Die Gefahr der Auslandsverschuldung

16.6.2012 – von Philipp Bagus.

Prof. Dr. Philipp Bagus

Ökonomen und Journalisten verweisen häufig auf die Gefahren ausländischer Staatsverschuldung, im Gegensatz zu inländischen Staatsschulden, die als weniger problematisch betrachtet werden. Japan ist solch ein Fall. Japan’s Verschuldung liegt bei über 200 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Der hohe Verschuldungsgrad stelle kein Problem dar, wird argumentiert, weil die Sparquote in Japan hoch sei und die Staatsanleihen zum größten Teil von Japanern selbst gehalten würden; es handele sich um Inlandsschulden.

Im Gegensatz hierzu wird Spanien, dessen Verschuldung im Verhältnis zum BIP wesentlich niedriger ist (zum Jahresende werden 80 % des BIP erwartet) von vielen Investoren in seiner Bonität als wesentlich unsicherer betrachtet. Ein Grund für die Instabilität Spaniens ist die Tatsache, dass circa die Hälfte der spanischen Staatsanleihen vom Ausland gehalten werden.[1]

Auf den ersten Blick könnte man diese Argumentation anzweifeln. In der Tat, ich selbst lebe in Spanien und mir ist es gleich, ob mir ein Freund aus Spanien oder aus Deutschland Geld leiht. Warum sollte es beim spanischen Staat anders sein? Warum sich darüber Gedanken machen, ob ein Darlehen aus Spanien oder aus Deutschland kommt?

Der Staat basiert letzten Endes auf physischen Zwang oder der Androhung physischen Zwangs. Der Staat ist der Gewaltmonopolist in einem bestimmten Territorium. Und in eben dieser Gewalt liegt der Unterschied. Von Inländern gehaltene Schulden generieren Einkommen bei den eigenen Bürgern, die unter Androhung von Gewalt besteuert werden können. Dies bedeutet, dass Teile der auf die Inlandsschulden gezahlten Zinsen durch Steuern an den Staat zurückfließen. Zinsen, die auf Auslandsschulden zu zahlen sind, werden von den jeweiligen Staaten im Ausland besteuert.

Es gibt einen weiteren, noch wesentlich wichtigeren Grund, warum das Gewaltmonopol eine wichtige Rolle spielt: ich kann weder meinen spanischen, noch meinen deutschen Freund zwingen, ein Darlehen bei Fälligkeit zu verlängern. Während ein Staat die Gläubiger außerhalb seines Territoriums nicht zwingen kann, fällige Darlehen zu verlängern, kann er das bei seine eigenen Bürgern und Institutionen unter seiner Gerichtsbarkeit sehr wohl tun. Was noch raffinierter ist, Staaten können ihre traditionellen Finanziers, die Banken, unter Druck setzen, öffentliche Schulden zu prolongieren.

Banken und Staaten leben in einer Beziehung ähnlich einer Symbiose. Staaten haben den Banken das Teilreserve-Privileg verliehen und ihnen unbedingte und ausdrückliche Rettungsgarantien gegeben. Weitere Unterstützung bietet eine durch den Staat kontrollierte Notenbank, die in Zeiten von Liquiditätsproblemen zur Hilfe eilt. Und, der Staat kontrolliert das Bankensystem durch eine Unzahl von Regulierungen. Im Gegenzug für das Privileg, Geld aus dem Nichts erzeugen zu können, nutzen Banken diese Möglichkeit, die Staaten zu finanzieren und ihre Anleihen kaufen.

Aufgrund dieser intensiven Beziehung und dem Gewaltmonopol des Staates kann die japanische Regierung Druck auf die japanischen Banken ausüben, fällige Anleihen zu verlängern. Sie kann sie ebenso dazu zwingen, auf plötzliche Verkäufe von Staatsanleihen zu verzichten und sie sogar ermuntern, noch mehr Schulden in die Bücher zu nehmen. Jedoch kann die japanische Regierung nicht die ausländischen Gläubiger zwingen, auf Verkäufe von Staatsanleihen zu verzichten oder noch mehr Staatsanleihen zu akkumulieren. Genau hier liegt die Gefahr für Staaten mit Auslandsschulden, so wie es in Spanien der Fall ist.

Während die spanischen Banken und Investmentfonds den Markt nicht mit spanischen Staatsanleihen fluten werden, ausländische Gläubiger könnten dies durchaus tun.[2] Die spanische Regierung kann diese nicht „überreden“ oder zwingen, dies nicht zu tun, sie befinden sich außerhalb ihrer Gerichtsbarkeit. Das Einzige, was die spanische Regierung tun kann – und die Regierungen der Peripherie tun dies derzeit – ist, Politiker befreundeter Länder unter Druck setzen, deren Banken zu zwingen, die Anleihen in den Büchern zu halten und sie bei Fälligkeit zu verlängern.

Genauso stellen auch die Auslandsschulden der USA eine Gefahr für die US-Regierung dar.

Ausländische Banken wie beispielsweise die Bank of China oder die Bank of Japan halten immense Summen an US-Staatsanleihen. Die Drohung, ob nun glaubhaft oder nicht, die Anleihen auf den Markt zu werfen, gibt deren Regierungen, speziell der chinesischen, einiges an politischem Gewicht.

Wie wirkt sich ein Handelsdefizit aus?

Im Hinblick auf die Stabilität einer Währung oder die Solidität von Staatsanleihen spielt die Handelsbilanz ebenso eine wichtige Rolle.

Handelsüberschüsse führen dazu, dass ein Land Auslandsvermögen anhäuft (wenn man von Devisenflüssen und unentgeltlichen Transfers absieht). Wenn Auslandsvermögen angehäuft werden, tendiert die Währung zur Stärke. Auslandsvermögen können im Falle von Krisen verwendet werden, um die Kosten von Schäden zu decken. Erneut trifft dies auf Japan zu. Nach dem Erdbeben in Japan 2011 wurden Auslandsvermögen „nach Hause geholt“, um nötige Importe zu finanzieren. Japaner verkauften ihre Dollars und Euros, um die Schäden zu Hause zu reparieren. Es war nicht nötig, bei Ausländern um Dollarkredite zu bitten und dadurch den Yen unter Abwertungsdruck zu bringen.

Japan’s Handelsüberschüsse machen sich auch in der Bilanz der Bank of Japan bemerkbar. Die Bank of Japan hat ausländische Devisen von japanischen Exporteuren erworben. Diese Reserven könnten in einer Krisensituation dazu genutzt werden, öffentliche Schulden zu reduzieren und den Wert der eigenen Währung an den Devisenmärkten zu stützen. Berücksichtigt man die von der Bank of Japan gehaltenen ausländischen Devisenreserven (über 1 Bio. US-Dollar), hat sich die japanische Nettoverschuldung sogar um 20 % reduziert. So führen Exportüberschüsse zu einer stärkeren Währung und besser bewerteten Staatsschulden.

Handelsdefizite dagegen führen zu einer Netto-Auslandsverschuldung. Es werden mehr Güter importiert als exportiert. Die Differenz wird mit neuen Schulden bezahlt – häufig repräsentiert durch Staatsanleihen, die von Ausländern gehalten werden. Ein Land mit einem permanenten Handelsdefizit ist sehr wahrscheinlich mit einem hohen Anteil im Ausland verschuldet, was für die Regierung Probleme der besprochenen Art mit sich bringen wird.

Die Handelsbilanz kann außerdem ein Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft sein, und indirekt, für die Solidität der Währung. Je wettbewerbsfähiger eine Wirtschaft, umso leichter kann eine Regierung ihren “Fiat-Geld-Standard” verteidigen, in dem sie sich den durch die Wirtschaft geschaffenen realen Wohlstand aneignet und sich so nicht mit den Problemen einer öffentlichen Verschuldung konfrontiert sieht. Und, je wettbewerbsfähiger eine Wirtschaft ist, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass die Probleme der Staatsverschuldung mit der Notenpresse gelöst werden müssen.

Während ein Handelsüberschuss ein Zeichen von Wettbewerbsstärke ist, kann ein Handelsdefizit ein Zeichen von Schwäche sein. Permanente Handelsdefizite gehen meist einher mit hohen Staatsschulden, was die Wettbewerbsfähigkeit weiter sinken lässt.

Ökonomien mit hohen und unflexiblen Löhnen – wie es in Südeuropa der Fall ist – sind unter Umständen nicht wettbewerbsfähig und lösen so ein Handelsdefizit aus. Die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit wird durch hohe Staatsausgaben aufrecht erhalten und ermöglicht. Die Staaten der südlichen Euroländer haben die Zahl der Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor stark ausgeweitet, großzügige Regelungen für Frühpensionierung geschaffen und Arbeitslosenunterstützungen eingeräumt, um dadurch die Folgen der durch den unflexiblen Arbeitsmarkt entstandenen Arbeitslosigkeit abzumildern. Das Resultat der Staatsausgaben war somit nicht nur ein Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und ein Handelsdefizit, sondern auch ein Staatsdefizit. Daher, hohe Handelsdefizite gehen meist Hand in Hand mit hohen Staatsdefiziten.

In der Europäischen Peripherie wurden Importe mit Schulden bezahlt. Aber Handelsdefizite  können nicht ewig ansteigen, sonst würden auch die Staatsschulden ins Unermessliche steigen. Permanente Handelsdefizite wie im Falle Griechenlands können als politischer Unwille gedeutet werden, die Arbeitsmärkte zu reformieren und so wieder wettbewerbsfähig zu werden. Es besteht die Gefahr, dass andauernde Handelsdefizite einen Abverkauf der Währung oder der Staatsanleihen auslösen. So betrachtet stützt der Handelsüberschuss Deutschlands den Wert des Euro, die Handelsdefizite der Peripherie untergraben ihn.

Zusammenfassung: hohe öffentliche (Auslands-)Schulden und chronische Handelsdefizite sind Zeichen für eine schwache Währung. Der Staat muss irgendwann seine Zahlungen einstellen oder mittels der Notenpresse einen Ausweg suchen. Dagegen sind eine niedrige öffentliche (Auslands-)Verschuldung und andauernde Handelsüberschüsse Zeichen einer starken Währung.

[1] Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass die spanische Regierung nicht die Notenpresse nach Belieben einsetzen kann, weil sie sich diese mit den Regierungen der anderen Euroländer teilen muss, die dagegen protestieren könnten. Japan dagegen kontrolliert seine Notenbank und damit die Notenpresse alleine.

[2] Es ist anzumerken, dass immer mehr neue spanische Schulden einzig von den spanischen Banken gehalten werden, da andere Investoren immer weniger Interesse an der Finanzierung eines Staates zeigen, der sich weigert, wirkliche und effektive Sparmassnahmen zu einzuleiten.

Der Originalbeitrag ist am 5.6.2012 auf www.mises.org erschienen – Übersetzung durch Andreas Marquart

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Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. Zu seinen Forschungsschwerpunkten Geld- und Konjunkturtheorie veröffentlichte er in internationalen Fachzeitschriften wie Journal of Business Ethics, Independent Rewiew, American Journal of Economics and Sociology u.a.. Seine Arbeiten wurden ausgezeichnet mit dem O.P.Alford III Prize in Libertarian Scholarship, dem Sir John M. Templeton Fellowship und dem IREF Essay Preis. Er ist Autor eines Buches zum isländischen Finanzkollaps (“Deep Freeze: Island’s Economics Collapse” mit David Howden). Sein Buch “Die Tragödie des Euro” erscheint in 12 Sprachen.

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