Widerhall auf digitalen Kanälen ist ziemlich beachtlich. Nigel Farrages Fangemeinde auf YouTube ist stark im Wachsen begriffen… 

…ja, auch ich habe schon 300 000 Klicks für ein Video von mir zu verbuchen. Ich war bei Maybrit Illner eingeladen und habe mit Martin Schulz, dem Vorsitzenden der Linken im Europaparlament, über die zerstörerischen Euro-Rettungsschirme diskutiert. Ich habe bloss einige im Grunde banale Dinge gesagt und objektive Zahlen präsentiert. Die Zuschauer konnten daraufhin genau studieren, wie Schulz, ein EU-Apparatschik ohne Abitur, die Fassung verlor.

Ihre Karriere begann als Unternehmer – wieso sind Sie in die Politik gegangen?

Ich habe ein Unternehmen gegründet, das Faxgeräte verkaufte und Kopiershops betrieb, FaxCOPY, und habe es von 1991 bis 2001 geleitet. Es beschäftigte 250 Leute und erzielte 20 Millionen Euro Jahresumsatz. Alles wunderbar, aber irgendwann hat es einfach gereicht. Politik ist wichtig, sie legt die Regeln unseres Zusammenlebens fest. Weil die Politik so wichtig ist, bin ich in die Politik gegangen. Die Leute sollen eine Alternative zum gegenwärtigen politischen Establishment haben. Es war schon immer mein Ziel, das öffentliche Leben mitzubestimmen. Im Jahr 2001 konnte ich es mir dann leisten, mein Unternehmen zu verlassen. Und fünf Jahre später habe ich es verkauft. Seitdem widme ich mich der Politik und bin absolut unabhängig.

Sie haben es von Anfang an auf die Politik abgesehen, und das Unternehmen war bloss Mittel zum Zweck?

Diese Idee ist mir zwar sympathisch. Denn das ist es, was heute fehlt: unabhängige Politiker. Aber so war es nicht. Ich habe das Unternehmen gegründet, weil ich meinen Lebensunterhalt sichern wollte. Es lief gut, und ich fand Gefallen daran. Zugleich nervte ich mich jedoch zunehmend über die weltfremden Gesetze, unter denen ich als Unternehmer zu leiden hatte. Es muss um das Jahr 1995 gewesen sein, als ich für mich im stillen den Entschluss fasste, eines Tages in die Politik zu gehen, um die Gesetze zu ändern – oder besser: um unnötige Gesetze abzuschaffen.

Was war der Auslöser?

Ich habe als Unternehmer erlebt, wie bescheuert das slowakische Steuersystem war. Ich dachte mir: Wenn ich dem Projekt etwas Zeit gebe, könnte es mir gelingen, das Steuersystem zu reformieren, nicht mit einer Retouche hier und da, sondern radikal. Und es ist mir auch tatsächlich gelungen. Ich war als Berater für das Finanzministerium tätig und habe eine Flat-Tax erarbeitet, die 2004 in der Slowakei eingeführt wurde: 19 Prozent Einkommens- und Körperschaftssteuern, nicht mehr und nicht weniger. 2009 gründete ich die Partei Sloboda a Solidarita. Seither bin ich Vollzeitpolitiker.

Würden Sie sagen, dass Sie aus einer privilegierten Position agieren? 

Warum?

Sie können dank finanzieller Unabhängigkeit tun und lassen, was Sie wollen.

Wenn das ein Privileg sein soll, so habe ich es mir redlich erarbeitet. Aber es stimmt: Das Leben ist viel schöner und interessanter, wenn es sich nicht ständig ums Geld dreht. Und ich finde, dass jeder die Möglichkeit haben sollte, in eine solche privilegierte Situation zu kommen. Der Staat sollte ihn einfach nicht daran hindern.

Das ruft Kritiker auf den Plan. Sie nörgeln: Sulík ist das Geld egal, weil er genug davon hat…

…das habe ich damit nicht gesagt. Ich sage: Wenn man genug Geld zur Verfügung hat, wird der Kopf freier und mit ihm die Hände. Und man legt an Mut zu.

Das macht Sie für die Linken zum Anwalt der Vermögenden. Wie parieren Sie deren Angriffe?

Ich bin stolz auf jeden ernsthaften Kritiker, den ich habe! Um die Schwätzer und Nachschwätzer kümmere ich mich nicht. Aber lassen Sie mich folgendes klarstellen: Ich bin, erstens, kein Anwalt der Reichen, sondern wenn schon ein Anwalt der Tüchtigen. Ausserdem halte ich, zweitens, nichts von diesen linken Denkgebäuden, die den Neid und das Ressentiment bedienen, indem sie sagen: Reichtum ist am Ende immer Diebstahl, und also haben wir das Recht, das Diebesgut den Reichen wegzunehmen. Das ist moralisch und ökonomisch völlig daneben. Wir hatten in der heutigen Slowakei vierzig Jahre Sozialismus, ich habe zwölf davon miterlebt, und ich habe diesen ganzen sozialistischen Müll einfach satt. Wir haben Nivellierungspolitik gesehen, die auf ihre Art sehr erfolgreich war: Am Ende hatten alle gleich viel, das heisst gleich wenig.

Was Sie als sozialistischen Müll bezeichnen, ist in West- und Zentral­europa alles andere als diskreditiert. Staats- und Steuerquoten von 50 Prozent gelten je nachdem als moderat oder normal, und wer die Steuern senken will, gilt sogar als Sozialabbauer…

…ja, klar, das ist eine völlig verkehrte Welt. Den Sozialismus predigen heute jene, die ihn nicht erlebt haben, und jene, die ihn erlebt haben, wollen zurück zu einer echten Marktwirtschaft. Es geht ja beim Sozialismus nicht bloss um ein ausgeklügeltes System zur Enteignung der Bürger, sondern auch um staatlichen Zwang und um gesellschaftliche Ächtung. Meine Eltern haben jahrelang studiert, gearbeitet und geschuftet, damit es der Familie besser ging. Das war aber alles egal, denn sie waren nicht in der Partei, so dass ihnen alle Türen verschlossen waren. Mein Vater durfte sich nicht selbständig machen, wir durften nicht verreisen. Kurz, sozialistischer Blödsinn! Ich denke: einer, der hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang gelebt hat, kann besser beurteilen, wann der sanfte Sozialismus der Nachwendezeit zur ernsten Angelegenheit wird. Manche Entscheidungen, die da gerade in Brüssel gefällt werden, gehen mächtig in diese Richtung.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die Vergemeinschaftung von Schulden. Da bekomme ich Gänsehaut.

Darauf kommen wir noch zu sprechen. Mit Ihrer Sicht der Dinge stehen Sie ziemlich isoliert da. Nehmen wir Deutschland, das Sie aus Ihrer Studienzeit gut kennen. Im deutschen Fernsehen diskutieren jeden Abend Politiker und Soziologen darüber, ob wir bloss in einem üblen kapitalistischen, in einem turbokapitalistischen oder bereits in einem raubtierkapitalistischen System leben…

…mit Kapitalismus hat unser System längst nichts mehr zu tun. Das sozialistische Regime geht mittlerweile sehr weit, wir merken es bloss nicht. Ganz konkret: Warum brauchen wir zum Beispiel ein so ausgedehntes Arbeitsgesetzbuch? Wenn ein privater Arbeitgeber einen privaten Arbeitnehmer einstellt, so ist das doch eine freie Entscheidung auf beiden Seiten. Es herrscht Vertragsfreiheit!

Auf dem Papier.

Richtig. Arbeitnehmer werden geschützt, als wären sie unmündige Menschen. Wählen dürfen sie, aber frei über ihre Anstellung verhandeln – das ist strengstens untersagt. Sie sind mittlerweile die Opfer der strengen Arbeitsgesetze, die sie vor den bösen Arbeitgebern zu schützen vorgeben. Eigentlich ist es doch ganz einfach: Der Arbeitnehmer wird doch nicht mit der Pistole an der Schläfe dazu gezwungen, einen Vertrag zu unterschreiben. Wenn wir also schon ein Arbeitsgesetzbuch haben, so sollte es auch nur die unerlässlichen Grundregeln dieses Verhaltens regeln. Aber was passiert nun de facto? Das Arbeitsverhältnis ist bis ins letzte Detail geregelt, noch bevor die beiden Vertragspartner überhaupt mit­einander zu reden beginnen.

Gut. Die offizielle sozialistische Begründung lautet so: Es gibt eine Asymmetrie der Macht. Der Arbeitgeber hat mehr Macht als der Arbeitnehmer, deswegen…

Unsinn! Wenn es heute eine Asymmetrie der Macht gibt, dann andersherum: Der Arbeitnehmer kann jeden Tag, jede Stunde, jede Minute sagen: Ich habe etwas Besseres gefunden. Schon ist er weg. Und der Arbeitgeber steht im Regen. Das Problem ist, dass wir heute in Europa relativ viele Arbeitslose haben – und warum ist das so? Weil man die Unternehmer nicht arbeiten lässt. Man gibt vor, die Arbeitnehmer zu schützen – in Wahrheit spielt man jedoch die einen gegen die anderen aus. Die Arbeit wird knapp, und die Gewerkschaften fordern noch mehr Schutz für die Arbeitnehmer. Die Konsequenz: Es gibt noch mehr Arbeitslose.

Das trifft für Hochqualifizierte zweifellos zu. Aber ich höre schon die Stimmen der Kritiker: Die ungelernten Arbeiter verlieren so ihre Rechte und werden zu einer reinen Manövriermasse…

…gehen wir mal davon aus, dass die sogenannten Niedrigqualifizierten tatsächlich mit einem solchen Problem konfrontiert sind, und gehen wir weiter davon aus, dass sie nichts dafür können. Selbst dann brauchen die Niedrigqualifizierten in ihren spezifischen Branchen eben spezifische Bestimmungen, die den Rahmen der Vertragsfreiheit neu abstecken. Aber selbst die Sozialdemokraten müssen zugeben, dass sie die ungelernten Arbeitnehmer nicht zur Norm erheben und alle anderen behandeln können, als wären sie ungelernte Arbeitskräfte. Der beste Arbeitnehmerschutz ist ein ausreichendes Angebot an Arbeitsplätzen. Nur so besteht Wahlfreiheit – und nur so steigen die Löhne real.

Wie sähe Ihr politischer Ansatz aus?

Ganz einfach: die Hürden für all jene abbauen, die wirklich arbeiten wollen. Wenn Sie in Deutschland Bäcker werden wollen, also Brot backen wollen, brauchen Sie einen Meisterbrief. Brot wird seit Tausenden von Jahren gebacken – wieso sollte denn jemand dazu eine langwierige Ausbildung machen müssen, wenn er auch ohne eine solche gut Brot backen kann? Haben die Menschen vor 5000 Jahren so schlechtes Brot gehabt, dass man Menschen heute vorschreiben müsste, unter welchen Bedingungen sie es backen dürfen?

Das ist ein Überbleibsel der Ständegesellschaft. Die Berufsleute einer Branche gründen eine Vereinigung, um sich selbst zu schützen, indem sie der Konkurrenz den Einstieg erschweren.

Das ganze läuft unter Titeln wie Qualitätssicherung, Solidarität, Schutz der Arbeiter, Schutz der Konsumenten, was weiss ich, aber das Ziel wird verschwiegen: die einen zu privilegieren, die anderen zu benachteiligen. Ich will diesem Trend entgegenwirken und die Regeln so gestalten, dass jeder sich selbständig machen kann, wann immer es ihm beliebt. So gäbe es dann keinerlei Asymmetrien der Macht mehr, denn jeder kann immer und überall seine Ideen und Waren anbieten. Der bisherige Bäckerangestellte kann dann sagen: Man zahlt mir zu wenig oder man lässt mich zu viel schuften – ich mache meinen eigenen Betrieb auf und bin besser dran!

Und gleichzeitig versucht Europa, der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum der Welt zu werden.

Reine Rhetorik!

Ihre Partei heisst «Freiheit und Solidarität» und hat es auf Anhieb ins slowakische Parlament geschafft. Die beiden Begriffe sind ebenso modisch wie vage. Wofür stehen sie?

Damit verbinden sich zwei klare Botschaften. Freiheit heisst: Die Menschen können tun oder lassen, was sie wollen, solange sie anderen damit nicht schaden. Wir sind für maximale unternehmerische Freiheit, aber auch für maximale persönliche Freiheit, zum Beispiel für Partnerschaften unter Homosexuellen. Und Solidarität bedeutet: Wir sichern ein Existenzminimum für die kranken, schwachen und bedürftigen Menschen. Auch für die Faulen! Es gibt vom statistischen Amt einen Warenkorb, der jene Waren enthält, die der Mensch zum Leben braucht. Dieser Warenkorb hat für die Slowakei einen Wert von knapp 200 Euro im Monat. Unser Anliegen ist es, dass jeder in der Slowakei diese 200 Euro im Monat erhält.

Ein Grundeinkommen?

Der Betrag sinkt langsam, je grösser das Einkommen der Person ist, so unsere Vorstellung. Jeder soll jedoch ein Minimum erhalten, sonst ist es nicht fair. Es handelt sich also um eine Kombination aus Grundeinkommen und negativer Einkommenssteuer. Wichtig ist dabei, dass wir uns am objektiv feststellbaren Lebensnotwendigen orientieren und nicht an irgendwelchen willkürlichen sozialistischen Umverteilungsphantasien. Wir sind solidarisch mit den Armen, nicht mit den Profiteuren des Sozialstaats.

Führen Sie die Partei wie ein Unternehmen? Sehen Sie sich als CEO von «Freiheit und Solidarität»?

Nein. Die politischen Entscheidungsprozesse sind demokratisch, man kann Parteien nicht wie Unternehmen führen.

Als demokratisch gewählter Politiker sind Sie Volksvertreter. Das Wahlvolk ist Ihr Chef…

…das sehe ich anders. Politiker sind gewählt vom Volk. In wessen Auftrag handelt aber der Politiker wirklich? Ich würde von mir behaupten: Ich handle in meinem Auftrag. Aber die Wähler entscheiden, ob ihnen mein Auftrag gefällt oder nicht – spätestens nach vier Jahren wieder. Unsere Partei, ein Jungspund, ist erst drei Jahre alt. Bei den Wahlen vor zwei Jahren erhielten wir 12 Prozent der Stimmen, das bedeutet: Viele Leute konnten sich mit unseren Ideen identifizieren. Nun sind wir auf 6 Prozent eingebrochen – aber so funktioniert eben Demokratie. Viele Politiker hören einfach gut zu und sehen, was die Mehrheit will. Das plappern sie dann nach – und werden auch gewählt. Diejenigen, die wie ich prinzipientreu sind, haben mit diesem Politikverständnis ihre liebe Mühe. Aber auch das ist eben Demokratie.

Wie finanziert sich Ihre Partei?

Am Anfang haben meine vier engsten Parteikollegen und ich einige hunderttausende Euro zusammengebracht. Seitdem bekommen wir Geld vom Staat.

Eine staatlich alimentierte Partei, die die Macht des Staates begrenzen will?

Die Parteienfinanzierung in der Slowakei ist ziemlich gut organisiert. Wer wie wir sechs Prozent der Wählerstimmen holt, bekommt für die kommenden vier Jahre 3,4 Millionen Euro vom Staat. Das reicht für eine kleine Partei. Vor zwei Jahren bei der Wahl kamen wir auf zwölf Prozent der Stimmen und erhielten 5,7 Millionen für vier Jahre. Das Geld sichert den laufenden Betrieb und hat es uns auch ermöglicht, eine schöne Parteizentrale zu kaufen.

Sie finden das in Ordnung?

Ja, warum?

Der Staat macht durch die Zahlungen die Parteien von sich ab­hängig und gefügig. In der Schweiz wäre die staatliche Finanzierung der Parteien ein pikanter Vorgang. Die Parteien finanzieren sich über die Beiträge ihrer Mitglieder und über Spenden.

Das finde ich viel gefährlicher. Und ich sage Ihnen auch, warum: In kultivierten Gesellschaften kann man mit diesem System vielleicht leben, aber mit Sicherheit nicht in der Slowakei. Der Spender gibt zunächst anonym Geld. Und dann kommt die Partei an die Macht – und der Spender erscheint ein zweites Mal. Dieses Mal gibt er kein Geld, sondern er sagt: Ich will dieses oder jenes Gesetz, diesen Auftrag für meine Firma oder sonst etwas! Es ist für die eigene Unabhängigkeit besser, Anspruch auf Geld des Staates zu haben.

Auf Kosten der Steuerzahler!

Moment. Die Parteien zu finanzieren kostet in Slowakien grob geschätzt vielleicht 15 Millionen Euro im Jahr. Die finanzierten Politiker der Parteien verwalten aber ja nachher ein Vielfaches dieses Budgets, zehn Milliarden Euro. Wollen Sie, dass diese Politiker in der Schuld der Lobbyisten, also der Spender, stehen? Vielleicht haben Sie in der Schweiz so hohe Standards, aber in der Slowakei würde das nie im Leben funktionieren.

Der Wähleranteil Ihrer Partei hat sich an den vorgezogenen Wahlen halbiert. Kam bei den Wählern nicht gut an, dass Sie im Oktober 2011 gegen den europäischen Rettungsschirm gestimmt und die Mitte-Rechts-Regierung zu Fall gebracht hatten, der Sie selbst angehörten?

Ausschlaggebend war eine ziemlich schmutzige Kampagne gegen uns…

…die mit staatlichen Geldern der anderen Parteien finanziert wurde?  

Keine Ahnung, wer sie finanziert hat, sie war sehr schmutzig und zielte auf die Personen. Ich habe mich mit einem etwas zwielichtigen Typen getroffen, einem Geschäftsmann mit Kontakten in die Politik. Dabei ging es nicht um Geschäfte oder Provisionen, sondern um verschiedene Informationen, die dieser Herr hatte. Ich war also etwa zehnmal bei ihm zu Hause, und wir haben uns gut unterhalten. Was ich nicht wusste: Er hat unsere Treffen gefilmt und veröffentlicht, um mich zu diskreditieren.

Da waren Sie ziemlich naiv.

Ich war gutgläubig. Das Video können Sie bis heute im Netz finden – und auch nachvollziehen, dass es dabei nicht um krumme Dinge ging, sondern um vertrauliche Gespräche. Trotzdem hat diese Falle einen riesigen Wirbel erzeugt. Fakt ist, dass wir keinen einzigen Korruptionsfall in der Partei hatten. Aber wen interessieren in unseren Mediengesellschaften schon die Fakten? Es erschienen tausend Texte zur zerstrittenen Koalition, aber kaum ein Text zu den realen Problemen der EU. Wäre ich paranoid, hätte ich das Gefühl, als habe es ein stilles Abkommen zwischen Politik und Medien gegeben, nicht über die europäische Schuldenkrise und ihre Lösungen zu debattieren.

Wegen Ihnen ist die Mitte-Rechts-Regierung unter Iveta Radicova auseinandergebrochen. Ich nehme an, dass Ihnen das viele potentielle Wähler übelnahmen.

Pardon – aber das stimmt so nicht. Wir spielen keine politischen Machtspielchen, das haben wir immer gesagt. Die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms war nicht Bestandteil der Regierungserklärung, an die wir uns stets gehalten haben. Und wir haben zu Beginn vereinbart, dass alle vier Koalitionsparteien zustimmen müssen, wenn es um Angelegenheiten jenseits der Regierungserklärung geht, damit diese in Kraft treten können. Wir haben unsere ablehnende Haltung gegenüber dem EU-Rettungsschirm von Anfang an klar kommuniziert. Daraufhin hat die Ministerpräsidentin die Vertrauensfrage gestellt – und wir sind unseren Prinzipien treu geblieben und haben Nein gesagt.

Hätten die Koalitionsparteien nicht einfach mit der Opposition für die Ausweitung stimmen können?

Hätten sie. Und ich habe es ihnen auch nahegelegt – aber es kam anders. Ich nenne es primitive Erpressung.

Wie viele Rettungsschirme gibt es überhaupt? Ich habe den Überblick verloren.

Es gibt den befristeten Rettungsschirm seit August 2010. Ein Jahr später wurde er erweitert, und in diesem Frühsommer wird der dauerhafte Rettungsschirm kommen. Es gibt also nur zwei. Ich habe aber mehr und mehr den Eindruck, dass das Ganze ein grosses Ablenkungsmanöver ist, weil die grösste Gefahr eigentlich von der EZB ausgeht.

Konkreter!

Gegenwärtig reden alle von Griechenland. Dabei ist Spanien das Problemland Nummer eins. Denn Griechenland wird den Währungsraum verlassen, sobald der Geldstrom in das Land versiegt. Portugal ebenso. Italien wird sich selbst helfen, genau wie Irland. Aber Spanien hat nach den USA weltweit die grössten absoluten Auslandschulden mit über einer Billion Euro. Das ist zu viel, um es per Rettungsschirm ausgleichen zu können. Nun tritt aber die EZB als Lender of Last Resort auf und übernimmt die Schulden mit dem Instrument Emergency Liquidity Assistance (ELA). Griechenland hat über 100 Milliarden Euro nicht über den Rettungsschirm bekommen, sondern selbst geschöpft durch die griechische Nationalbank. Das zweite Problem sind die Long Term Financing Operations.

Die EZB hat zweimal 500 Milliarden Euro zu 1 Prozent Zins für drei Jahre verliehen.

Richtig. Das führt zum dritten Problem: den Sicherheiten. Früher musste ein Land Sicherheiten hinterlegen, um solche Kredite zu bekommen – nun akzeptiert die EZB nahezu alles als Sicherheit, selbst Ramschpapiere oder griechische Schuldtitel. Bis Oktober 2010 mussten die Papiere, die Sie hinterlegen konnten, mindestens ein A-Rating haben, heute reicht ein BBB–. Und als ob das alles noch nicht genug wäre, sind da noch die sogenannten Target-2-Verbindlichkeiten. Die Südländer kommen hier in der Zwischenzeit auf eine Summe von etwa 800 Milliarden Euro, die sie solide haushaltenden Ländern schulden. Die Rolle der EZB ist nun also erstens die Übernahme aller Schulden kreuz und quer. Zweitens: Sie informiert darüber nicht. Niemand weiss, um wie viele Prozente die hinterlegten Sicherheiten gesenkt wurden. Niemand weiss genau, wie viele ELAs im Umlauf sind. Target2 erfasst die EZB gar nicht, da müssen Sie bei den einzelnen Banken nachschauen. Drittens sind die Entscheidungsprozesse auf den Kopf gestellt. Jedes Land hat ein Mitglied im Entscheidungsgremium der EZB. Unabhängig von der Wirtschaftskraft oder der finanziellen Potenz eines Landes, unabhängig auch von der Bevölkerungszahl. Malta hat genau so viel Einfluss auf die Finanzwirtschaft der EZB wie Deutschland. Unter den sechs Direktoren befindet sich ebenfalls ein Deutscher – die anderen kommen ausschliesslich aus Belgien, Frankreich und aus Südländern. Und diese tun sich natürlich gegen den Zahler zusammen!

Das klingt in der Tat ziemlich abenteuerlich. Die meisten Medien halten derweil an der Version fest, dass die EZB eine zu rigide Geldpolitik verfolge…

…das ist absurd, ja eigentlich verrückt. ELA, LTRO und Target 2 in Kombination mit sinkenden Sicherheitsstandards – mehr Anreize zur Misswirtschaft können Sie nicht anbieten. Und wenn das alles noch nicht reicht, so werden die Staatsanleihen am Ende von der EZB selbst aufgekauft. Das ist auch bereits in Höhe von über 200 Milliarden Euro geschehen. Das Ergebnis der EZB, die Bilanzsumme, liegt irgendwo bei 3000 Milliarden, während das Eigenkapital irgendwo zwischen 60 und 80 Milliarden liegt. Das ist ein Verhältnis von 1:40. Ein Hedge-Fund!

Wo führt das hin?

Im besten Fall zu einer kontrollierten Inflation von 6 bis 8 Prozent. Wer Inflation für die Lösung hält, setzt völlig falsche Anreize – belohnt wird der Schuldenmacher, bestraft wird der Sparer! Das ist ein perverses System. Inflationspolitik ist keine Lösung, daran glaube ich nicht.

Woran denn?

Statt die Inflation zu forcieren und damit Werte zu vernichten, sollten wir wieder sparen lernen. Ich weiss, das klingt platt. Aber so ist es nun mal. Niemand kann abschätzen, ob die Inflation im Zaum gehalten werden kann. Ich habe keine Ahnung, wo das endet. Ich weiss aber, dass ein ordentlicher Kaufmann niemals so handeln dürfte wie unsere gegenwärtigen Staaten und Zentralbanken.

Hinzu kommt, dass in vielen Teilen Europas zurzeit auch eine neue soziale Unrast auszumachen ist. In Deutschland hört man, die Griechen seien alle faul. In Griechenland wird Frau Merkel mit einem Hakenkreuz dargestellt, weil sie auf die Einhaltung von Schuldengrenzen pocht. Sehen wir einen neuen Nationalismus aufziehen?

Diese Zustände sind eine Ironie der Geschichte. Die Deutschen zahlen bei weitem am meisten und werden gleichzeitig als Nazis und Befehlshaber bezeichnet. Das Aufblühen eines neuen Nationalismus ist letztlich auch die Schuld einzelner Politiker. Sie haben in den vergangenen Jahren jegliches Vertrauen verspielt. Mein persönliches Schlüsselerlebnis ist folgendes: Als ich im August 2010 dem befristeten Rettungsschirm zugestimmt habe, wurde von Frau Merkel zugesichert, dass er auf drei Jahre befristet bliebe. Es wurde explizit gesagt: Ein dauerhafter Rettungsschirm steht nicht zur Debatte, es werden nur Staaten gerettet, keine Banken, und auch nur solche Staaten werden gerettet, die die Voraussetzungen für eine Rückzahlung erfüllen. Sechs Monate später war der Rettungsschirm unbefristet, er rettet nun auch Banken, heute will man sogar Banken miteinbeziehen, deren Staaten sich nicht im Programm befinden, und drittens bekommt Griechenland sogar noch ein zweites Darlehen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Sie nennen es tatsächlich Darlehen! Seit ich das erlebt habe, glaube ich den Spitzenpolitikern in Brüssel nicht mehr.

Was ist also die Alternative?

Gegenwärtig sind das eben offensichtlich für viele Menschen die Randgruppierungen links und rechts. Im Falle von Griechenland sind das alles Nationalisten, die die Stimmen der Protestwähler auf sich ziehen. Ich bin vieles, aber sicher kein Nationalist.

Trotzdem werden liberale Kräfte in Deutschland, in der Slowakei und auch in der Schweiz oft als Nationalisten hingestellt. Warum?

Weil viele nationalistische Strömungen in wirtschaftspolitischen Fragen eben darauf pochen, dass die Haushaltshoheit Sache des eigenen Landes sei. Bei aller Unredlichkeit in deren Argumenta­tionen: Da gehen viele Kritiker – ob Nationalisten oder nicht – einig, weil das ja keine genuin nationalistische Forderung ist. Nigel Farrage ist kein Nationalist, Frank Schäffler ist keiner – und ich auch nicht. Aber wir sind gegen diese Rettungsschirme. Da sind sie wieder, die Zeugen Jehovas.

Sie bleiben Politiker?

In den nächsten Jahren sicher. Und dann schauen wir weiter.

Haben Sie sich schon mal überlegt, sich für das EU-Parlament zu bewerben?

Gute Idee. Vielleicht werde ich das tun. Die Slowakei hat 13 Mandate von 700. Aber es ist klar: Politik wird heute in Brüssel gemacht, die nationalen Parlamente werden die Situation nicht ändern. Brüssel hat es in den letzten 30 Jahren geschafft, die Mainstreampolitik zu zentralisieren – Europa muss am sozialsten sein, am wirtschaftlichsten, am umweltbewusstesten, am wettbewerbsfähigsten. Kurz: Europa soll eine hölzerne Eisenstange werden. Da muss man sich nicht wundern, wenn das desaströse Folgen hat. Wenn man also etwas ändern will, so muss man dort ansetzen. Man muss Leute ins Europaparlament wählen, die sagen: Schluss mit dem Blödsinn!

 

Das Gespräch fand anlässlich des St. Gallen Symposiums statt und wurde nachträglich per E-Mail ergänzt.

Dieses Gespräch ist in der Juli/August-Ausgabe des “Schweizer Monats” erschienen. Wir danken der Autorenzeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur für die Genehmigung zur Veröffentlichung.

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Fotos: Michael Wiederstein, “Schweizer Monat”

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